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Gesicht des alten Europa

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„Heute, in einer Zeit, da der große Strom schwächer wird, da die europäische Kultur zerfällt und das menschliche Bewußtsein aussetzt und sich verdunkelt, soll noch einmal das, was wir zu vergessen beginnen, kurz aufgezeichnet werden, als Flaschenpost für die unbekannte Zukunft.” Mit diesen Worten beschließt Michael B a b i t s das einleitende Kapitel seiner „G e- schächte der europäischen Litera- t u r” (Europa-Verlag Wien, 600 Seiten). Eines der eigenwilligsten, kultiviertesten und gepräg- testen Bücher, die seit “Jahnen auf den Büchertisch gekommen sind. Reflexionen eines Charakters, einer europäischen Persönlichkeit über das geistige, das. literarische Europa von Homer und Hesiod bis zu Valery und Glaudei. Betrachtungen eines Abendländers über das Abendland. Babits, ein Leben lang Herausgeber der führenden ungarischen Litenaturzeitschrift „Nyugat” (Abendland), selbst Dichter, vor allem aber Übersetzer Goethes und Dantes, Walters von der Vogelweide und Leopardis, Shelleys und Baudelaires, Sophokles und Bergsons, starb 1941, kurz nach Vollendung dieses Werkes. Eines Kunstwerkes, das nicht mit üblichen Literaturgeschichten gemessen, verglichen werden kann und darf. Am Rande Europas, am Rande einer Epoche sinnt ein Mann des Maßes und der Mitte in hoher gefaßter Trauer über das Abendland in seinen größten Manifestationen im Reich des Geilstes nach. Äußerlich am ehesten der Weltliteraturgeschichte Klabunds vergleichbar, dieser aber an Gehalt hoch überlegen, ist dieses Opus seiner Wesensform nach vielleicht am ehesten zusammenzusehen mit Montaigne — jawohl, mit den Essays des großen unsterblichen Franzosen. Dieselbe gefaßte Kraft der Seele, eine ähnliche Tönung des Geistes, trotz aller Verschiedenheiten. Diese „Literaturgeschichte” ist ein Bekenntnis zu all dem, was der Persönlichkeit des Autors im Laufe eines langen Lebens als Gegenwart im Reich des Geistes entgegentrat. Was Babits nicht selbst, erlebt hat, scheidet er von vornherein aus. „Ich habe die Lusiaden nicht gelesen, weil ich nicht Portugiesisch kann” (S. 196). Die hohe mittellateinische Dichtung scheidet, wie so manche andere, ebenfalls aus. Diese Bereiche liegen dem Autor nicht. Es spricht deshalb nicht von ihnen. Wie sehr müssen wir, ob dieser Ehrlichkeit und intellektuellen Sauberkeit dem Autor danken. Aber der Gewinn, den diese schöne Entsagung einbringt, ist reich! Babits spricht also nur über Selbsterlebtes. Und wahrlich, sein Freundeskreis ist groß. Die ersten hundert Seiten sind ganz der Antike gewidmet. Wir müssen über hundert Jahre zurückgehen, um im deutschsprachigen Kultu-kreis „Literaten” (im guten Sinn des Wortes) zu finden, die ein dermaßen persönliches, souverän-natürliches Verhältnis zu den Meistern der antiken Literatur haben. Gespräche Aug im Auge, auf Du und Du, unbekümmert um hundert Jahre Philologie (deren Kenntnis aber, unsichtbar, einfach mitgegeben ist). Einige weitere Höhepunkte aus den mittleren Zeiten können hier nur angezeigt werden. Augustin („Die Seele des Augustinus”, 116 ff.), Dante (157 ff.), Shakespeare (195 ff.). Kostbar dann die Maximen und Reflexionen (man fällt unwillkürlich in die Sprache der großen französischen Moralisten des 18. Jahrhunderts) über das „Jahrhundert der Lichter”. Die kritische Schau eines über „Romantik” und „Klassik” im alten Sinne weit hinaussehenden Weltmannes über „Die Aufklärung der Vernunft” (Montesquieu — Voltaire) und die „Aufklärung der Empfindung” (von Fielding und Sterne bis zu Rousseau). Damit schließt der erste Teil. Der zweite ist nahezu zur Gänze dem 19. und 20. Jahrhundert gewidmet. Hier dominiert zuerst Goethe. Dann die Franzosen und Engländer (die Italiener und Spanier treten stark zurück). Welch ein Reichtum aber auch hier! Ob Babits über „Die Prüderie der englischen Literatur”, Shelleys „Odle an den Westwind”, Victor Hugo, Puschkin, oder Strindberg spricht, immąr sind es sehr eigenwillige Betrachtungen, aber was ergeben sie insgesamt, zuammengęnommen: ein Schaubild, ein letztes Panorama des alten Europa, zu dem Babits sich stolz bekennt.

Die Zauberlaterne. Ein Jean-Paul-Lesebuch. Herausgegeben von Helma Schroll, K.- Aufer bau er-Verlag, Leoben.

Aus der Reihe vieler und oft fragwürdiger Neudrucke alter Autoren hebt sich dieses Werk durch Eigenart des Autors und der Neugestaltung heraus. Jean Paul, der deutsche Rousseau, Liebling seines Jahrhunderts, ersteht hier in seinem Hauptwerk Titan, in mächtiger Größe zu neuem Leben. Vor den Augen eines staunenden Publikums, das überrascht die Tiefe und Gewalt dieses riesenhaften Werkes erfährt. Partien, die an Nietzsche, an Dostojewskij, an die Modernsten der Modernen (Julien Green), gemahnen. Helma Schroll ist es gelungen, eine echte „Aus-lese” zu treffen — aus dem Titan, aus dem Lebenswerk des Dichters überhaupt — sie beschließt diese mit der „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei”; hier grollen bereits alle Donner künftiger Weltgewitter — 1796/97 erschien erstmals diese Umarbeitung der Dichtung von 1790 „Des toten Shakespeare Klage unter toten Zuhörern in der Kirche,, daß kein Gott sei”. Vision des 19. Jahrhunderts im Abgesang des achtzehnte”! — Ein Buch, das allen Freunden deutscher Literatur wärmstens empfohlen sei.

Der Gesandte Gottes. Historischer Roman aus der Wiener Kongreßzeit. Von H. Mailler. Wiener Dom-Verlag.

Klemens Maria .Hofbauer als Romanheld darzustellen, ist sicher ein verlockendes Unterfangen, das aber im vorliegenden Fall gut geraten ist. Im Gegensatz . zu Hünnermanns „Bäckerjungen aus Znaim” hält sich Mal Iler an die biographischen Tatsachen des Buches von Bauchinger. So ist hier wieder einmal ein wirklicher Volksroman geworden, der viel Trost, Hoffnung und Versöhnung mit dem eigenen Lebensschicksal geben kann. Der Wiener Kongreß wird anschaulich geschildert, Straßen- ‘und Gassennamen, in denen wir gehen und deren Geschichte wir aber meist nicht kennen, werden lebendig. Durch diese Straßen schreitet der Heilige, der Apostel von Wien, und sein schlichtes Priesterwirken, seine selbstlose Liebe hilft mit, Zerschlagenes und Zerbrochenei wieder aufrichten. Und dieses Leuchten seines Antlitzes strahlt herüber in unsere Zeit. Anton Pauk.

Kirche — Weltanschauung — Soziale Frage. Die Salzburger Hochschulwochen 1946. Herausgegeben von P. Dr. Alois Mager. Verlag O. Müller, Salzburg 1948.

Die ersten Salzburger Hochschulwochen nach langjähriger Unterbrechung finden in diesem Band eine wertvolle Zusammenfassung und bieten einen beachtenswerten Ausschnitt aus dem geistigen Leben der Nachkriegszeit. Allerdings werden damit auch die Schwierigkeiten offenbar, mit denen eine solche Aneinanderreihung von Themen zu kämpfen hat. Der Wert dieses Bandes liegt neben der historischen Dokumentation in der Anregung zur Diskussion und Auseinandersetzung. Dr. Leopold Lettner

Der Turm der Gnade. Erlösung einer Seele. Schauspiel in zehn Stufen. Von H. L. Kobe r. 1948, Verlag Brüder Hollinek, Wien.

Ein Spiel um die Wiener Dombauhütte, um drei Generationen Baumeister am Stephansdom. Schuld und Leid der Menschen, im Hintergrund der Dom, sein Wachsen und Werden. An ihm reifen und zerbrechen die Menschen. Kober webt um die alte Prachatitz-Puxbaum-Sage allgemeingültige Gedanken. — Die gängigen Verse geben dem Drama die Gestalt eines Laienspieles. Eine Aufführung durch Laienspieler käme, bei starker Kürzung, wohl in Betracht.

Zwischen Wien und Basel. Von Franz J ant sch, Fährmann-Verlag, Wien, 163 Seiten.

Ein Roman zweier junger Großstadtmenschen, lebensecht von A bis Z. Der Verfasser schildert in meisterhafter Weise das Schicksal eines blutjungen Wiener Heimkehrers, der nach einer freudlosen Kindheit in seelischer Ude heran reifte und den die Vorsehung mit einem lebfrischen, sauberen Wiener Mädel zusammenführte — auf dem Wege nach Basel. An der Romanigestalt dieses Mädchens, das den jungen Mann durch echte Liebe, Reinheit und Treue auf den rechten Weg bringt, muß jeder Leser seine Freude haben. Ein überaus spannend geschriebenes, wertvolles Buch. China ohne Mauer. Von Herbert Tichy, 200 Seiten mit 56 Bildern, Verlag L. W. Seidel, Wien.

Der Reiz dieses Buches ist so wenig mit einigen Strichen einzufangen wie der Wechsel von Bildern, die es vorüberziehen läßt. Scheinbar leicht und mit fast spielender Hand gearbeitet, läßt es kaum eine Seite des chinesischen Volkscharakters unbeleuchtet. Das Rezept, nach dem der Autor vorgeht, ist gewiß nicht neu: der seit Jahren in China ansässige europäische Kaufmann Fredrikson und der alte chinesiche Sprachlehrer Tung berühren im Plaudern die verschiedensten Gebiete des chinesischen Volks- lebens. Kunst und Kultur, Krieg und Religion, Familie und Staat. Aber wie tiefe psychologische Einblicke eröffnen diese kleinen Dialoge. Ein Glanzstück der Erzählerkunst ist etwa das Kapitel „Schwarzes Opium” — Fredriksons Versuch, die chinesische Schrift zu erlernen. Eine Erzählung von tragischem Gehalt, das Schicksal des Bauern Chang, bildet den Ausklang. Daß dieses Buch, wie erwähnt, einer Vielfalt von Gebieten aufgeschlossen ist, ist ein Vorzug. Daß es sich hitbei einmal auch einem Bereich — dem religiösen — zuwendet, für den ihm nicht die Kompetenz zugesprochen werden kann, darf nicht unerwähnt bleiben. Für das Buch hat die Hand eines chinesischen Künstlers Bildergruppen geschaffen, die soweit chinesisch empfunden sind, daß sie dem europäischen Leser immer verständlich bleiben und nicht mehr westlich beeinflußt, als für dieses Verständnis notwendig ht.

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