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Randbemerkungen zur woche

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ALS „PARTEITAG DER MÄSSIGUNG“ war das sozialistische Parteiparlament angekündigt worden, das in der ersten Novemberwoche in Wien tagte. Die Bezeichnung war neu. Deutele sie neue Wege der Parteipolitik an? Die politische Entschließung, die der Parteitag laßte, ist von lakonischer, nüchterner Bestimmtheit, eine programmatische Erklärung für die „Zweiparteien-Koalition mit der Oesterreichischen Volkspartei, die.nach dem Willen der Wähler die derzeit unerläßliche Form der demokratischen Regierung in Oesterreich ist“. Denselben Zug zur Sachlichkeit bewahrt im allgemeinen das große Schlußreferat des Parteitages, das von dem Parteivorsitzenden Vizekanzler Doktor Schärt gehalten wurde. Uns interessieren daran vornehmlich die Aeußerungen, die an die heikelsten Probleme der Zweiparteien-Zusammenarbeit herangehen. Für die Volkspartei sind hier mehr als iür ihren Koalitionspartner Fragen von grundsätzlicher Natur angerührt. Dr. Schärf nahm Bezug aut eine von der Sozialistischen Interrationale vom 9. bis 11. März 1953 in Bentveld in den Niederlanden veranlaß te Aussprache über „die Be-i Ziehung zwischen Sozialismus und Christentum in Europa nach dem zweiten Weltkrieg“; diese Konlerenz habe mit dem Entwurf einer Erklärung über Sozialismus und Religion geendet, die unter anderem feststellt: .Der Sozialismus anerkennt, daß religiöse wie auch humanistische Kräite die Kulturtraditionen aller Völker und ihre ethischen Prinzipien mit-gelormt haben. Er anerkennt, daß in Europa die christliche Lehre eine der geistigen und ethischen Quellen des sozialistischen Gedankengutes ist. Er begrüßt die wachsende Erkenntnis vieler Christen, daß diese Lehre eine soziale Verpflichtung für sie einschließt.“ Doktor Schärf fügte an dieses Zitat, das freilich nach seiner Aussage nur einem „Entwurf einer Erklärung“ angehört, folgende Sätze an: „Keine Weltanschauung ist heute so wenig traditions- und dogmengebunden wie die der Parteien des demokratischen Sozialismus; ihre Richtschnur ist und bleibt freie wissenschaftliche Erkenntnis, Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Der demokratische Sozialismus ist keinem Dogmatismus verhaltet; diese gibt ihm die Fähigkeil, gerade auf dem Gebiet des Kultur- und Schulwesens eine Politik zu führen, die sich ausschließlich von sachlichen Erwägungen leiten läßt“. — Man hat diese Sätze, die auf dem österreichischen Sozialistischen Parteilag und von dem vornehmsten Funktionär der Partei gesprochen wurden, zweifellos ernst zu nehmen. Man möchte wünschen und holten, daß sie bald Aktualität gewinnen.

DIE GROTESKE, die aus der Potsdamer Formel vom „Deutschen Eigentum in Oesterreich“ entstanden ist, empfängt eine drastische neue Beleuchtung aus Mitteilungen, die Unterrichtsminister Dt. Kolb dem Vatikan-Sender zur Verbreitung in der Welt übergab. Das NS-Regime hat nach dem Einbruch in Oesterreich auch den Katholischen Religionsfonds, bekanntlich seit Kaiser Josef II. ein in staatlicher Verwaltung stehendes Vermögen unbestritten kirchlicher Herkunft, für das Deutsche Reich annektiert. Der Bestand des Religionsfonds war der Rechtstitel, aus dem die Verpflichtung des Staates zu bestimmten, als „Kongrua“ bezeichneten finanziellen Rückerstattungen an die Kirche, für den Unterhalt des Klerus sich ableitete. Auf Grund dieser Rechtsberaubung durch das Hitler-Regime stehen, wie Minister Kolb feststellte, heute noch rund 64.000 Hektar forstlicher Liegenschaften, 2600 Hektar landwirtschaftlichen Besitzes, 3 6 Kirchen, 7 Klöster, 2 9 Piarrhöfe und 13 Wohnhäuser als ehemaliges Religionsfondsvermögen im grundbücherlichen Eigentum def Deutschen Reiches. Rund 460 Hektar sind in der Okkupationszeit verkauft worden. Da die Rechtspersönlichkeit des Religionsfonds durch die NS-Gesetzgebung vernichtet wurde, fehlte bisher ein Rechtsträger, der die Rückstellung der entzogenen Religionsfondsliegenschaften hätte beanspruchen können. Eine im National-ral eingebrachte Novelle zum 4. Rückstellungsanspruchsgesetz sieht nun die Schaffung eines geeigneten Rechtsträgers vor, der berechtigt sein soll, Rückslellungsansprüche für das Vermögen des ehemaligen Religionsfonds zu stellen. Die endgültige Entscheidung über das Vermögen nach der Rückstellung ist einem weiteren Bundesgesetz vorbehalten. *

