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Junge österreichische Autoren

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Ilse Aichingers Erstlingswerk, die Schicksale einiger von den Nürnberger Rassengesetzen aus der Gesellschaft ausgestoßener und unerbittlich verfolgter Kinder mit Leidenschaft, Liebe und Eifer — doch ohne Haß — als eine Apologie der Uberwindung des Schicksals durch seine persönliche Anerkennung darstellend, ist ein ungemeines, ein in seiner Weise großartiges Buch. Seine leidenschaftlichen, expressiven und bisweilen auch hektischen Teile, die ganz und gar aus dem Erlebnis kommen, werden in fast regelmäßigen Abständen von Passagen unterbrochen, in denen ein breites und tiefes Pathos sich langsam zu erstaunlichen Bekenntnissen, Vergleichen und Parabeln aufschwingt. Das ist sehr charakteristisch für dieses Buch: et atmet Gedanken ein und Erlebnisse aus. Den sicheren Wechsel zwischen beiden zu verfolgen, bereitet dem sorgfältigen Leser ein Vergnügen, die der schmerzlichen Anteilnahme an Ereignissen und Figuren nichts von ihrer Schärfe nimmt. Daß die Unruhe des Stils sich über einer — vielleicht gedachten, vielleicht auch instinktiv erspürten — Ordnung der Dinge bewegt, ist nicht nur in seinem Inhalt und seinen Gedankengängen, sondern auch in seiner Form zu erkennen.

Mit Surrealismus hat der Stil dieser jungen Autorin wenig zu tun: man müßte denn den Drang, die Wirklichkeit gleichzeitig oder nebeneinander von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu sehen, fälschlich so bezeichnen. Der Surrealist verklausuliert die Realität, er mystifiziert. Aber diese Dichterin — sie ist wirklich eine — will die Realität ganz im Gegenteil entmystifizieren, sie läuft ihr nicht davon, sondern entgegen. Sie beschreibt die komplizierten Verknotungen von zwangsmäßigen Abläufen und freiem Willen, aber ergötzt sich daran nicht in ästhetischem Schauder, sondern versucht sie ehrlich aufzuknüpfen.

Daran liegt es, daß das Buch, wiewohl in ihm die Blickpunkte, von denen aus die Autorin die Objekte ihrer Darstellung anschaut, .unaufhörlich wechseln und trotz seines sich daraus ergebenden Stilpluralismus durchaus klar und eindeutig ist. Auch der mit den Arbeitsmethoden moderner Artistik nicht Vertraute wird es — von wenigen Seiten abgesehen, die freilich hieroglyphisch bleiben — ganz und gar „verständlich“ finden.

Die größere Hoffnung“ ist eines der wenigen bis jetzt erschienenen Werke, aus denen die junge Generation spricht über deren Gedanken und Verhalten gibt es so viele Aufschlüsse, als man nur wünschen kann; Das ist ein, aber glücklicherweise weder da einzige noch das wichtigste Lobeswort, das diesem Roman, angemessen ist.

Dr. Jörg Ma.ut.he

Der Tanz der sieben Teufel. Roman von Fritz Habeck. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien. 594 Seiten.

Der Tanz der Teufel ist das Spiel der Politik, seine sieben Akteure sind Habsucht, Neid, Wut. Ehrgeiz, Machtgier, Besserwissen und Idealismus; das Spiel selbst, für die Großen dieser Erde munterer Zeitvertreib, ist seit je die Geißel des Menschengeschlechts,

Dem jungen österreichischen. Romancier Fritz Habeck gelingt es, dieses Perpetuum mobile der Geschichte in seiner dämonischen Konstruktion und tragischen Auswirkung an der bewegten Zeit des englisch-französischen Erbfolgekrieges um die Mitte des 14. Jahrhunderts und der blutigen Jacquerie eindringlich zu exemplifizieren. .Der Tanz der sieben

Teufel“ ist kein historischer Roman im- herkömmlichen Sinne. Uberall wird die Bezogen-heit auf das Heute nahezu erschütternd transparent. Ein aktuelles Buch, man ist versucht, zu sagen: ein Zeitroman, insoferne Zeit als sich ständig wandelnde Erscheinungsform desselben Urphänomehs Mensch und menschliche Gemeinschaft zu deuten ist.

