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Zeiten und Zonen im Spiegel

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FLANDERN — DAS NÖRDLICHE BELGIEN. Von Alfred van der Essen. Unter Mitarbeit von A. Mabille de Poncheville. Verlag Andreas Zettner, Würzburg. 244 Seiten, 172 Abbildungen. Preis 19.80 DM.

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FLANDERN — DAS NÖRDLICHE BELGIEN. Von Alfred van der Essen. Unter Mitarbeit von A. Mabille de Poncheville. Verlag Andreas Zettner, Würzburg. 244 Seiten, 172 Abbildungen. Preis 19.80 DM.

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Wie Karel Jonckheere, der heute Fachberater für Literatur am Unterrichtsministerium in Brüssel und Herausgeber dreier Monatshefte, ferner Prosaschriftsteller und Lyriker von Rang ist, kürzlich in dem Flandern gewidmeten „Merian"-Heft ausführte, ist das neueste Schimpfwort, mit dem sich die Kongolesen Luft machen, das Wort „Flame“. Ein Schimpfwort — für die Menschen eines Landstriches, die im Verlauf der Geschichte Leid über Leid erfahren haben. Flandern, ein Land, das, mit dem Staatsbegriff Belgien verbunden, diesen keineswegs zu allen Zeiten bejaht hat, taucht als Name zum erstenmal in der Vita Eligii auf, einem Dokument aus dem 8. Jahrhundert. Flandern soll soviel wie „überschwemmtes Gebiet“ bedeuten, ein Flame soll daher ein Mensch sein, der vor dem Wasser floh. Wenn dieses Land nicht mit den Wassern rang, dann rang es mit Menschen, die ihm seine Eigenart streitig machen wollten: aber überschwemmen ließ es sich von diesen Menschen nie, und vor ihnen ist kein Flame, solange er eine Waffe handhaben konnte, geflohen.

Das vorliegende Werk gibt eingangs in kurzen Strichen die politische und wirtschaftliche Geschichte, zeichnet die Bewohner, von denen Merian in seiner „Topographia Circuli Burgundici“ 1654 geschrieben hat: „Ihre Sitten seyn auß der Teutschen gravität und der Frantzosen Munterkeit gemischt“, und gibt, unterstützt durch eine Fülle der prächtigsten und zutreffend gewählten Bilder einen Begriff von der kulturellen Leuchtkraft dieses Landes. Bei den geschichtlichen Darlegungen (die französische Originalausgabe ist bei B. Arthaud, Paris-Grenoble, erschienen, übersetzt hat sie Doktor Fritz Montfort) ist eine gewisse Kühle des Urteils — wenn es um die Österreicher geht — unverkennbar, aber es leuchtet doch trotz aller Distanz die Bedeutung auf, welche der Schutz der österreichischen Herrscher einst darstellte (Seite 31: Seite 36 heißt es sogar nach 1795, daß sich „nicht alle Bewohner" dem neuen Regime unterwarfen). In diesem Zusammenhänge muß Hendrik Consciences und seiner „Geschichte von Belgien“ gedacht werden. Er sagt dort bezüglich der Kaiserin Maria Theresia: „Maria Theresia gebührt die Ehre, das Signal zum Erwachen gegeben zu haben. Wenn sich die Belgier später wieder erhoben haben auf die sittliche Höhe, die ihnen durch ihr angeerbtes Recht unter den Nationen zukommt. so darf man nimmer die Fürstin vergessen, welche zuerst den Stern einer besseren Zukunft am Horizont der Zeiten aufgehen ließ . . . Alle Zweige der Industrie und des Handels fanden die kräftigste Unterstützung, der Landbau blühte mehr als je; die allgemeine Ruhe gab allen neuen Mut Man segnete den Namen Maria Theresias.“

Wenn also hier gegenüber der Urfassung etliche Ergänzungen anzumelden, wären, so darf der eigentliche Teil — und das Buch gilt hauptsächlich der Kulturgeschichte — als in jeder Hinsicht trefflich genannt werden. Wer nach Flandern reist, müßte dieses Buch vorher gelesen haben.

DAS LAND DER GRIECHEN. Fahrten in Hellas. Von Wilhelm Hausenstein. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau. 128 Seiten, 17 Abbildungen. Preis 15 S.

Der Autor, bekannter Publizist (Mitarbeiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und von humanistischem Geiste erfüllter Dichter, 1953 Botschafter der Deutschen Bundesrepublik in Paris, am 3. Juni 1957 in München, das ihm seinen Literaturpreis verliehen hatte, gestorben), gibt mehr als die Schilderung von Bildwerken und Ruinen. Ihm ist es gelungen, durch die Einbeziehung des gegenwärtigen Lebens eine Synthese von tiefer Wirkung zu erzielen.

