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Zeitbombe Budget

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Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte gefährdet nicht nur die Teilnahme an der Währungsunion, sondern auch notwendige Infrastrukturinvestitionen. Österreich steht vor einem Scheideweg.

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Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte gefährdet nicht nur die Teilnahme an der Währungsunion, sondern auch notwendige Infrastrukturinvestitionen. Österreich steht vor einem Scheideweg.

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Es ist ein ehrgeiziges Programm, das sich die Bundesregierung im heurigen Frühjahr zur Sanierung des Staatshaushaltes gesetzt hat. Nachdem das Budgetdefizit des Bundes 1994 mit 105 Mrd. S um einiges höher ausgefallen war als die veranschlagten 80 Mrd. S, dämmerte es den Verantwortlichen bereits recht deutlich, daß Österreich die Erfüllung der Konvergenzkriterien für die Währungsunion nicht so einfach schaffen würde, wie dies bis dahin vorausgesetzt wurde.

Immerhin überschritt allein das Defizit des Bundes mit 4,6% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) den Spielraum von 3%, der im Vertrag von Maastrichtfürdiejährliche Neuverschuldung des gesamten öffentlichen Sektors inklusive Länder und Gemeinden zugestanden wurde, deutlich. Selbst das Einhalten des Voranschlages hätte immer noch zu einem Abgang von 3,7% des BIP geführt.

Genau dieses Problem, das Auseinanderklaffen zwischen Voranschlag und Rechnungsabschluß in den vergangenen Jahren, läßt auch daran zweifeln, daß das zu Beginn des heurigen Jahres vorgestellte Konsolidierungsprogramm für das Bundesbudget mehr bleiben wird als eine Zahlenkolonne. Für 1996 sieht dieses Programm eine Reduktion des Nettodefizits auf 93 Mrd. S vor.Ein Ziel, das äußerst schwierig, aber dennoch erreichbar ist. Uneinig sind sich die politischen Parteien, wie sich in den vergangen Wochen deutlich zeigte, aber darüber, wie es erreicht werden soll. Grundsätzlich und ganz simpel ausgedrückt bieten sich dafür zwei Wege an: der Staat kann entweder seine Einnahmen soweit erhöhen oder seine Ausgaben soweit einschränken, daß das Budgetziel eingehalten werden kann. Auch wenn völlig klar ist, daß in der Praxis nur eine Kombination von einnahmen- und ausgaben-seitigen Maßnahmen den erwünschten Erfolg bringen wird, sollten sich die Entscheidungsträger dennoch die grundsätzlichen Wirkungen der beiden unterschiedlichen Sanierungswege bewußtmachen.

Eine einnahmenseitige Sanierung hieße, die Steuern und Sozialbeiträge massiv anzuheben. Das Versprechen, die Steuern zu erhöhen, also in die Taschen der Bürger zu greifen, hat sich zwar grundsätzlich nicht unbedingt immer als Wahlschlager für jene Partei, die das forderte herausgestellt, dennoch könnte die Versuchung gegeben sein, damit in einen Wahlkampf zu ziehen. Nämlich dann, wenn man der eigenen Klientel glaubt, vermitteln zu können, man würde nicht ihr, sondern den anderen - zum Beispiel den Reichen - in die Taschen greifen. Die Ansätze einer Solidar- oder Ergänzungsabgabe gehen in diese Richtung. Daß dieser Weg allerdings, wenn überhaupt, lediglich auf kürzeste Sicht das Erreichen des Konsolidierungsziels ermöglichen würde, zeigt sich, wenn man sich vor

Augen hält, daß davon das weitere Anwachsen der Staatsausgaben unberührt bleibt. Dieses Wachstum hat - wie anhand einzelner Bereiche noch zu zeigen sein wird - eine Eigendynamik, die von einem rein einnahmenseitigen Lösungsansatz nicht berührt wird. Wer sich also für die Erhöhung von Steuern als ausschließlichen oder vorrangigen Sanierungsweg entscheidet, muß auch dazusagen, daß es nicht bei einer einmaligen Erhöhung bleiben kann, wenn der Konsolidierungserfolg auch mittelfristig gesichert werden soll.

