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50 Jahre deutsche Politik

19451960198020002020

Deutschland und die Weltpolitik im 2 0. Jahrhundert. Von Ludwig Dehio. Verlag für Geschichte und Politik, Wien. 155 Seiten.

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Deutschland und die Weltpolitik im 2 0. Jahrhundert. Von Ludwig Dehio. Verlag für Geschichte und Politik, Wien. 155 Seiten.

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In dem vorliegenden Band vereinigt Professor Ludwig Dehio, der in Marburg tätige Historiker und Herausgeber der „Historischen Zeitschrift“, wissenschaftliche Untersuchungen und publizistische Gelegenheitsarbeiten, die zum Thema „dem Autor aus dem Miterleben der beiden deutschen Katastrophen und ihrer Auswirkung bis zum- heutigen Tag erwachsen sind“. Die Feststellung, die beiden Weltkriege als deutsche Katastrophen zu bezeichnen, hat dem Verfasser bereits von der tagespolitischen Ebene her manche unsachliche und für die augenblickliche Situation in Westdeutschland bezeichnende Angriffe eingetragen. Trotzdem erscheint aber der Gedankengang Dehios schon auf Grund des erarbeiteten Materials einer nüchternen Würdigung standzuhalten. Er betrachtet die Außenpolitik Deutschlands im 20. Jahrhundert unter dem Begriff des europäischen Hegemonialkampfes, der gesteigert wird durch die Dämonie der Macht, „die den ihr Verfallenen umhertreibt in dem Strudel überhöhten Geltungsstrebens und amoralischer Kampfleidenschaft“. Der Ausgangspunkt für Deutschlands Einrücken in hege-moniale Bereiche ist die Gründung des preußischdeutschen Kaisertums, welches durch systematische Rüstungen und diszipliniertes Menschentum, die Tradition des preußischen Machtstaates des 18. Jahrhunderts fortsetzend, nach Bismarcks politischem Triumph 1871, dem neuen Reich eine ganz bestimmte Richtung gibt. Man wird der Kritik Dehios an der Entwicklung des Bismarckreiches nicht immer ganz folgen können, denn gerade Bismarck, der seinen Reichsbau sehr klug und behutsam auf die Eigenwilligkeiten und historischen Faktoren der Bundesstaaten abstimmte, erachtete eine Periode des Friedens für unerläßlich. Sein Zweikampf mit den drängenden Kräften der militärischen und wirtschaftlichen Faktoren, die schon 1866 und 1871 maßlose Forderungen an den Politiker stellten, ist allzu bekannt und spricht für Bismarck. Er selbst hat ja in einer dämonischen Selbstzerfleischung und tiefstem inneren Zweifel am Bestand des Reiches nach seinem Sturz durch die Verbindungen zu Har-den und seine beißende Kritik an dem jungen Kaiser und dem blind ergebenen Offizierskorps versucht, ein Menetekel für die zukünftige weltpolitische Entwicklung an die Wand zu schreiben. Die europäische Enge, der Drang zur Weltexpansion, erfolgte „in echt preußischer Methode“ mit Hilfe systematischer Rüstung, vor allem zur See, um aus der europäischen Enge hinaus in das erhoffte Weltgleichgewicht (S. 14) einzudringen, so wie einst Preußen eingedrungen war in das europäische Gleichgewichtssystem. Die optimistische Flottenpolitik Wilhelms II., genährt von Tirpitz, in krasser Unterschätzung der angelsächsischen Weltstellung — und sie war schon 1914 eine anglo-amerikanische —, erwies sich im Ernstfalle als großer Irrtum. Auch die von einzelnen deutschen Historikern, wie Lenz, Delbrück und anderen, ver-fochtene These, daß das Imperium Britannicum im Kriegsfalle zerfallen würde, ja es zu Erbschaftsstreitigkeiten der einzelnen Teilgebiete kommen könnte, erwiesen sich als falsch. In einer Analyse des rein kontinentalen militärischen Denkens, welches Clause-witz zu einer völligen Verkennung der napoleonischen Auseinandersetzung mit der Seemacht England trieb, liegt ein wichtiges Ergebnis von Dehios Ausführungen (S. 50.) Die jugendliche Nation, die noch 1913 glaubte, durch einen großen europäischen Krieg die, Freiheit zur weltpolitischen Betätigung erkämpfen zu können (S. 16), stand 1914 der Tatsache der Einkreisung gegenüber. Auch der erste Weltkrieg forderte nach Dehio für Deutschland, das sich nunmehr in einen Hegemonialkrieg verstrickt sah, das Programm einer europäischen Sendung nach dem Westen sowie nach dem Osten. Im Westen konnte kaum die Foiderung nach territorialen Gewinnen im Sinne des sehr wesentlich wirkenden „alldeutschen Verbandes“ attraktiv erscheinen. Der Einfluß der Alldeutschen auf das Auswärtige Amt war wohl gering, aber viel stärker auf die Kreise der Marine, das Reichsmarineamt: „Sein Leiter aber war ja die Schicksalsfigur der Vorkriegszeit, nicht der Reichskanzler.“ (S. 85.) Trotz der Sympathie für Deutschland bei den Völkern der Welt des Islams tauchte an den europäischen Fronten 1914—1918 keine zündende Parole auf, vorweg nicht im Osten.

