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„Engel und Teufel sind abgeschafft“

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Vor kurzem starb die berühmte katholische Schriftstellerin Ida Friederike Görres im Alter von 69 Jahren. Sie war eine Schwester des Gründers der Paneuropa-Bewegung, des Grafen Nikolaus Richard Coudenhove-Kalergi, und somit eine halbe Japanerin und eine halbe Österreicherin. Sie gehörte zu denen, die progressiv waren, als es diesen Begriff in der Kirche noch nicht gab. Als die Progressiven aufkamen, nannten diese sie eine Konservative. Der Aufbruch des 2. Vatikanischen Konzils wiegte ihre Hoffnungen auf die Erneuerung, die Verwirrung, die darauf folgte, bekümmerte sie tief, konnte jedoch ihre gläubige Hoffnung nicht zerstören. Sie war eine Frau, die ihre Kirche ebenso leidenschaftlich wie gläubig liebte, trotz aller Ärgernisse und Verwirrungen. Wir veröffentlichen im folgenden eine ihrer letzten Aufsätze.

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Vor kurzem starb die berühmte katholische Schriftstellerin Ida Friederike Görres im Alter von 69 Jahren. Sie war eine Schwester des Gründers der Paneuropa-Bewegung, des Grafen Nikolaus Richard Coudenhove-Kalergi, und somit eine halbe Japanerin und eine halbe Österreicherin. Sie gehörte zu denen, die progressiv waren, als es diesen Begriff in der Kirche noch nicht gab. Als die Progressiven aufkamen, nannten diese sie eine Konservative. Der Aufbruch des 2. Vatikanischen Konzils wiegte ihre Hoffnungen auf die Erneuerung, die Verwirrung, die darauf folgte, bekümmerte sie tief, konnte jedoch ihre gläubige Hoffnung nicht zerstören. Sie war eine Frau, die ihre Kirche ebenso leidenschaftlich wie gläubig liebte, trotz aller Ärgernisse und Verwirrungen. Wir veröffentlichen im folgenden eine ihrer letzten Aufsätze.

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Vertrauen zur Kirche: heute, im Wirbel, in der Wirrnis, im Schmelzen der klaren Grenzen, im Geschrei der Forderungen und Ansprüche, im Schwanken der Grundsätze, im Erlöschen uralter Lichter, im Brechen der Mauern, im Versiegen der alten Brunnen. Vertrauen zur Kirche, als sei diese Krise zwar Fieber, doch Heil zugleich.

Setzt jedes Vertrauen nicht, bewußt oder unbewußt, etwas Festes, etwas Starkes und Mächtiges voraus? Etwas, das sicher, bergend und zuverlässig, uns an sich Teil gibt?

Was aber ist heute noch test und ruhig in der Kirche, im Christentum, in unserem Glauben? Was wankt und wackelt nicht? Was wird nicht angefochten von außen und, am härtesten, von innen, von Theologen, von Priestern?

Gilt das nicht selbst von den allgemeinsten Grundlagen? — Pflük- ken wir nur ein paar heraus:

Die Zehn Gebote: Den Schulkindern, heißt es, präsentiert der neue Katechismus nur noch zehn Worte — untadelig philologisch, nicht wahr, nach dem Dekalog —, doch beileibe nicht mehr verpflichtend: schöne Modellvorstellungen, ethische Wunschträume, doch die Verhältnisse, die sind nicht so.

Das Credo: Alles und jedes bestritten, umständlich, gescheit und gelehrt geleugnet — gestricheh oder ,,umįnterprgtięr|‘‘. Schöpfergott und Menschwerdung, der Gottmensch, geboren aus Maria der Jungfrau, unsre Erlösung durch Sein Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt, Wiederkunft, die eine heilige katholische und apostolische Kirche, ihre Geburt aus dem Geist, ihre Vollendung am Zeitende und das ewige Leben in Himmel und Hölle und die neue Erde dazu.