Mit diesem Buch hat ein junger Autor bewiesen, daß Aktualität durchaus nicht von der Thematik abhängen muß, und daß man eminent zeitnah schreiben kann, ohne aufdringlich zu wirken. Die Distanz zum eigenen Erlebnis, die dem zeitgenössischen Schrifttum von heute noch fehlt, ersetzt Habeck durch den gewagten, aber gelungenen Griff nach dem historischen Motiv. Er stellt uns aber nicht die meteorhaffe Laufbahn einer historischen Persönlichkeit vor, sondern moduliert in ganzer Breite, vom König bis zum Bettler, die zeitlos gültigen Kräfte in Staat und Gesellschaft, die sich in verhängnisvoller Wechselwirkung zu Revolution, Krieg und Cliquen-kampf entfalten. Die Menschheit von heute soll sich trotz Fortschritt, Technik und Wissenschaft in die Taten längst verblichener Generationen wiedererkennen.

Der Autor, der schon in seinem Erstlingswerk, dem Villon-Roman, .Der Scholar vom linken Galgen“, seine Begabung in der Bewältigung des historischen Sujets bewiesen hat, ist auch an dieses, sein zweites Romanwerk mit viel Umsicht herangetreten. Sachkenntnis, ins Detail gehende Vertrautheit mit der Materie, kennzeichnen es. Habeck vermag durch schonungslose Realistik aufzuwühlen und durch feinpointierte Betrachtungen zu ergötzen. Milieumäßige Buntheit und eine persönliche Darstellung in einer kräftig präzisen Sprache machen dieses Buch zu einem eindrucksvollen Erlebnis. Hans M. Loew

Lob aus dem Abgrund. Gedichte. Von Franz Fischer. Literaria-Verlag, Wien. 102 Seiten.

Das evangelische Kirchenlied in Österreich und in der Gegenwart ist ohne Franz Fischer nicht zu denken. Das beweisen die Gesangbücher. Auch seine sonstigen geistlichen Gedichte, von der Männerarbeit der evangelischen Kirche in Form von Flugschriften (Trost und Trutz“, .Choral des Glaubens“) herausgegeben, haben in den Kreisen, denen sie zugedacht sind, weite Verbreitung gefunden. Es leuchtete ein, daß Gebrauchslyrik solcher Art vor allem Funktionswert hat, zumal sie konservativ vorgehen und sich an traditionelle Ausdrucksfoimen halten muß. Und doch täten die hyperästhetischen Verächter solcher Zweck- und .Traktat'-Lyrik gut daran, sich einmal ernstlich mit den Werkeiii der Besten dieser Gattung auseinanderzusetzen. Es seien — nur für den österreichischen Raum und allein für das Barockzeitalter — drei erlauchte Namen genannt: Nikolaus Hermann, Christian Keimann, Siegmund Betulius von Birken. Aber nun bricht mit dem vorliegenden Buch Franz Fischer sozusagen aus dem .Ghetto“ aus und legt uns allen religiöse Lyrik allgemeineren Gehalts und spontaneren Charakters vor: geistliche Tagesund Jahreszeitenlyrik, Lyrik der Empfindung und Betrachtung zwar religiöser, aber überkonfessioneller Art, Gedichte, die den Menschen an sich angehen, sein Woher und Wohin betreffen. Er darf nunmehr die Beachtung der gesamten kulturell interessierten Öffentlichkeit und die rein künstlerische Würdigung beanspruchen; denn wenn seine geistlichen und weltlichen Lieder — vergleichsweise, gemessen an den einschlägigen Leistungen in Deutschland — auch nicht den Rang eines Rudolf Alexander Schröder erreichen, so doch den eines Gustav Schüler, und das ist ein beträchtlicher Rang, der sich sehen lassen kann und seine Ehre und Würde hat wie nur einer. Dr. Friedrich S a ch e r

Die Rosse des Urban Roithner. Roman. Von Imma Bodmershof. österreichische Ver-lägsanstalt, Innsbruck. 392 Seiten.

