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Zankapfel Budget

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Die Erstellung des Budgets löst in den meisten demokratischen Staaten des Westens konfliktreiche innenpolitische Diskussionen aus. Das Charakteristikum der Budgetdebatten sind die vielfach skurrilen, ja manchmal abstrusen Ansichten über die einzuschlagende Fiskalpolitik. Von der atavistischen Meinung, ein ausgeglichener Staatshaushalt sei in jeder Situation das Nonplusultra finanzpolitischer Kunst, bis zur naiv-neokromanatischen Vorstellung, nach der ohne Rücksicht auf reale Gegebenheiten die öffentliche Hand eine Aufblähung der Ausgaben zur Befriedigung aller nur möglichen Bedürfnisse ungestraft durchführen könne, spannt sich der Bogen der Argumente. Die bisherige Auseinandersetzung über den österreichischen Bundesvoranschlag für 1960 bot reichlich Gelegenheit, den Argumentenschatz zu studieren. Besonders die vor einigen Tagen von den Sozialisten einberufene Pressekonferenz, auf der ihre finanzpolitischen Ansichten kundgetan wurden, war in dieser Hinsicht sehr aufschlußreich. Die Fronten sind klar: auf der einen Seite der Finanzminister, der den Ausgabenrahmen aus konjunkturpolitischen Gründen mit 42 Milliarden Schilling begrenzen will, auf der anderen Seite die übrigen Minister, vor allem die sozialistischen, die für ihre Ressorts mehr Geld verlangen.

Der Finanzminister sieht in einer Ausweitung der Staatsausgaben über 42 Milliarden Schilling — etwa 45 Milliarden Schilling werden gefordert — eine Gefährdung der Währungsstabilität, da er der Ansicht ist, der Konjunkturauf- schwung werde sich eher verstärkt fortsetzen und daher müßte ein größeres als das prä- liminierte Budgetdefizit — die Einnahmen werden mit etwa 40,5 Milliarden Schilling geschätzt — inflatorisch wirken.

Häufig fällt in der Debatte der Begriff antizyklische Budgetpolitik. Nun, als antizyklisch kann die österreichische Budgetpolitik beim besten Willen nicht bezeichnet werden. Denn darunter versteht man den Ausgleich des Staatshaushaltes über den ganzen, in der Regel mehrere Jahre dauernden Konjunkturzyklus hin. Stark vereinfacht dargestellt, handelt es sich um folgendes: Ist die private Investitionstätigkeit hoch, sind die verfügbaren Kapazitäten und das Arbeitskräftepotential ausgenützt, dann hat der Staat die Aufgabe, um inflatorischen Tendenzen entgegenzutreten, einen Ausgleich dadurch zu schaffen, daß seine Einnahmen die Ausgaben übersteigen, die Ausgaben daher eingeschränkt werden. Dadurch wird Kaufkraft stillgelegt und der Aufschwung etwas gebremst, vorausgesetzt, daß auch eine restriktive Währungspolitik verfolgt wird. Umgekehrt aber, wenn die privaten Investitionen sinken und der Verbrauch schrumpft, hat der Staat mehr auszugeben, als eingenommen wird, um die Konjunktur wieder zu beleben. Eine derartige Politik wurde in Oesterreich ganz gewiß nicht verfolgt. Das ist gar kein Vorwurf, denn die antizyklische Budgetpolitik gilt heute bereits als recht konservativ, und es gibt weit modernere, allerdings auch umstrittenere fiskalpolitische Ansichten. Tatsache jedenfalls ist, daß in den Voranschlägen der letzten Jahre immer ein Ausgabenüberschuß präliminiert wurde, 1956 im Ausmaß von 2,2 Milliarden Schilling, 1957 von 1,6 Milliarden Schilling - wobei Ueberschreitungen der finanzgesetzlichen Ansätze zur Erfüllung des langfristigen Investitionsprogrammes des Bundes noch zusätzlich bewilligt wurden —, 1958 von 2,7 Milliarden und 1959 von 4 Milliarden Schilling. Diese präliminierten Defizite deuten weit eher auf eine, wenn auch ungewollte, langfristige Defizitfinanzierung hin.

