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Wohin steuert die Kirche?

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Am 25. Jänner 1959 hat Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil angekündigt. Am 17. Mai des gleichen Jahres hat er die Vorbereitende Kommission des Konzils eingesetzt, um die überaus zahlreichen Voten, die zum Konzil eingebracht wurden, zu prüfen. Am 5. Juni 1960 begann die eigentliche Vorbereitungsarbeit, die durch zehn Kommissionen und zwei Sekretariate geleistet wurde. Und am 11. Februar 1962 begann das Konzil mit seiner 1. Session. Große Freude und einen gewaltigen Elan hatte die Ankündigung des Konzils ausgelöst. Ein zweifaches Ziel war dem Konzil gesteckt worden: die innerkirchliche Reform und die Wegbereitung der Einheit. Das Konzilsgeschehen selbst war von einem weltweiten Echo begleitet. Die gesamte Weltpresse nahm Tag für Tag Anteil an den Vorgängen in und um das Konzil herum. Wenn auch Sensationsmeldungen mit reißerischen Schlagzeilen dann und wann das eigentliche Geschehen auf dem Konzil überschatteten, so stand doch die katholische Kirche während der Dauer des Konzils im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit.

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Am 25. Jänner 1959 hat Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil angekündigt. Am 17. Mai des gleichen Jahres hat er die Vorbereitende Kommission des Konzils eingesetzt, um die überaus zahlreichen Voten, die zum Konzil eingebracht wurden, zu prüfen. Am 5. Juni 1960 begann die eigentliche Vorbereitungsarbeit, die durch zehn Kommissionen und zwei Sekretariate geleistet wurde. Und am 11. Februar 1962 begann das Konzil mit seiner 1. Session. Große Freude und einen gewaltigen Elan hatte die Ankündigung des Konzils ausgelöst. Ein zweifaches Ziel war dem Konzil gesteckt worden: die innerkirchliche Reform und die Wegbereitung der Einheit. Das Konzilsgeschehen selbst war von einem weltweiten Echo begleitet. Die gesamte Weltpresse nahm Tag für Tag Anteil an den Vorgängen in und um das Konzil herum. Wenn auch Sensationsmeldungen mit reißerischen Schlagzeilen dann und wann das eigentliche Geschehen auf dem Konzil überschatteten, so stand doch die katholische Kirche während der Dauer des Konzils im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit.

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Die Arbeit des Konzils stellte in der Tat eine Leistung von gewaltigem Ausmaß dar. Das Zweite Vatikanische Konzil ist ein Reformkonzil, das den Vergleich mit dem Trienter Konzil nicht nur aushält, sondern übertrifft. Kein Wunder! Mehr als 400 Jahre waren vergangen seit dem großen Reformkonzil von Trient. Das Erste Vatikanische Konzil mußte vorzeitig abgebrochen werden und konnte nicht einmal seine dogmatische Konstitution ganz zum Abschluß bringen, geschweige denn an die Reformarbeit gehen. Ja, wenn die Uhr der Kirche in diesen vier Jahrhunderten auch nicht stillgestanden ist und vieles auf dem Gebiet der Mission, des Schulwesens, der Caritas, der kulturellen und sozialen Arbeit geleistet wurde, wenn auch die Theologie und die Frömmigkeit sich weiterentwickelten und viele neue Keime des Glaubensbewußtseins trieben, so war doch

diese ganze Zeitspanne fast ausschließlich von der Abwehr, der Defensive bestimmt Die Kirche vermochte nicht, aus dem Ghetto, in das sie seit der Reformation gedrängt worden war, auszubrechen. Sie vermochte nicht, das geistige Terrain, das ihr durch Reformation, Absolutismus, Aufklärung, Kulturkampf und die auch heute noch nicht zu Ende geführten Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts verlorengegangen war, wieder zu gewinnen. Sie mußte sich damit zufriedengeben, ununterbrochen Irrtümer abzuwehren. Zwar hatte die Kirche ihren Weltauftrag nie vergessen oder gar aufgegeben, wie die bereits erwähn-

ten Leistungen beweisen, aber sie vermochte, durch ständige Angriffe geschwächt, nicht zur positiven Auseinandersetzung mit der sich stürmisch entwickelnden modernen Gesellschaft zu gelangen. Vor allem der letzte und vielleicht massivste Ansturm gegen sie, der Modernismus, konnte nur äußerlich abgewehrt, nicht innerlich bewältigt werden (vgl. „Entschluß“ 2, 1969, 79—86).

