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Brief an den getrennten Freund

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Geschäftsführendem Vertreter des Präsidenten der österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft:

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Geschäftsführendem Vertreter des Präsidenten der österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft:

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„Die Religion ist in Gefahr — Ein gläubiger Katholik zum Exkommunikationsdekret“

Lieber Freund! Seitdem wir uns auf der Lagerstraße in Dachau zum Abschied die Hände geschüttelt, haben sich unsere Wege weit getrennt. Ich beklage es, denn Du warst uns in böser Zeit ein guter, treuer Kamerad, und wer Dich näher gekannt, hat an Dir das geschärfte Empfinden für Recht und Gerechtigkeit, die leidenschaftliche Anteilnahme an dem Los der besitzlosen Massen und Deine mutige religiöse Haltung geschätzt. Du stehst heute in der geistigen Werkstatt einer fremden Weltanschauung. Doch wie weit auch die Entfernung sei, die uns heute scheidet, so bist Du mir doch teuer geblieben, und im Namen dieser alten Freundschaft rede ich in diesen Zeilen noch einmal zu Dir. Noch mehr verpflichtet mich dazu, daß Du mit Dinen hohen Begabungen einer bist, den viele sehen und hören, und daß Du an Dein Schicksal vielleicht das vieler anderer Menschen gebunden hast. Du hast öffentlich Stellung genommen und so sei Dir auch öffentlich begegnet.

Wie einst einer am Domtor zu Wittenberg, so hast Du, Freund Nikolaus, -mit der Feierlichkeit und dem literarischen Glanz eines Publizisten des 20. Jahrhunderts in der kulturpolitischen Wochenschrift des österreichischen Kommunismus Deine Thesen angeschlagen. In ihnen leugnest Du unter Berufung auf Deine Stellung als gläubiger Katholik eine Dich verpflichtende Kraft des bekannten vatikanischen Dekrets gegen den Kommunismus. Da es sich nicht um einen Glaubenssatz handle, sondern um eine Angelegenheit der Disziplin, so glaubst Du auch im Widerspruch zu der kirchlichen Autorität nur Deinem Gewissen folgen zu dürfen. Du berufst Dich dabei auf Worte Innozenz’ III., jenes großen Papstes, der aber, wie Du Dich erinnern wirst, die Disziplin und die Vermeidung des schlechten Beispiels für so wichtig hielt, daß er über ganz Frankreich das Interdikt verhängte, weil König Philipp II. sich weigerte, die Ehe mit seiner verstoßenen Gattin wieder aufzunehmen.

Welche Gründe mögen Dich bewogen haben, nach einer Verbeugung vor der „ehrfürchtig geliebten kirchlichen Autorität“, „ohne Schwanken und mit ruhiger Sicherheit“ Deinen jetzigen gefährlichen und außerordentlich verantwortungsvollen Weg zu beschreiten? Man darf wohl als Erklärung jene Sätze auffassen, die der Enttäuschung darüber Ausdruck geben, daß die großen päpstlichen Enzykliken nicht imstande gewesen seien, auch nur unter den Katholiken die schöpferischen Kräfte für einen Neubau der Gesellschaft zu entwickeln, wie es auch nirgends einen „christlichen Staat“ gebe und auch auf dem Gebiet der sogenannten Sittenreform sich keine Wendung durchgesetzt habe So lautet Dein Vorwurf, obschon Du als unterrichteter Christ weißt, daß niemals der Kampf zwischen Gut und Böse in- dieser Welt aufhören wird, die Kirche nicht die Formerin der weltlichen Ordnungen ist, wohl aber die große Wegweiserin und Gnadenvermittlerin, der zu folgen oder nicht zu folgen die Freiheit des Menschen ausmacht. Und Du entschlägst Dich in Deinem Aburteil des Gedankens darüber, daß keine andere Macht auf Erden es zustande gebracht hat, ein stets in der Stille sich erneuerndes, über die ganze Welt sich breitendes Heer von Menschen aufzustellen, die Familie, Gut und Freiheit eintauschen für ihren Dienst an den Armen, Kranken, den Bresthaften, den Aussätzigen, den Gestrandeten und Ausgestoßenen — ihr Werk ein nie aufhörender, stummer und doch beredter Aufruf zur Gesellschafts- und Sittenreform im Geiste der Nächstenliebe. Und selbst die Kraft des kirchenfernen, kaum mehr empfundenen Christentums ist so 6tark, daß die menschliche Gesellschaft in Tyrannei und Selbstzerfleischung untergeht, wo ihr dieses heimliche geistige Erbe entzogen wird.