Die Sakramente? — Fehlverständnis und Magie sei das meiste, was wir glaubten: von der Taufe, schon gar Kindertaufe aus Wasser und Wort und Geist, von der wahren Gegenwart, der Wandlung in der Eucharistie, von der Priesterweihe, die Priester selber leidenschaftlich leugnen, den Ritus als Farce verwerfend; was sollen Firmung und Krankenölung, wenn Handauflegung und Salbung auch bloß magische Reste aus vielen Heiden- tümem sind? Beichte: zum erstenmal wurden heuer in einigen Diözesen Kinder ohne sie zur Erstkommunion geführt. — Ehe soll auf Widerruf, mit Möglichkeit beliebiger Wiederholung, „reformiert“ werden und in ihr Praktiken erlaubt sein, die jedes Heidentum, vor- und nachchristlich, erdacht hat und die Hindus und frommen Juden ein Greuel sind. Der Ordensstand verliert Boden und Wurzel, wenn der Begriff der „Räte“ fällt, der Sinn des Opfers.

Engel und Teufel sind mit Gelächter abgeschafft, Heiligenverehrung tabu.

Wem sollen wir vertrauen? Einer Theologie, die in führenden Sprechern fortlaufend ihren eigenen Bankrott erklärt; von einer Offenbarungsdeutung zu einer recht unwichtigen Wissenschaft geworden, die ihre eigenen Grundlagen zerstört, die Tradition verwirft, die Bibel auflöst, das oberste Lehramt verneint und zuletzt, als ihrer Weisheit letzten Schluß, die absolute Blasphemie erfand.

Welchen Theologen liest man ohne schmerzlich wache, atmenhaltende Spannung, vorsichtig und ohne Vorbehalte? Und wo man beglückt und dankbar zustimmt — weiß man, was er morgen sagen wird?

Wem sollen wir trauen? Einer Moral, die sich willig und gefällig allen Wucherungen des Allerweltsbenehmens anpaßt, möglichst alles entschuldigend, die nichts so sehr fürchtet als reinliche Scheidung von Gut und Böse, als ein klares „Non licet“, dem Zeitgeist ängstlich konform, auf die Billigung der größten Zahl bedacht?

Wem sollen wir trauen?

„Geistlichen“, die mit Gewalt keine Priester mehr sein wollen, den Namen selbst als heidnisches Relikt verleugnen, die nur Funktionäre sein wollen, durch nichts vom Laien verschieden, Funktionäre auf Kündigung, auf Absprung, im Nebenberuf?

Wem sollen wir trauen?

Selbst wo wir noch unerschütterte Treue zum ganzen Glauben der Kirche und zu ihren Obeihirten finden: ist dort das Milieu, die Lage nicht erst recht problematisch?

Wem können wir vertrauen?

Unsere Bischöfe sind, Gott sei gedankt, ohne Ausnahme ehrenwerte und untadelige Männer. Aber hat man den Eindruck, daß sie der Situation gewachsen sind, gar ihr überlegen? Beim besten Willen nicht — man spürt eine wehtuende, eine mitleiderregende Hilf- und Ratlosigkeit.

Und unser Heiliger Vater — mit Absicht wähle ich diesen hohen Namen, der eine Sehnsucht der ganzen Menschheit ausspricht, gerade in der vaterlosen Zeit —, auch er ein lauterer und verehrungswürdiger Mensch, doch wahrlich über die Grenzen des Menschenmöglichen hinaus überlastet. Er kann sich einfach nicht dauernd und überall richtig verhalten, kein Mensch könnte das — auch er muß ausweichen und ablenken, und jedes Zeichen seiner Schwäche wird mit ungeheurer Schadenfreude sofort um die ganze

Welt posaunt. Auch bei ihm müssem wir stets bangen und hoffen und beten, daß er keine verhängnisvollen Fehlgriffe tut, die mehr schaden als nützen.

Wer gibt uns Antwort in solchen Stunden? Wen dürfen wir noch fragen?

Nur die Kirche selbst.

Nur die Große, die Ganze, die Langlebige, auf Erden Unsterbliche, die mit sich von ihrem Anbeginn Identische, die auf eine eigene, nur ihr zukommende Weise auch mit ihrem Herrn identisch ist. Denn, trotz aller modischen Bedenken gegen dieses erschreckend gewichtige Wort älterer Theologie: sie ist doch der „fortlebende Christus“, der in der Kirche als dem Ort Seiner Gnade, als Seiner Platzhalterin spricht und uns antwortet. Die Adressatin jenes felsenfesten Vertrauens unserer Väter ist immer noch die selbe.

