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Im Kreise der Familie

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Zu den Büchern „So ist das Leben“ von Ellen Glasgow und „Seit Menschen gedenken“ von Rachel Field. Humboldt-Verlag, Wien

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Zu den Büchern „So ist das Leben“ von Ellen Glasgow und „Seit Menschen gedenken“ von Rachel Field. Humboldt-Verlag, Wien

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Der Titel des berühmten Buches von Mauriac „Le noeud de vipares“ ist symptomatisch und schlägt das Grundthema einer bestimmten Art von Familienromanen an, wie sie besonders in den dreißiger Jahren in der Literatur der westlichen Länder zu wuchern begannen. Es ist eine herbe, oft grausame Kritik, die an der Familie geübt wird: an dem Verhältnis der Ehegatten zueinander, der Kinder zu den Eltern, der Geschwister. Es ist schwierig zu entscheiden, inwie- weit die junge amerikanische Literatur der Zeit- mode huldigte oder ein brennendes eigenes Problem gestaltet, wenn man die Bücher etwa eines Faulknor oder Wolfe liest. Ein grausames Schicksal scheint die disparatesten, unversöhnlichsten Gegensätze in den Kreis der Familie gebannt zu haben, und nur in seltenen, begnadeten Stunden fällt es dem Ich-Befangenen wie Schuppen von den Augen, so daß sie sich als Liebende und Leidende erkennen und einander verzeihen können. — So auch in dem mit dem Pulitzer-Prei ausgezeichneten Roman Ellen Glasgows, der in einer Stadt Virginias spielt und dessen Handlung wenige Tage vor Kriegsausbruch 1939 endet. Im Mittelpunkt steht der Liebes- und Eheroman der beiden Schwestern Timberlake, in denen die denkbar größten Gegensätze de r weiblichen Natur verkörpert sind. Trotz einer gewissen Schwarzwedßzeich- nung entbehren die Gestalten der Schwestern, der tyrannischen Mutter und des selbstlos- resignierten Vaters nicht der Lebensechtheit. Und trotzdem müssen wir der Verallgemeinerung des Titels widersprechen, denn so, nur so ist das Leben nicht…

Im Unterschied zu der anspruchsvollen literarischen Form des Romans der Glasgow ist das Buch von Rachel Field einfacher, volkstümlicher, in der Art der Familienchronik geschrieben. Zwei Motive bestimmen die Handlung, deren Vereinigung nicht ganz geglückt ist: der Zusammenbruch einer alten Reederfamike, welcher durch den Fortschritt der Zeit und die Verdrängung der Segler durch das Dampfschiff verursacht wird, und die Geschichte Nats, der aus dem Kreise der Familie ausbricht und seinen Weg als Künstler, als Komponist macht. — Man braucht nicht den Maßstab der großen deutschen Erziehungs- und Bildungsromane anzulegen, um diesen zweiten Teil des Buches, die Geschichte des werdenden Künstlers, ziemlich naiv und kindlich zu finden. Immer wieder erstaunt und belustigt es uns, mit welcher Selbstverständlichkeit wirklicher Wert und der in Zahlen ausdruckbare Erfolg gleichgesetzt werden. „So ein Symphonie ist ein verdammt schwere Arbeit, ich strenge mich sehr an, aber ich werde es schon schaffen…“ — in diesem Stil etwa ist von Kunst und Künstlern die . Rede. Vielleicht ist dies eine gesunde und natürliche Art, von komplizierten Dingen zu sprechen, aber es klingt fremd in europäische Ohren. — Anzuerkennen bleibt die bedeutende epische Begabung dieser beiden amerikanischen Erzählerinnen, von denen die eine — Ellen Glasgow — durch ihren psychologischen Realismus und feine Ironie zu fesseln vermag, während die Stärke des Romans „Seit Menschen gedenken“ mehr in der epischen Breite, nicht zuletzt im typisch Amerikanischen eines Vortragsstiles liegt.

Elternschaft und Gattenschaft. Von Univ.- Prof. Dr. A. Mitterer. Verlag Herder, Wien. 160 Seiten.