Aber Du siehst in Deinem Aufsatz „die Religion in Gefahr", weil das Dekret des hl. Offiziums „nach Eindruck und Wirkung auf die Welt eindeutig eine Stellungnahme zugunsten der Front des imperialistischen Kapitals“ ist.

Und siehst Du, hier trennen sich zwei Welten, hier wird in zwei verschiedenen Sprachen gesprochen. Alle Gegner der Kirche sind sich in diesem einen einig: sie messen diese nur mit ihrem Maß, können sie nur nach Gewicht und Zahlen, die ihnen bekannt sind, verstehen. Für sie alle ist die Kirche wesentlich eine politische Macht, die im Kräftespiel der Welt ebenso einzuschätzen ist wie andere Mächte. Jede Aktion, jede Proklamation der Kirche wird von allen ihren Gegnern nur unter diesem Gesichtspunkt gesehen: als politische Kampfhandlung — wider einen politischen Feind!

Du kannst Dich nun, lieber Freund, bei dieser Deiner Interpretation auf die Auslegung stützen, die die Westmächte in ihren politischen Kommentaren dem Dekret gegeben haben. Es gehört aber doch mit zum tausendjährigen Schicksal der Kirche in der Welt, daß sie sich in ihr zunächst weder gegen ihre „Feinde“ noch gegen ihre „Freunde“ schützen kann. Beide suchen 6ie zu handhaben, zu lenken, zu manövrieren in ihrem machtpolitischen Sinne: 1 Gegen beide muß sie sich, zur gegebenen. Zeit, zur Wehr setzen. Das Dekret wurde — das ist nachdrücklich festzüstellen — nicht der UdSSR zuleide und nicht der USA zur Freude veröffentlicht. Es schuldet seinen Ursprung nicht einem vermessenen Willen der Kirche, in das Kraftfeld eines gigantischen Weltringens zu springen, sondern der Pflicht, ihren Kindern, ihren Gliedern das Gesetz ihres Lebens, ihres Wachstums ihrer Gesundheit zu verkünden —, ‘des Lehramts zu wälten, das Christus seinen Aposteln Überträgen hat und das im iRampf, gegen die Häresien aller Zeiten nur eines erstrebt: ihren in Verwirrung geratenen,-von Verwirrung bedrohten Kindern klar und deutlich zu sagen: Diese und jene .Lehre-ist unvereinbar mit der Existenz des Christen, sie vergiftet, zersetzt das 1 innerchristliche Leben. Die Kirche würde sich - selbst - auf-, geben, wenn sie sich dieses Rechtes! freiwillig oder aus falscher Menschenfurcht, begeben würde. Das tägliche Brot der Seele, die reine Lehre Christi, droht durch dies und jene Weltanschauung zerstört zu wer- den — also ist es Pflicht der Kirche, klar und deutlich die Trennungslinie zu ziehen. Zunächst noch ganz ohne Rücksicht auf die Tatsache, daß diese und jene ihr konträre Weltanschauung sich mit Panzern und Divisionen, Massenanhaltelagern und Deportationen Schauprozessen und anderen Mitteln durchzusetzen sucht. Der „gottlose Materialismus“ — als ein geschlossenes weltanschauliches System, das durchaus keine Fenster für den christlichen Glauben offen läßt, mußte deshalb von der Kirche gerade heute neu und feierlich als unvereinbar mit dem Bekenntnis zur Gemeinschaft Christi bezeichnet werden. Ebenso wie der gottlose Kapitalismus, von dem Pius XII. anläßlich des 50.-Jahrestages von „Rerum novarum“ . erklärte:- „Die Kirche verwirft den Kapitalis- ‘ mus weil er dem Naturrecht widerspricht.“ Eine Aussage, die in dem bekannten Aufsatz EJalla; Torres im Osservatore Romano“ über „Kirche und Kapitalismus“ eine umfassende . Erläuterung erhielt,. Ihr zufolge ist der, Kapitalismus atheistisch in seiner 1 Struktur.„Der Kapitalismus ist atheistisch nicht in der’ Form einer Philosophie, denn er hat keine ‘solche, sondern in der Praxis, die seine ganze Philosophie, ist: Betätigung unersättlicher Süchte, Betätigung von Raub, Habsucht Tyrannei, Herrsucht.“ — Der Kapitalismus als“ solcher ist also,eindeutig von der Kirche ‘als das gebrandmarkt worden, was er ist. Der Kapitalismus hat aber, so sehr er von vielen Politikern, Interessen-

gruppen in allen Völkern und Staaten der Erde machtvoll1 vertreten wird — wenn auch unter verschiedenen Namen —, keine weltanschaulich ; militante Partei, die eine Programmfahne erhebt und unter ihrem Zeichen die Welt zu erobern sucht. Der atheistische Materialismus aber ist eine Partei und hat eine Parteimacht, die kämpferisch nach Welteroberung strebt. Die Kirche muß’ ihm feierlich entgegentreten, weil in seiner Welt keine Existenzmöglichkeit für das Christentum besteht. Und dennoch stehst Du auf seiner Seite.