Wir sollten gerade die finstersten Kapitel kennen — nicht bloß immer wieder die langweiligen Renaissancelaster, nein, die großen Häresiekämpfe der frühen Kirche, die Wikinger- und Sarazenenstürme zu Beginn des Mittelalters, die das kaum erwachte Christentum in Blut und Asche fast erstickten; die Reformationszeit, die Aufklärung — die Säkularisation, die zur Zeit unserer Urgroßeltern wie eine Sintflut einen Großteil der deutschen Seelsorgezentren und Bildungsstätten einfach wegschwemmte. Wir müssen auch verlernen, die „ruhigen“ Zei- ten der Kirche mit guten, die erregten mit schlechten zu verwechseln.

Immer wechseln Zeiten des Aufstiegs und Verfalls, nackter, kahler, doch knospenreicher Vorfrühling mit steriler, augentäuschender Herbstpracht, immer wieder wandelt sich Reife in Scheintod, dieser in neu auf- brechendes Leben. Die Kirche ist der Phönix.

Heute, scheint mir, knäueln sich zwei entgegengesetzte, doch in der Erscheinung oft unheimlich ähnliche Strömungen durcheinander: Erneuerung und Revolution. Dieses Doppelgesicht, diese ungeheure Zweideutigkeit macht das Eigentümliche und die besondere Gefahr unserer Stunde aus.

Stichwort zur Erneuerung ist: das Konzil. Fälschlich übrigens, oder sagen wir lieber: vordergründig und oberflächlich, wenn man es als absoluten Anfang setzt. Denn faktisch war es selbst Frucht und Resultat einer starken, doch in lauter kleinen Brennpunkten weit verstreuten Wiedergeburtsbewegung, die aus unsichtbaren Keimen („alle Anfänge sind unsichtbar“, sagt Teilhard de Chardin) etwa seit dem ersten Weltkrieg wuchs und in vielen Bächen durch ein halbes Jahrhundert hin in dieses Becken zusammenfloß.

Nun sojjte, mü|5te eigentlich nach jener langen, mühevollen, geduldigen Vorbereitung“ als zWhite Stufe der großen, ja der pflngstlichen Wiedergeburt — so haben die kleinen Feuerkreise sie immer verstanden! — die zweite Phase der allgemeinen Verwirklichung folgen. Das war ja die ungeheure, die berauschende Hoffnung der sechziger Jahre, kristallisiert um die leuchtende Gestalt Johannes’ XXIII.

Und genau an diesem Punkt mischt sich das Gegenspiel, der Widersacher ein.

Das Charakteristische dieser Revolution scheint mir, daß in ihr die Ungläubigen und die Unwissenden die Führung in der „Reform“ der Kirche ergreifen — weithin schon mit Erfolg.

Das ist schon recht merkwürdig.

Das Siegel bisheriger Emeuerungs- wellen in der Kirche war doch wohl, daß sie aus der Frömmigkeit, aus der Buße, das heißt aus innerer Wandlung zu Gott hin, stammten. Manchmal gingen sie von Heiligen aus. Manchmal von Christen bescheidenerer Berufung, doch einig mit dem Geist und Leitbild der Heiligen.

Ich kann diese Züge im Erscheinungsbild der heutigen Revolte nicht erkennen. Ungläubige hat es in der Kirche natürlich immer gegeben — wahrscheinlich in Mengen, vermutlich auch unter Priestern.

Ein Merkmal war ihnen bei aller Verschiedenheit gemeinsam, es charakterisierte sie: das totale Desinteresse am ganzen kirchlichen Eigen- und Innenleben, an Dogmen und Liturgie (wenn sie überhaupt wußten, daß es so etwas gab), an Frömmigkeit wie an religiösen Organisationen. Freiwillige Beschäftigung mit dergleichen kam ihnen einfach unsagbar langweilig, spießig, geschmacklos, borniert vor; jedes Rühren an solche Gegenstände als taktlos und unmöglich.

