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REVUE IM AUSLAND

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„Politeia" heißt die neue, vierteljährlich erscheinende, vom Internationalen Institut für Sozialwissenschaft und Politik an der Universität Freiburg in der Schweiz herausgegebene Zeitschrift, deren erstes Heft nun vorliegt. Die Zeitschrift, die ein internationales Forum sein will, für eine Diskussion zwischen den Menschen des Gedankens und denen der Tat über die Anwendung christlicher Prinzipien im öffentlichen Leben, veröffentlicht in jeder Nummer Beiträge in englischer, französischer, deutscher, italienischer und spanischer Sprache, wobei an jeden Artikel kurze Zusammenfassungen in jeder der vier anderen Sprachen angefügt werden. Außerdem ist beabsichtig, unter der Rubrik „Publicatio- nes“ die wichtigsten Bücher und Zeitschriftenartikel über wissenschaftliche Fragen aus der Politik, aus der Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaft in Gestalt einer „Bibliographie raisonnee“ aufzuführen, das heißt mit ganz kurzen Angaben über Hauptinhalt und Tendenz der betreffenden Publikation, „um aus der Überfülle des Gedruckten eine sorgfältige Auswahl dessen zu treffen, was für einen internationalen Leserkreis wirklich bedeutsam ist".

Die erste Nummer enthält unter anderem Beiträge von Hans N a w i a s k y, dem bekannten, aus Österreich stammenden deutschen Staatsrechtslehrer (jetzt St. .Gallen), „Bemerkungen über den Begriff ,F ö d e r a 1 i s m u s“‘, von Karl Thieme (Basel und Speyer) „Föderalismus und Subsidiaritätsprinzi p“, wobei die Anwendbarkeit des von der Kirche vertretenen Subsidiaritätsprinzips in allen Gegenwartsfragen dargestellt wird, vön Leon Van Vassenhove, dem Direktor der „Action Federaliste“ in Bern und dem bekannten Vorkämpfer des Gedankens einer europäischen Föderation, über „Probleme der politischen O r d- n u n g“, von Richard P a 11 e e, Professor an der „Catholic University of America“ (Washington), über „Europa-Amerika; ein Problem der Integration“ usw.

„Die entscheidenden Kriterien der Kontroverse zwischen K o n k u r r e n z w i r t s c h a f t und Planwirtschaft“ behandelt Francesco Vito (Mailand), der Direktor der „Rivista Internazionale delle scienze sociali". In der Kontroverse zwischen gelenkter und freier, kollektivistischer und liberaler Wirtschaft ist bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts nicht viel Fortschritt erzielt worden. Seit dem ersten Weltkrieg steht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Untersuchungen die Frage des Wirtschaftskalküls. Die verschiedensten Vorschläge wurden gemacht, um das rationelle Wirtschaften im kollektivistischen System zu gewährleisten. Der Autor meint, daß es weder der Theorie der Konkurrenzwirtschaft noch der Theorie der Planwirtschaft gelungen sei, die Vorzüge des einen oder anderen Systems für die Produktivität und die Bedarfsbefriedigung zu beweisen. Schließlich sei die Kontroverse zwischen Planwirtschaft und Konkurrenzwirtschaft überhaupt nicht auf der wirtschaftlichen Ebene zu entscheiden, wohl aber auf derjenigen der ethischen Werte.

„Tatsächlich hat sich in letzter Zeit die Auseinandersetzung auf das Gebiet der philosophisch-politischen Prinzipien, auf das der Verteidigung der grundlegenden Werte der Menschheit, verschoben. Diejenigen, die sich für die Konkurrenzwirtschaft einsetzen, bestehen nicht mehr so sehr auf dem hohen Er-

trag, der durch sie erzielt werden kann, als auf der Notwendigkeit, zu verhindern, daß der Kollektivismus den ,Weg in die Knechtschaft' eröffne, daß er durch Vermassung' den Verfall der kulturellen Werte her v o r r u f e, daß heißt sie vertreten ein erneuertes Programm politischer Freiheit. Diese Einstellung enthüllt die wahre Natur des Problems und enthüllt ebenso die Krise des modernen wissenschaftlichen Denkens, das bisher an der Neutralität der Sozialwissenschaften gegenüber den Werten festgehalten hatte.“

Die hier aufgestellte These wird illustriert durch den Artikel von Alain B a r- re re, Professor an der Universität Toulouse, über „Die Unterordnung der wirtschaftlichen Freiheit, unter die Ordnung der Person", der in Abgrenzung gegenüber Neoliberalismus und Marxismus zu dem Ergebnis kommt:

