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Hoffnung fur diese Stunde

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Im Eifer des materiellen Wiederaufbaus haben allzuviele Österreicher verdrängt oder doch hinausgeschoben, was Friedrich Heer immer wieder mit Nachdruck von uns gefordert hat: nämlich in unser eigenes Schuldgesicht zu blicken und, weil es sich in den sieben Jahren, da wir Österreicher zum Dritten Reich gehörten, um einen öffentlichen Sündenfall durch Mittun und Gewährenlassen gehandelt hat, sowohl als einzelne wie als Gruppe stellvertretend an unsere Brust zu klopfen — sind wir doch ein solches Confiteor auch der halben Million Opfer schuldig, die uns der Einzug in das nationalsozialistische Schlachthaus gekostet hat: den rund 36.000 Landsleuten, die für ihre Gegnerschaft, den

65.000 die für ihre Judenheit mit dem Leben bezahlen mußten, nicht zuletzt den 380.000 im Zweiten Weltkrieg Gefallenen.

Ebenso ehrlich gegen uns selbst müßten wir Österreicher uns verhalten, wenn wir, auf die Geschichtsphase vor dem Ersten Weltkrieg zurückgreifend, die Leistungen eines Purismus in der Kunst in Ausstellungen wie „Traum und Wirklichkeit“ einer staunenden Mitwelt darbieten. Wir waren vielleicht einen Ge- schichtsaugenblick lang—der Untergang stand schon vor der Tür — das, was man eine kulturelle Großmacht nennt. Dabei weigert sich das kulturoffizielle Wien in seiner Selbstvergafftheit noch immer, einen Dichter wie Georg Trakl, einen Denker wie Ferdinand Ebner oder eine Zeitschrift wie den frühen „Brenner“ dazuzuzählen, obwohl diese beispielsweise mit Karl Kraus, Oskar Kokoschka, Adolf Loos in engem Kontakt gestanden waren. Indem wir jenes großartige Damals wie einen Paravant vor den geistigkulturellen Wirrwarr unserer Gegenwart schieben, geraten wir immer mehr in die Gefahr einer Selbstmusealisierung.

Uns fehlt heute ein Satiriker vom Range eines Karl Kraus, um den im Geist der Unbußfertigkeit verharrenden Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten und den Nächstschlechtesten ge- recht-ungerechterweise zum Symbol eines sonst nicht mehr faßbaren Bösen zu machen. Sein satirisches Werk erscheint heute zum größten Teil als der Zeit zugehörig, mit der Kraus im Kampfe lag. Kabarett und Enthüllungspresse haben längst nicht jenen Reinigungseffekt. Einzig Kardinal König hat am 12. Februar 1984 stellvertretend ein öffentliches Bekenntnis der Mitschuld der Kirche wie der Katholiken an der Tragödie des sozialistischen Februar-Aufstandes abgelegt und um Vergebung gebeten.

Wir sollten aber so leben, denken, schreiben und reden, als ob uns ständig ein Karl Kraus oder ein Theodor Haecker über die Schulter und auf die Finger schaute. Wir würden beider Andenken verraten, wenn wir vor dem fürchterlichen Mißbrauch der Sprache, wie er uns bei Tag und bei Nacht von allen Medien vorexerziert wird, kapitulierten. Ein Leben im Geiste und in der Wahrheit zu führen, ist eben heute noch anstrengender geworden, als zu der Zeit, da Kraus, dieser Lyriker seines besudelten Ideals, litt und schrieb.

Uns Spätgeborenen fehlen aber derzeit auch Männer wie Ludwig von Ficker, dieser Diener am Wort, dem bis ins hohe Alter die Fähigkeit geschenkt war, an Dichtern und Denkern das Stigma ihrer Berufenheit zu erkennen, und der den Mut besaß, ihre besondere Stimme im „Brenner“ zu Gehör zu bringen. Wenn es zur Zeit nur wenige überragende Autoritäten vom Rang eines Karl Rahner, eines Michael Pfliegler, eines Otto Mauer, eines Ludwig Hansel gibt, die uns Maßstäbe bieten könnten,

dann laßt uns doch-bei unseren eigenen Hervorbringungen einander das Geschenk aufrichtiger Kritik gewahren! Echte Geisteskämpfe bilden leider in unserer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft die Ausnahme; verwechselt doch diese in ihrem Relativismus ständig Toleranz gegenüber Ideen mit Toleranz gegenüber Personen.