Hier sei in Parenthese die seltsame Haltung der Sozialisten vermerkt. Wie allgemein erinnerlich, war einer der sozialistischen Wahlschlager für die Maiwahlen der „Schuldenmacher Karnitz“, obwohl die großen Budgetdefizite 195 8 und 1959 im Hinblick auf die konjunkturelle Situation richtig waren. In der gegenwärtigen Budgetdebatte, die in einer wirtschaftlichen Situation stattfindet, in der die Erstellung eines Voranschlages reifliche Ueberlegungen erfordert, wird frischfröhlich ein größeres Haushaltsdefizit und damit Schuldenmachen verlangt. Eine Auseinandersetzung mit den „Argumenten" der Sozialisten ist unnötig, nötig jedoch der Hinweis, daß man ihnen eine derartige Leichtfertigkeit in wirtschaftlichen Dingen nicht zugetraut hätte.

Auch die diesjährige Budgetdebatte dreht sich um die Frage, wie hoch das Defizit für 1960 präliminiert werden soll. Angesichts einer solchen Fragestellung wäre es günstiger, künftig den Begriff antizyklischer Budgetpolitik nicht mehr zu verwenden.

Das Hauptargument des Finanzministers ist, wie gesagt, der Hinweis auf die Gefährdung der Währungsstabilität, da bereits allenthalben Lohn- und Preisauftriebstendenzen feststellbar sind, die man darauf zurückführt, daß die Kapazitäten ausgenützt seien und die Grenzen der möglichen Expansion nahezu erreicht seien. Fasziniert wird auf die Bauwirtschaft gestarrt, die nicht zuletzt durch die hohen Staatsausgaben 1959 eine unerhörte Konjunktur erlebt und ohne Zweifel ihre realen Expansionsmöglichkeiten erreicht hat. Aber wie sieht es mit den übrigen Industriezweigen aus? Sind sie ebenfalls in einer so hektischen Konjunktur? Sie haben sich, verglichen mit dem Vorjahr, zwar erholt, von einer vollen Ausnützung der Kapazitäten kann aber in der Mehrzahl der Fälle kaum die Rede sein. Trotzdem gibt es Preis- und Lohnauftriebstendenzen. Nun, die kündigen sich schon recht früh an, und zwar lange bevor die Kapazitäten ausgenützt sind und das Arbeitskräftereservoir erschöpft ist. Nur weil an der Fiktion festgehalten wird, es gebe Märkte mit vollkommener Konkurrenz, wird die Realität vielfach verkannt.

Eine Nettozunahme der Gesamtnachfrage in einer vom Wettbewerb regulierten Wirtschaft löst binnen kurzem einen proportionalen Preisanstieg aus. Die Preise werden so lange steigen, bis der Wert des vorhandenen Angebotes — wenn man die Preise mit der jeweils verfügbaren Produktion multipliziert — die Höhe der Gesamtnachfrage erreicht. Für eine weitere Erhöhung der Preise ist eine weitere Nettozunahme der Nachfrage notwendig. Der ganze Prozeß ist ohne weiteres auch umkehrbar. Das ist die Situation, wenn die Marktform der, wie es in der Fachsprache der Nationalökonomie heißt, vollkommenen Konkurrenz verwirklicht ist und der Preismechanismus funktioniert. Heute herrscht aber größtenteils unvollkommene Konkurrenz, und die Preisbildung gehorcht anderen Gesetzen. Die Marktform der unvollkommenen Konkurrenz bringt es mit sich, daß, wenn die Konjunkturentwicklung günstig eingeschätzt wird, schon lange vor Erreichung des Vollbeschäftigtenniveaus und der Kapazitätsgrenze sowohl die Betriebsführungen als auch die Arbeitnehmerschaft Preis- und Lohnsteigerungen anstreben und auch erreichen. Welche der beiden Kräfte die Initiative ergreift, ist im Prinzip belanglos. Schon aus menschlichen Gründen werden sowohl Unternehmer als auch Arbeitnehmer trachten, mehr zu erreichen als bloß einen Ausgleich für die letzten Veränderungen zu ihren Ungunsten. Es gibt daher für die Höhe der Preis- und Lohnsteigerungen in jeder Runde keine scharfe Grenze. Sie hängen von der Machtposition ab. Vielleicht, daß bis zu einem gewissen Grad bei Preiserhöhungen die Elastizität der Nachfrage berücksichtigt wird. Lohnerhöhungen hängen weitgehend von der zwischen Unternehmern und Gewerkschaft zufällig Macht, Verhandlungsgeschick erzielten Vereinbarung ab.

