6536621-1946_19_06.jpg
Digital In Arbeit

Salzburger Kulturbrief

Werbung
Werbung
Werbung

Keine andere Stadt Österreichs konnte ihre eigene geistige Atmosphäre über die vergangenen Jahre innerer Zerrüttung und äußerer Vernichtung so lebendig erhalten wie gerade Salzburg, Stadt aus Klang und Duft! Die gelösten Konturen barocker Palais, die engen Gäßchen am Fuße des Möchsberges, die umlaubten Figuren von Hellbrunn lassen zarte Menuetts und sanfte Kantilenen in uns erklingen und um den Brunnen von Mirabell leuchtet es von der farbigen Fülle Traklscher Lyrik. Die alte Festung aber, der Dom, ein Werk Santino Solaris, und die vielen Kuppeln und Türme harocker und romanischer Kirchen geben Zeugnis von der uralten christlichen Tradition dieser Stadt. Der Krieg ist nicht unbemerkt an Salzburg vorübergegangen und trotzdem können wir etwas finden, was uns heute seltsam wohltuend berühren muß, Persönlichkeit, Geselligkeit, Kultur. Der Alltag Salzburgs wird nicht sosehr von der drückenden Not primitivster Bedürfnisse diktiert und die stürmischen Wogen der Tagespolitik erreichen nur sehr verebbt jenes Gestade, das die zeitlosen Bereiche von' Kunst und Wissenschaft zu tragen berufen ist. Eingeengt von der unbarmherzigen Wirklichkeit der Gegenwart betreten wir die Stadt, seelisch frei und voll Zuversicht und Vertrauen in die geistige und kulturelle Kraft unseres Volkes verlassen wir sie wieder. Aber nicht allein aus der ehrwürdigen Tradition Salzburgs schöpfen wir diese Zuversicht, sondern vor allem aus der vielversprechenden Initiative, mit der man nun, durch mannigfache Umstände begünstigt, an diese Tradition wieder anknüpft.

Es ist bezeichnend, daß fast alle Kreise und Gesellschaften, die heute das geistige Antlitz Salzburgs maßgebend beeinflussen und von denen zu erwarten ist, daß im Bannkreis ihrer /ftmosphäre sich neue geistige Strömungen und als ihre Träger be-

deutende Persönlichkeiten entwickeln werden, ursprünglich nicht als öffentliche Institutionen ins Leben gerufen wurden, sondern ihre Entstehung dem privaten Wunsch all jener zu verdanken haben, die unter ähnlichen Voraussetzungen mit den geistigen Aufgaben unserer Tage ringen. Was man bisweilen auch schon anderswo angedeutet findet, das Zurückziehen in den engeren Kreis, das gemeinsame Erarbeiten geistiger Ausgangsstellungen, das Näherkommen von ■ Mensch zu Mensch in der Diskussion, hat hier bereits Zukunft verheißende Formen angenommen. Kein Befehl, kein Schlagwort und kein persönlicher Vorteil hat diese Menschen zusammengerufen, allein der Drang einer inneren Notwendigkeit, sich mit der Vergangenheit und Gegenwart grundsätzlich auseinanderzusetzen und, vom Wesentlichen ausgehend neue Werte als würdige Kinder unserer Zeit zu finden. Die geistige Gemeinschaft, die sich in der Albertus-Magnus - Gesellschaft zusammenfindet, hat schon durch die Wahl des Namens ihrer Arbeit und ihren Zielen einen charakteristischen Rahmen gegeben. Im Geiste Alberts des Großen, des Lehrers Thomas' von Aquino, versucht die Gesellschaft aus der religiösen Haltung heraus an die wissenschaftlichen und metaphysischen Probleme heranzugehen. Die Adalbert-Stifter-Gesellschaft wendet ihre besondere Aufmerksamkeit der Kunstentwicklung zu. Sowohl in den größeren Gesellschaften als auch in den kleinen Kreisen, die das Aufkeimen eines modulierten Biedermeierkultes um den häuslichen Herd zusammenführt, ist klar und eindeutig die Tendenz erkennbar, nicht mehr Teillösungen auf Einzelgebieten zu erstreben, sondern Prinzipien zu finden, die alle Formen unseres geistigen und gesellschaftlichen Lebens zu durchdringen vermögen und ein universales Weltbild ermöglichen. ,

