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Endstation: „Heimatlose Linke“?

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Geheimnis und Gewalt. Ein Bericht. Von Georg K. Glaser. Scherz und Goverts-Verlag, Stuttgart 1953, 549 Seiten. Preis 15.80 DM.

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Geheimnis und Gewalt. Ein Bericht. Von Georg K. Glaser. Scherz und Goverts-Verlag, Stuttgart 1953, 549 Seiten. Preis 15.80 DM.

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Eine Art „linker“ Fragebogen! Allein keine schlecht getarnte Selbstrechtfertigung ä la Salo-mon. Georg Glasers literarische Lebensbeichte ist offen, sehr offen sogar. Er versucht wenig zu entschuldigen, er erzählt einfach. Böse Geschichten einer bösen Zeit.

Am Anfang steht die Flucht aus dem Vaterhaus, der Abscheu vor einem rabiaten Familientyrannen. Jahren der Vagabondage folgt der Marsch in den Kolonnen der Kommune, die gemeinsam mit ihren braunen Konkurrenten die schüchtern keimenden Hoffnungen der Republik von Weimar zertrampeln. Politische Aktionen, Totschlag, Flucht und immer wieder Flucht. Schließlich der Weltkrieg unter den Fahnen Frankreichs und der halsbrecherische Balanceakt eines Lebens als französischer Kriegsgefangener in der eigenen Vaterstadt. Letzter Ausweg: U-Boot durch siebenundfünfzig Wochen im Keller einer ehemaligen Genossin . . .

Das sind die äußeren Stationen eines wilden Lebens. Nicht weniger dramatisch sind die Etappen des inneren Weges. Am eindrucksvollsten vielleicht in dem übrigens rasant geschriebenen Buch, ist das von Glaser nachgezeichnete Seelengemälde einer Generation, die so um 1930 — es ist gar noch nicht so lange her — von links und rechts und auch aus der Mitte, gegen die Welt der Väter anrannte. Vorbei die Zeit. Auch für den ehemaligen Kommunisten, der nicht in einem

Atemzug von der „Internationale“ zur „Stalin-Kantate“ hinüberwechseln konnte. Der Kampfruf der französischen „Genossen“ „Tuez les boches“ („Erschlagt die Deutschen!“) an Stelle des „Proletarier aller Länder. ..“ zerstört viel, die Begegnung mit den Russen in der Kriegsgefangenschaft gibt dem alten Glauben den Rest. Zurück bleibt ein halb trotziger, halb romantischer Anarchismus.

Wir können nur bedauern, daß Glaser, der, wie er sich ausdrückt, starker „Versuchung“, sich der Kirche zu nähern, ausgesetzt war, dieser nicht erlegen ist, sondern sich mit der Position eines „heimatlosen Linken“ begnügt. Dennoch glauben wir festhalten zu können, daß der Autor, der viele Wirren und Verirrungen hinter sich hat, ein Mensch ist, „der sich gibt und versagt, niemals aber für etwas hergibt“. Und Georges Bernanos, von dem diese Worte stammen, fügt in seiner Verteidigung dieser heute nicht gerade zahlreichen Zeitgenossen hinzu: „Wir behaupten durchaus nicht, daß derartige Leute den vollendeten Typ des Menschentums darstellen. Wir wissen nur, daß, wenn ihre Art zu selten wird, alsbald der Geist der Legalität über den der Gerechtigkeit triumphieren wird, der Gehorsam zum Konformismus entartet und die Einrichtungen, die zum Schutz der Einzelwesen und der Familien gedacht waren, diese ihrem rasenden Wachstum opfern.“

Augustissima. Von Ann Tizia L e i t i c h. 1 malthea-Verlag, Wien. 510 Seiten. Preis 98 S.