Sie wollten mit all dem nichts zu tun haben, und dabei blieben sie. Und das war ein Glück. Denn es fiel ihnen nicht im Schlaf ein, sich in Kirchliches einzumischen und uns vorzuschreiben, wie wir es zu halten hätten.

Genau dies tun sie aber heute und mit Nachdruck. Seltsames Schauspiel: Eine Anzahl (ein Heer oder nur ein

Führerkorps?) von Leuten, die in Wirklichkeit nur an die Ersatzreligion des Zeitgeistes glauben, an Fortschritt, Wissenschaft, moralische Autonomie und ein aus allen dreien resultierendes Zukunftspara- dies: sie stürzen sich auf die Kirche, um alles, was sie in ihr vorfinden, nach ihren Maßen, Zielen, Wünschen umzumodeln. Und sie möchten allen andern Gläubigen diktieren und sie beherrschen.

Sie finden im Christentum einiges recht brauchbares Material zu ihrem Unternehmen, neben einem Riesenhaufen Ballast — nach ihrer Wertung. Sie gehen mit hemmungsloser Tatkraft und hoher Intelligenz daran, das eine zu behauen und umzuschmelzen, das andere zu liquidieren.

Sie haben viele Typen und Schichten von Mitläufern und Werkzeugen. Einmal die Unwissenden. Auch sie hat es in der Kirche immer in Massen gegeben, sowohl getreue, die im Ganzen ans Ganze glaubten und sich damit begi.ügten — keine schlechte Art, übrigens. Und andere, denen alles gleichgültig war, weil sie nichts wußten — und umgekehrt. Beide Typen verhielten sich passiv, das Denken und Tun denen überlassend, die besser dazu gerüstet und einfach bestellt waren. Bei uns heute hat diese Schicht hööh eine besondere gbi&hibhtliche''Prägung. bnrsw

Es gibt andere Faktoren. Jede Revolution muß sich auf die Gruppen der Unzufriedenen stützen. Natürlich gibt es sie in Mengen in der Kirche und auch im Klerus.

Das Tückische, das Aufreibende unserer Lage sehe ich darin, daß die beiden fundamental widersprüchlichen Ströme in der Inflation von Rede und Schreibe sich derart gegenseitig durchkreuzen, überlagern, verknäueln, ja zu verschmelzen scheinen — oft sogar im selben Blatt, ja im selben Menschen! —, daß eine saubere Unterscheidung auf Anhieb und überall einfach oft nicht möglich ist. Wie sehr müssen wir um die Unterscheidung der Geister beten, um nur Tag für Tag durchzuhalten.

Vielleicht werden schon die Enkel — aus ihrem Generationswiderspruch! — das Zertreten und Verwerfen satt haben und auf große Entdeckungen ausziehen um das, was ihnen heute diffamiert und vorenthalten wird.

Sie werden die unsterblichen Lebenskeime des heiligen Erbes auf ihre Weise empfangen und auf ihre Weise, die nicht unsere ist, zu vielfacher Frucht austragen. Ob wir Ältere das erleben, ist wirklich ganz Nebensache.

Uns muß das Wissen genügen, daß die Stadt auf dem Berge noch steht hinter dem Nebel, der sie vielen unsichtbar macht, und daß die Feinde oft nur Kulissen und Scheinbilder zerschlagen können. Wir müssen Schneeschmelze und Hochwasser ab- warten können und selbst stemen- lose Nacht, wissend, daß Gestirne beständiger sind als Wolken. An uns ist die unaufhörliche Bitte um Unterscheidung und Liehe, um Gerechtigkeit und Geduld — und um die unerschütterliche Liebe zur Kirche.

Beten müssen wir, immerfort, um den Mut, das uns anvertraute, das geliebigte Heilige zäh, tapfer, eigensinnig und um jeden Preis zu verteidigen. Denn selbst in der Profangeschichte sind jene wunderbaren Rettungen und Siege nicht Feigen und Trägen zugefaillen, sondern wirklich erst im Hoch- oder Tiefpunkt angestrengtesten Kampfes.

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