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REVUE IM AUSLAND

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Das Deutschlandproblem als das Herzstück des großen, die ganze Menschheit bewegenden Weltfriedensproblem ist durch die Vorbereitungen, Hoffnungen und Befürchtungen vor sowie durch . die Feststellungen, Überlegungen und Sorgen nach der gescheiterten Londoner, Konferenz stärker als je in den Mittelpunkt des Weltinteresses getreten. Mit zahllosen Reiseberichten aus Deutschland kommt dieses Interesse in der Zeitschriftenpresse aller Länder zum Ausdruck.

In der englischen Zeitschrift „The Month” berichtet F. C. Copleston über „Einen Besuch in Deutschland” im vergangenen Sommer, der in der Teilnahme an den Bonner „Hochschulwodien katholischer Akademiker” gipfelte. Wie andere Reisende berichtet auch der katholische englische Priester über die an den internationalen Zügen bettelnden Kinder, über Lebens-’ mittel- und Kohlendiebstähle aus Not:

Man mag, ungeduldig werden über die Hartnäckigkeit, mit der viele Deutsche (selbst einige, die in der Lage sind, es besser zu wissen) an der Überzeugung festhalten, daß’ die -Besatzungsmacht sie langsam, aber absichtlich zu Tode hungert: aber dennoch muß man tiefes- Mitgefühl mit dem deutschen Volk in seiner gegenwärtigen Lage fühlen … Ein Priester bat einen Ministranten, etwas am Heiligen Abend zu tun; aber der Knabe antwortete, daß er an diesem Tage besetzt sei, weil er Kohlen stehlen müsse. Man mag über solche Vorfälle lachen; doch es kann wohl kaum einen guten Einfluß auf die Jugend haben, wenn sie unter dem Druck der Verhältnisse dabei aufwächst, sich Nahrung und Heizmaterial auf unrechtmäßigen Wegen zu verschaffen, die, so verständlich sie sein mögen, vom Gesetz nicht erlaubt sind.”

Als privater Besucher will der Berichterstatter nicht auf politische Fragen ein- gehen:

„Doch ist es jederman klar, daß die Demokratie viel von ihrer Anziehungskraft einbüßt, wenn die materiellen Bedingungen von Deutschland so bleiben, wie sie zur Zeit sind. Außerdem, wenn man Demokratie auf eine andere Nation übertragen will, so muß man sich zuerst ganz klar darüber sein, was unter Demokratie verstanden wird, was die fundamentalen Prinzipien sind, die der christlichen Demokratie zugrunde liegen, und diese Prinzipien nicht mit praktischen Anwendungen und Methoden verwechseln, die wesentlich sein mögen oder auch nicht und die der Tradition und dem Charakter einer anderen Nation entsprechen mögen oder auch nicht … Es ist schließlich wenig erfreulich, obwohl es unter den gegebenen Umständen verständlich genug erscheint, daß die deutsche Jugend zum großin Teil an Politik außerordentlich uninteressiert ist, mit Ausnahme natürlich hinsichtlich der weltweiten Beziehungen zwischen West und Ost (aus verständlichen Gründen). Man mag einwerfen, daß es nur natürlich ist, daß die deutsche Jugend in politischen Fragen des- illusioniert und skeptisch ist und daß man von ihr kein Interesse an deutscher Innenpolitik erwarten kann, solange die volle Kontrolle nicht in deutschen Händen ist. Aber wie soll die Übergabe der Macht sicher durchgeführt werden, wenn die deutschen Bürger der Zukunft sich von politischer Verantwortung und Mitarbeit fernhalten? … Es wäre sehr bedauerlich, wenn deutsche Christen, Katholiken und Protestanten, sich nicht dazu entschließen könnten, männlich ihre politische Verantwortung auf sich zu nehmen und, soweit dies in ihrer Macht liegen mag, die Anwendung christlicher Prinzipien in der politischen und sozialen Sphäre zu gewährleisten.”