Die Autorin, die sich schon vor langem durch ihre Studien auf dem Gebiet der lokalen Kulturgeschichte die Anerkennung eines weiten Leserkreises gesichert hat, zeigt sich auch in diesem umfang- und inhaltsreichen Buch über das Leben und Wirken der Kaiserin Maria Theresia als eine gute Darstellerin historischer Themen. Der Form nach ist ihr jüngstes Werk weder ein historischer Roman noch eine der heute so populären, mit allerhand phantastischen Ranken verzierten Biographien, sondern eine außerordentlich lebendige Geschichtserzählung; lebendig durch die Sprache, wie durch die Fülle romanhafter Szenen, in denen sich A. T. Leitichs Ehrfurcht vor den historischen Tatsachen mit Einfühlungsvermögen in die damalige Welt und das innere Leben der von ihr gezeichneten Gestalten aufs glücklichste verbindet. So hat es die Autorin, verstanden, ein Bild der großen Herrscherin und ihrer Epoche zu schaffen, welches nicht nur den Historiker befriedigt, sondern auch den, der sich sonst nicht gerne in historische Materien vertieft.

Es regt zu Betrachtungen über Fragen an, deren Aktualität im Hinblick auf die heutige Weltlage eine unbestreitbare ist. Wie anders hätte sich das Schicksal Oesterreichs und Europas gestaltet und wieviel wäre dem deutschen Volke erspart geblieben, wenn die Kaiserin ihre gesamte Kraft den Werken des Friedens hätte widmen können und der inneren Konsolidierung ihres weiten Reiches und nicht gezwungen gewesen wäre, sich in langen, opfervollen Kriegen der unersättlichen Raubgier eines Friedrichs von Preußen und seiner Verbündeten zu erwehren!

Besonderes Lob verdient die reichliche Ausstattung des Buches mit gut gewählten Bildtafeln und Textillustrationen. Nicht so trefflich war der Gedanke, an Stelle eines Vorworts eine Inhaltsübersicht einzuschalten, die nicht weniger als 83 Kapitelüberschriften aufweist, darunter manche, die darauf schließen lassen könnten, daß es sich da um die Ankündigung eines drittklassigen Films handle. Glücklicherweise erscheinen diese Ueber-schriften dann im Text nur mehr als wenig störende Zwischentitel. Kurt S t r a c h w i t z

Die Seherin. Erzählung. Von Erika Mitterer.. Marion-von-Schröder-Verlag, Hamburg 1953. 66 Seiten, Preis 4.80 DM.

Erika Mitterer, von der kürzlich auch das ausgezeichnete Prosawerk „Wasser des Lebens“ erschienen ist, empfing die Anregung zu der vorliegenden Erzählung von der griechischen Sage. Die Heldin ist Kassandra, die berühmte Seherin. In früher Jugend wurde sie zur Priesterin Apol-lons bestimmt, doch entzog sie sich der Einweihung durch die Flucht, da die Furcht, dem Gotte ganz anzugehören, ebenso groß war wie die Furcht, von ihm verstoßen zu werden. Sie zweifelt an ihrer Berufung, denn wohl hat sich eine ihrer Voraussagen, die des Falles Trojas, erfüllt, andere aber nicht. Nach der Einnahme Trojas nimmt der Sieger Agamemnon in dem Hause, wo Kassandra mit der Mutter und den Schwestern wohnt, Aufenthalt. Die Begegnung mit ihm scheint dem Leben Kassandras eine Wendung zu geben. Da sie sich von Apollon verstoßen wähnt, glaubt sie, ein Recht auf ihr menschliches Glück zu haben, und folgt dein geliebten Manne auf das Schiff, um mit ihm in seine Heimat zurückzukehren. Doch nun erfüllen sich auf einmal ihre Prophezeiungen und sie erkennt, daß sie tatsächlich zur Seherin berufen ist. — E. Mitterer hat diese Begebenheiten in knapper, verdichteter Form sehr eindrucksvoll in einer bildhaften Sprache, die kraftvoll, aber auch zart ist, dargestellt. Dramatische Spannung erfüllt die Erzählung, die gerade durch ihre sparsame Technik zu starker Wirkung gelangt.