Imma Bodmershof Ist vor Jahren durch ihre Romane .Der zweite Sommer“ und .Die Stadt in Flandern“ bekannt geworden. Die Landsdiaft des niederösterreichischen Waldviertels, wo die Autorin schon seit langem ihren Wohnsitz hat, ist das ausgezeichnet geschilderte Milieu ihres neuen Romans. Es sind Schicksale von einfachen Menschen, die da erzählt werden. In Urban Roithner, einem Mann von vitaler Kraft, drängt ein dämonischer, ungestümer Wille zur ungehemmten Entfaltung. Sein Herz hängt an den Rossen, die ihm der Inbegriff eines stärkeren Lebens sind. So verläßt er den ihm vorgezeichneten Weg als Ochsenknecht eines Bauern, bricht aus der alten Ordnung aus, nimmt die Tochter seines Herrn gegen dessen Willen zur Frau, erwirbt einen Hof und wird Fuhrmann. Um sein eigener Herr sein zu können, arbeitet er mit fast übermenschlicher Kraft, alle Hindernisse niederbrechend. Seine leidenschaftliche Natur, der das Leben zu eng geworden ist, treibt ihn zu dunklen Geschäften mit Pferden. Er kommt mit dem Gesetz in Konflikt und wird vor Gericht gestellt. Er will schließlich mit ehrlicher, harter Fuhrmannsarbeit sein Dasein neu aufbauen, obwohl der Dämon in ihm nicht schweigt. Aber ein schwerer Schicksalsschlag wirft ihn aus der Bahn und bereitet seinen Untergang vor. — Die Darstellung von markanter persönlicher Eigenart bezeugt die starke Begabung der Autorin. Der Roman besitzt in hohem Maß das, was man Atmosphäre nennt. Die Schilderung der Menschen, der Landschaft und des bäuerlichen Lebens im Rhythmus des Jahres ist stimmungserfüllt und von ungewöhnlicher Plastik. Eine besondere Note des Werkes liegt darin, daß Gespräche fast nur in der indirekten Rede, stilistisch oft sehr eigenwillig, wiedergegeben werden, eine Erzähltechnik, die hier dem Charakter des Ganzen angemessen ist. Die epische Ausführlichkeit vermindert nicht die Spannung, die von der Gestalt des Urban Roithner ausgeht. Eine literarisch wertvolle Neuerscheinung, die das Interesse der Leser verdient.

Königslegende. Von Paula von P r e r a d ov i 6. österreichische Verlagsanstalt, Innsbruck 1950. 128 Seiten.

Dem Andenken ihres Vaters, Duüan Prera-dovic, widmet die Dichterin diese kroatische Elegie. So darf man diese Erzählung wohl nennen, die wie die „Dalmatinische Sonette“, wie .Pave und Pero“ hinabtaucht in die Geheimnisse der fernen, verlorenen Heimat.

Königslegende. Die Saga vom Schicksalsweg eines Stammeskönigs, der im 11. Jahrhundert an der damaligen Auseinandersetzung zwischen Ost und West, Rom und Byzanz, scheitert. Und aus einem Leben hoch-fliegender Pläne, def Hoffart und des Ubermuts, hinfindet zu redlicher Bescheidung, zur Umsinnung im Werkleben eines Inselfischers.

Diese Legende ist jedoch nur Gleichnis. Hinter ihr steht das Geheimnis der Heimat, der in Süße, Schwermut und dunkler Härte aus dem Meer steigenden Inseln und Felsgestade; eines Menschentums, dar unmittelbar, ganz ist, deshalb auch durch Unheil spürsicher den Weg zum Heil zu finden vermag. Eine besinnliche Gabe, die zur Besinnung ruft in der Wirrnis eines veräußerlichten Lebens.

Dr. Friedrich Heer

Badische Erzähler. Herausgegeben von Hanns Reich. L.-Bielefelds-Verlag KG, Freiburg i. Br., 279 Seiten.

Nicht nur durch das Bestreben, seine staatliche Selbständigkeit zu erhalten, sondern immer wieder durch die Hervorbringung einzelner Künstler und kulturelle Leistungen ruft sich uns das Badener Land mit seinen Hauptstädten Freiburg und Karlsruhe in Erinnerung. Wir wußten, daß es die Heimat großer volkstümlicher Erzähler der Vergangenheit war, daß J. P. Hebel diesem Raum entstammt, daß Viktor von Scheffel Karlsruher ist, das Heinrich Hansjakob und Emil Gött In Freiburg lebten und starben. Durch die vorliegende Sammlung, die der Freiburger Essayist und Musikschriftsteller Hanns Reich herausgegeben hat, erfahren wir, daß diese Erzählertradition keineswegs erloschen ist, sondern in einer Vielfalt von Temperamenten und Stilen weiterlebt: in der heiter-ironischen, einfachvolkstümlichen Art Anton Fendrichs, im lyrischen Erzählton Franz Schnellers, mit ein wenig historischer Patina auf der Prosa der Juliana von Stockhausen, im Sarkasmus Eberhard Meckels, in der bitter-realistischen Skizze Kurt Schneids (dem vielleicht konsequentesten Stück der Sammlung), schließlich in der künstlerischen Hochleistung, der packenden Schilderung der letzten Reise des Kurfürsten Maximilians von Reinhold Schneider und in der menschlich ergreifenden, kluggestalteten Erzählung von Hanns Reich, die den reichhaltigen Band beschließt.

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