WINKE FÜR AKROPOLIS-PILGER. Von Ernst B u s c h o r. C. H. Beckscbe Verlagsbuchhandlung, München. 38 Seiten, 10 Abbildungen. Preis 8.50 DM.

Angaben im Sinne eines Reiseführers — was man etwa aus dem Titel schließen könnte — wird man hier nicht finden, und ebensowenig Wiederholungen von anderwärts Gesagtem. Der bekannte Münchner Archäologe vermittelt mehr als Winke, er gibt das, was man ungefähr mit „Strahlung“ bezeichnen könnte: die Atmosphäre.

Hier wird zur Besinnung aufgerufen, zum Schauen erzogen (ohne lehrhafte Geste, ohne Fachsprache). „Die Landschaft und die Bauten scheinen ihres Sinnes entleert, wenn wir an ihren alten Geistern achtlos vorübergehen", schreibt Buschor. So tönen ihm die alten Mythen, wie die Steine tönen — man muß sie nur hören können. Die Ausstattung des bibliophil wirkenden Buches ist vorbildlich.

MENSCHENWEGE - GÖTTERBERGE. Bilder meiner Reisen. Von Herbert Tichy, Wollzeilen-Verlag, Wien. 240 Seiten, 106 Bilder, davon 16 vierfarbig, 3 Kartenskizzen. Preis 179 S.

Seit dem Jahre 1933 hat Herbert Tichy, vom Fach eigentlich Geologe, Schüler von F. E. Suess, Reisen nach Indien und in das Himalajagebiet unternommen. Dieser Wiener gibt, wie Buschor, die Atmosphäre; was ihn aber von vielen Weltreisenden unterscheidet, das ist sein wacher Sinn für politische Entwicklungen, eine gehörige Packung Humor, eine griffige Hand für alles Anekdotische; alles dies lockert die sachliche Darstellung un- gemein auf, fast möchte man sagen, er kann sie dramatisieren, bildhaft machen, so daß eine Übertragung ins Filmische durchaus möglich ist. Der Sinn für das Bildhafte kommt vielleicht aus der Tatsache, daß Tichy jahrelang für Bilderzeitschriften als Photograph tätig war; er blickt eben anders in die Welt als die üblichen Reisenden. Er gibt uns daher andere Dimensionen. Seine Horizonte, von

ES WAR EINE GROSSE TAT des Notringes der wissenschaftlichen Verbände Österreichs, daß er als Jahrbuch 1961 ein Werk über die österreichischen Stifte veröffentlicht. Gehören doch diese zu den kostbarsten Juwelen in der Landschaft Österreichs und zu den bedeutendsten geistigen und kirchlichen Zentren des Landes. Auf 243 Seiten werden in ausgezeichneten Artikeln, die durch ebenso ausgezeichnete Bilder ergänzt werden, die noch bestehenden Ordensstifte in Österreich und Südtirol sowie auch die aufgelassenen Stifte behandelt. (Leider wuide nur auf die Benediktinerinnenabtei Sankt

den Menschenwegen zu den Götterbergen, erweitern die Welt unseres Alltags.

AUF DEM DACH DER WELT. Von Erwin Erasmus Koch. Nest-Verlag, Frankfurt am Main. 317 Seiten, 78 Abbildungen, 2 Karten. Preis 28.50 DM.

Als der Dalai-Lama (soviel wie „Meer- Priester“, das heißt „großer Priester"), „die vierzehnte Inkarnation der Gottkönige, die letzte Wiedergeburt des Gyal —paRimpoche, des .Herrscherjuwels“ ", vor den eindringenden Soldaten der Volksrepublik China vor rund zehn Jahren die Flucht ergreifen mußte, sprach die Welt von dem größten Hochland der Erde. Zehn Jahre sind wenig und viel für diese raschlebige Welt. Wer redet heute noch vom Dalai-Lama, wer von Tibet? Jetzt ist der Kongo, ist Lumumba das Gesprächsthema, statt Lhasa steht Elisabeth- ville auf den Zeitungsseiten. Und doch ist damals, als eine Epoche zu Ende ging — bereits im 9. Jahrhundert bestand ein Großtibetisches Reich —, mehr zerbrochen, als man vermeinte. Im Jahre 1914 haben England, Indien und Rußland immerhin die Unabhängigkeit Tibets proklamiert, man wäre für diese auch marschiert. Heute ist die Welt dickfelliger geworden. Man mag daher die erste authentische Geschichte des Landes, das heute vermutlich eine der wichtigsten Fernraketenbasen darstellt, mit der Sammlung lesen, wie sie dem Wanderer vor alten steinernen Bildern der Vorzeit zukommt: zur Erinnerung, zur Mahnung.

