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Der Sturz durch den Niagara

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In der lapidaren Sprache, die allen schriftstellerischen Werken Winston Churchills ihren einmaligen Reiz verleiht, legt hier der Verfasser einen weiteren Abschnitt seiner Kriegserinnerungen vor, der eine für England besonders kritische Epoche des zweiten Weltkrieges behandelt: jene Zeit, da der Krieg bereits voll angelaufen war, da Großbritannien seine Festlandsverbündeten verloren hatte, dem siegreichen Deutschland allein gegenüberstand und gegen deren Ende sich erst ein allmählicher, noch durch offizielle Neutralität gedämpfter Beistand der USA auszuwirken begann. In diese Zeitspanne fällt das Auf und Ab des Wüstenkrieges, die Schlacht um den Atlantik, die Eroberung des italienischen ostafrikanischen Reiches, die Tragödie Jugoslawiens und Griechenlands, die Besetzung des Iraks und Syriens sowie der Auftakt zur Invasion Rußlands. Eine ungeheure Belastung lag auf den Schultern des britischen Staatsmannes. Ihm oblag es letztlich, die Kräfte des Commonwealth zu sammeln, die strategische Planung mitzugestalten, die Versorgung der Nation sowie den Ausbau der Kriegsrüstung sicherzustellen — all dies ohne greifbare Aussicht, dem Gegner einen entscheidenden Schlag versetzen zu können. Denn die Invasion des Kontinents zeichnete sich noch nicht in den entferntesten Konturen ab. Wieder verblüfft die ganze Skala der Begabungen, die Churchill unter dem Drude der Lage aus sich entwickelte: seine politische Klarsicht, seine diplomatische Gewandtheit, sein militärischer Blick und die Standfestigkeit des Charakters. Churchill hat das Jahr 1941 als den Sturz durch den Niagara bezeichnet. In dieser atemraubenden Bedrängnis hat der britische Staatsmann nie seine Zuversicht verloren: der Ausspruch des vorliegenden Bandes: „ein Lächeln kostet nichts“, zeigt gleichsam nebenbei auf, welche Anspannung dahinterstand. Und hier zeigt sich ein weiterer Reiz des Werkes: Nie wird Churchill zum trockenen Chronisten. Mitten in den Sorgen des Afrikakrieges spendet er öffentlich Rommel (mit dessen Persönlichkeit sich auch die gegenwärtige deutsche militärgeschichtliche Literatur im besonderen befaßt) das ritterlichste Lob, weiß in den Beziehungen und Depeschen an Roosevelt stets das Sachliche mit menschlicher Nähe zu vereinigen, Maßnahmen, wie der Absetzung Lord Wavells, bei aller Festigkeit das Kränkende zu nehmen.

Der spannendste Abschnitt des Bandes ist dem Angriff Hitlers auf Rußland gewidmet. Hier zeigt sich auf sowjetischer Seite die gleiche grundlegende Fehlrechnung wie zwei Jahre früher auf Seiten der Westmächte: der Glaube, durch äußerste Konzessionsbereitschaft einen Zusammenstoß mit der furchtbaren deutschen Kriegsmaschine verhindern zu können. Trügerische Hoffnung, da deren Apparat seiner eigenen, durch Logik und sachliche Erwägung unbeeinflußbaren .Gesetzlichkeit gehorchte.

Es lohnt sich, die Lektüre des Bandes nicht mit dem Schlußwort des Churchillschen Berichtes abzuschließen. Die nachfolgenden 100 Seiten Memoranden und Denkschriften, Telegramme und Dienstanweisungen sind keineswegs ein bloßer .Anhang“. Sie runden erst das Bild der Persönlichkeit Churchills völlig ab. Aus beiden Teilen zusammen entsteht erst ganz die Darlegung des britischen Anteiles am zweiten Weltkrieg, die immer zu den Spitzenleistungen darstellerischer und schöpferischer Kraft zählen wird, ler Verlag hat auch diesem Band des Werkes eine ungemein vornehme Ausstattung mitgegeben.

Carl von Rauenthal

Prozeßmaterialien in der Strafsache gegen ehemalige Angehörige der japanischen Armee wegen Vorbereitung und Anwendung der Bakterienwaffe. Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau. 610 Seiten.