In der französischen Zeitschrift „Etudes” bringt Jean Chombart de Lauwe unter dem Titel „,W andlungen am Lande von 1 939 bis 194 7, Monographie einer armen Region” eine eingehende Untersuchung über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen in einem ungenannten Dorf in der Bretagne im Stile jener soziologischen Einzeluntersuchungen, wie sie vor allem in Amerika so stark gepflegt werden. Ein Stillstand im technischen Fortschritt, doch zugleich eine durch die hohen Preise der Agrarprodukte bedingt Erhöhung des Lebensstandards, ein Sinken des Ansehens der Staatsgewalt und der Achtung vor dem Gesetz als Folge von Besatzung und Resistance, eine grassierende Tanzwut und das verstärkte Eindringen großstädtischer Lebensformen, schließlich ein beunruhigendes Zunahmen der Landflucht werden dabei fest- gestellt und die für die Zukunft beim Sinken landwirtschaftlicher Preise zu befürchtenden Schwierigkeiten aufgezeigt:

„Man wird antworten, daß die technischen Verbesserungen, die während des Kriege? unmöglich waren, in den nächsten Jahren,,durchgeführt werden können, so daß die Landwirt zu niedrigeren Preisen mehr verkaufen können. Aber ist die nach dem Urteil aller Wohlmeinenden notwendige technische Revolution auch möglich? Trotz des trügerischen An- - Scheins haben die Bauern nicht das nötige . Geld, um wichtige Investierungen durchzuführen. Die beruflichen Organisationen, die die Bauern vereinigen und ihnen gewisse Vorschriften auferlegen sollten, sind noch sehr schwach und trotz lobenswerter Bemühungen unwirksam. Die öffentlichen Gewalten, die durch mehr oder weniger zweckmäßige Maßnahmen ihr Prestige verloren haben, werden auf dem Lande, das ihnen nun einmal mißtraut, eine Aktion nur schwer durchführen können.

Das sind schwer zu überwindende Schwierigkeiten. Es bedarf dazu einer ungeheuren Anstrengung an Unterrichtung und Propaganda, einer Anstrengung, die jedoch versucht werden muß, weil, wie wir betonen, das Land mehr als vor dem Krieg neuen Ideen zugänglich ist. Aber welche Mittel immer angewandt werden mögen, in fünf Jahren wird man die Landwirtschaft der armen Gegenden nicht modernisieren können: es ist daher zu befürchten, daß die Rückkehr des Überflusses in den Städten von der Ankunft des Elends in den entlegensten Gebieten begleitet sein wird.

Aber wohlgemerkt, diese pessimistischen Voraussagen gelten nicht für ganz Frankreich; sie treffen nur auf die ärmsten Regionen zu. In den reichen Gegenden wird die Anpassung an die neuen wirtschaftlichen Bedingungen leichter sein und die Modernisierung der Landwirtschaft, die bereits begonnen hat, wird in einem beschleunigten Rhythmus durchgeführt werden.”

In der amerikanischen Monatsschrift „T h e Atlantic Monthl y”, die eben ihr neunzigjähriges Bestandsjubiläum feiern konnte, setzt sich der Maler George Biddle in einem Artikel über „M oderne Kunst und konfuses Denken” mit der gegenwärtig in den USA die Szene beherrschenden extrem modernen, abstrakten bildenden Kunst auseinander und weist darauf hin, „daß offenbar Amerika in der Kunst nach Weltkrieg II nichts ausdriieken kann, was Paris nicht schon nach Weltkrieg I ausgedrückt bat”. Man sei noch immer nicht wesentlich über jene Formen binausgclangt, die sich bereits in der großen kubistischen Ausstellung in Paris 1911 gezeigt hätten.