Wenn auch die deutsche Sozialdemokratie den Krieg gegen das zaristische Rußland begrüßte und die Liberalen die antirussische Mission Deutschlands verkündeten, so trug doch die Reichsgründung Bismarcks als festländische Macht immer noch das historische Gewicht der jahrhundertelangen preußischrussischen Allianz und Familienverbindung sowie des Gleichklanges der feudalen und militärischen Parallelität. Im Bündnis mit Oesterreich-Ungarn, dessen Bedeutung Dehio zuwenig würdigt, konnte kaum, ohne den Bundesgenossen zu brüskieren, ja die Zertrümmerung der Vielvölkermonarchie heraufzubeschwören, eine Missionsidee im Donauraum gefunden werden. Deshalb scheiterte man schon am polnischen Problem, verklammerte sich an der Wiedererrichtung baltischer Randstaaten und glaubte letzten Endes in der Einschleusung kommunistischer Emissäre den Trumpf gegen das Zarenreich gefunden zu haben. Das Auftreten einer neuen Weltmacht, der USA, beendete den ersten Weltkrieg, der an der „Distanz von Geist und Macht“ eine Periode der deutschen Geschichte abschloß, von der Dehio zugibt: „Hatte doch das Preußentum niemals dem vollen Strom des deutschen Geistes in seinem künstlich engen Bette Platz geboten.“ (S. 106.) Die Ueber-leitung zum zweiten Weltkrieg war der Vertrag von Versailles, welchen die Nachfahren des lahres 1945 ganz anders sehen als die Miterlebenden. Der ungeheure landmilitärische Einsatz der Engländer und Amerikaner (S. 113) entschied den Kampf, ohne daß diese Tatsache in der deutschen Nachkriegsgeschichtsschreibung richtig gewürdigt worden wäre. Die USA gab den europäischen Völkern zunächst in der Idee des Völkerbundes die Möglichkeit der Beseitigung hegemonialer Kämpfe. Aber als der stufenweise Rückzug der Vereinigten Staaten erfolgte, übertrug man Frankreich die Rolle der Vormacht des Versailler Systems. Das seiner Kräfte bald bewußt werdende Deutschland konnte im Namen der Selbstbestimmung, die einst Wilson verkündet hatte, „mit dem Anschluß der Brüder in Oesterreich und Böhmen ... die Niederlage in ein Sprungbrett zu neuer Größe umwandeln“. (S. 118.) Hitlers Programm traf sich damit mit vielen politischen Unterströmungen, die schon seit 1918 in der Ableugnung der militärischen Niederlage und der Verkennung der amerikanischen und englischen Präsenz bei künftigen Entscheidungen trafen. Wertvoll ist Dehios Hinweis auf den Mangel der deutschen Geschichtsschreibung, gewissermaßen die Endphase des ersten Weltkrieges nie richtig herausgearbeitet zu haben, da man sich mehr mit der Kriegsschuldfrage als mit der tatsächlichen Ursache der Niederlage beschäftigte und vor allem die militärischen Ereignisse nie als Gesamtheit untersuchte, wie dies etwa im österreichischen Kriegsarchivwerk geschah. Der Sturz des lahres 1945 und die nüchterne Verantwortung vor der verwandelten Welt, trotz der materiellen Erfolge des Wiederaufbaues, darf nicht zu einer Scheinwelt des „als ob“ führen, da letzten Endes das europäische Staatensystem keine Rückkehr zu früheren Kräftegruppen ermöglichte. Hier hat der Verfasser mit seinen letzten Ausblicken schon die historischen Betrachtungen unmittelbar an das Zeitgeschehen herangeführt und somit erwiesen, daß eine sachliche Betrachtung der jüngsten Geschichte nutzbar für die Gegenwart sein kann — wenn sie richtig verstanden wird.

Liebe in Gewissensnot. Arzt und Priester sprechen mit Braut- und Eheleuten. Von Dr. W. I n d a 1 g o und Dr. R. E g e n t e r. Werkbund-Verlag, Würzburg. 59 Seiten. Preis 3.30 DM.

Die kleine Schrift enthält fünf Briefe des Arztes an Eltern, Braut und Eheleute, einen Brief vom Priester an den Arzt Unschwer ist zu erraten, daß es sich um Unterweisungen, die Intimsphäre des Lebens betreffend, handelt. Am besten sind die Ausführungen S. 36 bis 42 über den Einfluß der Hormonumwandlung während des weiblichen Zyklus auf die Körpertemperatur. Sonst ist jedoch zu sagen: nicht alle wichtigen, mündlichen, Gespräche eignen sich dafür, gedruckt zu werden. Was jedoch gedruckt wird, soll auch als literarisches Zeugnis gelten dürfen. Die Spiache des Arztes ist ein wenig ungepflegt (siehe macht, machen, macht auf Seite 30 in einem kurzen Absatz). Nachdem wir seit Jahren mit einer Flut ähnlicher Schriften überschwemmt werden, sind wir gegen Schlagworte wie „Kultur des Sexus“ (S. 57) allmählich etwas empfindlich geworden. Sind wir Katholiken wirklich so lebensungeschickt und bar jeden gesunden Empfindens, daß wir den tiefsten Ausdruck menschlicher Beziehung „christenwürdig“ tS. 57) nur mit genauester und darum manchmal etwas abgeschmackt klingender Gebrauchsanweisung finden können . .. ?

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