eine bemerk* M werte Arbeitsleistung kann trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens die Vereinigung für Sozialpolitik zurückblicken. Die Vereinigung umfaßt nicht nur theoretische Sozialpolitiker, sondern Vertreter aller Berufe, die an sozialen Fragen besonders interessiert sind, so Ärzte, Journalisten, Schulmänner, Geistliche aller Konfessionen, Frauen und Jugendführer. Sozialreform — ist der alle beherrschende Gedanke, Sozialreform als Voraussetzung neuer Lebensformen, als Voraussetzung einer neuen Blüte abendländischer Kultur und Gesittung, als Grundlage einer neuen inner- und überstaatlichen Ordnung. An die Gemeinschaft binden den Menschen, dies ist die Ansicht der' die Vereinigung tragenden Kreise, geistige Prinzipien ebensosehr wie materielle Bedürfnisse. Eine materialistische Lösung des Sozialproblems kann daher nicht befriedigen. Nicht der gerechte Lohn und nicht die soziale Fürsorge allein können die “'“große Kluft wischen Mensch und Werk überbrücken, nicht nur die materielle Unzufriedenheit ist, der Grund des Sozialproblems, auch das Fehlen einer geistigen Beziehung zur Arbeit in ihrer Bedeutung als Leistung für die Menschheit. Die Lösung sozialer Fragen liege in den sozialen Grundrechten des Menschen: dem Recht auf Arbeit, dem Recht auf freie Arbeitswahl und gleiche berufliche Startmöglichkeit, dem Recht jedes arbeitenden Menschen, selbst wirtschaftliches Subjekt zu sein, und dieses bedeute, daß der Mensch nicht nur Maschine, sondern teilhabender Arbeiter sein könne. Es gehe nicht um Aufteilung des Eigentums, sondern um die Aufteilung des Produktionsmittelertrages. Der Forderung nach einer sfctlichen Grundlage der Sozialreform entspreche die Umgestaltung des Lohnvertrages in ein Teilhaberverhältnis.

Die katholisch - theologische

Fakultät hat wieder ihre bedeutende Stellung im Salzburger Geistesleben eingenommen. Sie hat durch Vorlesungen über reine Philosophie, die sich eines regen Zuspruches erfreuen, eine begrüßenswerte Erweiterung erfahren. Natürlich wird der Wunsch nach einer katholischen Universität heute besonders laut, wenn auch' die Aussichten einer Verwirklichung dieses Planes zur Zeit sehr gering sind. Die geistige Atmo-' Sphäre Salzburgs, seine uralte katholische Tradition, seine geographische Lage und kulturelle Bedeutung weisen allerdings fast gebieterisch auf einen derartigen internationalen geistigen Kulminationspunkt hin, und vielleicht gelingt es, katholische Kreise des Auslandes, insbesondere Amerikas, für dieses Unternehmen zu interessieren. Gegenwärtig sind verschiedene wissenschaftliche Institute wieder ins Leben gerufen worden, so das Institut für Erzie h,u n g s-wisenschaft, das unter der Leitung des bekannten Pädagogen Professor Friedrich Schneider steht, dessen „Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“ einst große Bedeutung erlangt hatte. Die diesjährigen Hochschulwochen — sie werden voraussichtlich vom 4. bis zum 24. August stattfinden — stellen sich drei Auf-gabenkreise: Theologie, Philosophie und soziale Problematik. Man ist bestrebt, Romano Guardini die Einreise zu ermöglichen, der zur Zeit in Tübingen liest, das sich auch auf seine alten katholischen Universitätstraditionen besinnt. In kirchlichen Kreisen findet auch die Entwicklung der slawischen Völker große Beachtung, in deren geistiges und seelisches Potential große Hoffnungen gesetzt werden. Die- gesunde Naturkraft des Slawentums — und die unleugbare Verwurzelung eines Teils der Slawen in der geistigen Tradition des Abendlandes — können es zu einem im Innersten konservativen und stilformenden Faktor machen, dessen Bedeutung für eine neue Blüte des Abendlandes nicht unterschätzt werden darf. Jede Geburt ist mit Schmerzen verbunden, es wäre verfehlt, das erwachende slawische Volkstum nach einzelnen Entwicklungsstadien zu beurteilen—

Die Tatkraft, mit der alte, wiedererstandene und neue Verlagsanstalten an ihre umfassenden Aufgaben und die auch in Salzburg nicht geringen Schwierigkeiten herantreten, muß besonders gewürdigt werden. Ein Blick in das Verlagsprogramm des Otto Müller-Verlages gibt ein anschauliches Bild von den ernsten Bemühungen und den schöpferischen Kräften, die hier am Werk sind. Die Herausgabe der ersten geschlossenen Gesamtausgabe der Werke Georg T r a k 1 s wird eine oft beklagte Lücke in der österreichischen Literatur schließen. Die Aufnahme der Jugenddichtungen, die schon

Erhard Buschbeck in dem Bändchen „Aus goldenem Kelch“ gesammelt hat, die Einbeziehung noch unbekannter Essays und dramatischer Versuche sowie verschiedene Schilderungen aus Trakls Umwelt und Heimat werden uns neue Wege zum Verständnis des großen österreichischen Dichters weisen. Zwei seelische Beziehungen sind in Trakls Werk immer wieder anzutreffen: die zu seiner Heimatstadt, dem barocken Salzburg, und die zum Herbst als dem Sinnbild der Verwesung alles Lebendigen. Verlaine, Rimbauck Tolstoi und Dostojewsky, die Auflösung des Wortes in die ätherische Harmonie des Klanges bei den Franzosen und die erdgebundene melancholische Schwere steten Wissens um den Tod bei den Russen, verbinden sich bei Trakl mit dem Glauben an die göttliche Offenbarung der Bibel.