Der hier behandelte Kriegsverbrecherprozeß wurde, ohne Teilnahme alliierter Vertreter, im Dezember 1949 vor einem sjwjetisehen Militärgericht in Chabarowsk durchgeführt. Sämtliche zwölf Angeklagte, vom Kommandanten der japanischen Kwangtungarmee, General Yoshida, bis herab zu einem Gefreiten, bekannten sich schuldig, die Verwendung der Bakterienwaffe durch Massenerzeugung von Pest-, Cholera-, Typhus- und anderen Krankheitserregern vorbereitet und die Wirksamkeit ihrer Produkte durch zahlreiche Versuche an chinesischen, mandschurischen und sowjetischen Gefangenen erprobt zu haben. Auch erklärten sie sich verantwortlich für den Ausbruch einer Pestepidemie, der vor Kriegsende aus einem nordchinesischen Gebiet gemeldet worden war. Interessant in diesem Bericht sind die Reden der sowjetischen ex-offo-Verteidiger, die als Hauptschuldige an den verübten Kriegsverbrechen nicht die japanische Regierung oder Heeresleitung, sondern die Imperalisten und Monokapitalisten in — den Vereinigten Staaten bezeichneten. Bei den meisten Angeklagten lautete das Urteil auf 20 oder 25 Jahre Zwangsarbeit in einem .Erziehungslager“. J. S.

Die Atomenergie. Ihre Verwendung im Krieg und Frieden. Von Engelbert Broda. Tagblatt-Bibliothek, Globus-Verlag, Wien. 153

Seiten.

In sachlich und methodisch einwandfreier Weise behandelt der Verfasser — ausgehend von der Geschichte der Atomistik — die moderne Atomtheorie und zeigt in Grundzügen die Auswertung der in den Atomen gebundenen Energien. Die Schrift ist allgemeinverständlich und durch die Behandlung wirtschaftlicher Fragen gewiß besonders interessant. Gegen die angeblich ausschließliche Verwendung der Atomenergie für kriegerische Zwecke in den Vereinigten Staaten nimmt der Autor scharf Stellung; er führt sie auf die kapitalistische Gesellschaftsordnung zurück. Das Schlußkapitel: Bemerkungen zum Problem Idealismus-Materialismus muß aber vom philosophischen Standpunkt als vollkommen verfehlt bezeichnet werden. Allzu dokrinär wird behauptet, daß durch die moderne Atomtheorie der materialistische Standpunkt gerechtfertigt wird. Die Definition des Materialismus als „die Uberzeugung von der von menschlicher Wahrnehmung unabhängigen Existenz und Gesetzlichkeit einer realen Außenwelt“ ist als unrichtig abzulehnen. Wenigstens versteht der bisherige Sprachgebrauch unter dieser Uberzeugung den Standpunkt des Realismus. Ebenso ist schwer zu verstehen, was es heißen soll, daß „reale praktische Erfolge auf jenen Gebieten erzielt werden, wo materialistisch gearbeitet wird“. Der Angriff auf die .Unbefleckte Empfängnis zeigt, daß dem Autor der Inhalt des kirchlichen Dogmas fremd ist. Hier handelt es sich um ein Geschehen der Gnadenordnung in der neugeschaffenen Seele des Kindes Maria, das mit einer Befruchtung nicht das Geringste zu tun hat. Der dialektische Materialismus wird auch nicht durch die Betrachtung der Materie „in ihrer historischen Entwicklung“ gestützt. Er müsse, wie jedes andere metaphysische System, aus philosophischen Prinzipien heraus erwiesen werden. Die Entstehung des Lebens auf der Erde als ein „Umschlagen der Qualität in die Quantität“ bezeichnen zu wollen, heißt ein unbekanntes biologisches Geschehen auf einen unbewiesenen metaphysischen Satz zurückzuführen. Dr. Alfred Holländer

Nietzsdie-Brevter. Herausgegeben von Wolfgang Kraus. Georg Prachner-Verlag, Wien, 147 Seiten.

Das Dritte Reich hatte Nietzsche zu seinem Propheten auserkoren; was Wunder, daß er in der ersten Zeit nach 1945 kaum genannt werden durfte. Nun gewinnen wir zu Nietzsche und auch zu seinen falschen Interpreten immer mehr Abstand. Aus Anlaß seines 50. Geburtstages bringt ein Wiener Verlag eine knappe Auswahl aus seinem Gesamtwerk. Es ist sicherlich schwer, bei einem so beschränkten räumlichen Ausmaß immer das Richtige zu treffen und doch bringt dieses schmale Bändchen sehr viel Positives, manches, was unserer Generation mithelfen wird, ein neues Weltbild aufzubauen. Besonders gelungen sind jene Stellen, die uns den weisen Nietzsche, den Künder eines reineren und besseren Menschentum sehen lassen. Ganz vernachlässigt ist allerdings der prophetische Nietzsche, der Diagnostiker seines Zeitalters und der Seher der „Heraufkunft des europäischen Nihilismus“. — Gegen die immer häufigere mißbräuchliche Verwendung der Bezeichnung „Brevier“ sei an dieser Stelle Einspruch erhoben. A. B.

