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Randhemerkungen zur woche

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AUF BiHEH TAGUNG DER NATIONAL- UND BUNDESRÄTE SEINER PARTEI hielt dieser Tage Vizekanzler Dr. Schärf eine Rede, in der er die österreichischen Kritiker des obschwebenden ' Staatsvertragsentwurfes als „Elemente“ bezeichnete, „die vorschlagen, man sollte aus irgendwelchen Gründen — meist geschieht dies den Habsburgern zuliebe — den Staatsvertragsentwurf verwerfen, in Wahrheit nichts anderes empfehlen, als daß man die Verhandlungen wieder einmal von vorn beginnen soll. Wer die Kühnheit hat, dies zu begehren“, fuhr Vizekanzler Schärf fort, „dem liegt nichts am Zustandekommen des Staaisvertrages, dem liegt nichts daran, daß Oesterreich endlich wieder seine Souveränität bekommt, und dem liegt wahrscheinlich auch nichts an der Einheit Oesterreichs.“ Es sei hier nicht untersucht, inwieweit die hier von Vizekanzler Dr. Schärf gebrauchte Stilgattung der Würde eines hohen Amtsträgers unseres Staates entspricht. Man möchte lieber dem Sprecher zugute halten, daß er offenbar in Unkenntnis ist, welchen Bärendienst er mit seinem bereitwilligen Plazet zu diesem Staatsvertragstexte dessen Urhebern und eventuellen Nutznießern leistet, weil er sichtlich vergessen hat, daß dieser Vertragsentwurf, der Oesterreich harte Beschränkungen seiner Freiheit und Unabhängigkeit sowie wirtschaftliche Preisgaben auferlegt, ohne Mitwirkung Oesterreichs zustande gekommen ist, ein diktatorisches Konzept, das noch den Geist der Zwangsverträge von Saint-Germain und Versailles atmet. Vizekanzler Schärf glaubte seine Angriffe gegen die Kritiker des Staatsvertrages mit einer Wendung zu würzen, als cutsprängen ihre Einwände „den Habsburgern zuliebe“. Hier sei der Sachverhalt notiert: Diese Einwände richteten sich gegen die von den Mächten auf Vorschlag der sowjetischen Delegation im Staatsvertrage formulierte, Oesterreich auferlegte Verpflichtung, das „Habsburgergesetz“ vom 3. April 1919 aufrechtzuerhalten. Das genannte Gesetz hat verfassungsrechtliche Charakter, steht also unter dem Schutz einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments. Was bedeutet, daß eine Aenderung nur durch den Willen einer starken Parteienmehrheit herbeigeführt werden könnte, die gestützt wäre auf den unzweifel-hatten Willen der großen Mehrheit des österreichischen Volkes, also auch einer Mitbeteiligung aus dem sozialistischen Lager. Stünde eine solche moralische und politische Macht über der Entscheidung der österreichischen Volksvertretung, wäre es dann noch mit der Ereiheit des österreichischen Volkes vereinbarlich, daß nicht sein Wille, sondern ein fremder Wille entscheide? Die Frage könnte nur bejaht werden, wo das notwendige Maß von demokratischem Selbstbewußtsein fehlt. Im übrigen: Die schweren Folgen eines unverbessert gebliebenen Staatsvertrages würde jeder Oesterreicher mitzutragen haben. Nicht oft genug kann die europäische Welt aufmerksam gemacht werden, welches politische Unheil sich in Mitteleuropa niederlassen würde, würden an dem Tage X. die Mächte nicht aus inzwischen gewonnener Einsicht mit dem Willen an den Verhandlungstisch treten, aus dem Staatsvertrag ein Instrument zu machen, das dem modernen Völkerrecht und der Charta der Menschenrechte entspricht. Dafür zu wirken, scheint uns Pflicht einer freien, unabhängigen Kriti k.