Von Professor Josef Dill'ersberger wird das große Werk über das Markus-Evangelium herauskommen, ' das schon or Jahren vollendet, aber von der Gestapo als „staatsfeindlich“ verboten wurde. Professor Friedrich Schneider erscheint mit einem umfassenden erziehungswissenschaftlichen Werk, „Die TreibkÄfte der Pädagogik der Völker“, in dem als treibende Kräfte der Pädagogik Volkscharakter, geographischer Raum, Wirtschaft, Wissenschaft, die gesellschaftliche Gliederung und das historische Schicksal der Nation herausgearbeit werden. „Bankenverstaatlichung“ heißt eine Samm-

lung ökonomischer Publikationen Anton T a u s c h e r s, die versuchen, die zeitnahen Probleme der Wirtschaft von den politischen Schlagworten zu befreien und sie mit wissenschaftlicher Sachlichkeit zu betrachten. Das „Buch von den Salzburger Festspiele n“, von Wolfgang Sehne-d i t z • wird einen umfassenden Einblick in die Entwicklung des Salzburger Pestspielgedankens gebep.

In früheren Jahren war Salzburg eigentlich nur über die Sommermonate der Festspielsaison ein kulturelles Zentrum, die übrige Zeit schlief das Kulturleben der Landeshauptstadt einen seligen Dornröschenschlaf. Wenn ,man die derzeitige geistige Regsamkeit verschiedener Salzburger Kreise beobachtet, müßte man glauben, daß hierin in naher Zukunft eine entscheidende Wandlung eintreten wird. Allerdings“ kann diese Wendung von privater Seite und von wissenschaftlichen Gesellschaften allein nicht gelöst werden. Es wird vor allem entscheidend sein, ob die beiden großen öffentlichen Kulturinstitutionen, das Mozarteum-o r c h e s t e r und das Landestheater, ein dem übrigen Kultur- und Geistesleben würdiges Niveau werden aufrechterhalten können. Das Mozarteumorchester hat in der letzten Zeit unter der Leitung von Doktor Robert Wagner eine bewundernswerte Geschlossenheit und Klangfülle erreicht. Das

Landestheater hingegen dürfte irgendwie doch noch ein . Schmerzenskind sein. Nach der Berufung'Dr. „Hilperts nach Wien ist die Intendantenstelle verwaist und seit einem Vierteljahr ist keine Entscheidung gefallen. Trotzdem bemüht sich .Oberregisseur Faber, das möglidiste zu tun, so kann „Don Carlos“ auf zwölf und „Was ihr wollt“ auf vierzehn Aufführungen zurückblicken. Auch an Standardwerke der Moderne, wie etwa J. B. Priestleys „Die Conwaysund die Zeit“, hat sich das Landestheater mit Erfolg herangewagt. Die Oper ist bisher mit dem „Wildschütz“, „Rigoletto“ und „Barbier von Sevilla“ vertreten. Es wird viel Takt und Einfühlungsvermögen erfordern, um dem Wunsch des breiten Publikums und den hohen Anforderungen einer selbstbewußten Intelügenzschicht im gleichen Maße zu genügen. Vielleicht würde die Bildung eines Studios, das in gepflegten Kammerspielaufführungen auch sublimäre und problematische Werke zu vermitteln hätte, eine befriedigende Kompromißlösung darstellen. Jedenfalls darf man der Entwicklung des Salzburger Geistes- und Kulturlebens auch jenseits der Festspiele mit Zuversicht entgegensehen. J

Bas laufbwt)

Ich bin das Buch verwahrt mit sieben Siegeln: Du blätterst fragend und bemerkst es kaum, Und willst des Lebens dunkles Tor entriegeln? Ich zeig die Wurzel nur im Lebensbaum.

Denn Gnade bleibt die Wurzel aller Kraft. Was später mit den Tausenden geschehen, Wo sie -gelebt, gerungen und geschafft, Du magst es anderswo geschrieben.sehen.

Ich schau des Volkes ewig neuen Hort: Erlebe Frühling ohne Zeitenwende, Und künde Jugendfreude immerfort: Ich bin das Buch vom Anfang ohne Ende.

Johannes Zaun er

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung