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Randbemerkungen zur woche

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DAS VIELERÖRTERTE URTEIL DES DEUTSCHEN BUNDESVER W ALTUNGSGERICHTS

HOFES geht von der Ueberzeugung aus, daß der ,,Anschluß" rechtmäßig war und Recht erzeugte. Das ist ein Standpunkt, der von Oesterreich nie geteilt werden kann. Dazu kommen aber noch andere Ueberlegungen. Laut Artikel 23 des Bonner Grundgesetzes erstreckt sich dieses mir aut Gebiete, die der Bundesrepublik derzeit angehören; in anderen Teilen Deutschlands ist die Veriassung nach deren Beitritt in Kraft zu setzen. Die Praxis der Bundesrepublik gegenüber Oesterreich war bisher korrekterweise immer so, daß sie Oesterreich als unabhängigen Staat und nicht als Teil Deutschlands betrachtete. Die Fortexistenz eines Eingliederungsgesetzes aus dem Jahre 1938 steht daher im Widerspruch zum Bohner Grundgesetz. Nebenbei bemerkt ist der Ausdruck „Wiedereingliederung" geschichtlich falsch. Das Deutsche Reich besteht seit 1871 und hat niemals Oesterreich als Reichsteil besessen. Vor dem Jahre 1806 existierte das Heilige Römische Reich, ein feudalistischer, teilweise übernationaler Staatenbund, dem ein Teil Oesterreichs ebenso wie ein Teil Preußens angehörten. Gemäß Artikel 25 des Bonner Grundgesetzes sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes Bestandteile des deutschen Bundesrechtes. Sie gehen — so heißt es ausdrücklich — den Ge- setzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes. Nun ist es aber ein allgemein anerkannter völkerrechtlicher Grundsatz, daß die Staaten ihre Innere Ordnung, soweit sie völkerrechtlich relevant Ist, nach ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen einzurichten haben. Aus den beiden hier angeführten Gründen wäre es für den Bundesverwaltungsgerichtshof ein leichtes gewesen, das Bundesverlassungsgericht um eine Stellungnahme zu ersuchen. Das war um so näherliegend, als der Vertreter der Bundesregierung auf die weitgehenden politischen Folgen’ des geplanten Urteils hingewiesen hat. Es wäre durchaus im Bereich der Möglichkeit gewesen, daß das westdeutsche Verfassungsgericht das Fortbestehen des Ein- gliederünqsgesetzes aus dem Jahre 1938 als nicht vereinbar . mit. der . westdeutschen Verfassung und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik erklärt hätte. Es ist völlig unrichtig, ein Gerichtsurteil, das Zehntausenden von Oesterreichern die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkennt,. als eine bloß juristische. Angelegenheit abzutun. Was würde dgs westdeutsche Parlament sagen, wenn plptzlich ein apderej Staat 600.000 Deutsche als seine Staatsbürger erklären würde? Noch dazu mit einer Begründung, die den Schluß offen ließe, daß. auch alle übrigen Deutschen Staatsbürger des anderen Staates sind. Eine Konsequenz, auf die anläßlich dieses Urteils mancherorts in Deutschland gegenüber Oesterreich hingewiesen wurde. Kein Parlament und keine Regierung der Welt würde bei einem so eminent politischen Urteil schweigen. Die politische Tragweite hätte man auch dann berücksichtigen müssen, wenn im aktuellen Fall bei der Urteilsbildung humanitäre Erwägungen vorhanden gewesen wären. T.

DER NEUE BONNER BUNDESTAGSPRÄSIDENT, EUGEN GERSTENMAIER, gewählt als Nachfolger von Dr. Ehlers im dritten Wahlgang (Dr. Adenauer nannte das ein trauriges Schauspiel der Uneinigkeit), stellte sich in seinem verantwortungsvollen Amt durch eine würdige Rede vor. Gerstenmaier, eine der markantesten Erscheinungen des westdeutschen Protestantismus, hob drei Elemente der gemeinsamen Verpflichtung über alle politischen Kontroversen hinaus hervor: 1. den Aufbau einer „großherzigen und großzügigen Ordnung der sozialen Gerechtigkeit im deutschen Volke" (diese Worte dürfen als ein Präludium der innenpolitischen Auseinandersetzungen in Bonn um innere Reformen angesehen werden), 2. die Wiederherstellung der nationalen und gebietsmäßigen Einheit des deutschen Volkes, 3. die Einigung Europas. —• Der neue Präsident legte dann, in einem Moment, in dem einem solchen Bekenntnis, besondere Bedeutung zukommt, nicht nur für Deutschland, sondern auch für Oesterreich ein Bekenntnis ab zu den Männern des Widerstandes gegen Hitler, „die fast ausnahmslos für di° Ehre und Freiheit Deutschlands einen bitteren Tod gestorben sind". Diese Worte Gerstenmaiers sollten auch in Oesterreich festgehalten werden. — Der neue Bundestagspräsident ermahnte dann die Abgeordneten, mehr Toleranz zu üben. „Toleranz heißt in unserem Bereich vor allem Verzicht auf Prestigepolitik und den Versuch, dem Gegner das Gesicht und die Chance der Wahrheit zu nehmen." Auch das sind offene Worte, die ebenfalls in Oesterreich gehört werden sollen. — Die Wahl Gerstenmaiers darf als ein Erstarken der wirklich demokratischen Kräfte im Regierungslager angesehen werden."

KONSUL — das weiß jeder Gymnasiast — war in der römischen Republik die Amtsbezeichnung der beiden höchsten Beamten. Ein Konsulent von heute war ein Berater meist in Steuerfragen, in Wirtschaftsangelegenheiten und in Rechtsdingen. Es läßt daher aufmerken, wenn der österreichische Nationalrat nicht bloß zwei, wie in Rom, sondern drei „Konsuln" ernennt. Die neuen Konsulenten sind freilich weit davon entfernt, rechtlich oder tatsächlich die höchsten Beamten zu sein. In einem tieferen Sinne aber — wozu denn in die Höhe schweifen — können sie sehr wohl ein öffentliches und keineswegs überflüssiges Amt in der Republik ausüben. Seit Jahr und Tag ist in der „Furche" jenes sonderbare Gemisch von Vokabeln, das n o c h verständlich, von Ziffern und Paragraphenschnörkeln, die n i.c h t me ht ganz, und von AKUe- (sprich; Abkürzungs-) Worten, die zumeist völlig unverständlich sind, ,,quergeschnitten" worden. Dem Konsulenten für die sprachliche Gestaltung der Gesetze (Hofrat a D. Dr. Josef Neumair) bieten sich Papierschlangen von erklecklicher Länge an; von Schachtelsätzen, bei denen man mit Scheffel auch sagen kann: „Es rauscht in den Schachtelhalmen." Der Konsulent für die Begutachtung von Verwaltungsfragen (Sektionschef Dr. Loebenstein) kann gemeinsam mit dem Konsulenten für Rechtsfragen (Dr. Ströbele, der frühere Präsident des Obersten Gerichtshofes) ‘und dem Sprachkonsul walten. Es ist früher immer eingewandt worden, daß die oft nötige Eile bei der Abfassung von Gesetzentwürfen ihre sprachliche (mitunter, siehe Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, auch rechtliche) Klarheit verhindert habe. Es wird uns — zugleich mit der Bestellung der drei Konsulenten — aber auch verheißen, daß künftig Gesetzesvorlagen einer „eingehertden und gründlichen" Beratung unterzogen werden sollen. Warum aber nur, wie es dabei heißt, „besonders jene, die für eine lange Dauer bestimmt sind"? Haben die von den Buchstaben des Gesetzes Betroffenen nicht auch einer vermutlich kürzerer Anwendungszeit das Recht,

klar zu sehen? Caveant consules!

AUS NEW YORK KOMMT DIE NACHRICHT, daß der stellvertretende sowjetische Außenminister, Andrej Wyschinski, plötzlich gestorben ist. Hiermit tritt ein Mann von der Bühne dieser Welt ab, dem an der Wiege bestimmt nicht ein Lebenslauf gesungen wurde, wie er ihn nun vollendet hat. Nicht zu vergessen: Der Abkomme verarmter polnischer Kleinadeliger, der im Alter vor allem dann immer im Vordergrund der russischen Außenpolitik stand, wenn statt dem starren Molotow eine geschmeidigere Persönlichkeit opportun schien, war in der Blüte seiner Jahre die verkörperte Nemesis für viele aus der alten Garde der Bolschewiki. Man braucht nur die gerade zur Zeit in Wien bei der ostdeutschen Buch- ausstellung aufliegenden „Gerichtsreden Wy- schinskis" aufzuschlagen — wahrhaftig, es muß schrecklich sein, vor einem höheren Richter mit den Opfern seiner eigenen Justiz konfrontiert zu werden ..,

ALLEIN DIE NAMENSNENNUNG in einem der großen Schauprozesse in den Satellitenstaaten konnte schon tödlich sein. Und immer wieder tauchte dieser Name auf: Noel F i e 1 d ; ihnen allen, dem Slansky und Rajk, aber auch den abgesägten ostdeutschen Linkskommunisten Merker und Dahlem, Zaisser und Herrnstadt, wurde vorgeworfen, mit ihm in Verbindung gestanden zu haben. Und jetzt erfährt die Weltöffentlichkeit aus einer kurzen, dürftigen Notiz, daß Noel Field und seine Gattin nach fünfjähriger Haft in Budapest wieder entlassen worden sind. Vor wenigen Wochen erst ging die Nachricht genau so sang- und klanglos durch die Presse, daß sein Bruder in Warschau in Freiheit gesetzt worden war. Trägt man alles zusammen, was in den letzten Jahren an offiziellen Beschuldigungen Fields, des amerikanischen Edelkommunisten und Schlüsselmanns des „linken" Flügels der Anti-Hitler-Emigration, verlautbart worden war, dann erhält man kaum mehr das auswechselbare Bild irgendeines Agenten oder taktischen Gegners der Sowjetpolitik, dann entsteht die Silhouette eines politischen Managers mit einem .weitgreifenden Konzept, dem der Linken klassischer Prägung. Alles,- was an genuin marxistischen und revolutionären Kräften vorhanden ist und sich der absoluten Vorherrschaft des Kremls nicht unterwerfen wollte, stand mit ihm in Verbindung. Das allgemeine Kesseltreiben gegen ihn begann, als nach dem Abfall Titos Moskau daranging, die einzelnen Satellitenstaaten fest an die Kandare zu nehmen. Was liegt nun aber näher als der logische Rückschluß, daß die überraschende Entlassung, ja sogar teilweise Rehabilitierung Fields der weithin sichtbare Richtpunkt neuer Entwicklungen im Kreml sein könnte. Ist es zu kühn kombiniert, die spürbare Annäherung Titos, die vor allem aus Ungarn, aber auch aus der Tschechoslowakei gemeldeten Lockerungen der härtesten sowjetischen Diktaturmaßnahmen in eine gemeinsame Entwicklungslinie zu bringen?

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