Noch skeptischer gegen den einnahmenseitigen Weg der Budgetsanierung müßte verantwortliche Politiker ein internationaler Vergleich der Abgabenquoten in den verschiedenen OECD-Staaten machen. Wie das Österreichische Statistische Zentralamt kürzlich publizierte, liegt die Abgabenquote in Österreich bereits bei nicht weniger als 43,2% des Bl P. Wer dem ausufernden Budgetdefizit mit höheren Steuern begegnen will, treibt diese Quote rasant in Richtung der 50%-Marke. Dabei tragen die Österreicher bereitsjetzt eine höhere Abgabenlast als etwa die Deutschen. Dort lag die Abgabenquote im Vorjahr bei 39,2%, also trotz aller Belastungen durch die Finanzierung der Wiedervereinigung mittels einer Solidarabgabe noch immer um vier Prozentpunkte niedriger als in Österreich, Die Bürde der Schweizer Bürger ist mit einer Abgabenquote von 34,1% noch wesentlich leichter.

Diese Werte machen klar, daß an einer ausgabenseitigen Sanierung des österreichischen Staatshaushaltes kein Weg vorbei führt. Und dabei ist wiederum strukturellen Reformen, die zu einer nachhaltigen Eindämmung des Ausgabenwachstums führen, der Vorzug vor linearen Kürzungen einzelner Leistungen zu geben. Ansatzpunkte dafür ergeben sich vorwiegend in jenen drei Bereichen, die auch von Finanzminister Andreas Starib-acheralsdie „großen Brocken” bezeichnet wurden: bei den Bundeszuschüssen zur Pensionsversicherung, beim Personalaufwand für die öffentlich Bediensteten und im Gesundheitswesen, Der Zuschußbedarf zur Pensionsversicherung, der voll auf das Budget durchschlägt, beträgt momentan rund 65 Mrd. S. Für den Sozialversicherungsexperten Franz Kohmaier, dessen Buch „Pension in Not” vor kurzem im Signum-Verlag erschienen ist, liegt der Grund für diese überproportionale Beanspruchung der Steuerzahler durch das Pensionsystem vor allem daran, daß das faktische Pensionsantrittsalter in Österreich mit 57,4 Jahren das niedrigste der ganzen Welt ist. Weniger als 10% der 60 bis 65jähri-gen Österreich stehen noch im Erwerbsleben.

Vor 25 Jahren lag das Pensionsalter noch bei durchschnittlich 62 Jahren. Zur Korrektur dieser Fehlentwicklung gibt uns die Bevölkerungsentwicklung noch eine „demographische Atempause biszum Jahr 2010”, wie es der Wirtschaftspublizist Horst Knapp ausdrückte. Dennoch müssen die erforderlichen Maßnahmen zur Anhebung des Pensionsalters sofort eingeleitet werden, um einerseits unzumutbare Eingriffe in die individuelle Lebensplanung älterer Arbeitnehmer und andererseits eine Belastung der aktiven Beitragszahler zu verhindern, die Ausmaße erreicht, daß es zu einer „Kündigung” des Generationenvertrages kommt. Eine Verlängerung des Arbeitslebens um ein Jahr - eine angesichts der steigenden Lebenserwartung und eines bedingt durch längere Ausbildungszeiten immer späteren Berufseintrittsalters nicht unzumutbare Forderung - würde, so die Berechnungen von Kohmaier, ein zusätzliches Beitragsaufkommen für die Sozialversicherung (also inklusive Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung) von 8 Mrd, S pro Jahr ergeben. Dazu kämen Einsparungen bei den Pensionen von 12 Mrd. Sund somit ein Gesamteffekt von 20 Mrd. S jährlich allein im Bereich der ASVG-Versicherten. Bei den Beamten wären laut Kohmaier zusätzliche Beiträge von 2 Mrd. S und eine Pensionsersparnis von 5 Mrd. Szu erzielen.

