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Der Schilling: 1924 -1974

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Am 7. Juni 1924 war der erste, in der Praxis wirksame Schritt zur Einführung der Schillingwährung in Österreich getan: Auf Grund der Kundmachung des Bundesministeriums für Finanzen über die Ausgabe von Scheidemünzen erfolgte neben der. Ausprägung von Tausend-, Zweihundert- und Hundertkronen-stücken die erste Ausgabe von Einschillingstücken. Die Einschillingmünze war aus einer Legierung von 800/1000 Teilen Silber und 200/1000 Teilen Kupfer herzustellen. Sie hatte ein Rauhgewicht von 7 Gramm, enthielt somit 5,6 Gramm Feinsilber und war eine so hochwertige Münze, daß sie bald gehortet wurde und auf Grund des späteren Gesetzes über die Einführung der Schillingrechnung vom 20. Dezember 1924 (BGBL. 461) durch eine Ausprägung geringeren Gewichtes ersetzt werden mußte (640/1000 Silber und 6 Gramm Gewicht). Das Tausendkronenstück — ein Zehntel des Normalwertes der Schülingmünze — wurde aus einer Legierung von 25 Teilen Nickel und 75 Teilen Kupfer ausgeprägt.

Die Kundmachung vom 7. Juni basierte auf dem Bundesgesetz vom 21. Dezember 1923 über die Ausprägung und Ausgabe von Silbermünzen, das die Regierung ermächtigte „behufs Ersetzung der Banknoten zu 5000 und 10.000 Kronen Scheidemünzen aus Silber auszuprägen und in Verkehr zu setzen“. In diesem Gesetz war erstmalig die Münzbezeichnung „Schilling“ verwendet worden. Nach seinem Paragraph 2 waren an Silbermünzen auszuprägen: „Eine Münze zum Nennwert von 5000 Kronen mit der Bezeichnung Halbschilling, eine Münze zum Nennwert von 10.000 Kronen mit der Bezeichnung Schilling und eine Münze zum Nennwert von 20.000 Kronen mit der Bezeichnung Doppelschilling.“ Die Schillingrechnung war vom 1. Jänner 1925 an im Bundeshaushalt und in allen öffentlichen Haushalten und vom 1. Juli 1926 an dann allgemein anzuwenden.

Die Einführung der neuen Münzbezeichnung und der dann folgenden Schillingrechnung bedeutete nicht die Einführung einer neuen Währung. Mit der gesetzlichen Festlegung der Goldrelation und der Streichung von 4 Nullen in der Goldrechnung war lediglich der Schlußstein der erfolgreichen zweijährigen Stabilisierungsaktion gesetzt und eine neue, den Zahlungsverkehr vereinfachende Währungseinheit geschaffen worden. Weder war damit eine Kursänderung noch eine Veränderung der Goldparität verbunden gewesen, die unverändert 14.000 Papierkronen für eine Goldkrone geblieben ist. Der Schilling war demgemäß 0,694 Goldkronen wert, ein Schilling daher 0,2117 Gramm Feingold. Nach diesem Verhältnis sind dann auch die Goldmünzen zu 100 und 25 Schilling ausgeprägt worden.

Wie sehr man sich mit der Problematik der „Goldkernwährung“ in dieser Epoche bewußt gewesen ist und wie sehr man mit der anbrechenden modernen Währungstheorie vertraut war, ist überraschend. Das läßt ein Artikel1 des damaligen Ministerialrates im Finanzministerium und späteren Notenbankpräsidenten Dr. Hans Rizzi erkennen, der im damaligen politischen Organ der österreichischen Katholiken, „Volkswohl“, Anfang 1925 erschienen ist.

Rizzi wies schon damals auf die in England und Amerika von Irving Fisher und John M. Heynes ausgelöste Diskussion darüber hin, welche valutarische Grundlage die Wertbeständigkeit des Geldes am besten sichere. Beide vertraten die Meinung, daß die Wertbeständigkeit des auf Edelmetall begründeten Geldes lediglich auf einer völkerpsychologischen Illusion beruhe. Heute ist dies die herrschende Auffassung, wobei es sich freilich um eine Illusion handelt, hinter der die währungspolitisch wichtigste Realität steht: das Vertrauen! Es wäre, meinte nun Rizzi, aber nicht Aufgabe des kleinen wirtschaftlich schwachen Österreich ge-