Urlaub in Österreich. Ein Ratgeber für Reisen und Wanderungen. Von Dr. Karl Z1 a k. Verlag des österr. Gewerkschaftsbundes, Wien. 152 Seiten.

Eine Einführung in die Landeskunde mit Betonung der gewerkschaftlichen Idee in 18 Abschnitten — für einige zeichnen andere Verfasser — bildet den ersten Teil. Hoffentlich handelt es 6ich nur um ein redaktionelles Versehen, daß im Abschnitt über Brauchtum (Seite 47) Ostern in einem Atem mit Mummenschanz und Sternsingen als günstiger Zeitpunkt erwähnt wird, um Volksbräuche (Auferstehung!) sehen zu können. Kleine Fehler, zum Beispiel müßte es auf Seite 31 statt „Ministerium für Auswärtiges“ richtig „Bundeskanzleramt (Auswärtige Angelegenheiten)“ heißen, sind bei einem so umfassenden Büchlein kaum zu vermeiden. — Im zweiten Teil findet der Leser einen netten Führer durch die wichtigsten Urlaubsgebiete mit Beschreibung der Landschaft, Wegangaben, Hinweisen auf Kunstdenkmäler, auf Bodenschätze und Industriegebiete. Schade, daß der Autor nur bei Schutzhütten des Touristenvereines „Die Naturfreunde einen Hinweis auf den Eigentümer aufgenommen hat.

Dr. Robert Di ttrieh

Was koche ich heute? Von Hans Ziegenbein und Julius Eckel. 9., verbesserte Auflage. Verlag Rudolf Wehle, Wien.

In Frankreich konnte ein Escoffier, der berühmteste Meisterkoch zu Beginn unseres Jahrhunderts, auf Grund seiner kulinarischen Leistungen von der Academie des Beaux-Arts zum Mitglied gewählt werden. In Österreich ist die Zeit noch nicht reif für akademische Ehrung der heimischen Kochkünstler. Dennoch verdient es ein Werk wie das Ziegenbeins und Eckels, auch an dieser Stelle gewürdigt zu werden, wo sonst nur auf geistige Nahrung hingewiesen wird. Mit der verbesserten Neuauflage dieses 1932 zuerst erschienenen, im gesamten deutschen Sprachgebiet vielverbreiteten und längst vergriffenen Buches haben die beiden ausgezeichneten Wiener Küchenchefs nicht nur Tausenden von Hausfrauen — und „Hausherren“ — einen beträchtlichen Dienst erwiesen, sondern auch beste österreichische Kulturpropaganda geleistet. In seiner originellen Anlage, in der Klarheit der Darstellung, in der Vielfalt und vor allem in der Güte der Rezepte ist „Was koche ich heute?“ das Muster eines den Bedürfnissen der Jetztzeit angepaßten Vademekums der Kochkunst. Für alle Tage des Jahres finden wir hier einen vollständigen Speisezettel, und zwar jeweils gemäß den Erfordernissen der Sparküche, der einfachen, der feinen, der fleischlosen Küche, der Kleinhaushalts- und Schnellküche, ferner Menüs für das den Jahreszeiten angepaßt Fest- und Feiertagsessen. Den Kern des dicken Bandes bilden die systematisch angeordneten Rezepte für 2400 Speisen aller Art: Suppen, kalte und warme Vorspeisen, Fische, Saucen, Braten, Geflügel, Wildbret, Gemüse, Pilze, Salate, Mehl- und Süßspeisen, Kompotte, Käse, kalte und warme Getränke. Ein besonders glücklicher Gedanke ist die Beigabe eines vierteiligen Aluminium-Löffelmaßes zu jedem Exemplar des Buches. Wer den Ziegenbein-Eckel sich zu eigen macht, der darf wahrhaft von sich sagen, er habe kulinarische Weisheit mit dem Löffel gegessen.

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