DAS BUNDESSTRASSEN-BAUPROGRAMM 1955 erläuterte dieser Tage der Bundesminister für Handel und Wiederaufbau. Hat sich DDDr. Udo III i g auch eine höhere Summe zur Erhaltung und zum Ausbau des 8646 Kilometer langen Bundesstraßennetzes, zu dem auch 4200 Brücken gehören, als Ziel gesetzt, so darf der Minister und auch die österreichische Oeffentlichkeit mit einem Budgetposten von 1075 Millionen Schilling in diesem Jahre für diesen Zweck dennoch zufrieden sein. Mit dieser Summe läßt sich schon arbeiten, besser auf jeden Fall als in den vergangenen Jahren, wo bedeutend niedere Summen zur Verfügung standen. Wieviel Geld selbst kleinere Arbeiten verschlingen, das zeigten die 42 Millionen Schilling, die die allerdings besonders schwierige, aber sicher notwendige Umfahrung von Kapfcnberg kostet. Von den größeren Bauprojekten verdient außer dem Beginn der Arbeiten an der Autobahn Wien—Salzburg vor allem die1 von der einheimischen Bevölkerung eigentlich schon seit ihrer Zugehörigkeit zur Republik u/gierte Nordsüdstraße im Burgenland. Auch daß man dem Ausbau der kürzesten Verbindung Wien-Graz über den Wechsel nahetritt, ist sehr erfreulich. Die neue Achenseestraße — um nur ein weiteres, teilweise sogar verwirklichtes Vorhaben zu nennen — Ist bestimmt eine neue schöne Strecke unseres Bergstraßennetzes. Umstritten allerdings — und das ist jetzt nicht die bereits mehr als einmal vorgetragene Meinung der „Furche“, das sind die Worte des Ministers — ist der Bau der neuen Straße Stein—Emmersdorf, allgemein als das Projekt der „W einstraß e“ durch die Wachau bekannt. Unser Blatt ist bekanntlich nicht müde geworden, die wirtschaftliche Zweifelhaftigkeit dieses Projektes, vor allem aber die Gefahr nicht wieder gut zu machender Eingriffe in eine der ältesten Kulturlandschaften unserer Heimat aufzuzeigen. Wir stehen mit dieser Meinung nicht allein. Um so mehr freute es uns zu hören daß einige der zahlreichen Bedenken nun doch auf fruchtbaren Boden zu fallen beginnen. Der Minister und seine zuständigen Beamten sind altem Anschein nach nicht gewillt, die reichlich kühnen, um nicht zu sagen abenteuerlichen Pläne, die zunächst über die .Weinstraße“ kolportiert wurden, zu den ihrigen zu machen. Festgehalten zu werden verdient das Versprechen, daß nicht nur in Dürustein, sondern auch auf dem zweiten „neuralgischen Punkt“, St. Michael, die Lösung durch einen Straßentunnel gefunden werden soll. (Der ursprüngliche Vorschlag, auf den Strom hinaus eine Umfahrung zu bauen, war wohl doch etwas zu verwegen. Es hätte den Zauber dieses kleinen Ortes für alle Zeiten beseitigt.) Nun, das sind Teilerfolge, deren sich die öffentliche Meinung freuen darf. Sie entheben sie jedoch nicht der Pflicht, zum richtigen Zeitpunkt die Einlösung des gegebenen Versprechens auf Einsicht in die Pläne und Modelle zu urgieren. Auch bei den verschiedenen Umfahrungen — so z. B. bei Spitz —- kann, wie bereits an anderen Orten geschehen, mit wenigen Axthieben ein nicht wieder gut zu machender Schaden angerichtet werden. Aufmerksamkeit ist nach wie vor geboten. Oesterreich kann es sich nicht leisten, sich selbst ärmer zu machen — und dafür noch ungefähr 100 Millionen Schilling zu zahlen.

