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RANDBEMERKUNGEN

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EINE ENTGLEISUNO. Der dritte Präsident des Nationalrates, Alfons G o r b a c h, hat seinen politischen Freunden schon mehr als ein Rätsel aufgegeben. Der tapfere Offizier, der als Invalide aus dem ersten Weltkrieg heimgekehrt war, stand in den Jahren von 1918 an an vorderster politischer Front des Kampfes um Oesterreichs Selbständigkeit. Jahrelange Haft in den Lagern der Gewalf war die Quittung, die der Nationalismus für Gorbach bereit hatte. Es ehrl den Menschen Gorbach, dafj er nach 1945 keinerlei Hah gegen seine Verfolger von gestern empfand, sondern sich sogar der politischen Befriedung in Oesterreich zur Verfügung stellte. Bald gesellte sich zu diesen ehrenwerten Bestrebungen etwas hinzu, was immer wieder Verwunderung auslöste. Der bewußte und kämpferische Oesterreicher lieh vielfach Sein Ohr jenen Kreisen und Gruppen, die geistig beim Jahre 1945 stehengeblieben waren und das neue Oestereich bis heute noch immer nicht voll zur Kenntnis genommen haben. Eine bestimmte steirische Atmosphäre mag einiges hierzu beigetragen haben, wahltaktische Ueberlegungen können mitunter hinzugekomman sein — allein das alles dürfte den Blick für die Grenzen einer solchen Politik nicht trüben. Deshalb können die letzten Ausführungen von NR Gorbach im Parlament nur mit großem Befremden aufgenommen werden. Der dritte Präsident der österreichischen Volksvertretung kam nämlich als Debatteredner zum Kapitel „Landesverteidigung“ auch auf die Frage des Tragens der deutschen Auszeichnungen aus dem zweiten Weltkrieg zu sprechen. Der Redner plädierte hierbei nicht vielleicht nur für eine Regelung, ähnlich wie sie die Deutsche Bundesrepublik getroffen hat und die, wie in der „Furche“ (Nr. 43, 20. Oktober) ausführlich und mit Nachdruck festgehalten wurde, kaum für Oesterreich cnnehmbar ist, NR Gorbach ging unverständlicherweise noch einen großen Schritt weiter. Er sprach sich für eine Uebernahme der Hakenkreuzorden aus. NR Gorbach ist kein „Neonazi“, seine Motive mögen aus den Ehrenvorsfellungen des Offiziers von 1914 bis 1918 kommen. Allein diese haben für den Oesterreicher im Weltkrieg II keine Parallelen. Heute und immer wieder: persönliche Tapferkeif in Ehren, allein es geht nicht an, durch die Uebernahme der Orden und Symbole für die Offiziere und Soldaten des Bundesheeres den Hitlerkrieg rückwirkend zu einer österreichischen Angelegenheit zu machen. Das Hakenkreuz und Schwarzweiß-rol lassen wir uns von niemandem mehr einreden — auch von einem ehemaligen KZler nicht. Im übrigen könnte dem jungen österreichischen Heer kein schlechterer Dienst erwiesen werden, als wenn man es in dieser kritischen weltpolitischen Stunde in den Mittelpunkt eines „Traditionsstreites“ stellen würde.

HUNDERT JAHRE ÖSTERREICHISCHES ETON: Das Kolleg K a I k s b u r g, ein Privatgymnasium und Realgymnasium, 1856 von der Gesellschaff Jesu gegründet, feierte seinen hundertjährigen Bestand. Ziel der Gründung war: eine katholische Elite in Oesterreich heranzubilden, d'e dem Gesamtstaat in den schweren eben heraufziehenden Krisen furchtlos und freu zur Verfügung stehen sollte. „Es sollte der Geist des klassischen Oesterreichs, echten Christentums und echter europäischer Kultur in den jungen Menschen, deren Zahl von Jahr zu Jahr zunchm, zur Entfaltung gebracht. .. werden.“ „Die Zöglinge kamen bis zum ersten Weltkrieg aus allen Teilen der großen Donaumonarchie, so daß es damals in Kalksburg Zöglinge gab mit deutscher, ungarischer, tschechischer, polnischer, rutheni-scher, rumänischer, kroatischer, slowenischer und italienischer Muttersprache. Dies waren die Völker des alten Oesterreichs. Es waren aber auch das Deutsche Reich, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Spanien, Südamerika und Rußland vertreten.“ (Aus der ansprechenden Festschrift: „100 Jahre Kollegium Kalksburg.“) — Die Bedeutung der Kalksburger Erziehung liegt darin, daß,, sie, wie die beste englische Collegebildung, darauf ausgerichtet war, Menschen, Charaktere heranzubilden, die sich in allen Lebenslagen bewähren. Den „Kalksburger“ erkannt man in allen Berufen: als Wirtschaftsführer und Beamter, als Mann im Privatleben und im öffentlichen Dienst, durch ein gewisses Etwas, wie es eben Kalksburg vermittelte, in dem die dreihundertjährige Erfahrung der Gesellschaft Jesu in der Erziehung junger Menschen verschmolz mit einem spezifisch Oesferreichischen, das heufe noch viele NichtÖsterreicher, Europäer aus Ost und West, die in Kalksburg studierten, als dessen Zöglinge erkennen läßt: die aller Anmaßung fremde, innerlich sichere und in gutem Sinn selbstbewußte Haltung in allen Situationen. Wie viele Persönlichkeiten, die nach 1918 führend tätig waren im Autbau der jungen Staaten Südosfeuropas, sind durch Kalksburgs Schule gegangen! Die europäische Bedeutung dieses Kollegs läßt sich also gar nicht überschätzen. Heute steht naturgemäß die österreichische im Vordergrund, so wie sie unser Unterrichtsminister angedeutet hat: „Kalksburg ist durch seine Schüler ein Begriff für wahres Oesterreicherfum geworden.“ Nichts braucht heute Oesterreich dringender als echte neue Eliten: charaktervolle, allseilig gebildete Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, und die es für selbstverständlich halten, hinter ihrer Arbeit und Leistung zurückzutreten. Möge es in diesem Sinne den Patres von Kalksburg urtd ihren weltlichen Mitarbeitern vergönnt sein, junge Generationen heranzubilden, im Sinne jener europäischen Katholizität und österreichischen Prägung, wie sie vor hundert Jahren begonnen wurde,