„Was 1911 eine dynamische, schöpferische, experimentierende Kunstbewegung war ist ein statischer, kristallisierter Zeitstil geworden wie jeder andere … Denn wenn das Experimentieren vorüber ist, muß etwas mit den neuen Techniken getan oder gesagt werden oder es wird leer und sinnlos, und der schöpfe, rische Impuls, der es durchströmte, zerstreut sich und stirbt.”

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So kommt Biddle zu der Schlußfolgerung, „d,aß die Bewegung wohl vital und schöpferisch am Anfang neue Techniken und neue ästhetische Wege entwickelt hat, daß sie gegenwärtig aber trocken, dekadent, ohne Tiefe, soziale Bedeutung oder universelle Aussagekraft ist”.

Über die „siebente Kunst” des Films schreibt Peter Frey in der Schweizer Zeitschrift „Civitas”:

„Der Film ist das einzige Produkt künstlerischer Tätigkeit, das bis in die tiefste Erregbarkeit internationaler Massen hinabdringt. Noch nie in der Menschheitsgeschichte sah ein Künstler soviel Macht und Möglichkeiten der Seelenbeeinflussung in seinen Händen vereinigt wie ein Filmregisseur unseres Jahrhunderts … Man wird einst von der Periode des italienischen Films sprechen; ihre Marksteine werden in die Geschichte eingehen unter den Namen ,Roma, Cittä aperta’,,11 Bandito , Sciuseia , ,Vivere in Pace , ohne mit def Aktualität alle übrigen fesselnden Eigenschaften zu verlieren, was gewöhnlich das Schicksal jener Filme ist, die nur inhaltlich und nicht zugleich formal affektiv wirken.”

Es ist bemerkenswert, daß dieses Urteil über die große Überraschung auf dem Gebiet des Filmwesens, deft itflienischen Film (den wir in Österreich bisher leider noch nicht zu Gesicht bekamen), anscheinend allgemein geteilt wird. Der französische Kritiker Michel de Saint-Pierre, dėr in der Pariser Tageszeitung „Tcmoignage chretien” den Standpunkt vertritt, daß der Film keine „intellektuelle Kunst” sei und der daher den surrealistisch-existentialistischen Sartre- Film „Les Jeux sont faits” einer scharfen Kritik unterzieht, spricht in einer Filmüberschau in den ,,£ t ü d e s” vom abgelaufenen Jahr als einer „Ära der Wunder”, in der vor allem die „bewundernswerte italienische Schule” eine Reihe von „prachtvollen Filmen” herausgebracht habe. Zu derselben Wertung bekennt sich der Filmkritiker der englischen sozialistischen Wochenschrift „The New Statesman and N a t i o n”, William Whitebait, der die italienischen Filme des Jahres, „die Uns aus dem Felde geschlagen haben”, an die Spitze der Liste der besten Filme setzt, nach denen dann seiner Meinung nach die französischen den zweiten Platz in Anspruch nehmen können.

Mit dem Urteil des Schweizers, des Franzosen und des Engländers trifft sich in seltener internationaler Übereinstimmung das in Filmsachen gewichtige amerikanische Urteil. So schreibt die amerikanische Wochenschrift „T i m e” in einem Rückblick auf 1947:

„Die an Geist und Vitalität reichsten Filme kamen aus Italien. Im Vergleich dazu waren selbst die besten englischen Filme akademisch und ,vornehm (Englands bester Film war bezeichnenderweise die Bearbeitung eines literarischen Klassikers — gemeint ist hier der ja auch in Wien gezeigte Dickcns-Film „Große Erwartungen”). Französische Filme waren in allgemeinen überkültiviert, doch nicht sehr vital. Rußland hat als eine Quelle von Film. Interesse fast zu existieren aufgehört, außer für Russophilc; Deutschland begann gerade, sich zu regen. Hollywoods erfreulichste Tendenz war, aus den Studios in wirkliche Lokalitäten hinauszugehen und endlich mit der Behandlung vernünftiger und lebendiger sozialer Fragen zu beginnen.”

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