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Marxismus und Bauerntum

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Bloß ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt unter den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, wie sie sich, aus einer vielhundertjährigen Entwicklung heraus, in den Industriestaaten des Westens gebildet haben. Trotzdem beschäftigten sich unsere politischen Wissenschaften fast ausschließlich mit diesen besonderen Bedingungen, und kaum beiläufig mit der Tatsache, als Wäre sie nebensächlich, daß für den überwiegenden Teil der Menschheit noch immer bäuerliche Gesichtspunkte und Interessen richtunggebend sind. Daraus erklärt sich auch die vielfach so unrichtige Beurteilung der Kräfte, denen der Bolschewismus in Rußland, wie später in China, die Erringung der Macht zu verdanken hatte. Ueber diese wichtige Frage stellt hier Professor Mitrany, der dem Studium bäuerlicher Probleme, namentlich in Ost- und Südosteuropa, viele Jahre gewidmet hat, sehr interessante Betrachtungen an. Er zeigt an Hand eines reichlichen Quellenmaterials, daß die marxistischen Agrartheorien in jedem einzelnen Punkt durch die tatsächliche Entwicklung widerlegt worden sind, und daß der Bolschewismus nur dort zur Macht gelangen konnte, wo er es verstand, die großen Massen einer vorwiegend bäuerlichen Bevölkerung über seine dogmatischen Ziele Zu täuschen und mit falschen Vorspiegelungen zur revolutionären Aktion zu bringen. Die bolschewikischen Revolutionen in Rußland und China — die Errichtung der sogenannten Volksdemokratien gehört in ein anderes Kapitel, denn dort erfolgte der Umsturz unter dem Druck eines fremden, siegreichen Heeres — waren keineswegs proletarische, sondern Bauernrevolutionen; was freilich nicht verhindert hat, daß es der Bauernstand war, der den revolutionären Sieg mit seiner eigenen Vernichtung bezahlen mußte. Aber der Kampf, meint Mitrany, ist damit nicht zu Ende; die bäuerlichen Ueberlieferungen sind tief verwurzelt, und trotz ihrer Depossedierung und Liquidierung als Stand mag der Tag kommen, an dem sich die Bauern erheben, um mit Marx abzurechnen.

In manchem wird man dem Autor allerdings nicht folgen können; so zum Beispiel, wenn er bemerkt, daß der Sturz der Monarchien in Mitteleuropa die Bauern von einem „bedrückenden“ Regime befreit habe. Oder wenn er behauptet, der Aufstieg des Faschismus, wie er sich unklar ausdrückt, wäre verhindert worden, wenn ,die Arbeiter“ — er meint damit vielleicht einen nichtmarxistischen Sozialismus, aber auch das ist nicht klar — es zuwege gebracht hätten, „das unnatürliche Mißtrauen“ der Bauern zu überwinden und sie für eine gemeinsame Front zu gewinnen. In diesen und ähnlichen Meinungsäußerungen verraten sich die Vorurteile und die oft merkwürdig oberflächliche und einseitige Geschichtsauffassung, die, leider, mit dem Namen der London School of Economics verknüpft sind. Dessenungeachtet gibt das vorliegende Buch, dem eine umfangreiche Bibliographie und ein gut durchgearbeiteter Index angeschlossen sind, einen ausgezeichneten Einblick in einen der wichtigsten Ausschnitte der Zeitgeschichte.

Neuer Versuch einer alten, auf die Wahrheit der Tatsachen gegründeten Philosophie der Geschichte. Von Ernst von Lasaulx. Herausgegeben und eingeleitet von Eugen Thurnher. 180 Seiten. Verlag für Geschichte und Politik, Wien, 1952.

Die ursprüngliche Heimat des Geschlechtes der von Lasaulx war Luxemburg. Den früheren Familiennamen Van der Weyden hatte ein Vorfahre nach der Zeitmode ins Französische übersetzt — De la saule. Peter Ernst, am 16. März 1805 in Koblenz geboren, studierte in Bonn, später in München; lernte frühzeitig die führenden Köpfe seiner Zeit kennen: Cornelius, Ringseis, Döllinger, Görres, mit dem ihn verwandschaftliche Bande verknüpften, und Baader. Sendlings Vorlesungen über die Weltalter und die Philosophie der Offenbarung, GÖrres universalhistorischer Gesichtspunkt, Baaders spekulative Theologie und Soziologie formten das Weltverständnis des jungen Lasaulx', das er durch ausgedehnte Forschungsreisen in Griechenland, Konstantinopel, Heiliges Land usw. vertiefte, mit bleibender Gültigkeit. 1835 doktoriert er an der Universität in Kiel und kam sodann als Professor für klassische Philologie und Aesthetik nach Würzburg, wo er, kaum 35jährig, 1840/41 zum Rektor gewählt wurde; 1844 wurde er nach München berufen, wo er eine erfolgreiche akademische und publizistische Tätigkeit entfaltete. Von allen seinen Werken nennt er das obgenannte, 1856 erschienene „unter den Kindern meiner Gedanken das wohlgeratenste“, in dem er geschichtsphilo-sophische Ideen aussprach, die nach dessen Tod m 9. Mai 1861 der helle Basler Denker Jakob Burckhardt in seinen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ am häufigsten zitierte. Trotz der Fülle der Uebereinstimmungen ist die letzte heimlich trennende Wand zwischen Lasaulx und Burckhardt der Glaube an den Menschen als den Träger der Geschichte. Mit Oswald Spengler (Untergang des Abendlandes, L, Seite 3) sind die Uebereinstimmungen hoch zahlreicher als zwischen Lasaulx und Burckhardt. „Daß nach den Gesetzen der Analogie im Leben der Völker des Altertums, aus dem Bisherigen auf das Zukünftige ein wahrscheinlicher Schluß gezogen werden könne“, klingt wie ein Programm bei Spengler, dessen Methode Lasaulx bereits vorweggenommen. In Arnold J. Toynbees „Study of history“ begegnen wir einer ähnlichen Auflockerung des historischen Analogiebegriffes. Erscheint bei Lasaulx die Geschichte als Parallelismus zwischen dem Rufe Gottes und der Antwort des Menschen, so erkennt Toynbee im historischen Prozeß das Widerspiel zwischen der Herausforderung übergeschichtlicher Mächte und der Antwort des schaffenden geschichtlichen Menschen. Das Ideal der Humanität wachzuhalten und zu vertiefen, erscheint Lasaulx als die weltgeschichtliche Bestimmung der europäischen Völker. Das große Werk Lasaulx' aus dunkler Vergessenheit wiederum ans Licht gebracht zu haben, kann nicht genug gewürdigt werden.

Weltgeschichte des Rechtes. Eine Einführung in die Probleme und Erscheinungsformen des Rechtes von William S e a g 1 e. Aus dem Amerikanischen übertragen von H. Thiele-Fredersdorf. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München und Berlin, 1951. 577 Seiten.

„The Quest for Law“, wie der Titel der 1941 erschienenen amerikanischen Originalausgabe lautet, soll nach dem Willen seines Verfassers Studenten und Nichtjuristen in die Rechtswissenschaft einführen. Tatsächlich ist das Buch viel mehr, nämlich ein Versuch, das Recht mit der Geschichte der menschlichen Zivilisation in Beziehung zu bringen und die Frage nach seinem Wesen zu beantworten. Seagle bringt dem Nichtjuristen diese meist schwer verständlichen Probleme nahe, gibt dem Fachmann eine Fülle von neuen Anregungen und lenkt den Blick des Praktikers vom Alltagsgetriebe aitf die Grundlagen seines Berufes. Darüber hinaus wird der Jurist des kontinentalen Rechtssystems in das anglo-amerikanische Rechtsdenken eingeführt und lernt das anglo-amerikanische Billigkeitsrecht aus seiner Entwicklung und andere uns fremde Rechtsformen verstehen. Das verarbeitete rechtshistorische und rechtsvergleichende Material ist imponierend. Die Uebersetzung ist flüssig, in der Terminologie entspricht sie dem deutschen Recht (zum Beispiel Beitreibung für Exekution, S. 70). Kein Jurist sollte sich die Lektüre dieses lebendig geschriebenen Werkes entgehen lassen.

Die Matrikel der Universität Innsbruck. Von Franz Tluter. I. Bd. Matricula philosophica. 1. Teil. 1671 bis 1700. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck, 1952.

An sich schon, aus allgemein historischen wie besonders aus sözialgeschichtlichen Gründen, ist die Herausgabe der Matrikel der Irinsrucker Leopold-Franzens-Universität, die aus Anlaß ihres 275jährigen Bestandes in Angriff genommen wurde, ein außerordentlich begrüßenswertes Unternehmen. Aber der Wert dieser Festgabe erhöht sich noch um ein Beträchtliches durch die gründlich gearbeitete Einleitung, die Franz Huter dem zunächst erschienenen, die ersten 30 Jahre umfassenden Band vorangestellt hat. Er setzt sich hier nicht nur mit der Quelle als solcher auseinander und berichtet über die bei der Edition befolgten Grundsätze, darüber hinaus werden hier die Anfänge der philosophischen Fakultät, ihr Aufbau und Studienbetrieb dargestellt, werden die Lehrer und die Träger der akademischen Ehrenämter vorgeführt und schließlich die Hörer nach Zahl, standesmäßiger und Örtlicher Herkunft aufgegliedert. Das ergibt ein recht aufschlußreiches Bild der äußeren und inneren Struktur der Innsbrucker philosophischen Fakultät, das noch farbiger werden wird, wenn es, wie das Vorwort, verspricht, durch die erreichbaren personengeschichtlichen Daten über das spätere Berufsleben der Studierenden noch ergänzt wird, damit wird dann auch die Bedeutung“ und Geltung der Innsbrucker Hochschule und die Reichweite ihrer Wirkung voll erkennbar werden.

Wie bist du, Mensch? Ein Buch über normales und krankes Seelenleben, Sexualität, Liebe, Ehe und Menschenkenntnis. Von Robert und Elisabeth Bergmann. Andreas-Verlag, Hällein, 1953. 836 Seiten mit 1 Farbtafel, 215 Abbildungen und 136 Schriftproben.

Wenn man den Schutzumschlag sieht mit dem Bilde einer nackten Frau und dem Kopfe eines Mannes, möchte man von vornherein dem Buche keinen Wert zutrauen, nicht einmal den als populärwissenschaftliches Werk. Damit würde man ihm unrecht tun. Für den Schutzumschlag zeichnet verantwortlich ein Atelier „Die Drei“ in Salzburg. Gegen die Geschmacklosigkeit derartiger Schutzumschläge müßte einmal ernstlich vorgegangen werden. — Im übrigen ist die Ausstattung durch den Verlag geradezu hervorragend. Inhaltlich ist das Werk eines von populärwissenschaftlichem Charakter: und gerade auf deirrfGebiet der Medizin und der Psychologie ist in dieser Hinsicht i'e$ Guten schon mehr als zuviel geschehen. Aber als populärwissenschaftliches Werk hat es immerhin ein anerkennenswertes Niveau. Der Verfasser be-handelt in den Hauptabschnitten zunächst das Menschenbild der modernen Psychologie, im zweiten Abschnitt das normale, im dritten Abschnitt das gestörte Geschlechtsleben: hierbei fällt auf, daß er Fehlgeburt und Fruchtabtreibung sowie Mittel der Schwangerschaftsverhütung unter dem Titel „Das normale Geschlechtsleben“ abhandelt. Gegen die Art und Weise, wie er dies tut, ist im allge-meinen nichts Wesentliches einzuwenden; sein Standpunkt ist im großen ganzen korrekt. Er bemüht sich sogar redlich, den Forderungen der katholischen Moraltheologie Rechnung zu tragen, was besonders anerkannt sei. Der letzte Abschnitt etile Qltjterichtiniincjen. zu beziehen durch die Buchhandlang „H E R O L D“, Wien VIII, Strozzlgasse 8 handelt von Charakter und Charakterdeutung; hierin erörtert er die Körperbautypen, Ausdruckslehre, Gang, Schrift sowie die wichtigsten Testmethoden der Psychologie (Rorschach, Szondi, Wartegg, Koch).