Kleines Literaturlexikon. Herausgeber: Wolfgang Kayser. Francke-Verlag, Bern 1953. 608 Seiten. Preis 13.40 sfr.

Die erste Auflage dieses Handbuches aus der rühmlich bekannten Sammlung Dalp (dreiteilig) fand einiger Lücken wegen in der Abteilung „Deutsche Literatur“ Kritik. Nun sind die Reklamierten Kafka, Musil, Loerka, Zuckmayer, Weinheber u. a. zu finden; nicht folgte der Herausgeber bei Roth und Arnold Zweig. Hinsichtlich Oesterreich sind vielfach gute, zum Teil (beispielsweise im Sachwörterbuch, Artikel „Komische Person“) ausgezeichnete Würdigungen 2u finden. Auch seine mittelhochdeutsche Literatur ist entsprechend beachtet: Frau Ava, Heinrich von Melk — das wäre selbstverständlich; aber wir linden Peter Suchenwirth, Albert (ehedem „von Schefenberg“), Ulrich v. d. Türlin, den Kärntner. — Da und dort hätte der Umfang eines Autorenartikels (Lagerquist eine Seite) zugunsten der Autoren gekürzt werden, die wir Oesterreicher noch vermissen: voran Wildgans; dann Kralik, Meli, Henz, Grogger, Ginzkei, Peradovic. Ein eigen Ding ist auch das deutsche Schrifttum Böhmens. Da wäre Ulrich von Eschenbach, Türlins Schüler; der Codex Teplensis, um 1400, der dem ersten deutschen Bibeldruck zugrunde lag; Michael Weiße, erstes deutsches Liederbuch, Tungbunzlau 1531. Von den Neuern vermißt man Watzlik und Lentelt (Eichendorff-Preis). — Hinsichtlich Schaukais ist ein Versehen unterlaufen: nach dem Lexikon lebt er noch, indes verschied er 1942; bei seiner Bibliographie ein Druckfehler: die „Gedichte“ sind 1893, nicht 1833 erschienen. Tolstoi starb nicht im Bahnhofsgebäude voir Karag, sondern in Astapowo, Gouvernement Tambow.

Bibliographisch ist das Buch ausreichend versehen (nach jedem Artikel). Angehängt ist ein Register nach Literaturen samt Bibliographie. Wenn man bedenkt, daß viel umfangreiche Handbücher größere Unterlassungen aufweisen, darf wohl das vorliegende, für das wir nur obige Zusätze wünschten, als willkommener und unp teiischer Begleiter begrüßt werden.

Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Von Herbert Hunger. Verlag Brüder Hollinek, Wien. 372 Seiten. Preis 98 S.

Die abendländische Kunst bedient sich seit jeher in weitestem Umfang der Symbolkraft, die den Schöpfungen der mythenbildenden Phantasie der antiken Völker innewohnt. Deshalb und auch ans anderen Gründen entspricht eine zusammenfassend Darstellung des gesamten Materials einem wirklichen Bedürfnis. Eine solche, nach Stichworten (Eigennamen) geordnet, bietet H. Er gibt jedesmal einen knappen Ueberbück über den Inhalt der Sage, dann die nach den letzten Ergebnissen der Forschung als sicher oder wenigstens als wahrscheinlich anzusehende religions- rmd motivge-schichtliche Deutung; dann führt er die wichtigsten, durch die Sagengestalt angeregten künstlerischen Schöpfungen (Plastik und Malerei, Musik, Dichtung) an. Es folgt eine Angabe über die neueste wissenschaftliche Literatur und in Anmerkungen die antiken Fundstellen. Mit bewundernswerter Genauigkeit hat H. eine umfangreiche Literatur durchgearbeitet und ein Werk geschaffen, das dem interessierten Laien, dem es eine leichte Orientierung ermöglicht, ebenso dienen kann wie dem Fachmann (Philologen, Kunsthistoriker,-Religionswissenschaftler), dem es eine bequem zugängliche Uebersicht bietet.