CHURCHILLS WASSERSTOFFBOMBEN-REDE beschäftigt immer noch die Weltöffentlichkeit. In den letzten Wochen sind einige wichtige Reden über den Atomkrieg gehalten worden. Den Anfang machte Ende Jänner General MacArthur, der von vielen Seiten lange Jahre hindurch als ein Scharfmacher angegriffen wurde und nunmehr vor der großen rechtskonservativen Kriegsteilnehmerorganisation der „Amerikanischen Legion“ erklärte: der Krieg ist heute für beide Seiten vernichtend geworden, er trägt den Keim eines Doppelselbstmordes in sich. Dann kam in Deutschland die aufsehenerregende Rede des Nobelpreisträgers Otto Hahn, der auf die schrecklichen Möglichkeiten der Kobaltbombe, der Wasserstoffbombe mit einem Mantel aus Kobalt hinwies und schloß: „Heute ist der Krieg nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. In einem Bombenkrieg gibt es nicht mehr Sieger und Besiegte. Die großen Bomben zerstören in einem Augenblick die Stätten der Zivilisation. Die tödlichen Strahlen tun dann ihr Vernichtungswerk langsamer, aber umfassend. Sollten nicht die vielen Möglichkeiten für Frieden und Wohlstand der Völker den Sieg davontragen können, wenn die Menschen wirklich erfahren, um was es geht?“ In eben diesem Augenblick hielt dann Churchill seine große Rede, in der er klipp und klar erklärte: Großbritannien geht daran, selbst Wasserstoffbomben zu erzeugen, er kalte diese für das geeignetste Mittel, um den Frieden zu erkalten, ja zu sckaffen, — Entsetzen kier, Betroffenkeit dort. —. Was aber wollte Ckurckill mit dieser Rede sagen? Warum sprack er über die euglisckc Wasserstoff-bombc in einem Möwen f. in dem russiscke und amerikanische Militärs sick sehr eindeutige Erklärungen über die Vorzüge ikrer Atomwaffen machten? Ckurckill hat, vielleicht in seinem ganzen Leben, noch nie in der Oeffentlichkeit so hart nack beiden Seiten hin gesprochen. Verkürzt und vereinfacht läßt Sick der Sinn seiner Rede dahingehend zusammenfassen: Werdet dock endlich einmal vernünftig, ihr verantwortlichen Staatsmänner in Ost und West. Ihr Russen, glaubt ja nicht, dafl Großbritannien immer klein beigeben wird; es ist bereit, für die Sacke der Freiheit das letzte zu geben und einzusetzen. (Hätte Ckamberlain so zu Hitler gesprochen — und wäre England damals so gerüstet gewesen wie heute . ..) Ihr Amerikaner habt auch euren Teil Schuld an der heutigen weltpolitischen Lage. Präsident Eisenkower wollte lange nicht mit Malenkow verkandeln, ick war bereit dazu, als ich ihn (Eisenhower) aber dazu überreden wollte, erlitt ick einen Scklaganfall; so ging kostbare Zeit verloren, und jetzt haben wir wieder die bekannte Versteifung und Zuspitzung der Situation. Meine Herren: Ich lege zwischen euch die Bombe nieder; die englische Wasserstoffbombe. — Drastischer konnte es nicht proklamiert werden. Rukt also Europa heute auf der englischen H-Bombe, die als Brücke,die russische und amerikanische H-Bombe auseinanderhalten soll? Hoffen wir, daß alle Staatsmänner aller Großmächte die freundliche Warnung des greisen britischen Löwen verstehen. Er kat Fraktur gesprocken, um den Frieden vor einem un-kcilbaren Bruch zu bewakren.

„MITTELPUNKT EINER NEUEN RELIGIÖSEN ERWECKUNG“, als ein kommendes, bisker unbekanntes Welt-Oberrabinat wird ein gewaltiger siebeneinkalbstöckiger Bau bezeichnet, der gegenwärtig mit dem Kostenaufwand von eineinhalb Millionen israelischer Pfund in Jerusalem errichtet wird. Initiator ist der Oberrabbiner Dr. Herzog von Jerusalem, der sich gegenwärtig auf einer Propaganda- und Sammelreise im Auslande befindet. In einer in Kanada gehaltenen Rede gab Dr. Herzog der Zuversicht Ausdruck, daß das neue Zentrum der mosaiseken Welt ,,Licht für das Judentum in der Diaspora und auch für die Völker der Welt“ bringen werde. Enthusiasten wollen in der Errichtung dieses Baues schon einen int Entstehen begriffenen „jüdischen Vatikan“ sehen Doch es fehlt nicht an Kritikern und offenen Gegnern des Unternehmens, bezeichnenderweise auch aus dem Kreise des rechtgläubigen Judentums und so auch der „Agudas Israel“. Immerhin ist die Dynamik bemerkenswert, die sich in dem kleinen Staatsgebiet von Israel angesammelt hat

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