Das Werk leidet an dem Mangel, der jeder noch so gediegenen populärwissenschaftlichen Darstellung notwendig anhaftet: Für den Fachmann enthält es zu wenig, für den Laien zu viel. So wird es — trotz bester Absicht des Verfassers — unvermeidlich dazu beitragen, eine unerwünschte Art populären Halbwissens noch mehr zu verbreiten. Trotz dieser allgemeinen Bedenken aber möchten wir innerhalb der populärwissenschaftlichen Lite-ratur diesem Werke möglichst weite Verbreitung wünschen; nur sei zugleich der Wunsch nach einem seriöser wirkenden Schutzumschlag nochmals ausgesprochen!

DM Seelenreise. Wiedergeburt, Seelenwanderung oder Aufstieg durch die Sphären. Von Alfons Rosenberg. Verlag Otto Walter, Ölten, 1952.

238 Seiten.

Man glaubt eine sensationelle Lektüre zur Hand zu nehmen, wenn man dieses Buch ergreift. Beginnt man sich mit ihm zu beschäftigen, so sieht man bald, daß es wenig Sensation, sondern eine rein wissenschaftliche Darlegung bietet. Man erkennt aber auch, daß dieses Buch ein äußerst aktuelles Buch ist. In einer Zeit, die sich mit Vorliebe in- und außerhalb der Kirche mit mystischen Fragen beschäftigt, in der die Pseudoreligionen der Theosophie und Anthroposophie immer mehr Anhänger gewinnen, sucht man nach klarer Orientierung. Rosenberg legt nun weder ein theoso-phisches System dar noch widerlegt er ein solches. Er leistet vielmehr eine Vorarbeit dazu, indem er einen wissenschaftlich gründlichen und gut belegten, gleichzeitig knappen Durchblick durch die Auffassungen über das Jenseits in den verschiedenen Religionen und Philosophien einschließlich der Theosophie und Anthroposophie gibt. Mit voller Klarheit grenzt er dagegen die christliche Auffassung vom Jenseits ab. Im zweiten Teil gibt Rosenberg einen UeberMick über die Vorstellungen des Seelenaufstieges wie sie in den Visionen katholischer und nichtkatholischer Visionäre geschildert werden, wobei wiederum zwischen dem rein subjektiven Element der Vor-

Stellung und dem objektiven Inhalt säuberlich geschieden wird. Das Buch will in seiner ruhigen Wissenschaftlichkeit der Klärung des christlichen Glaubens dienen. Es verdient unsere volle Beachtung. Wer es aufmerksam liest, wird erkennen, wie erhaben die christliche Auffassung vom Jenseits und von der Seelenreinigung ist. Da der Trennungsstrich zwischen christlichem und heidnischem Jenseitsglauben und ebenfalls zwischen dem Inhalt der Visionen und dem Inhalt der biblischen Begriffe klar gezogen wird, leistet dieses Buch allen jenen, die sich mit den Fragen .der Parapsychologie und der Theosophie zu befassen haben, gute Dienste. Darüber hinaus kann es aber auch vielen Suchenden Klarheit im Chaos der Auffassungen bringen.

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