Das Kapitalismusproblem in der modernen Soziologie. Von Univ.-Prof. Dr. Aug. M. KnolL Verlag Herold, Wien, 1953. 66 Seiten. Preis 12 S.

Während der letzten 20 Jahre stehen Ursprung, Entwicklung und gegenwärtige Form des neuzeitlichen Kapitalismus im Brennpunkt von Untersuchungen unterschiedlicher Art. Der Engländer R. H. Tawney (Die Religion und der Aufstieg des Kapitalismus, 1937 neu bearbeitet) setzt sich noch einmal mit Weber auseinander. In den USA versuchen Mayo und Röthlisberger mit Hilfe der Sozialpsychologie die Möglichkeit der Humanisierung des kapitalistischen Systems zu erkunden, und in großen Sammelwerken werden Daten über die Strukturen und das Wesen der bürokratischen Maschinerien zusammengetragen. In Frankreich wird dagegen die amerikanische Kapitalisnras-forschung Gegenstand der kritischen Auseinandersetzung (G. Friedmann).

In einer solchen Situation muß man sowohl dem Ordinarius für Soziologie an der Universität Wien, Prof. Knoll, als auch dem Verlag Herold dankbar sein für eine Broschüre, in welcher der Begriff des Kapitalismus untersucht wird. Als Frucht dieser Untersuchung fällt eine Typologie politischer Grundeinstellungen ab, denn an der Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus scheiden sich, Knoll zufolge, die Geister. Da sind die Neuromantiker katholisch-konservativer Prägung, die von den Denk- und Sozialformen der mittelalterlichen Kirche bestimmt sind (S. 20), neben den national-autoritären Richtungen, die „nach dem Vorbild feudaler Gutshöfe“ (S. 21) das Führer-Gefolgschaftsverhältnis, staatlich kontrolliert, wieder errichten wollen“, beide streben nach einer Restauration des Typs „Seigneur“. Eine zweite Gruppe, in der Kommunisten und Sozialdemokraten zusammengefaßt sind, arbeitet, antibürgerlich und antikapitalistisch orientiert, an der „Rechtfertigung des Typus proletaire“ (S. 21). — Von der dritten Gruppe, welche die kapitalistisch-bürgerliche Ordnung des 19. Jahrhunderts zu einem Herrschaftssystem des absoluten Bürgers (S. 25) weiterentwickeln will, wird gezeigt, wie sie entweder dem Soziologen Herbert Spencer und seinem ..Liberalismus“ verwandt ist oder Gedanken Comtes verwirklicht, der vorausblickend eine Soziologie bürgerlichen Managertums entworfen hat (S. 24). Durch diese Analyse Comtes, die Knoll hier vornimmt, fällt neues Licht auf die gegenwärtig betriebene Soziologie der Bürokratie: Comte entwarf als Ideal, was man heute eher negativ zu beurteilen geneigt ist.

Es steht zu hoffen, daß das interessante Büchlein Professor Knolls, welches eine von ihm und Prof. Müller-Armack (Köln) herausgegebene soziologische Schriftenreihe des Verlages Herold eröffnet, das gebührende Interesse findet. Die Zeit scheint dafür reif geworden zu sein.

Bewege dich, du wirst gesund. Von Eduard Prochaska. Verlag W. Maudrich, Wien. 60 Seiten. Mit 50 Abbildungen auf 14 Tafeln und 16 Zeichnungen im Text. Preis 25 S.

Das Büchlein enthält mehr als eine Anleitung zur Gymnastik: Es handelt vom richtigen Atmen und seiner Bedeutung für die Gesundheit, von der Reaktionsfähigkeit des menschlichen Organismus, den Reaktions- und Konstitutionstypen, von der Bedeutung der Hautfunktionen, von der richtigen Ernährung, von Wirkungen der Fehlernährung (Fettsucht) und zum Teil auch von der Hygiene des geistigen Lebens. Im ersten Abschnitt werden die physiologischen und psychologischen Grundlagen für richtige Körperpflege entwickelt.

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