Gewiß — das Dekret des hl. Offiziums vollzieht keine „Definition ex cathedra“. Eine Aussprache über dasselbe ist also durchaus möglich. Eine solche hat aber nur Sinn in einem innerchristlichen Gespräch. Ich bezweifle nicht einen Augenblick, daß Du persönlich ein echtes, ehrliches, auch religiöses Anliegen vertrittst. Ein solches kann aber wirkungsvoll nur in der Kirche, in der Ein- und Unterordnung unter ihre Autorität vertreten werden. Das beste Anliegen wird zuschanden und verzerrt, wenn sein Vertreter von sich sagt: „Was kümmert mich dein apostolisches Amt, die Autorität, die göttlicher Begründung entsprang, was kümmern mich deine Dekrete! Ich forme aus meinem Gewissen mein eigenes Gesetz!" Du weißt doch von dem großen Unterschied zwischen Reform in der Kirche und Auf stand wider die Kirche. Die Sprache der Reformer steht in ihrer Kritik an einzelnen zeitbedingten Phänomenen in der Kirche jener der Aufständischen an Schärfe oft nicht nach, ja übertrifft sie. Du kennst doch Ber- nardin von Siena, um nur einen von ihnen zu nennen. Dennoch zeichnet sie ein wesentlicher Unterschied gegenüber den anderen: das selbstverständliche Innensein in der Kirche, die natürliche Ehrfurcht ihrer göttlichen Realität gegenüber, und nicht zuletzt das Messen und Richten der Kirche nach den ihr eigentümlichen Werten, in ihrer religiösen christlichen Wesenheit. Ein politisches Gespräch über ein Herzanliegen der Kirche muß deshalb notwendig scheitern, wenn es diese innerste Bezogenheit ver missen läßt. Untersuche selbst, ob Du nicht in peinlicher Art politische Polemik des Parteimannes mit einem innerchristlichen Anliegen vermischest. Nein — es geht nicht darum, daß „etwa künftig in Österreich nicht bloß die Erlangung einer Anstellung, einer Wohnung oder eines Gewerbescheins, sondern auch die Erlangung der Absolution im Beichtstuhl an ein parteipolitisches Bekenntnis gebunden sein soll“, sondern einzig und allein darum, daß die Christen wissen müssen, daß sie nicht gleichieitig zwei Herren dienen können: Christus und dem, der wider ihn ist. Nicht wir Christen haben hier die Politik mit der Religion vermengt, sondern jene, die ein Bekenntnis zur Kirche als „Hochverrat" und „Volksverrat“ brandmarken und deren Bekenner dem Staatsprozeß und der Deportation überliefern.

Du schließest, teurer Freund, Deine öffentliche Stellungnahme, mit der Du das Dekret verwirfst, mit den Worten:

„Wenn der Katholik überzeugt bleibt, daß die Kirdie von Christus gestiftet wurde, kann solchermaßen seine Treue und 9eine Zugehö rigkeit zu ihr von keiner Autorität der Welt in Frage gestellt werden, und immer von neuem wird er, solange er einsam vor dem Gluthauch des Heiligtums nicht verbrennt, in den Jubel des Gloria einstimmen: Tu solus Sanctus, Tu solus Dominus, Tu solus Akissimus.“ Das ist ein Akkord in Maestoso, geschöpft aus Zuversicht und Selbstsicherheit. Es gibt in Lagen, in denen man sein Alles einsetzt in dem Entscheid zwischen links und rechts — und das gilt für uns alle —, noch eine erhabenere Ausrichtung des menschlichen Geistes: wenn er sich demütig beugt im Wissen um seine Begrenzung, seine Fehlerhaftigkeit, seine Nähe zum Irrtum und sein A n g e w i es e n se i n auf die Gnade. Es war ein ganz Großer, der Heilige von Assisi, der, zu St. Damian auf dem Sterbelager hingestreckt, seinen Sonnengesang ausklingen ließ in die Verse: „Laudate et benedicete misignore et ren- graziate. Et serviteli cum grande humili- tate!“

„Lobpreiset, benedeiet, danket und dienet dem Herrn in großer Demut.“

„Osservatore Romano“, 8, Mai 1949.

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