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Planen - nicht improvisieren!

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Es hat nicht an sachlich fundierten kritischen Stimmen gefehlt, die den Bundesvoranschlag für 1960 als unrealistisch bezeichneten und darauf hinwiesen, daß das Budgetdefizit wahrscheinlich höher werden wird als vorgesehen (präliminiert mit rund 1,1 Milliarden Schilling). Aber der Zauber des antizyklischen Konzepts, das, wie offiziell erklärt wurde, mit dem Budget 1960 weitergeführt werden sollte, war offenbar stärker als die Realität. Es ist nun zwar möglich, die Wirklichkeit eine Weile zu vergessen, aber unmöglich, sich über sie hinwegzusetzen. Die jüngsten Ankündigungen über die künftigen Geld- und Kapitalmarktoperationen des Bundes dürften den Traum von der antizyklischen Finanzpolitik endgültig zerstört haben, und es wird Zeit, sich um eine andere Etikette für die Finanzpolitik umzusehen.

Wie verlautet, will der Bund eine Investitionsanleihe mit einem Nominale von zwei Milliarden Schilling auflegen. Weitere 200 Millionen Schilling sollen für Investitionen bei Bundesbahn und Post auf dem Kapitalmarkt aufgebracht werden, 200 Millionen Schilling für die Beseitigung der Hochwasserschäden und 300 Millionen Schilling für den Wohnhauswiederaufbaufonds. Dann sollen noch Schatzscheine mit einem Nominale von rund einer Milliarde Schilling emittiert werden. In diesem Zusammenhang sei an den vergeblichen und untauglichen Versuch, die Geldmarktpolitik zu aktivieren, erinnert. Im Heft Nr. 7, Juli 1959, der Mitteilungen des Direktoriums der Österreichischen Nationalbank heißt es:

„Der Bund hat bisher zur Stärkung seiner Kassenlage Schatzscheine mit einer Laufzeit bis zu drei Monaten begeben und bei den Kreditinstituten untergebracht. Um die Lücke, die zwischen diesen kurzfristigen Papieren und den langfristigen Staatsanleihen bestand, zu schließen, werden nunmehr anläßlich der Prolongation solcher dreimonatiger Schatzscheine mittelfristige, und zwar mit einer Laufzeit von einem und drei Jahren, ausgegeben. Während die dreimonatigen Papiere i t voraus verzinst werden, und zwar mit 4lA Prozent, erfolgt die Verzinsung der mittelfristigen Scheine halbjährlich im nachhinein, und zwar der einjährigen zu einem Zinssatz von 4 Vi Prozent und der dreijährigen zu 5 Vt Prozent.

Mit diesen mittelfristigen Schatzscheinen wurde ein Geldmarktpapier geschaffen, das auch an der Börse notieren und unter Umständen den Weg ins breite Publikum finden soll. Nachdem bereits durch Bundesgesetz vom 18. März d. J. (1959, Anm. d Red.) die Befreiung von der Wertpapiersteuer für kurz-und mittelfristige Schuldverschreibungen inländischer Kreditunternehmungen (Kassenscheine und Kassenobligationen) verfügt worden war, ist dies ein weiterer Schritt zur* Schaffung eines funktionsfähigen Geldmarktes. Es besteht die Absicht, den Zinssatz den jeweiligen Marktbedingungen anzupassen, wodurch eine elastische Geldmarktpolitik gewährleistet werden soll. Auf diese Weise wird sowohl dem Interesse des Bundes nach der Konsolidierung der kurzfristigen Papiere als auch dem Interesse der Banken nach mittelfristigen Anlagewerten entgegengekommen.'4 Die 4%-Prozent- und die 5/4-Prozent-Bun-desschatzscheine wurden zwar an der Börse eingeführt, doch gibt es, wie dem „Amtlichen Kursblatt der Wiener Börse“ zu entnehmen ist, in diesen Papieren kaum einen Handel, was für Geldmarktpapiere recht verwunderlich ist. Anderswo ist das anders. Allerdings hat bei einer echten Geldmarktpolitik die Notenbank ein gewichtiges Wort mitzureden, sie hat die Geldmarktpolitik zu beeinflussen und zu leiten.

In den meisten westlichen Industriestaaten gibt es einen funktionierenden Geldmarkt, und es gibt auch die nötigen Instrumente für eine Geldmarktpolitik, wie z. B. die Offenmarktpolitik, mit deren Hilfe die Notenbank den „Zentralbankkredit“ ausdehnt oder einschränkt, indem sie Staatspapiere (z. B. Bundesschatzscheine) kauft oder verkauft. In Österreich hingegen hat man die Geldpolitik noch nicht wiederentdeckt und verzichtet dadurch auf ein wichtiges konjunkturpolitisches Instrument.

Aber es gibt auch noch andere Schatzscheine mit einer Laufzeit von drei Monaten. Was wird mit ihnen geschehen? Funktionierenden Geldmarkt haben wir keinen. Rücklösen wird sie der Bund kaum können. Daher wird man wahrscheinlich in den sauren Apfel beißen müssen und sie in irgendeiner Form konsolidieren. Das bedeutet höhere Verzinsung und eine stärkere Zinsenbelastung des Budgets.