„Wenn die Bestimmung des Menschen es erforderlich macht, kann die wirtschaftliche Freiheit eingeschränkt werden. Das Kriterium, das die Staatsintervention abgrenzt, ist ethischer Natur: die Intervention ist jedesmal erlaubt, wenn sie die Entwicklung der Person fördert, sie ist untersagt, wenn das Gegenteil der Fall ist. Die Aufgabe besteht darin, diese Konzeption konkret zu formulieren, ein Unterfangen, das so lange ohne Erfolg bleiben wird, als man die Auffassung von der wert-neutralen Wirtschaft beibehält.“

Die englische Monatsschrift „S o u n- d i n g s", die unter dem Titel „D e r W e g nach Yalta“ die Erinnerungen des ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten M i k o 1 a j c z y k in Fortsetzungen bringt, veröffentlicht in ihrer Julinummer einen Artikel von R. Arnold Jones „Die Tragödie des Dr. Benesch". Verteidiger von Masaryk und Benesch behaupteten gegenüber den Argumenten über die Bedeutung und Nützlichkeit des alten Österreich vielfach, daß die tschechischen Politiker zunächst nur eine trialistische Lösung mit weitgehender tschechischer Autonomie im Rahmen der Habsburgermonarchie angestrebt hätten und daß «erst die Überzeugung von der Reformgegnerschaft der österreichischen Staatsführung sie zur radikalen Lösung einer Zerstörung der Monarchie geführt hätte. Diese Auffassung, in England vor allem von Mr. Wickham Steed vertreten, halte aber keinen Augenblick ernsthafter Überlegung stand. Denn im Jahre 1910, als Masaryk angeblich plötzlich die Hoffnungslosigkeit innerösterreichischer Reformen erkannt haben soll, war Kaiser Franz Joseph bereits ein sehr alter Mann.

„Sein Erbe, der Erzherzog Franz Ferdinand, der später in Sarajewo emordet wurde, war aber, wie sein Neffe Kaiser Karl, der schließlich nach Franz Joseph den Thron bestieg, als ein ausgesprochener Verfechter des Tria- lismus allgemein bekannt. Er war auch entschlossen, den Widerstand der Ungarn zu brechen, die das Haupthemmnis für eine föderalistische Lösung der Reichsprobleme bildeten. Deshalb muß die Erklärung, die zugunsten Masaryks und Beneschs angeführt wird, daß sie zuerst eine Autonomie anstrebten, ehe sie sich endgültig für die Zerstörung von Österreich-Ungarn entschieden, stets äußerst dünn und unglaubwürdig scheinen.“

Nicht die angebliche Hoffnungslosigkeit einer Reform „gerade in dem Augenblick, da ein offensichtlich reformfreudiger Kaiser im Begriffe war, den Thron zu erben", sondern das Wunschbild einer völligen nationalen Unabhängigkeit mit der Erfüllung einesteils persönlichen, andernteils natio-

nalen Ehrgeizes habe — wie Jones richtig betont — die endgültig österreichfeindliche Haltung der tschechischen Führer bestimmt. — Vermerkt sei, daß an Stelle des Ausdrucks und Begriffs Trialismus richtiger „nationaler Föderalismus“ zu setzen ist.

Die „Frankfurter Hefte" bringen in ihrer Julinummer einen Aufsatz von Eugen Kogon „Vorh Elend unserer Press e“, in dem ein neues deutsches Pressegesetz gefordert wird, das aus der unerträglichen gegenwärtigen ‘Lage heraus-

führt. Karl Wilhelm Böttcher kommt in einem auf Grund amtlichen Materials und umfangreicher Erhebungen gearbeiteten Bericht über „D ie deutschen Flüchtlinge al s europäisches Pröblem“ zu folgenden entscheidenden Feststellungen:

„1. Die Wirkungen der erzwungenen Aussiedlung können nicht auf den politischen und wirtschaftlichen Raum Deutschlands beschränkt bleiben.

2. Wenn nicht im Rahmen des europäischen Wiederaufbauprogramms und eines zukünftigen Friedenssystems zugleich eine entschiedene internationale Lösung der Flüchtlingsfrage vorgesehen wird, werden, alle Bemühungen nur zu einem Teilerfolg führen oder gar illusorisch bleiben.

Inzwischen wird es Aufgabe der Fachwissenschaftler sein, die bereits wahrnehmbaren wahrscheinlichen oder möglichen Folgen der Flüchtlingsfrage zu untersuchen, darzustellen und die Vorschläge zu ihrer Lösung vorzubereiten. Es ist hohe Zeit, das Warnungssignal aufzuziehen und Dämme zu errichten gegen eine Flutbewegung, von deren Gewalt uns schon geringere geschichtliche Katastrophen eine gewisse Vorstellung vermitteln könnten.“

Dasselbe Heft enthält einen von Ulrich Sonnemann vor einem New-Yorker Kreis von Liebhabern deutscher Literatur gehaltenen Vortrag „Thomas Mann oder Maß, u nd A n s p r u c h“, der eine sehr entschiedene Stellung gegen den bekannten Schriftsteller darstellt.

