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Frankreich vor schwersten Finanzaufgaben

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Der Nachfolger des Generals 3e Gaulle, Felix Gouin, hat ein Sanierungsprogramm aufgestellt, das mit dem Stichwort „Rettet Frankreich!“ den tiefen Ernst der Situation kennzeichnen soll. Wenige Tage vor der Jahreswende 1945/46 war noch eine ausgiebige Abwertung des Franken erfolgt und dadurch der Kurs der französischen Wahrung wieder in Einklang gebracht worden mit ihrer effektiven Kaufkraft, die während des abgelaufenen Jahres eine erhebliche Einbuße erlitten hatte. Um die gleiche Zeit erfuhr die Öffentlichkeit von einem sehr bedeutenden Defizit im Staatshaushalt, das nur mehr mit Hilfe der Notenpresse gedeckt werden konnte. Damit war der Zustand der offenen Inflation gegeben und es entsprach nur einem Gebot der Selbsterhaltung, wenn das Kabinett Gouin dem Volke den Ernst der Lage vor Augen führte.

Der französische Staat ist — darüber kann kein Zweifel mehr bestehen — in der ersten Phase nach der Befreiung finanziell tiefreichend geschwächt worden. Dies ist der unmittelbare Eindruck, der von den Ziffern ausgeht, die kürzlich aus dem französischen Staatsvoranschlag für 1946 bekanntgegeben wurden. Für dieses Budget ist es zunächst charakteristisch, daß es von vornherein auf einen zahlenmäßigen Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben verzichtet. Das System der Kriegsfinanzierung, bei dem der Bestand eines großen Defizits durch den Krieg als gerechtfertigt gilt, behält sonach Gültigkeit auch für die erste Periode nach Beendigung der Feindseligkeiten. Für 1945 hatte man ursprünglich einen annehmbaren Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben erwartet. Große Hoffnungen waren an ein beschleunigtes Anlaufen der Produktion und im Zusammenhang damit an eine bessere Deckung des allgemeinen Bedarfes geknüpft worden. Die Erwartung erfüllte sich nicht. An der Schwierigkeit der gestellten Probleme versagte die staatliche Preispolitik, die sich trotz ausgiebiger Subventionierung der Brot- und Fleischpreise gegenüber dem Auftrieb der Lebenshaltungskosten als ohnmächtig erwies. Der geringe Ertrag der vorjährigen Ernte und das wachsende Mißtrauen gegenüber der Währung ließen die Teuerungswelle immer höher ansteigen. Die Teuerung wieder führte zu fortdauernden Gehaltsforderungen, die in Hinblick auf den übergroßen Beamtenapparat finanziell sehr ins Gewicht fielen und auch dem Budget 1946 das Gepräge geben.

Die Aufwendungen für zivile Zwecke allein sind in diesem Budget mit nicht w e n i g e r. als“ 362 Milliarden Franken eingesetzt gegen nur 214 Milliarden (ohne Amortisationskosten) im Jahre 1945. Die von der allgemeinen Teuerung ausgelöste Dynamik scheint stärker zu sein als alle Gegenmittel. Um nun wenigstens bei einer sehr wichtigen Ausgabepost zu einer sofort greifbaren Einsparung zu gelangen, hat man die Aufwendung für die bewaffnete Macht gründlich herabgesetzt. Der Stand der Armee wird um ungefähr eine Viertelmillion Mann und der Etat von 200 auf schätzungsweise 96 Milliarden vermindert. Im Hinblick auf verschiedene Unsicherheitskoeffizienten hat man aber in das Budget 1946 vorläufig nur die militärischen Aufwendungen für das erste Quartal, und zwar mit 39 Milliarden Franken eingesetzt. Diese etwas ungewöhnliche - Praxis läßt darauf schließen, daß man an den verantwortlichen Stellen das Zifferngebilde des neuen Staatsvoranschlages nicht für sicher hält. Schon das Jahr, 1945 hatte gegenüber dem Präliminare einen effektiven Mehraufwand in Höhe von 73 Milliarden gebracht. Solange nun der Regierung nicht eine Zügelung der Preise und Löhne gelingt, ist- auch für das laufende Jahr mit einer ähnlichen Entwicklung zu rechnen. Im Zuge der Verstaatlichungspolitik werden jetzt überdies auch die Erfolgsbilanzen der Kohlengruben, der großen Depositenbanken, der Versicherungsgesellschaften und der Elektrowirt-schaft eine rasch zunehmende Bedeutung für den Staatshaushalt erhalten. Man kann noch nicht beurteilen, ob sie positiv oder negativ t ausschlagen werden. Dazu kommt noch der einmalige, aber außerordentlich hohe Aufwand für die Entschädigung der bisherigen Besitzer.