DIE SCHUSSE VON TRIEST haben auch in Oesterreich aufmerksame Beachtung gefunden. Es ist in der Welt nicht genug beachtet worden, daß diese Handelsmetropole ihre Bedeutung der Förderung durch das alte Oesterreich verdankt, der traditionellen handels- und verkehrspolitischen Bevorzugung durch jene binnenländischen, nicht zuletzt alpenländischen Gebiete, die, im heutigen Oesterreich vereint, den größeren Teil des Umschlages der Triester Molen liefern. Wer gedacht hätte, es werde daraus im Laufe der Zeit die Gewährung einer Freizone oder ähnlicher Erleichterungen erwachsen, wurde arg enttäuscht. Dabei müssen wir freilich an die Brust klopfen und bekennen, daß auch in Oesterreich nicht alles geschah, was uns diesem Ziel hätte näherbringen können. Man kann nicht nehmen, ohne zu geben! Weder ein selbständiges, noch ein italienisches Triest kann sich dieser Logik auf die Dauer entziehen. Es gibt noch andere Handelsplätze an der Adria, die durch einen direkten Schienenstrang mit den industriellen Zentren des Donauraumes verbunden sind und die augenscheinlich ernsthaft gewillt sind, den Wettbewerb mit dem größeren Rivalen aufzunehmen. Mit Bedauern würde der österreichische Reiseverkehr und Handel von seinem altgewohnten Fenster ins Mittelmeer zurücktreten.

NACHDEM DAS ABSCHLUSSKOMMUNIQUE DER LONDONER AUSSENMINISTERKONFE-RENZ von der europäischen, aber auch von der amerikanischen Presse so gut wie einmütig als „das Dokument des diplomatischen Schweigens', als „mageres Ergebnis“ bezeichnet worden war, wandten sich die großen französischen und englischen Blätter mit einer ebensolchen bemerkenswerten Einmütigkeit Fragen zu, die für uns, Mitteleuropäer, etwas abseits zu liegen scheinen: Indochina, Britisch-Guayana, ja sogar der bolivianischen Lage „zwischen Wall Street und Trotzki“. Aber selbst noch die erwähnte Konferenz beschäftigte sich vorwiegend mit, zumindest auf den ersten Blick, partikulären Problemen und zu dem fälligen großen West-Ost-Gespräeh steuerte sie bloß mit der inzwischen negativ beantworteten Note an die Moskauer Adresse bei. Diese zwei Momente also: eine hinhaltende Manövrierung um die große zentrale Frage, die noch immer in erster Linie Europa bzw. Deutschland heißt, und die Hinwendung englischer- und franzö-sischerseits zu lokalen Lösungsversuchen an der Peripherie zeigen eigentlich schon sehr gut, woran es heutzutage in der westlichen Politik krankt. In England wie in Frankreich fürchtet man sich vor der Politik des „fait accompli“, die für sie in letzter Konsequenz das magische Wort „H-Bombe' und für Frankreich besonders noch das nicht weniger magische Wort „Deutsche Wehrmacht“ bedeutet. Hat man damit recht? Dem „Wehrmachtkomplex“ der Franzosen ist mit Vernunftgründen und Ueberredungskünsten, aber auch mit der Androhung von übrigens falschen Alternativen nicht beizukommen, soweit sehen wir heute klar. Sich . darüber zu ärgern oder gar lustig zu machen, insbesondere diesseits des Rheins, wäre freilich eine ebenso große menschliche Insfinktlosigkeit. Was die H-Bombe belriflt, hier fühlen sich die Engländer, mit einigem Recht, mehr bedroht als vielleicht andere. In dieser schweren, weil unsicheren Lage, da die Kräfte vor allem innerhalb des westlichen Lagers noch vor einem vielleicht entscheidenden Kräftemessen stehen, gebührt den wahrscheinlich ferngelenkten kolonialen Unruhen größte Beachtung, nicht nur in Paris und London.

DIE AMERIKANISCHEN DEMOKRATEN JUBELN, denn sie haben ihre „Barometer-wählen“ vom 3. November mit einer Majorität gewonnen, die nicht mehr mit lokalen Ursachen zu begründen ist: der Stimmungsumschwung in den USA muß ein allgemeiner sein. Was ist nun eigentlich geschehen? Die Demokraten haben den Wahlkampf um den New-Yorker Bürgermeislerposlen, um das Amt der Gouverneure von New Jersey und Virginia und um einen Abgeordnelen im Repräsentantenhaus gewonnen. Das wäre allein noch kein Grund zur Beunruhigung Im republikanischen Lager, denn die ausgeschriebenen Aemter waren, mit Ausnehme des Abgeordnetensitzes, seit langem demokratische Domänen. Bei näherer Analyse des Wahlresullates stößt man jedoch auf einen Umstand, der sehr wohl geeignet ist, die Republikaner zu ängstigen: in jedem Fall vereinigte der demokratische Kandidat 54 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich, und diese Zahl war, von geringen Schwankungen abgesehen, zwanzig Jahre lang auch die Durchschnitlsmehrheit, auf die sich Roosevelf und Truman haben stützen können. Es hat tatsächlich den Anschein, als wäre der „Eisenhower-Boom“ zu Ende, und die überwiegend demokratische Wählerschaft an der Oslküste der USA wieder zur alten Praxis zurückgekehrt, nicht für eine Person, sondern für eine Partei zu stimmen. Dies aber sind ungünstige Auspizien für das zweite Präsidentschaftsjahr Eisenhowers, dessen Partei über eine sehr schwache Mehrheit (218:315) im Repräsentantenhaus verfügt, und seit dem Tod des Fraklionsführers Taft und dem Abfall des „Renegaten“ Wayne Morse im Senat (57:58) sogar in der Defensive ist. Einige Nachwahlen — und deren sind so manche fällig — könnten genügen, um Eisen-hower und seine Regierung aller legislativen Möglichkeiten zu berauben. Man wird daher gut tun, ir. den nächsten Wochen und Monaten der amerikanischen Innenpolitik ebensoviel Aufmerksamkeit zu schenken, wie den großen weltpolitischen Ereignissen

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