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht nicht uninteressant, daß Österreich vor hat, unter die Kapitalexporteure zu gehen (langfristige Kredite an Indien), um sein Scherflein für die Entwicklung der unterentwickelten Gebiete beizutragen. Auch dafür soll der Kapitalmarkt herhalten. Das ist sicher keine schlechte Idee. Interessant wäre nur, ob man sich auch die Konsequenzen eines derartigen Kapitalexports überlegt hat. Nämlich: exportieren ist gut; auf Kreditbasis exportieren ist auch gut; aber wie soll das unterentwickelte Importland zurückzahlen? Vielleicht in harter Währung? Das scheint unwahrscheinlich zu sein. Oder wollen wir den Import aus den unterentwickelten Ländern fördern? Das wäre der übliche Weg. Er dürfte nicht ganz leicht zu gehen sein. Oder wird die Entwicklungshilfe ä fonds perdu gegeben? Auf diese Fragen soll aber nur hingewiesen werden.

Nun ist die antizyklische Budgetpolitik nicht die letzte Weisheit. Es gibt moderne Konzepte, die freilich auch umstrittener sind als das antizyklische, das nicht mehr will als Konjunkturschwankungen mildern. Dies soll dadurch erreicht werden, daß der Staatshaushalt nicht jährlich, sondern über den ganzen Zyklus hinaus ausgeglichen wird. Freilich hat auch die antizyklische Budgetpolitik ihre Schwierigkeiten, die vor allem mit der Problematik langfristiger Wirtschaftsprognosen zusammenhängen.

Das Abgehen vom antizyklischen Konzept muß nicht notwendig inflationäre Auftriebe nach sich ziehen. Das hängt von der jeweiligen konjunkturellen Situation, aber auch von der Struktur einer Volkswirtschaft ab. Vielleicht ist für Österreich eine langfristige Fiskalpolitik möglich und notwendig. Dies bedarf einer sorgfältigen ökonomischen Prüfung. Bedenklich ist nur, daß hierzulande vorerst einmal eine Entwicklung zugelassen wird, gleichgültig, ob sie gewünscht wird oder nicht, und erst wenn das Steuer nicht mehr herumzuwerfen ist, wird dem Kind ein Name gegeben. Das war auch bei der antizyklischen Budgetpolitik so: Bekanntlich war deren Vorläuferin die Politik des jährlich ausgeglichenen Staatshaushaltes. Als man sah, daß dieses Prinzip nicht mehr durchgehalten werden konnte, nannte man die Budgetpolitik antizyklisch, wobei der Umstand zu Hilfe kam, daß sich die wirtschaftliche Tätigkeit abschwächte und das hohe Budgetdefizit ökonomisch gerechtfertigt war.

Diese Vorgangsweise beizubehalten, scheint nicht gerade günstig zu sein. Bisher hat man Glück gehabt, aber mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit hätte man auch Pech haben können. Und je öfter man Glück gehabt hat, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß man einmal Pech haben wird. Auf diese Problematik sollte einmal hingewiesen werden.

Eine weitere Frage: Wie wird die künftige österreichische Konjunkturpolitik aussehen? Das wurde oft gefragt, aber nie zufriedenstellend beantwortet. Zugegeben, in Österreich Wirtschaftspolitik zu betreiben, ist alles andere als einfach. Es sollte aber doch möglich sein, das moderne konjunkturpolitische Instrumentarium zu aktivieren.

Nehmen wir einmal an, 1960 wird, wie vielfach vorausgesagt, ein gutes Wirtschaftsjahr. Die Arbeitskräftereserven werden dann bald erschöpft sein und die Kapazitäten werden weitgehend ausgenützt. Unter solchen Umständen wäre ein restriktiver Kurs angebracht. Aber wie soll ein restriktiver Kurs gesteuert werden, wenn der Bund mit seiner Budgetpolitik expansiv ist?

Man sollte endlich einmal versuchen, eine Einigung über die einzuschlagende Wirtschaftspolitik zu erzielen. Keine Schlagworte, aber ein Konzept! Das Wort „Plan“ hat im Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik gebraucht, in den letzten Jahren einen so fatalen Klang bekommen, daß nur noch sehr weit links stehende Sozialisten es justament gebrauchen, um ihre „opportunistischen Genossen“ ideologisch zu maßregeln. Dabei wäre es eine dankenswerte Aufgabe, das Wort „Plan“ wieder ins rechte Licht zu rücken und nicht immer mit einer zentral verwalteten Wirtschaft gleichzusetzen. Planen muß nicht heißen, daß ein allmächtiges Wirtschaftsministerium diktiert und dirigiert, das Eigentum an den Produktionsmitteln vergesellschaftet ist. Planen sollte in einem gemischtwirtschaftlichen System wie in Österreich bedeuten, daß für eine längere Zeit der wirtschaftspolitische Kurs festgelegt wird. Planen sollte heißen: Weg von der Improvisation. Weg davon, daß die Augenblicksentscheidung zur Maxime wirtschaftspolitischen Handelns wird, weg davon, daß jede Maßnahme ein Kompromiß zwischen mächtigen Interessentengruppen Ist. Planen so verstanden, hat nichts mit einer totalitär zentralverwalteten Wirtschaftsordnung zu tun.

Der Einwand, in anderen westlichen Staaten gebe es auch keinen derartigen Rahmenplan, ist nicht stichhältig. Die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse Österreichs verlangen besondere Maßnahmen. Die österreichische Wirtschaftspolitik wird immer widerspruchsvoller werden, wenn man nicht einmal die Grundsätze festlegt; die Ziele und die Mittel, mit deren Hilfe sie erreicht werden sollen. Die schon so oft erhobene Forderung nach einem „gesamtwirtschaftlichen Konzept“ ist nach wie vor aktuell.

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