Kosten die ASVG-Pensionen den

Staat also schon rund zwei Drittel des gesamten Budgetdefizits, so sind die Aufwendungen für die Pensionen der Staatsdiener mit knapp 76 Mrd. S noch um einiges höher. Der gesamte Personalaufwand des Bundes lag im Vorjahr bereits deutlich jenseits der Grenze von 200 Mrd. S, Noch nicht berücksichtigt sind dabei Sachaufwendungen, die in einem engen Zusammenhang mit den Personalausgaben stehen, beispielsweise Reisegebühren, Fahrkostenzuschläge, Aufwandsentschädigungen oder freiwillige Sozialleistungen für die öffentlich Bediensteten, Deren Anteil an den Gesamtbeschäftigten liegt in Österreich bei mehr als einem Fünftel. Die Schweiz begnügt sich bezogen auf die Bevölkerungsanzahl mit halb so vielen Staatsdienern, und auch in Deutschland liegt diese Quote mit 15% um mehr als ein Viertel unter jener in Österreich. Die von der Regierung angestrebte Reduktion der öffentlich Bediensteten um 1% pro Jahr ist demnach absolut unzureichend, um die Personalkosten der öffentlichen Haushalte zumindest stabil zu halten, In manchen Bereichen, so etwa in einigen Zweigen des Schulwesens, entfallen mehr als 90% aller Ausgaben auf Rersonalkosten. Dieser Umstand droht die Handlungsfähigkeit in einem so wichtigen Bereich wie dem Bildungswesen zu untergraben undsomitdieZukunftdesLandeszu gefährden.

Im Bereich des Gesundheitswesens und hier insbesondere bei der Krankenhausfinanzierung liegt die Hauptlast nicht unbedingt beim Bund uns somit beim Bundesbudget. In diesen Bereich fallen aber massive finanzielle Belastungen der Gebietskörperschaften als Spitalserhalter. Nicht zuletzt durch die Kostenexplosion im heimischen Gesundheitswesen ist es dazu gekommen, daß sich seit einigen Jahren auch die Defizite und die Verschuldung der Länder enorm ausgeweitet haben. Das wiederum ist für die Erfüllung der Konvergenzkriterien fatal. Denn die Maastricht-Grenzwerte beziehen sich ja nicht auf die jährliche Neuverschuldung und die Verschuldungsquote des Zentralstaates, sondern auf alle öffentlichen Haushalte. Insgesamt wurden 1994 im gesamten Gesundheitsbereich mit knapp 225 Mrd. S nicht weniger als etwa 10% des BIP ausgegeben. Eine OECD-Studie zeigte, daß es sehr wohl einen Zusammenhang zwischen ,den Gesundheitsausgaben und dem BIP eines Landes gibt, aber keine Korrelation zwischen dem finanziellen Aufwand für das Gesundheitssystem und der Lebenserwartung in einem Land besteht.

Natürlich gibt es neben jenen großen drei Berelchen weiteres Einsparungspotential, etwa im Sozialbereich, wo zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt - ausgerechnet zu Beginn einer Rezessionsphase - mit der Einführung der Pflegeversicherung und des zweiten Karenzjahres eine Großoffensive gestartet wurde, an deren finanziellen Folgen Steuer- und Sozialversicherungsbeitragszahler noch lange tragen werden.

Die Anleitungen zur Entschärfung der gefährlichsten Zeitbomben für den Staatshaushalt liegen jedenfalls in groben Zügen vor. Das tatsächliche muß wieder näher an das gesetzliche Pensionsantrittsalter herangeführt werden. Dazu wäre ein Abschlagssystem, das vorzeitigen Pensionsantritt finanziell unattraktiver macht, ein durchaus taugliches Mittel. Im Bereich des Sozialsystems ist vom Gießkannenprinzip zur Unterstützung der wirklich Bedürftigen überzugehen. Der Staat muß sich aus bestimmten Aufgaben zurückziehen. Durch Deregulierung und Privatisierung kann die Zahl der öffentlich Bediensteten rascher auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden. Mittelfristig ist auch eine Anglei-chung des Beamtendienstrechts -inklusive Pensionsregelung und Abschaffung der Pragmatisierung - an privatwirtschaftliche Bedingungen notwendig. Und im Gesundheitswesen ist die leistungsorientierte Krankenhausfinanzierung sowie die Einführung von sozial gestaffelten Selbstbehalten für die Inanspruchnahme von Leistungen anzustreben.

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