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Randhemerkungen zur woche

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österreichische Einkommensverhältnisse und die Kurse fremder Valuta- verhindern neunzig Prozent der Österreicher, sich aus Auslandsbesuchen ein Vergleichsbild für die Verhältnisse der Heimat zu machen. Da mag die Stirnme eines Holländers interessieren, der kürzlich Österreich besuchte und in der Amsterdamer konservativen Wochenschrift „Elsevier“ seine Eindrücke zusammenfaßt. L. M. G. Artzenius schreibt: Wenn der Zug Deutschland verläßt, dieses Land der zerstörten Städte, und die Donau überquert, dann atmet man auf. Wien ist eine kleine, vorgeschobene internationale Insel. In diesem Vorportal der Welt lebe trotz allem die Freude. Wien habe viel getan, um seine Wunden zu heilen. Keine große Stadt in den verwüsteten Teilen von Europa habe für die Wunden mit so großer Liebe gesorgt. Hier finde man keinen Bezirk, fast keine Straße, wo man apathisch den Schutt liegen ließ. Überall anders überfalle den Besucher das grauenhafte Gefühl, daß der Schaden nicht wieder gutzumachen ist: hier in Wien aber herrscht Leben. Der kleine Österreicher besitze halt doch ein Geheimnis, das sie alle niemals kennenlernen werden, weder die Ripsen noch die Amerikaner: den Geist von Europa und das Wunder Wiens. Die ganze östliche Zone von Österreich sei wie durch eine Hölle gegangen. Diese fürchterlichen Jahre seien aber vorüber. Sie verdanke dies zum größten Teil Amerika und seiner Marshall-Hilfe. Der Korrespondent bezeichnet Wien als die einzige Stadt in der Welt, wo man sich als Holländer noch als reicher Mann fühlt. Der Wiener sei im Vergleich dazu arm. Er verdiene bitter wenig, vor allem die Intellektuellen können sich keinen Luxus erlauben. Aber sein tägliches Brot sei bestimmt nicht schlecht. Er habe es besser als der Mann in London, trotz aller Weisheit und Segnungen von Sir Stafford Cripps. Der holländische Verfasser redet hauptsächlich von Wien, das er am besten kennengelernt hat. Aber der Zusammenhang mit dem Wiener läßt erkennen, daß er die österreichischen Verhältnisse typisieren will.

Wie sich in den Verhandlungen mit der von der italienischen Regierung nach Wien entsandten Delegation ergeben hat, hat bei der verzögerten Behandlung der Reoptions-ansuchen der in Österreich befindlichen Südtiroler der italienische Eindruck mitgewirkt, Österreich versuche durch die Einschränkung der Naturalisationsmöglichkeiten für die Ausgesiedelten einen Druck zur Reoption auszuüben. Um alle Bedenken zu zerstreuen, soll nunmehr eine Revision der einschlägigen Verordnungen stattfinden. Hiebei steht insbesondere die am 10. Mai v. J. vom Ministerrat beschlossene und am 24. Juli verlautbarte Bestimmung über den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Südtiroler in Frage. Die „Furche“ hat es damals mit Befremden verzeichnet, daß die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft nur im Falle einer von Italien abgelehnten Reoption möglich sein sollte. Nicht - Reop-tanten würden mit Ende 1949 vom nur kurzfristig aufschiebbaren Verlust der bis-hin gewährten Gleichstellung mit Inländern bedroht und sollten die österreichische Staatsbürgerschaft nur im Ausnahmefall erlangen können; sie würden somit eventuell einfach der Staatenlosigkeit preisgegeben sein. Es ist wenig erfreulich, daß die Aufhebung solcher unbilligen Härte erst nach einem Jahre Verzögerung auf ausländische Vorstellung hin zustande kommen soll. Sie wird tausenden mit unserem Lande innig verbundenen Menschen nach Jahren nicht eben großzügig gewährten Gastrechts endlich wieder den festen Boden einer Heimat zurückgeben. Auf den jüngsten Verhandlungen konnten noch andere, untergeordnetere Fragen der Durchführung des Südtirolerabkommens einvernehmlich erörtert werden. So bleibt zu hoffen, daß nunmehr das ganze tragische Kapitel der Südtiroler Heimatlosigkeit in Bälde der Vergangenheit angehören wird.

Ein Abgeordneter der Volkspartei machte jüngst im Parlament den Vorschlag, man solle von den Erträgnissen des Sporttoto zehn Prozent abziehen und diese Summe der so notleidenden österreichischen Wissenschaft zur Verfügung stellen. Vielleicht gibt es Argumente gegen die Anregung aus Sportkreisen — ernst zu nehmen und einleuchtend ist sie. Der Gedanke, aus den Millionen, welche die Fußballwettleidenschaft Woche um Woche dem Staat und dem Sportbetrieb einbringt, nicht nur Fußballplätze, sondern auch einige wissenschaftliche Laboratorien einzurichten öder karg dotierte Universitätsinstitute zu fördern, ist so übel nicht. Er wäre einem wahren sportlichen Ehrbegriff — der Stärkere helfe dem Schwächeren — ganz angemessen. Bisher ist ein Echo auf den Vorschlag von Stellen, die ihn gehört und in Erwägung gestellt haben sollten, ausgeblieben. Und das ist betrüblich. Die Klage über die allzu beengte Lage unserer Wissenschaft ist zwar allgemein und nachgerade zu einem Inventarstück aller Parteipropagandabüros geworden. Aber weniger Theorie und mehr Wirklichkeit wäre am Platze.

Auch der westdeutsche Finanzminister hat Sorgen und ist auf der Ausschau nach ' neuen Einnahmsquellen. Es wäre ein Wunder, wenn sein suchendes Auge dabei nicht auf die mit Luxus--man kann auch sagen

„nicht lebensnotwendigen“ — Waren gefüllten Auslagen gefallen wäre? Die nächste Folge dieser Erkenntnis war die Ausarbeitung eines Gesetzes zur Einführung einer Luxussteuer. Dort handelt es sich allerdings nur um eine Erhöhung der Umsatzsteuer von 3 auf 10, also um 7 vom Hundert, während in Österreich eine Verteuerung um 10 bis 15 Prozent vorgeschlagen wird. Wichtiger aber ist noch der ausgesprochen soziale Gesichtspunkt, nach dem der westdeutsche Entwurf aufgebaut ist. Der neuen Steuer unterliegen: Edelmetalle, Schmuckstücke aus wenig legiertem Edelmetall, Edelsteine, Perlen mit einem Gewicht von über einem Gramm, Pelze im Werte von mehr als 800 Mark, Teppiche, die mindestens 60 Mark je Quadratmeter kosten, Reptilleder und daraus gefertigte Gegenstände, Lederwaren zum Preis von über 100 Mark, Schuhe, die nicht aus Kalbs-, Rinds-, Schafs-, Schweine- oder Ziegenleder hergestellt sind, Parfüm mit einem Preis von mehr als 1.50 Mark je Kubikzentimeter, Blumenarrangements für über 25 Mark, Weine mit einem Alkoholgehalt über 14 Prozent, Spirituosen mit einem Literpreis von mehr als 22 Mark, Photoapparate über 250 Mark, Südfrüchte mit Ausnahme von Apfelsinen und Zitronen. — Dem Österreicher fällt auf, wie sorgsam die in der westdeutschen Liste genannten Gegenstände nach Preis, Material, Ausstattung und Verwendungszweck aus dem allgemeinen Bedarf herausgehoben sind. Diese Steuer verteuert wirklich nur Dinge, die man zum Leben nicht notwendig haben muß, die also mehr oder weniger als „Luxus“ bezeichnet werden können.

Fünf Jahre nach Kriegsende hat in Frankreich gegenüber den Geschehnissen der „liberation“ ein deutlicher Wechsel an Bild und Urteil eingesetzt. Die Tage der Befreiung und die Vorgänge, die ihr in Zuge der großen Säuberungswelle, der „epu-ration“, gefolgt sind, erscheinen heute in einem anderen Licht. Keinesfalls in einem strahlenderen. Zahlreiche, nur eingeweih-teren Kreisen bekannte Tatsachen sind durch die Prozeßakten von Nürnberg und die vielen inzwischen veröffentlichten Memoirenwerke ehemaliger Diplomaten vor die breite Öffentlichkeit gebracht worden. Die französische Nation hat begonnen, durch einseitige politische Interessen Entstelltes in ihrem Bewußtsein zu korrigieren. Neben dem stummen Protest der Acadimie Frangaise, die den seit 1945 leeren Sitz Potains nicht neu besetzt hat, sind erneute Bestrebungen zur Revision des Urteils über den greisen Marschall zu verzeichnen, der inzwischen sein fünftes Gefängnisjahr beendet. Selbst de Gaulle, der als erster Regierungschef des befreiten Frankreich kaum jener Sympathien für Petain verdächtig ist, die ihm die Kommunisten heute gerne in die Schuhe schieben möchten, hat dafür Worte, wie Skandal und Schande, gefunden. Dies, obgleich er sich dabei von einem auf die Revision des Prozesses von Riom abzielenden Artikel seines Parteigängers Colonel Rimy im „Carrefour“ distanzierte. Vielleicht wären die Bemühungen, den 95jährigen aus seiner Haft zu erlösen, bereits weiter gediehen. Aber es ist kein Geheimnis mehr, daß bei einer Aufrollung des ganzen Falles die Szene leicht zum Tribunal für das Tribunal selber werden könnte, das jenes Verdikt über den Marschall aussprach. Steht doch unter anderen fest, daß die öffentliche Anklage in Händen eines Mannes lag, der selber darum angesucht hatte!

Pitain. Est-il noir? Est-il blanc? Die jüngste Schlagzeile eines großen Pariser Blattes hat die Frage offen formuliert: Ist Potain schwarz oder weiß? Ist der Mann, den das einmütige Vertrauen der letzten Volksvertretung des Frankreichs der Dritten Republik in des Landes schwerster Stunde an dessen Spitze berief, auf daß er einige Jahre später verdammt werden sollte — ist dieser Mann schuldig oder unschuldig? Frankreich beginnt seiner Geschichte ins Auge zu blicken. La Franke: Est-elle noire? Est-elle blanche? Uber den Spruch von Riom fallen und verdichten sich die Schatten. Es scheint Zeit, daß das,, was Geschichte ist, der Geschichte angehöre und nur dieser.

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