Das neue Klima

Da brachte das Zweite Vatikanische Konzil eine gewaltige Wende. Es hat das Klima in der Kirche verändert. Den Hintergrund des weitblickenden und tiefgreifenden Reformplanes bilden die beiden dogmatischen Konstitutionen über die Kirche (Lumen gentium) und über die Heilige Schrift (Dei Verbum), die. der Entwicklung der Theologie Rechnung getragen haben und denen der größte Teil der Konzilsarbeit gewidmet war. In der

vertieften Betrachtung des Wesens der Kirche und der Bedeutung der Heiligen Schrift im Leben der Kirche liegen bereits die Ansätze für die Liturgiereform, die infolge der ausgezeichneten Vorarbeiten großer Liturgiehistoriker, wie des Österreichers Josef Andreas Jungmann, als 1. Konstitution verabschiedet werden konnte. Aber auch alle anderen Dekrete und Erklärungen des Konzils, vor allem jene über den Ökumenismus und die Reformdekrete über die Bischöfe, die Priestererziehung, das Leben und Wirken der Priester, der Orden, schließlich das Dekret über das Laienapostolat und die Konstitution

über das Verhältnis der Kirche zur Welt von heute. Das ist ein ungeheuer weitgestecktes Programm. Es fordert von allen Gliedern der Kirche ein vertieftes Verständnis dafür. Ich bin Kirche, nicht bloß Empfänger und Hörer, sondern selbst Gesandter Christi, mitverantwortlich an der Weltsendung der Kirche. Es fordert ferner einen Strukturwandel der Kirche, der der Mitverantwortung des Laien den gebührenden Raum gibt. Es fordert drittens ein neues Verhältnis zu den anderen christlichen Kirchen und auch zu den nichtchristlichen Religionen und schließlich die Mitverantwortung an den großen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Problemen der Welt, die mit ihrer Einswerdung wie nie zuvor in unser Bewußtsein gerückt wurden.

Die Reform war also nicht bloß als Neugestaltung der eigenen Wohnung der Kirche betrachtet, sondern die Kirche will aus den vier Wänden ihrer Behausung heraustreten und sich in einer neuen Weise der Welt zuwenden.

Die Vielzahl und Vielgestaltigkeit der damit auftretenden Probleme sind so groß, daß sie kaum auf einmal auch nur überblickt, geschweige denn verwirklicht werden können. Und je mehr man an die Verwirklichung all dieser Aufgaben herangeht, desto mehr wird man die Schwierigkeiten gewahr, die ihre Lösung in sich schließt.

Abbruch und Aufbau

Damit kommen wir zur nachkonzi-liaren Entwicklung. Diese ist, was angesichts der genannten Probleme nicht verwundern darf, ganz anders .verlaufen, als manche hofften. Sie ist — um es kurz zu sagen — vorerst zu einer nicht ungefährlichen Krise der Kirche geworden. Hatten manche

Photo: Ernest Pointner

vielleicht erwartet, daß mit dem Abschluß des Konzils das Haus der Kirche schon restauriert sei, so mußten sie bald entdecken, daß diese vielmehr zu einer riesigen Baustelle verwandelt war, auf der man Abbruch und Aufbau kaum mehr unterscheiden konnte. Auf einer Baustelle ist es nie sehr behaglich. Erst wenn die Umrisse de? Neubaues sichtbar werden, entsteht auch die Hoffnung auf Vollendung. Aber wir befinden uns noch auf der Baustelle, auf der nur wenig Umrisse des Neuen sichtbar sind. Wohl ist schon viel Arbeit von den postkonziliaren Kommissionen in Rom geleistet worden und sind auch bereits Fortschritte auf der

