Man hat im Bauerntum lediglich den „Reichsnährstand“ seilen wollen. Es ist aber viel mehr. Es ist der biologische Mutterboden für alle Stände und Schichten, der Urständ und der Brunnen, aus dem sich die gesamte Nation immer wieder auffüllt und verjüngt. Es ist die ruhende Madit in der Flucht der politischen und wirtschaftlichen Erscheinungen, die treue Kraft der Beharrung in urgegebenen Ewigkeitswerten. Es ist nach W. H. Riehl „der Schrein, worin gar viel uralte Heiligtümer des Volkstums geborgen liegen. Bauernarbeit und Bauernsitte sind das Knochengerüst der Volkspersönlichkeit“.
Alles das und noch vieles andere wird einem wieder einmal so recht klar, wenn man das kürzlich erschienene, großzügige Buch des Schweizer Kultur- und Sozialforschers Johannes Schwendimann, „Der Bauernstand im Wandel der Jahrtausende“, studiert, in seinem lebendig geschriebenen, reich und dicht, aber klar und übersichtlich gestalteten Text, in seinen wertvollen, quellenreichen Fußnoten und im Schmuck seiner erhellenden, kostbaren Bilder *.
Der Verfasser ist im Gegensatz zum ewigen Lied vom „Sterben des Bauerntums“ ein überzeugter Anhänger der heute schon häufig anzutreffenden Anschauung von der Unzerstörbarkeit des bäuerlichen Standes. Er sieht im „Fortschrittshymnus“ nichts anderes als den immer wieder aufzüngelnden „Kollektivhochmut der Nationen“. „Der Bauer stund von Anbeginn auf der Höhe einer Organisation, die er beibehielt durch alle Wirren der Jahrtausende bis zum heutigen Tag; die Systematik seiner Arbeit und seiner Grundsätze inspirierte den Urprodu-zentefl der antiken wie der modernen Zeit in gleicher Weise.“
Diese Grurideinstellung, die zunächst manche überraschen mag, erhärtet der Verfasser, indem er an uns die Geschichte des europäischen und des außereuropäisdien Bauern samt seinen Wirtschafts- und Lebensformen in packenden Darstellungen vorüberrollen läßt, wobei er, der in seinen jungen Jahren selber Bauer war, eine erstaunliche, in sechzigjährigem Mühen erarbeitete Kenntnis des gesamten einschlägigen Schrifttums bekundet. Wir sind ihm dabei besonders dafür dankbar, daß er auch sehr alte, längst vergessene, aber deshalb nicht minder wertvolle Forscher des In- und Auslandes zu Worte kommen läßt und keine der zahllosen agrarwirtschaftlidien Methoden und Reformversuche außer acht hält. Die Formen des Altertums mit Freibauern, Sklaven und Latifundien, die mittelalterlichen Frei- und Zinsbauern, die römisch-rechtlidien Institutionen, der Machiavellismus, der Physiokra-tismus, der ökonomische Liberalismus, das Grund- und Kornspekulantentum, die Grundentlastungen und Raiffeisenkassen usw. bis herauf zum Reichserbhofgesetz, sie alle ziehen an uns in gründlicher Darlegung vorüber.
Mit besonderer Liebe ist der segensreiche Anteil der Kirche, namentlich der Mönche, an der Entfaltung der landwirtschaftlichen Kräfte des Mittelalters geschildert, deren Auswirkungen der Historiker Karl Lamprecht („Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter“ I, 1, 663) in den Satz zusammenfaßte: „Werden alle Umstände, die klimatischen, geologischen und sonstigen Bedingungen in Erwägung gezogen, dann ergibt sich zur Evidenz, daß eine bessere Verteilung der Bodennutzung als die während des Mittelalters historisch erwachsene im großen und ganzen wohl kaum denkbar ist.“
Leider ist's nicht dabei geblieben. Der böse Säemann tauchte auch hier immer wieder auf und setzte die bäuerliche Wirtschaft und ihre Vertreter unter den unerträglichen Druck der verschiedenen destruktiven Zeitströmungen. Bis es so arg wurde, daß sich das unterdrückte Bauerntum in der grauenhaften Entladung der Bauernkriege Luft machte. Die aber führten immer wieder zur Niederlage der Bauern und zusammen mit den folgenden, wechselnden Reformierungsexperimen-ten zu einer immer ärgeren Verelendung des einst so blühenden Standes. Solange seine Widersacher übrigens lediglich in tyrannischen Gutsherren oder in bösen Verwaltern verkörpert waren, blieben sie dem Bauern immerhin ein noch erkenn- und faßbares Übel. Als dann aber die Bauern abstrakten, für sie völlig unverständlichen Wirtschaftssystemen preisgegeben wurden, da standen sie hilflos wie Kinder in einer Horde ,von Gaunern, ungreifbaren und daher um so furchtbareren Tyrannen gegenüber. Bis es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts — man denke an Roseggers „Jakob den Letzten“! — so weit war, daß „ein geriebener Kapitalist einen ganzen Bauernhof und damit das Wohl und Wehe seiner Bebauer in papierenen Verschreibungen in seiner Westentasche mit sich herumzutragen imstande war“. Es schien wahrhaft hoffnungslos, alles prophezeite das Ende des Bauerntums.