Geistiges Leben, das kann nicht im vorhinein geplant und arrangiert werden. Im Eifer des Dialogs merken die Partner oft gar nicht, daß er diese Überschrift verdiente. Erst im nachhinein spürt man, daß Geist und Leben anwesend waren. Ein paar Beispiele: Geistige Begegnungen im Sinne der Ökumene ereigneten sich seinerzeit in der Zeitschrift „Die Kreatur“, die von dem Juden Martin Buber, dem Protestanten Viktor von Weizsäcker und dem Katholiken Josef Wittig herausgegeben wurde. An der Kirche der Zukunft wurde gebaut, wenn Romano Guardini im Rittersaal der Burg Rothenfels seine Vorträge hielt. In den Tagungen des Hohen- rodter Bundes, zu denen sich deutsche Erwachsenenbildner aller Richtungen zusammengeschlossen hatten, wurden die Grundperspektiven heutiger An- dragogik erarbeitet. Als Otto Mauer bald nach Kriegsende der Kirche ein Fenster zur modernen Kunst in Gestalt der Wiener Avantgarde zu öffnen versuchte — und dieser wieder ein Fenster zur Kirche — war es ein nie mehr wiederkehrender Geist-Augenblick. Wie viele Tagungen und Symposien, die heute bald da, bald dort veranstaltet werden, hinterlassen, weil sie bloß Ausdruck einer intellektuellen Betriebsamkeit sind, nur das Gefühl, wieder einmal auf der Stelle getreten zu sein!

Gewiß, man könnte, indem wir uns dem Österreich der Gegenwart zuwenden, Anflugplätze für Bewährung des Geistes bereitstellen und — auf Hoffnung hin - Körner streuen. Ein paar Anregungen: Wie wäre es, wenn man angesichts der Tatsache, daß die heutige Massenuniversität ihrer Erstaufgabe Bildung schon nach einiger Zeit nicht mehr nachzukommen vermag, in den Ferien für bildungswillige Studenten den Versuch eines modernen „Studium generale“ wagte? Und als Orientierungshilfe ihnen jenes Verzeichnis der zweihundert wichtigsten Bücher aus Theologie, Philosophie, Literatur, Geschichte usw., von dem Karl Strobl immer geträumt hat, an die Hand gäbe?

Müßte es nicht möglich sein, der allgemeinen Erwachsenenbildung eine Wendung zu geben: weg von der Darbietung aller nur denkbaren Lebensbrauchbarkeiten und wieder hin zur Lebensorientierung?

Wäre nicht heute in der christlich orientierten Erwachsenenbildung dem aus der humanistischen Psychologie geschöpften Grundsatz zu widersprechen, daß man sich zuerst als Mensch verwirklicht haben müsse, ehe man zum Christen erweckt werden könne?

Könnte man nicht arbeitslose Junglehrer ermuntern, ihre Wartezeit zur Re-Alphabetisierung der Zehntausenden von funktionalen Analphabeten, die es der-

zeit auch in Österreich gibt, zu nutzen?

Sollte man nicht ein Büro einrichten, das alle nur erreichbaren Nachrichten über gute Taten und geübte Barmherzigkeit sammelte, um unsere Medien instandzusetzen, jede Meldung über einen Mord, über einen Banküberfall, einen Betrug oder über eine Familientragödie zu kontrastieren?

Eine Frage an die Schriftsteller: Warum streckt Ihr Euch nicht aus zur Darstellung großer Menschen unserer Zeit, statt ständig dem „Trauergeiste“ nachzugeben, statt Euer Innerstes öffentlich auszuweiden, statt das Böse psychologisch zu neutralisieren?

An die Christen, die schreiben können: Müßte es Euch nicht längst gereizt haben, den Spuren der Märtyrer und Heiligen unseres Zeitalters in Biographien, Romanen und Dramen nachzugehen?

Ein Beispiel: Der Verfasser hat vor zwei Jahren bei einer Tagung in den Niederlanden einen portugiesischen Priester mittleren Alters kennengelernt, der, heimgekehrt aus, der Bundesrepublik, an drei Pfarren die Seelsorge übernommen, der für arbeitslose Jugendliche zwei Berufsschulen eingerichtet und der schließlich für aus aller Welt krank und zertreten heimkehrende portugiesische Prostituierte — ihre Gesamtzahl wird auf 75.000 geschätzt — ein Aufnahme-Heim gebaut hat, in dem sie aufgefüttert, ärztlich versorgt und wieder halbwegs zu Menschen gemacht werden.

