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Epos des jüdischen Schicksals

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Wenn nur der Sperber nicht kommt. Roman. Von Maria Mathi. Verlag C. Bertelsmann,Gütersloh. 303 Seiten. Preis 10.80 DM

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Wenn nur der Sperber nicht kommt. Roman. Von Maria Mathi. Verlag C. Bertelsmann,Gütersloh. 303 Seiten. Preis 10.80 DM

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Ueber Maria Mathis Roman „Wenn nur der Sperber nicht kommt“ hat ein bekannter Schweizer Kritiker geschrieben: „An diesem Buch ist Deutschland wieder heil geworden.“ Das klingt ein wenig pathetisch. Aber es ist wahrhaft tröstlich, wie die Autorin das Schicksal der Juden vor 1945, das so viele Menschen ins Dunkel des Unbewußten verdrängen oder gar gegen andere Schuld aufzurechnen versuchen, in einer reinen Dichtung gestaltet, ohne Haß 'und Anklage, doch so, daß das Geschehen selbst zu einer stillen, ergreifenden Klage wird.

Maria Mathi erzählt die Geschichte der jüdischen Gemeinde ihrer kleinen hessischen Heimatstadt Hadamar, von der Jahrhundertwende an bis zum bitteren Ende, und dieses Schicksal steht stellvertretend für das der deutschen Juden schlechthin. Da sind die friedvollen Jahre vor dem ersten Weltkrieg, mit ihrem Alltag und ihren Festen, die selbstverständliche Verflechtung des Lebens der Juden mit dem ihrer christlichen Mitbürger, die nur selten, und dann vom Persönlichen her, nicht vom Ideologischen, durch schwerwiegende Antipathien gestört ist. Aber schon im ersten großen Krieg deuten sich die heraufziehenden Verhängnisse an. „Wieder hat ein Jude das Eiserne Kreuz bar bezahlt“, denkt der jüdische Arzt Michael beim Tod seines Freundes Mosche Honi. „Als ihm selbst das Kreuz verliehen worden war, mußte er durch die angelehnte Tür den Stabsarzt zum Hauptmann sagen hören: „Wollen Sie's ihm nicht lieber in bar ausbezahlen?' “ Ein bitteres Vorspiel für all die Stationen des Leidens der Juden im Dritten Reich, die in bewegenden Schicksalsbildern aufgedeckt werden und die in dem Rahmen der kleinen Stadt, wo einer den anderen kennt, wo einst die Lebensfäden so eng miteinander verknüpft waren, besonders kraß und grausam wirken. Nun werden die früheren Bindungen gewaltsam zerrissen. „Hinter den verriegelten Haustüren zitterten die Christen, kämpften mit ihrer Angst, kämpften mit einem Entschluß, weinten, beteten. Das Gebet aller Gebete wäre die Tat gewesen; wer aber konnte sie verlangen im Jahre 1938, wenn Petrus sie im -Jahre 33 nicht .zu vollbringen vermochte!“

Doch es gibt auch Taten der Liebe und Hilfe gegenüber den leidenden Juden, die uns heute trösten dürfen. Da ist das Dienstmädchen der Famiii Blum, Kattche, das die vereinsamten Alten der jüdischen Gemeinde heimlich betreut bis zu ihrem letzten Weg.

Es gibt unvergeßliche Gestalten in diesem Buch: den hellsichtigen Spengler Mosche Honi, der in prophetischen Bildern das Verhängnis über sein Volk heraufziehen sieht; seine sanfte Tochter Elisa; den zerquälten, geschundenen Dulder Markus Blum; Siegfried Güldenstein, den einzigen Ueberlebenden der Juden von Hadamar, von dem es heißt: „Der muß leben, der muß alles Erlebte durch sein Leben schleifen; dazu ist er ausersehen um unserer Schuld willen.“ Und dann diese jüdischen Kinder — beladen mit der Last der fünftausendjährigen Vergangenheit ihres Volkes und schon im Schatten der düsteren Zukunft, eines unausweichlichen frühen Todes! Immer spielt sie hinein, diese lange, schwere Vergangenheit des Volkes Israel und die noch leidvollere Zukunft — das gibt dem Buch sein besonderes und einmaliges Gesicht, das macht es zum gültigen Epos des jüdischen Schicksals.

Giorgio La Pira. Der seltsame Bürgermeister von Florenz. Von Marcel Jacob. Verlag Alsatia, Colmar. 100 Seiten. Preis 4.30 DM.