Für die Erstellung des Staatshaushaltes hat diese Erkenntnis eine grundlegende Bedeutung. Einerseits legen die Preis- und Lohnauftriebstendenzen nahe, einen restriktiven Kurs einzuschlagen, anderseits sind vielfach noch beachtliche Expansionsmöglichkeiten vorhanden, die ohne Budgetinjektionen nicht ausgenützt werden können, vor allem, wenn einzelne Branchen von öffentlichen Aufträgen schon sehr abhängig sind.

Gegenwärtig ist es durchaus angebracht, das Budgetdefizit in mäßigen Grenzen zu halten, wenngleich einige hundert Millionen Schilling mehr oder weniger Ausgaben als das Präliminare sicher die Währungsstabilität kaum gefährden werden. Entscheidend für die Budgeterstattung ist die theoretische Erkenntnis, daß der Idealzustand erreicht wird, wenn sich Vollbeschäftigungsersparnisse und Vollbeschäftigungsinvestitionen ausgleichen, ohne daß Inflation entsteht. Dieses theoretische Ideal in der Praxis auch nur annähernd zu verwirklichen, ist aber eine ungeheuer schwierige Aufgabe, und es zeugt von wirtschaftlichem Unverstand, eine derart schwerwiegende ökonomische Debatte etwa mit dem Argument „wenn für A. Geld da sei, müsse auch für B. eines da sein“, zu führen.

Aber ohne Zweifel ist es utopisch, zu glauben, daß in Oesterreich in Zukunft eine echt antizyklische Budgetpolitik geführt werde: könnte. Nach der bisherigen Entwicklung z schließen, wird das Budgetdefizit wohl zu eine Dauereinrichtung werden. Die Frage ist, ob ii Oesterreich nicht der „öffentliche“ Investition bedarf, wie etwa die Investitionen in der Woh nungswirtschaft, der öffentlichen Verwaltung der Versorgungswirtschaft Elektrizität-, Gas und Wasserwerke, bei Post und Bahn, größere: Meliorationen in der Landwirtschaft, ein Bud getdefizit erfordern. Denn diese Investitionei hängen nicht von der kurzfristig im Konjunktur verlauf schwankenden Nachfrage ab, sonden vom langfristigen Entwicklungstrend der Nach frage, der einerseits durch die Bevölkerungsent Wicklung und anderseits durch den technischen kulturellen und ökonomischen Fortschritt be stimmt wird. Es ist nicht unwahrscheinlich, dal diese gewaltige öffentliche Nachfrage zwangs läufig ein Budgetdefizit erfordert, und durchau denkbar, daß eine Nichtvornahme der Investi tionen das Wirtschaftswachstum behinden würde. Trotzdem muß bei der Budgeterstellun; auf die jeweilige Konjunktur Rücksicht genom men und die öffentliche Investitionsrate variier werden.

Freilich wird es immer Zielkonflikte geben Die politische Aufgabe ist es nun, eine optimal Lösung zu finden, die möglichst alle Gesichts punkte berücksichtigt. Die Ueberlegung, da: Budetdefizit, 1960 viel niedriger zu prä liminieren als im Jahr vorher, ist ohne Zweife Ticjitigwnglh ßjcopqimische Begpjind.

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