Es ist ein Verdienst Mitterer , eine Lebeni- arbeit ganz einer historisch-kritischen Untersuchung der Schriften des heiligen Thomas ge- vfidmet Zu haben. Er hat damit zusammen mit ähnlichen Forschungen in Frankreich und anderen Ländern ein wesentliches Anliegen unserer heutigen Theologie getroffen. Die historische Schule hat nämlich klar erwiesen, daß kein Denker völlig losgelöst von seiner geschichtlichen Situation an seine Probleme herangeht; ja die meisten sind bereits in der Auswahl dieser Fragen weitgehend von ihrer Zeit beherrscht. Die große Auseinandersetzung des heiligen Thomas mit dem arabischen Aristote- lismus brachte begreiflicherweise eine bedeutende Annäherung des theologischen Denkens an aristotelische Geistesformen mit sich. Daß unter diesen die technomorphen eine besondere Rolle spielten, steht außer Zweifel. In diesem Zusammenhang ist die Frage von großer Bedeutung, ob das Werk des heiligen Thomas ein geschlossenes System darstellt, wie das etwa heute beim strengen Thomismus der Schule der Fall ist oder nicht. Diese Frage wird heute von einem Großteül der Theologen mit einem eindeutigen Nein beantwortet. Daher darf man mit gutem Recht der Ansicht Mitterers folgen, daß eine kritische Betrachtung des heiligen Thomas keineswegs dessen Gesamtwerk in Frage stellt, sondern daß dadurch zwar die Zeitgebundenheit seines Denkens, aber auch dessen absolute Werte zur Geltung gebracht werden. Daß Thomas technomorphe Denkformen de facto bei der Erklärung verschiedener Naturphänomene, auch bei solchen des organischen Lebens, zur Anwendung brachte, steht fest. Dagegen muß bestritten werden, daß er dies ul prinzipiellen Gründen tat. Es ist vielmehr anzunehmen, daß Thomas, wie dies gerade aus seinem reifsten Werk, den „Quaestiones dispu- tatae de veritate“, harvorgeht, vom analogen Charakter dieser Denkformen überzeugt war. Dadurch kann aber eine Kritik, wie sie Mitterer auf Gnund des Zeitbi.ldwaadels versucht, in keiner Weise die umfassenden Aspekte des großen Aquinaten aufheben oder auch nur abschwächen.

Nach solchen grundsätzlichen Überlegungen wird man den Ausführungen Mitterers, die nur eine Ergänzung zu seinem Werk „Die Zeugung der Organismen“ darstellen, ohne Bedenken zustimmen müssen. Er stellt mit Recht dem Begriff der Zeugelternschaft den der Stammelternschaft gegenüber, ebenso dem der Ziehelternschaft den der Treueltemsdiaft. Die Stammelternschaft bedeutet einfach Hervorbringor jenes Ovum oder jene Spermas zu sein, die vereint den Anfang eines neuen Menschen ergaben. Treuelternschaft dagegen bedeutet die Fähigkeit, männlichen oder weiblichen Keimzellen Entwicklungsbedingungen zu vermitteln und sie so zu betreuen. —— Die Konsequenzen dieser Definitionen ergeben bedeutende Klärungen des Naturrechte und wirken sich besonder auf moraltheologischem Gebiet in wesentlicher Hinsicht aus.

Im Banne der Sternenwelt. Von B. W e b e r. Rex-Verlag, Luzern 1949. 239 Seiten, 8 Bildtafeln und 1 Sternkarte.

In seiner Grundhaltung bildet das gefällig ausgestattete Buch ein Seitenstück zu dein weit- verbreiteten Werkchen von P. Lenz „Die Himmel rühmen …“. Die durchgängige Behandlung des Stoffe in Form lebhafter Wechselreden zwischen den au verschiedenen Lebenskreisen kommenden Mitgliedern einer fingierten Feriengesellschaft ist anschaulich und fesselnd. Leider erweist ich aber auch der als Hauptgewährtmann eingeführte „Gymmasialprafessor Reinert“ nicht als Astronom vom Fach, sondern nur als ein in der populären Literatur belesener Liebhaber der Sternkunde, dem ungewollt manche ernstliche Irrtümer und wissenschaftlich längst überholte Ansichten unterlaufen. Dies ist besonders bedauerlich bei der Behandlung kosmo- gonischer Fragen mit ihren bedeutsamen Folgerungen. Den Theologen „Dr. Wahrmund“ läßt der Verfasser seinen Standpunkt mehr leicht- faßlich als philosophisch treng, bar mit Wärm und Überzeugungskraft vertreten. Zumindest als Schönheitsfehler sind die Nachlässigkeit in der Schreibung vpn Eigennamen und verschiedene sachliche Flüchtigkeiten zu beanstanden. Dennoch darf man mit dem Leiter der Züricher Uraniasternwarte, Dr. P. Stoiker, der dem Buch ein Vorwort geschrieben hat, sagen: „Jedes Bemühen, unserem Volke die erhabene Schönheit der Sterne nähenzubringen, verdient tatkräftige Unterstützung“ — zumal wenn es hinführt zur Ehrfurcht vor dem Schöpfer all dieser Herrlichkeit.

Ferdinand Ebner, Das Wort ist der Weg. Aus den Tagebüchern. Thomas-Morus-Presse im Verlag Herder, Wien 1949.

Hildegard Jone verwaltet treu das geistig Erbe des Lehrerphilosophen Ferdinand Ebner. Nun bringt sie uns eine Auswahl aus seinen Tagebüchern. Ebner hat den Größten seiner Zeit genug getan und wir reihen ihn unter Namen wie Kierkegaard, Haecker und PasoaL Aus den Tagebüchern aber können wir Ebner neu verstehen und entdecken. Es ergreift uns zutiefst, wie aus Kriegsnot, Krankheit und Hunger der Lehrer von Goblitz zum „Bedenker des Wortes“ wurde, da unsere Tage aus gleicher Situation nach dem Worte Gottes rufen. „Das Wort ist der Weg“ — das gilt heute für eine ganze Generation. Ebner überwand den Individualismus des philosophischen Idealismus, bestellte das Arbeitsfeld der modernen Philosophie mit ihrem Grundthema der menschlichen Existenz. Diese sieht er im Verhältnis des Ich zum Dp und kündet damit Gott als letztes Du des Menschen an. Christlich venstanden ist un Ebners Existenzlehre ein Appell zur religiösen Innerlichkeit, zum lebendigen Gottverhältnis. Ebner Vermächtnis richtet sich an alle christlichen Konfessionen, Hier verkündet ein Johannes die Liebe.

Ritter der Gerechtigkeit. Roman von Stefan Andres. Soientia-Verlag, Zürich.

Der deutsche Dichter Stefan Andres, der seinen Rang als Erzähler in einer Reihe gehaltvoller Prosawerke erwiesen hat, verlegt di Handlung dieses Romans nach Neapel, in die letzten Jahre des vergangenen Krieges. Das Thema selbst aber ist zeitlich keineswegs gebunden, wenn es auch aus der bestimmten geschichtlichen Situation besonders sinnfällig henauswächst. Es geht hier nicht allein um di Gerechtigkeit, sondern um entscheidende Fragen der menschlichen Existenz überhaupt. Die Hauptfigur, der junge Fabio, ist ein Sucher nach Gerechtigkeit und Menschenwürde; er strebt inmitten einer zerfallenden und korrupten Gesellschaft nach Unbedingthek und erlebt, wie di anderen sich auf ganz gegensätzliche Weise mit den großen Problemen auseinandersetzen. So steht er zwischen seinem Vater, dem wendigen, kühlen Rechner, Vertreter eine innerlich hohlen Bürgertums, dem Zyniker Dino, der, alle rite- liehen Bindungen abwerfend, den Weg der Gewalt beschreitet und als Bandit endet, und dem fürstlichen Maltesenritten, der die Bewährungsprobe im Leid nicht besteht und erst am End seines Lebens die wahre Selbstüberwindung er- reicht. Sein Beispiel zeigt die Lösung im christlichen Sinne. — Dem Autor gelang hier ein Problemroman, bei dem das gedankliche Element sich mit realistischer Gestaltung glücklich verbindet und der schon durch einen sehr persönlichen Stil von seelischer Transparenz eine eindrucksvolle Leistung darstellt.

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