Der Verfasser des vorliegenden Bändchens hat als Journalist an einem der von Professor La Pira seit 1952 alljährlich veranstalteten Kongresse über'„Die christliche Zivilisation und der Friede“ teilgenommen. Er versucht in knapp hundert Seiten einige biographische Daten über Giorgio La Pira zu bringen, außerdem möchte er auf Thema und Ziele der erwähnten Kongresse eingehen, und letztlich widmet er aber auch einige Seiten dem Erzbischof von Bologna, Kardinal Lercaro, dessen Initiative in der Arbeiterseelsorge schon öfter von der Presse erwähnt wurde. Wenn soviel Stoff auf so engem Raum zusammengedrängt werden soll, kann das Resultat unvermeidlicherweise nur ein sehr sche-matischer Ueberblick sein. Die weitreichenden staats-und privatrechtlichen Probleme, welche durch die Aktionen La Piras (selbst Ordinarius für römisches Recht an der Universität Florenz) aufgeführt wurden, konnte der Autor kaum streifen. Seit der Drucklegung dieses Bändchens hat Prof. La Pira durch seine Requirierungen Florentiner Villen und leerstehender Gebäude der staatlichen Verwaltung sowie durch seine Forderung nach einer progressiven Verstaatlichung der italienischen Industrie der Presse des In- und Auslandes genügend Stoff für Kommentare und Polemiken geliefert. Es wird noch geraume Zeit vergehen, bis eine ruhige und erschöpfende Würdigung seiner Person möglich sein wird. Eines sollten jedoch auch seine zahlreichen Gegner zugeben: Giorgio La Pira bemüht sich mit ehrlichem Willen, zwischen den beiden einander unversöhnlich gegenüberstehenden Lagern der „Armen“ und der „Reichen“ einen Ausgleich zu schaffen. Gelingt dieser Ausgleich nicht, so wird Italien einer Katastrophe zusteuern.

Die Autobiographie des Freiherrn vom Stein. Von

Kurt von Räumer. In Verbindung mit dem Böhlau-Verlag, Münster-Köln; Münster, Aschendorff.

5 2 Seiten. Eine Abbildung und drei Faksimile. Preis 3.50 DM.

Reichsfreiherr Karl vom Stein (1757 bis 1831), nicht nur als ehemaliger preußischer Minister, sondern als einer der großen Staatsbaumeister aller Zeiten bekannt, hat eine Beschreibung des eigenen Lebens hinterlassen, die in ihrer prägnanten Sachlichkeit und Kürze fast wie ein „curriculum vitae“ anmutet und in der vorliegenden Form nicht nur eine vorbildliche textkritische Arbeit, sondern viel mehr noch eine erbauliche und, trotz ihrer manchmal geradezu brüsken Unverblümtheit, schon ihrer Diktion und ihres Stils wegen, sehr ansprechende Lektüre genannt werden kann. Gewiß ist nicht alles darin österreichisch empfunden und es paßt auch nicht immer in unsere Zeit. Trotzdem bleibt dieses kleine Dokument ein Kabinettstück der klassischen staatswissenschaftlichen Literatur, welches auch unserem Jahrhundert ins Gewissen geschrieben sein könnte.

Adalbert Stifter. Von Urban R o e d 1. Deutscher Kunstverlag, München. 120 Seiten, 81 Tafeln, 18 Abbildungen im Text, 3 Schriftproben. Preis 11.60 DM.

In einer Zeit der Aeußerlichkeit haben Bildbände nicht bloß ihr sicheres Publikum, sondern eine deswegen gesteigerte Verantwortung und Aufgabe. Der Verlag, bekannt durch seine Reihe „Lebenswege in Bildern“, sieht offensichtlich eine Verpflichtung darin, durch die Darstellung der Umwelt eines Künstlers hinzuleiten auf das Werk. Deswegen möchten wir dem Text von Roedl (Pseudonym für Bruno Adler), der jetzt in London lebt und als Stifter-Biograph bekannt ist (1936), auch nicht alles das anmerken, was einer auf das Wort allein gestellten wissenschaftlichen Darstellung anzumerken wäre. Nur das allgemeine: daß eben Roedl — wie vor 20 Jahren — auch heute Widerspruch findet, daß es natürlich nicht an den Tatsachen liegt, als an dem Licht, unter welchem diese Tatsachen gesehen werden. Und dies kann unter Umständen zu Mißdeutungen oder Mißverständnissen führen. Hofmannsthal schrieb einmal im Zusammenhang mit Stifters Werken, daß diese „aus ganz überpersönlichen Notwendigkeiten“ entstanden. Es gibt ein Ueber- und Außerpersönliches, das aus dem Unterpersönlichen nicht erklärt werden kann.

Ganz vortrefflich, ein Fest für die Augen, ist der Bilderteil! Gut, daß man dabei auch auf Lichtbilder von Kirchschlag und von der Moldaugegend Wert legte. Die Lichtbilder sind eine seltsam klare, unbestechliche und überzeitliche Dokumentation. Auf der letzten Seite des Textteiles wird, etwas versteckt, vom Verfasser die Tatsache erwähnt, daß (dem verdienten Stifter-Forscher, den Lesern unserer Wochenschrift bekannten) Otto I u n g m a i r und dem Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich mit seinem Leiter Dr. Schiffkorn besonderes Verdienst an der Beschaffung des Bildmaterials zukommt. Wir erwähnen diese Tatsache angesichts der bekannten österreichischen Bescheidenheit und weil es indirekt eine Bestätigung für die Wichtigkeit des einzigen österreichischen Literaturinstituts bedeutet, wenn auswärtige Forscher sich seiner bedienen.

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