Auf der Einnahmenseite hat man die laufenden Eingänge mit 311 Milliarden veranschlagt gegen 192 Milliarden im Vorjahr. Gegenüber dem vom Finanzminister Philip angenommenen Defizit von rund 200 Milliarden Franken rechnet der zur radikalen Partei gehörende Abgeordnete M e n d e s-France, der ursprünglich als Finanzmini-ster im Kabinett Gouin in Aussicht genommen war, mit einem Jahresdefizit von rund 300 Milliarden. Er hatte, wie inan weiß, die Übernahme des Finanzportefeuilles davon abhängig gemacht, daß ein von ihm aufgestelltes Programm schärfster Einsparungen en bloc angenommen wird. Dazu hat man sich jedoch nicht entschließen können.

Frankreich hatte schon immer einen relativ großen Beamtenapparat. Seit der Wiedererlangung der staatlichen Freiheit ist das Heer der Staatsangestellten von rund 900.000 auf etwas über 2,1 Millionen angeschwollen. Heute sieht sich nun die Regierung einer Armee von Beamten gegenüber, 3ie schon 3urch ihre Masse hmer-politiach sehr ins Gewicht fällt. Trotzdem wird man einen hohen Prozentsatz der neuaufgenommenen Leute abbauen müssen,wenn der Staatshaushalt jemals noch in Ordnung gebracht werden solL

Gegenwärtig rechnet man mit Gesamt-ausgabe in Höhe voa etwa über

500 Milliarden. Demgegenüber hat der bekannte Volkswirt Professor Charles Rist das gesamte Einkommen des französischen Volkes nach dem neuesten Stand mit 1200 Milliarden er-i rechnet. Davon würde jetzt der Staat, faBs es bei einem Gesamtaufwand von einer halben Billion bleiben sollte, allein etwa 42Prozent für sich in Anspruch nehmen. Dies würde selbst in dem klassi-sehen Land der fleißigen Sparer und dj Rentner bald die Kräfte ausschöpfen. Dabei bedarf der Staat die Mitwirkung der Sparer heute dringender denn je. Bisher, das heißt in den Jahren 1944 und 1945, konnten die Defizite durch geschickte Operationen gedeckt werden. Es waren dies die Befreiungsanleihe, die 164 Milliarden einbrachte, der Banknotenumtausch mit einem Gewinnsaldo von rund 50 Milliarden und schließlich che letzte Frankenabwertung mit einem großen buchmäßigen Gewinn. Ein Fortfahren awf diesem Wege ist jedoch heute ausgeschlossen. Daher greift man jetzt zur Requisition der in privaten Händen befindlichen Auslandswerte, wodurch aber die Deckung des Budgetabganges nur vorübergehend erleichtert werden kann. Im übrigen haben die Sparer und Rentner sowie das, was noch an Resten vom ehemaligen Großkapital vorhanden ist, durch Notenumtausch und Währungsabwertung derartige Einbußen erlitten, daß es zweifelhaft ist, ob sie imstande sind, noch ausreichende Mittel dem Staate auf dem offenen Kapitalmarkt für weitere Anleihen im Zuge der Sozialisierungspolitik Zur Verfügung zu stellen. Sind sie es nicht, so kann für den-Staat eine recht bedenkliche Lage entstehen.

Dabei ist zu bedenken, daß in dem Voranschlag für 1946 der Aufwand für den; kriegsbedingten Wiederaufbau mit nur 42 Milliarden eingesetzt, ist, eine Summe, die im Verhältnis zu den Schäden auch ab Anfangsquote sehr gering ist. Von dem tati sächlich erforderlichen Kapitalaufwand erhält man eine beiläufige Vorstellung, wenn man erfährt, daß allein 1,884.000 Gebäude — davon 45 3.000 total zerstört—* für den Wiederaufbau in Frage kommen gegen 927.000 Immobilien am Ende des ersten Weltkrieges. Das ist aber nicht alles, Man berechnet, daß das schwer heimgesuchte Land insgesamt für den 'Wiederaufbau' 3,5 bis 4 Billionen brauchen wird. Inwieweit; Reparationen und Auslandsanleihen Erleichn terungen bringen werden, steht noch dahin, Es wird viel Starkmut, Einigkeit und tüch- tige Führung dazu gehören, die fast giganti sehen Aufgaben zu meistern.

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