FES, STADT DES ISLAMS. Von Titus Burckhardt. Urs-Graf-Verlag, Olten. 148 Seiten, 52 Abbildungen, davon 31 in Farbe, und 32 Zeichnungen im Text. Preis 38 sfr.

Die Hauptstadt des Fes-Gebietes in Französisch-Marokko mag heute, wo es mehr als 200.000 Einwohner zählt, nicht mehr in politischer Hinsicht, sofern man Politik mit Dynastien, Kriegen, Gebietserweiterungen, diplomatischem Einfluß g-leichsetzt, die Rolle spielen wie vor 700 Jahren; als religiöses Zentrum Marokkos ist Fes jedoch weiterhin von eminenter Bedeutung. Vielleicht kommt sogar einmal der Augenblick in der Geschichte Marokkos, wo gerade die religiöse Struktur den festen Pfeiler abgibt gegen politische Erdbeben.

Dieser in der Reihe „Stätten des

Gabriel bei Bertholdstein in der Steiermark vergessen.) Eine kurze Übersetzung ins Französische und Englische ermöglicht die Benützung des Werkes auch für jene Besucher Österreichs, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Kurze Hinweise, wie die einzelnen Stifte zu erreichen sind, erfreuen jeden Wanderer, ebenso wie die Abbildung der Stiftswappen den Heraldiker entzücken. Eine genaue Karte, die über die Lage der Stifte Bescheid gibt, vervollständigt noch das Werk, das in jeder Beziehung als gelungen bezeichnet werden muß.

Geistes" erschienene Band im Format 22,5 X 29,5 Zentimeter ist bildmäßig von der gleichen Großzügigkeit, wie wir dies bereits gelegentlich des Bandes „Siena“ gerühmt haben, und gleicherweise lebendig in der Tradition. Nun kommt hier freilich noch die augenblickliche Situation in Afrika hinzu, die mit großartigem Fingerspitzengefühl, mit feinen Gleichnissen dem europäischen Denken vermittelt wird. Es ist eine Hohe Schule der An-Schauung und der In-Sicht, gewonnen aus Gesprächen des Verfassers mit bedeutenden Vertretern der islamischen Geistigkeit, erarbeitet aus Chroniken, Dichtungen, mystischen Schriften und modernen Aufzeichnungen (Lyautey, Loti, Henri Terrasse). Im ganzen gesehen ein Kristall, der, in gesättigter Lösung gewachsen, ans Licht gehoben, aus Dutzenden Facetten das Licht der Sonne widerstrahlt.

Hanns Salasckek

DER ZWEITE WELTKRIEG. Von Hellmuth Günther Dahms. Rainer-Wunderlich-Verlag Hermann Leins, Tübingen 1960.

Von deutscher Seite ist durch verschiedene Werke der Versuch unternommen worden, das Gesamtgeschehen der politischen und militärischen Geschichte des zweiten Weltkriegs darzustellen (Görlitz, Tippelskirch und nicht zuletzt durch die ausgezeichnete Chronik mit Dokumenten von H. A. Jacobsen). H. G. Dahms, der schon durch eine Einzelstudie über die Kriegspolitik des Präsidenten Roosevelt hervorgetreten ist, unternimmt nach dem neueren Stand der Forschung das Wagnis, das vielfältige und vielschichtige Bild des Krieges zu zeichnen. Was zunächst die rein militärische Darstellung betrifft, sind vor allem die Geschehnisse im Femen Osten in den einzelnen Kapiteln als besonders gelungen hervorzuheben. Auch die verschiedenen Hinweise auf die inneren Vorgänge inmitten des europäischen Kriegstheaters — wie die Widerstandsbewegungen in den besetzten Gebieten — werden in diesem von den militärischen Vorgängen fast zu übersättigten Werk angeführt. Was zu kurz kommt, ist die politische Geschichte des zweiten Weltkrieges. Schon das Einleitungskapitel überUrsachen und Anlässe zeigt, daß der Verfasser in den herkömmlichen Leitbildern verhaftet bleibt und aus den Folgen der Pariser Vororteverträge die Ursachen abzuleiten bestrebt ist. Dabei übersieht er, daß 1918 die militärische Niederlage eklatant war und durch keinerlei spätere Dolchstoßlegende hinweggeleugnet werden konnte. Die Behandlung des Problems Österreich wird in der üblichen Weise vereinfacht dargestellt und — wie oft — die Bedeutung des Griffs nach der Resttschechoslowakei gerade unter Hinblick auf das ungeheure Rüstungsarsenal bagatellisiert.

Abgesehen von diesen politischen Kapiteln, ist das Buch eine beachtliche Leistung, aber noch nicht die endgültige und umfassende Geschichte des zweiten Weltkrieges aus der Feder eines deutschen Historikers.

Univ.-Doz. Dr. L. J e dl i ck a

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