„Die Koketterie im Geistigen, was ist sie? Ein Gebaren, das auf Anmut vergebens hofft und auf Würde endgültig verzichtet hat, das Ergebnis eines durchaus nicht ursprünglichen Substanzmangels, sondern eines fortschreitenden Substanzschwundes, fortwährender Selbstuntreue, fortdauernden Zerfalls der inneren Form bei angestrengter Aufrechterhaltung der äußeren. Dem Tod gerade entgegenblicken, das kann man, nach La Rochefoucauld, so wenig wie der Sonne; also blinzelt man ihm zu, ein Lebenswerk hindurch; folgt er aber endlich der Lockung und erscheint in Gestalt eines Besessenen mit einer Stirnlocke und einem kleinen schwarzen Schnurrbart, soist man es nicht gewesen, es sind alle die anderen gewesen, die im Lande Gebliebenen, wie könnten sie gerechter Strafe entgehen und auf anderes hoffen als Menschengnade? Man hat damit zu tun gehabt, das ist wahr, man ist durch all das hindurchgegangen, aber man hat nicht bloß Absolution erhalten; sind die ,Betrachtungen eines Unpolitischen' nicht halbverschollen, ist ,Wälsungenblut‘, die ganze Auflage, nicht gleich damals eingestampft und sind die widerrufenen geistigen Entscheidungen nicht gefällt worden, nicht stumm-verstohlen mehr wie das erste Mal, im Gegenteil sehr wortreich-öffentlich, steht man nicht da als ein „ unerschütterlicher, unerbittlicher Vorkämpfer der humanitären Demokratie?“

„Über die Zukunftsaussich- ten des Rundfunks und Bild- funks" schreibt in der Juli-August-Nummer der „Schweizer Rundschau" Friedrich Dessauer, der bekannte, um die Philosophie der Naturwissenschaften und der Technik bemühte Denker. Die Entwicklung des Radar und der Ultrakurzwellen sowie die zu erwartende Verbindung von Rundfunk, Fernsehen und Kino, wird schon In kürzester Zeit gewaltige Veränderungen bringen, die für die geistige Erziehung der kommenden Generation von entscheidender Bedeutung sein dürften.

„Fernsehgeräte sind auf lange Zeit hinaus teuer, auch als Empfänger, deswegen weniger für den Privatmann zugänglich. Aber in den Kinematographentheatern wird man sie einbauen, und man wird in der Lage sein, etwa in Fryburg Filmen zuzuschauen, die in Zürich mit Relaissendern, später sogar solchen, die in Paris oder Rom laufen. Darüber hinaus wird man, was allerdings mehr Aufwand bedeutet, wirklichen Ereignissen auf große Entfernungen folgen können. Das geschieht zur Zeit in London, in den Vereinigten Staaten, besonders in New York, in Paris bereits mit beträchtlichem Erfolg. Sogar in ihren Farben werden die Gegenstände gesehen (bei einigen amerikanischen Fernsehmethoden).“ Dieses Sofortdabeisein und das Überspringen weiter Räume aber wird den Menschen verändern. „Das Netz zwischen den Menschen schlingt sich enger und enger und dieses Netz ist ein Schicksalsnetz: die Schicksale selbst sind miteinander verflöchte.“ Zugleich wird durch das

Bild lie Vorstellungswelt der Massen in wachsendem Maße beeinflußt. „Die elektromagnetische Welle erlaubt, in Bild und Sprache den Zeitgeist zu formen.“ So ist ein neues, weites Gebiet der Menschenbeeinflussung entstanden, das nicht vernachlässigt werden darf.

„Man hat die Presse eine Großmacht genannt. Was vor unseren Augen entstand und entsteht, aus der elektromagnetischen Welle geboren, ist eine neue, vielleicht noch gewaltigere Großmacht … Der Wirtschaft überlassen, wird die Richtschnur des Funkwesens selbst wirtschaftlich. Es wird geboten, was sich gut verkauft, was den Trieben und dem Zeitgeschmack entgegenkommt… Aber in jedem Lande und in jedem Erdteil wird es Pflicht jeglicher Seelsorge sein, den Einfluß zu gewinnen und zu verteidigen, der legitim den Trägern der Religion und Kultur gebührt und der ihnen dann verlorengeht, wenn sie nicht wachsam sind und die Zeichen der Zeit verkennen. Was Schiller vom Theater sagte, gilt als Aufgabe, die uns gestellt ist, auch für die neue Großmacht, die elektromagnetische Welle: Rundfunk und Bildfunk sollen moralische Anstalten werden."

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