THEORIE UND PRAXIS. In jenen „blauen' Blättern, die jeden Montag und Samstag sich an eine breite Leserschaft wenden, wird seif Jahr und Tag eifrig die Trommel für die Wiedereinführung der Todesstrafe gerührt. Einmal wurde sogar zu einer Volksabstimmung en miniature aufgerufen und ein jeder Leser aufgefordert, sein Votum auf einem vorgedruckten Fragebogen der Redaktion bekanntzugeben. Das Ergebnis wurde mit Befriedigung vermerkt, der Ruf nach dem Galgen erneuert. Zur Zeit spielt man allerdings eine andere Platte. Man besucht eine wegen Mordes von einem österreichischen Gericht verurteilte Bardame, deren Prozeß vor einigen Jahren einiges Aufsehen erregt hat, in der Strafanstalt. Man registriert hoch erfreut, daß dieselbe „ausgezeichnet aussieht“. Die Haft hätte „keinerlei Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen“. Auch auf modische Details in der Strafanstalt wird nicht vergessen: „... trägt keine Anstaltskleidung ...graue Schoß... dunkle Bluse... dunkelblonde Haare ... neuester Schnitt.“ Von einem Photo lächelt ein Gesicht. Darauf das Motto an den lieben Leser (handschriftlich): „Ich bin keine Mörderin.“ Möglich, möglich, daß Fräulein E. seinerzeit nichf zur Fleischmaschine griff und daß jenes „Dokument“, das die Redaktion — psf, wie geheimnisvoll — kennt, aber nicht veröffentlichen kann, wirklich eine Revision des seinerzeit ausgesprochenen Urteils bewirken kann. Um so peinlicher wäre es gewesen, wenn die alten Forderungen des Blattes nach der Todesstrafe Gehör gefunden und in diesem Fall vielleicht auch Anwendung gefunden hälfen. Außer einem Justizirrtum hätte es auch für eben dieselbe Zeitung eine Story weniger gegeben. Und das wäre doch schade gewesen.

KOMMUNISTEN GEGEN „SOWJETS“. Die Regierung Kadar Warfefe zum letzten Wochenende mit einem Parteibeschluß auf, in dem die noch restlichen Kommunisten — !hre verschwindend kleine Zahl wird offen einbekannt — aufgefordert werden, sich aus den Arbeiferräten nichf einfach hinauswerfen zu lassen. Einen Tag später wurde das Standrecht über das ganze Land verhängt, mit der Begründung, „Gegen-revolufionäre“ häMen auf „irregeführte“ demonstrierende Arbeiter selbst das Feuer eröffnet. Daher müssen sogar die Arbeitermilizen die Waffen abliefern. Gleichzeitig löste Kadar die regionalen Organe der Arbeiterräte auf, die sich „politischen Machtanspruch anmaßten“. Die Arbeiterräfe sollten sich nur um die Produktion in ihren Betrieben kümmern. Die Politik sei Sache der Partei — einer Partei, von der selbst Kadar anerkennt, daß es sie kaum mehr noch gibt. Das alles ist wenige Tage nach einer bezeichnenden Rede des jugoslawischen Vizepräsidenten Edward Kardelj geschehen. Dieser erinnerte an einen bekannten Ausspruch Lenins: „Alle Macht den Sowjets.“ Kardelj wies darauf h:n, daß es in der Folge der Revolution vom 23. Oktober auch in Ungarn zur spontanen Bildung solcher Sowjets, d. h. Arbeiterräte, gekommen ist, daß aber die Kommunisten in keiner Weise sich mit der Existenz dieser Arbeiterräte versöhnen können. Die bürokratische Führung unterdrückte, immer nach Kardelj, alle gesunden Aufbaukräfte der Arbeiferklasse, und diese blieb somit ohne geistige Waffen. Janos Kadar, der sich am liebsten auf die russischen Bajonette stützt, fürchtet nichts so sehr als die neuen Arbeiterräfe. Als er unter Imre Nagy erster Sekretär der Kommunistischen Partei wurde, zeigte er sich hingegen öffentlich bereit, in einem parlamentarischen Mehrparteiensystem mitzuwirken, selbst aut die Gefahr hin, daß die Kommunisten nur mehr über eine Splitterpartei verfügen würden. Kardelj, der im Gegensatz zu seinem Chef Tito den russischen Eingriff in Unqarn rückhaltlos ablehnt, siehf aus diesem Dilemma, das durch das völlige Versagen aller Schattierungen der kommunistischen Führungsschicht in Ungarn entstanden ist, zumindest für absehbare Zeit, keinen Ausweg. Nichts könnte die tiefgehende Krise des Kommunismus, von der Milovan Djilas und andere in jüngster Zeil sprachen, besser dokumentieren als dieses unverbindliche Orakel eines der Väter des „wahren Kommunismus“. Was seif dieser Rede des Jugoslawen seither in Unqarn geschah, ist eine weitere tragische Bestätigung dieser Krise.

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