Unser Platz müßte schon jetzt sein beim letzten Drittel der sich immer deutlicher ausbildenden Zwei-Drittel-Gesellschaft. Wir Christen können heute nur auf franziskanische Weise „grün“ sein, indem wir mit den Notleidenden teilen und unter den Streitenden Frieden stiften, letztlich aus dem Geist der Bergpredigt leben

Wir sollten trotz Abfall und manchen verdeckten Rücknahmen des Zweiten Vatikanums über die Zukunft der Kirche, insbesondere in Österreich, nicht allzu besorgt sein. Hat nicht ein Karl Rahner einmal gesagt, es habe in der Kirche noch nie so viele überzeugte und bekennende Christen wie in dieser neo-ur- christlichen Situation gegeben, Christen, welche die Fähigkeit besitzen, den Prozeß eines providen- tiellen Wandels, wie ihn die Kirche heute durchmacht, mitzuvollziehen? Die starke Mitte in der Kirche Österreichs wird sich jeder künstlichen Hollandisierung widersetzen.

Sind sich unsere Bischöfe bewußt, wie viele ekklesiogene Gruppen, etwa Bibelrunden, sich in der Kirche Österreichs gebildet haben? Hat man sich in der römischen Kurie, während man in einer eigenen Bischofssynode über Auftrag und Stellung der Laien in Kirche und Welt debattiert, klargemacht, daß diese schon längst an der Verkündigung in einem Maße teilhaben, wie es seit den Tagen der Urkirche nicht mehr der Fall war. Daß die spirituelle Bewegung an der Basis der Kirche — sie ist durch das Zweite Vatikanum sowohl gebündelt wie weitergetrieben worden — nicht mehr zurückgenommen werden kann, weil wir bereits eine escha- tologische Schwelle überschritten haben?

Was für eine großartige Zeit, in der unsere Kirche, ohne sich von der drohenden Gefahr einer innerweltlichen Apokalypse, eines A-B-C-Krieges, einschüchtern zu lassen, über ihren unmittelbaren Heilsauftrag hinaus berufen scheint, die uneingelösten Versprechen der europäischen Modell-Revolutionen von Freiheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Frieden mitzuverwirklichen! Noch nie war in der Kirche soviel PTatz gerade für ein geistiges, geisterfülltes Leben, seit sie, verglichen mit der Zeit vor dem Vatikanischen Konzil, unzweifelhaft biblischer, wahrhaftiger, freier und menschlicher geworden ist. Morgen wird sie noch weltoffener und mystischer geworden sein. Das Pneumatische an ihr wird allen Widerständen zum Trotz immer stärker sichtbar werden. Sie braucht die Intellektuellen, die lange die Rolle eines Gegenklerus spielten, heute als spirituelle Mitinterpreten der Frohbotschaft: die Schriftsteller, die bildenden Künstler, die Komponisten, die Wissenschaftler in Forschung und Lehre, alle, die zur Verwirklichung einer Vision einer dem Reich Gottes näheren Menschheit beitragen können.

Identifizieren auch wir Intellektuellen, selbst wenn wir von Fall zu Fall von der Kirchenleitung auf eine harte Probe gestellt werden, uns mit der Kirche, so wie sie ist, hoffend, daß sie immer mehr das werde, was sie sein soll: Volk Gottes, geheimnisvoller Leib Christi, Tempel des Heiligen Geistes und vorausgeworfenes Sakrament des Reiches Gottes!

Je mehr Geist und Liebe das Antlitz der Kirche von morgen ausstrahlen wird, umso eher werden sich mitten in der säkularen Welt Türen öffnen, werden Brücken zu den heimlich Wartenden geschlagen werden können. Diesen neuen Heilsoptimismus, der die kostbarste Frucht des Zweiten Vatikanums ist, dürfen wir Christen unter keinen Umständen preisgeben. Wir sollten weniger permanente Anti- Tod-Protestierer sein als pascha- lische, österliche Menschen, die jeden Österreicher, wie immer er sich verstehen mąg, zu unvergänglicher Auferstehungshoffnung einladen. Lassen wir uns nicht die Gewißheit rauben, daß das geistliche und das geistige Potential unseres Volkes noch immer nicht ausgeschöpft ist. Morgen, liebe Freunde, feiern wir Ostern: Christos woskresse in Austrizjya!

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