wesen, hier irgendwie experimentierend vorzugehen. Der österreichischen Währungsreform war nach der gegebenen Sachlage die Aufgabe gestellt, auf der in der damaligen Welt noch herrschenden Goldbasis zu stabilisieren. Da es keine Barzahlung in Gold durch die Notenbank gab, bedeutete die Stabilisierung die Fixierung des Schillingkurses an die Weltstandardwährung Dollar. Der damalige Stand des Geldwesens aller Länder ließ —so meinte Rizzi — er-

kennen, daß sich die Welt damals valutarisch in einem Übergangszeitalter befand. Dieses dauerte, wie wir heute wissen, noch ein weiteres Jahrzehnt, das uns schließlich um die währungspolitischen Erfahrungen der düsteren Dreißiger jähre reicher gemacht hat.

Die Einführung der Schillingwährung war die Krönung einer Währungsreform, deren Kernstück die Stabilisierung gewesen ist. Es war noch die österreichische Krone, deren Wert schon zwei Jahre früher stabilisiert werden konnte.

Die erfolgreiche Stabilisierung der österreichischen Währung aus der Nachkriegsinflation des Ersten Weltkrieges wird auf immer mit dem Namen Ignaz Seipel verbunden bleiben, der im November 1922 seinen Vertrauten in Währungs- und Finanzfragen, Dr. Viktor Kienböck, in alle seine Regierungen als Finanzminister berufen hatte. Die triste Situation der österreichischen Währung jener Tage hatte sich in der Entwicklung des Kurses der Goldkrone widergespiegelt: Auf eine Goldkrone waren zu Kriegsbeginn 1,01 Papierkronen entfallen, zum Ende des Krieges noch 3,30 Papierkronen. Dann aber war der Kurs sprunghaft angestiegen: Vom September 1921 bis zum Oktober 1921 beispielsweise von 300,81 auf 634,05, bis zum November 1921 auf 1261,30, im Juli 1922 sogar auf 7500, und er erreichte seinen Höhepunkt im August 1922 mit 17.000 Papierkronen für eine Goldkrone!

Der Dollarkurs war in Wien im August 1922 auf 83.950 Kronen gestiegen. Am 12. August hatte die Österreichisch-Ungarische Bank die Neuherausgabe einer 100.000-Kro-nen-Banknote und am 24. August die einer 500.000-Kronen-Note genehmigen müssen, um die Geldversorgung sicherzustellen. Eine Banknote für 1,000.000 Kronen war in Vorbereitung. Wenn die Inflationsrate auch

in anderen Staaten noch übertroffen worden ist, war es doch eine Schicksalsfrage für die weitere Zukunft des Landes, dieses Währungsverfalles Herr zu werden.

Am Beginn der Stabilisierungsaktion stand die Schaffung der österreichischen Nationalbank auf Verlangen des Völkerbundes und auf Antrag der Regierung des damaligen Bundeskanzlers Dr. Seipel. Die Genfer Protokolle vom 4. Oktober 1922, welche die Verpflichtung der Entente-Mächte enthielten, die politische Unabhängigkeit, die territoriale Integrität und die Souveränität Österreichs zu achten und mit einer Anleihe in der Höhe von 650 Millionen Goldkronen das Werk zur Sanierung der österreichischen Währung in die Wege zu leiten, enthielten im Protokoll III neben anderen Bestimmungen die Verpflichtung der Regierung, vom Parlament die nach den Empfehlungen des Finanzkomitees des Völkerbundes notwendig erscheinenden Abänderungen an dem Notenbankgesetz, insbesondere die Sicherung der vollen Autonomie der Notenbank gegenüber der Regierung zu verlangen. Die Notenbank sollte nicht weiterhin in der Lage sein, dem Staate unbeschränkte Kredite zu gewähren und damit die Inflation zu finanzieren.

Die Empfehlung wurde in der kürzest möglichen Zeit verwirklicht: bereits am 14. November nahm das österreichische Parlament das Nationalbankgesetz mit den neuen Statuten an. Gleichzeitig wurde der alte Name, den das erste österreichische Notenbankinstitut bereits vom Jahre 1818 bis 1878 getragen hatte, wieder angenommen.

Die österreichische Nationalbank hat damit die sogenannte österreichische Geschäftsführung der Österreich-Ungarischen Bank abgelöst. Dies war der auf dem Restterritorium verbliebene Teif der Verwaltung des No'teninstituts -der früheren Doppelmonarchie, des Instituts, das heute deshalb wieder Interesse verdient, weil es eine perfekte Währungsunion zwischen zwei selbständigen Staaten möglich machte, zwischen der österreichisch-kaiserlichen und der ungarisch-königlichen Reichshälfte, und dessen'Liquidation durch den Friedensvertrag von St. Germain angeordnet worden war.

Mit Recht betont Dr. S. Pressburger, der Chronist unseres Noteninstitutes2, wie zügig die Errichtung der neuen Bank seit der Bevollmächtigung des damaligen Finanzministers Segur vor sich gegangen ist. Nach verschiedenen früheren Ideen waren damals folgende Vorschläge aktuell, die alle davon ausgingen, daß die Gründung einer neuen Notenbank erst nach der Beseitigung des Defizits im Staatshaushalt möglich wäre. Nach den Plänen Professor Schum-peters, des Fmanzministers der zweiten Regierung Dr. Renner, sollte sich der Staat durch eine große Vermögensabgabe und eine allgemeine Steuererhöhung die Mittel zum Budgetausgleich beschaffen, um dann erst eine neue, vom Staat unabhängige, jedoch von den Ländern kontrollierte Notenbank zu errichten. Der Fi-nanzminister und spätere Notenbankpräsident Reisch wollte das Defizit durch ausländische Anleihen decken, um dann erst mit ausländischem Kapital eine Zentralbank ins Leben zu rufen. Nach einem von Otto Bauer ausgearbeiteten Plan der Sozialdemokratischen Partei sollte nach Ordnung von Budget und Zahlungsbilanz (letztere durch eine Beschlagnahme der Devisenvorräte bei den Banken) amerikanisches Kapital in solcher Höhe herangezogen werden, daß die Noten der neuen Bank sogleich eingelöst werden könnten (Goldumlaufwährung!).

Mit .kühner Entschlossenheit“ hat sich das Völkerbundkomitee über den alten Streit hinweggesetzt, ob die Gründung einer Notenbank nicht etwa erst als der Schlußstein einer Sanierungsaktion zu setzen sei und hat den für die Sanierung des Geldwesens einzig richtigen Weg betreten, die sofortige Schaffung einer privaten, vom Staat gänzlich unab-

hängigen Notenbank vorzusehen, welche dem Staat unter keinen Umständen weitere Kredite gewähren darf — so in einem Bericht des ersten Präsidenten der neuen Notenbank Dr. Reisch: „Von Bundeskanzler Dr. Seipel aber war es ein nicht minder kühner Entschluß, sich dieser Bedingung zu fügen.“

Ohne auf die in Literatur und Politik aufgeworfene Diskussion hier eingehen zu können (Karl Ausch: Die Seipellegende4) steht jedenfalls außer Zweifel, daß Seipel den Ruf des Augenblicks verstanden und den in währungspolitischen Fragen stets notwendigen resoluten Schritt rasch getan hat: Durch die bloße Eröffnung der Aussicht auf eine Sanierungsaktion, der Einstellung der Finanzierung des Staatsdefizits durch die Notenbank und die Gewährung von Auslandskrediten war die Krone schon anfangs September 1922 weitgehend auf jenen Wert stabilisiert, den dann die Schillingwährung übernommen hat: der Kurs des Dollar ging auf 71.000 Kronen zurück und der Kurs der Goldkrone festigte sich bis zum Jänner 1924, das ist zum Beginn der Schilling-Rechnung, auf einem Niveau von 14.400 Papierkronen.

Die Gründung der österreichischen Nationalbank in jener Gestalt, die

heute noch für ihre Struktur kennzeichnend ist, stand damit am Anfang der monetären und ökonomischen Fundierung des neuen Staates. Mit ihrer Gründung wurde jener ökonomische Prozeß eingeleitet, der es — mit manchen Rückschlägen, und durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen — schließlich doch möglich machte, daß aus dem „Rest“, der vom großen Reich der 12 Nationalitäten einfach „übriggeblieben“ war, wie sich einst ein französischer Staatsmann ausdrückte, und aus dem „Staat, den keiner wollte“, wie es ein österreichischer Schriftsteller später formulierte, ein wohlgeordneter Staat geschaffen wurde, der heute von Bürgern bewohnt wird, die mit einem starken Selbstbewußtsein eine neue Eigenständigkeit gefunden haben. Neben der unabhängigen Notenbank war es eine verantwortungsbewußte Regierung und eine kooperationsbereite Außenwelt, die an der Wiege eines guten Schilling gestanden sind.

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