Dennoch! Der Bauernstand hat auch das überstanden, und er wird — das ist die unerschütterliche Überzeugung des Verfassers — auch nodi vieles andere überstehen. Wie ein noch so zerstampfter Rasen immer wieder aufersteht, so auch das Bauerntum. Es ist unzerstörbar, solange es gott- undbodenverbun-d e n bleibt!
Eine Rückschau auf die Geschichte des Bauerntums, die der Verfasser einschaltet, ehe er das letzte Hauptstück seines Buches, das über „die Bauernseele“ folgen läßt, möchten wir' ganz hiehersetzen. Sie lautet:
„Es war ein Flug über die Ebenen, Höhen und Tiefen einer der bedeutsamsten Gesell-schaftsschichten des Erdballs. Jahrtausende bäuerlichen Lebens zogen an unserem geistigen Auge vorüber. Welch ein Stand! Groß und bedeutungsvoll wie die Welt, wurzelnd in den Urgründen der Schöpfung und hereinragend in die unfaßbaren Geheimnisse des Schicksals, wechselnd im Aufstieg und Niedergang, im Triumph und in der Tragik: Das ganze Drama der Menschheitsgeschichte, alles ist mit diesem Stand verbunden. Keine Menschenkategorie hat so wie er die ganze Wucht der Zeitwirren durchgekostet. Aus anfänglicher Freiheit und Selbständigkeit zu hoher Entwicklung gelangt, sinkt er, gesiebt, geworfelt und gepreßt, in Knechtung und Sklaverei. An der Grenzscheide zweier Welten die Ketten sprengend, wird er zu einem der hervorragendsten Kulturträger des Abendlandes, doch ein paar Jahrhunderte später ist wieder Bedrückung und Ausbeutung sein Los. Umsonst rüttelt er an seinen Ketten, in die ihn ein omnipotenter Staatsabsolutismus geschlagen. Erfolglos sind seine im eigenen Blut erstickten Aufstände, ungehört seine Forderungen nach den alten geheiligten Urkunden, nach den verbrieften Rechtsamen und Freiheiten. Wie eine grimmige Nibelungenklage, gemischt mit Akkorden stolzer Resignation, klingt dieser Ruf weiter, durch die Dissonanz der alles zersetzenden Zeittheorien hindurch in eine neue, bessere Zeit. Die Struktur der Bauernseelc ist sich trotz allem im Grundtone ihrer geistigen Stimmung, in ihrem Charakter und innerstem Wesen gleich geblieben.“
„Erinnerungen an Hugo von Hofmannsthal.“ Von Erika Brecht, österreichische Verlagsanstalt, Innsbruck 1946. Preis S 4.20.
Für den Wiener Universitätslehrer Walter Brecht, der als einer der besten Kenner des Hofmannsthalschen Werkes gelten kann, hatte der Dichter seine aufschlußreiche Selbstdarstellung „Ad me ipsum“ geschrieben. Diese biographie spirituelle legte er in die Hände eines Mannes, den er nicht nur als Wissenschaftler hochschätzte, sondern auch seines besonderen Vertrauens würdigte. Von 1917 bis zum tragischen Tode Hofmannsthals im Sommer 1929 verbanden freundschaftliche Beziehungen die Familie des Dichters und die des Wissenschaftlers.
Erika Brecht bestätigt durch die Schilderung zahlreicher Einzelzüge das Bild Hofmannsthals, wie es in den Gedenkaufsätzen nach des Dichters Tod seine nächsten Freunde entworfen haben. Es ist das Bild eines „Schwierigen“, wie es Hofmannsthal selbst in der Gestalt eines seiner Titelhelden gezeichnet hat. Die Kunst, mit ihm zu verkehren, mußte — nach sorgfältigem Abtasten und Einfühlen — erst gelernt werden. Ebenso schwer war es, den einmal als Freund gewonnenen auch festzuhalten. „Seine Freunde, nannten ihn ,Amiel' oder verglichen ihn mit einem Schmetterling, der sich wohl einen Augenblick auf die befreundete Hand niederließ, aber sogleich wieder, unirdisch und scheu, davon-schwebt.“
Und doch haben viele Menschen Hofmannsthals Freundschaft gesucht und seinen Tod wie den eines Geliebten betrauert: Weil er die ihm Nahestehenden in jene „Momente der Erhöhung“, in das „Sein in allen Dingen“, wo des Dichters Geist zu Hause war, mit hineinhob. Und weil alle, die mit ihm in Berührung kamen, sein höheres, unirdisches Wesen spürten, „hier nicht voll beheimatet, schwebte er sinnend- in seiner eigenen, durchleuchteten, beschatteten Sphäre“. Das Verdienst der Verfasserin ist es, von diesem „Geisterzeugten'“, von dem Geheimnisvollen, das jede große Persönlichkeit umwittert, so viel Züge festgehalten zu haben, wie es fraulich-einfühlsamer Teilnahme möglich ist. Aber auch der Sucher und Sammler biographischer und literarhistorischer Details wird bei der Lektüre des Buches nicht leer ausgehen.
„Dionysius Exiguus als Kanonist.“ Neue Lösungen alter Probleme der Forschung. Von P. W. M. P e i t z. Sonderabdruck aus der „Schweizer Rundschau“, 45. Jahrgang 1945/46. Benziger Verlag, Einsiedeln.
Der vorliegende Aufsatz ist nach den Worten des Verfassers seine erste Mitteilung über die gesicherten Ergebnisse seiner Untersuchungen zur Geschichte des ältesten Kirchen-redus. Sie verändern grundstürzend das von einer mehrhundertjährigen Forschung entworfene Bild (p. 1). Im wesentlichen handelt es sich in diesem Aufsatz um die Arbeit des Dionysius Exiguus als Sammler und Obersetzer kirchenrechtlicher Kanons sowie um die verschiedenen Rezensionen seiner Sammlung. Die Richtigkeit der vom Verfasser gegebenen neuen, allen bisherigen Auffassungen' diametral entgegenstehenden Darstellungen mit ihren weittragenden Folgerungen beruht wesentlich auf der Sicherheit des Nachweises, daß sämtlidie Übersetzungen und Sammlungen nur Bearbeitungen der ersten wörtlichen Ubersetzung des Dionysius Exiguus durch diesen selbst sind (p. 13), so auch di Hispana und die Quesnelliana. Sie gründet sich auf den Nachweis, daß die gesamte känonistische Überlieferung der ältesten' Zelt bis' aut'Dionysius, welchen Namen und welche Form sie auch haben mag, einzig und allein auf eine und dieselbe Handschrift zurückgeht: auf die „Arbeitshandschrift“ des Dionysius (p. 13). Audi Philologie und Kirchengeschichte erfahren durch diese Untersuchungsergebnisse eine große Bereicherung (p. 1). Gelingt der Nachweis, daß sämtliche bekannten Ubersetzungen und Sammlungen nur Bearbeitungen einer Ur-Dionysiana sind, so ist damit auch gegeben, daß die ganze philologische Methode, nach der man bisher diese gleichen Texte zu Editionszwecken oder historisch Quellenkritisch behandelt hat, eränzungsbedürf-tig und falsch ist oder irrig auch von Meistern gehandhabt wurde, daß wir . im Studium der alten Textüberlieferungen neue Bahnen gehen müssen, ganz gleich, ob es sich um kanonische oder literarische Texte handelt. Dieser Nachweis aber läßt sich mit aller nur wünschenswerten Klarheit und Sicherheit führen (p. 13). Zweck der Veröffentlichung ist es, auf diesem Weg vielleicht die zur Drucklegung der fertigen Arbeit notwendige Unterstützung durch Druck-kostenbeiträge zu gewinnen. Es ist klar, daß ein abschließendes Urteil über die Ergebnisse der Forschungsarbeiten von P W. M. Peitz erst möglich ist, bis die ganze, sicher interessante Arbeit vorliegt.
„Verklärter Herbst.“ Roman von Karl Adolf Mayer. Steirische Verlagsanstalt, Graz (1945). 272 Seiten.
Herbstliche Landschaft in gedämpfter Farbenschönheit und fast jenseitiger Verklärtheit ist hier Sinnbild für sich neigendes Leben. Infi Bericht eines Gelehrten und Schriftstellers sind Sturm und Hitze des aufsteigenden Jahres überwunden, wir erfahren von ihnen nur noch con sordino in sorgsamer und gewählter Sprache, Kein Ton von Krieg und Kriegsgeschrei stört die Stille der Wälder, die Lektüre des Buches schiebt eine friedliche Cäsur der Besinnung zwischen aufgeregte und aufregende Gedankengänge. In warmer Menschlichkeit ist der zukunftweisende Schluß gestaltet. Werke, wie Stifters „Nadi-sommer“, Gottfried Kellers „Landvogt von Greifensee“, sind nicht unabsichtlich erwähnt. Ihr klassisches Insichruhen ist das große, freilich unerreichbare Vorbild.
„Wort in der Zeit.“ Schriftenreihe des katholischen Bildungswerkes Linz. 1. Heft: „Das Abendland in Vergangenheit und Zukunft“ von DDr. Karl E d e r. 2. Heft: „Die Kirche in der Sicht der Enzyklika ,Mystici Corporis“' von Dr. Engelbert S c h w arzbauer. 3. Heft: „Martin Luther und der Christ von heute“ von Josef Knopp.