Ebene der Diözesan- oder Nationalsynoden erreicht worden. Aber ihre Effizienz ist noch nicht recht sichtbar. Die Verwirklichung des Konzils wird auch von Kräften beeinflußt und sogar gefährdet, die nicht sosehr im Bereich der Kirche liegen, wohl aber ihn beeinflussen. Das sind die großen sozialen Revolutionen, die sich heute in den unterentwickelten Ländern abspielen, die Bildungsexplosion und eine exzessive Gesellschaftskritik. Von diesen Kräften wird auch die Reform der Kirche beeinflußt. Kein Wunder, daß bisweilen die Autorität der Amtskirche nur mehr als eine äußere, ja feindliche Macht betrachtet wird, die wie ein tyrannisches Joch den Gläubigen auferlegt wird. Viele Glieder der Kirche, die noch kaum etwas für sie getan oder gelitten haben und sich kaum die Zeit nehmen, ruhig zu überlegen, lassen sich hinreißen, nur als Ankläger der Kirche aufzutreten. Sie berufen sich auf den charismatischen Charakter der Kirche gegen ihren amtlichen Charakter und übersehen, daß das Charisma sich selbst zerstört, wenn es nicht die Einheit mit der Kirche wahrt. Viele gefallen sich in einer oberflächlichen Schwarzweiß-Malerei, die alles Vergangene nur schwarz, das heißt schlecht sieht und daher jeden Wert der Tradition verneint (vgl. Henri de Lubac, L'Eglise dans la crise actuelle, Unitas, Monatsschrift des Schweizerischen Studentenvereins, Dezember 1969, 239—250).

So wird die wahre Reform der Kirche, die ruhig voranschreitet, von einem Prozeß der Pulverisierung aller herkömmlichen Werte begleitet Die solches versuchen, geben oft vor, das Konzil allein ernstzunehmen, verachten es aber in Wirklichkeit.

Blick in die Zukunft

Jene, die tiefer schauen, spüren aber das Wehen des Geistes Gottes mitten im gegenwärtigen Umbruch. Ein neues und tiefgreifendes Ringen um den Glauben vollzieht sich, wenn auch nicht immer frei von Verwirrung. Der theologischen Wissenschaft sind durch die Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils neue Ziele gesetzt. Wir Menschen möchten immer gerne in die Zukunft schauen. Wie wird es im nächsten Jahrzehnt weitergehen? Die Zukunft liegt verborgen vor uns. Wir können die verhüllenden Schleier nicht lüften. Auch die Zukunft der Kirche ist uns verhüllt. Vielleicht kennen wir heute nicht einmal die am tief-

sten wirkenden Kräfte in der Kirche. Was echt ist, braucht nicht laut zu sein, nicht schreierisch. Es empfiehlt sich von selbst und wirkt von selbst. Es haben immer in der Kirche Licht und Finsternis miteinander gerungen, und sie werden bis zum Ende miteinander ringen müssen. Mag auch bisweilen der Eindruck vorherrschen, daß die Kinder des Lichtes im Kampf den Kindern der Finsternis unterliegen, so ist das letztlich nur Schein und nicht Wirklichkeit. Das wahre Licht kann in der Kirche nicht verlöschen. Es liegt an uns, das wahre Licht zu suchen und es nicht zu verlieren. Dieses Licht kann durch unsere eigene sündige Menschlichkeit und durch unser Versagen verdunkelt werden. Es liegt an uns, im aufrichtigen und ungebrochenen Glauben an Jesus Christus und in unwiderruflicher Treue zur einen Kirche wahre und falsche Reform zu unterscheiden, PseudoTheologien und Pseudo-Ideologien mit der Gabe der Geisterunterscheidung abzulehnen. Es sei erlaubt, hier scharfe Worte des bekannten Theologen Urs v. Balthasar zu zitieren. „Das christliche Volk sucht heute mit der Laterne nach Menschen, von denen etwas vom Licht und von der Nähe des Ursprungs herausstrahlt Der religiös instinktlosen Modernitäten, die ihm aus Presse, Rundfunk und oft genug von der Kanzel entgegentrompeten, ist er längst satt. Es ist traurig, weil es unbetreut ist und eine allzu berechtigte Angst es quält, das .Eine Notwendige' könne von den .Fachleuten' oder von den vielen Dilettanten und Apostaten, die sich dafür ausgeben, vollends verschüttet und unzugänglich gemacht werden. Oft sind es arme Schlucker, die so laut lärmen müssen, um ihre innere Not, nicht mehr beten zu können, vor sich selbst zu rechtfertigen. Und das Volk hat für geistliche Mißtöne ein feines Ohr“ (U. v. Balthasar, Ein-faltungen. Auf Wegen christlicher Einigung. Kösel-Verlag, München 1969, S. 12).

Wenn eines über die Zukunft der Kirche im nächsten Jahrzehnt vorausgesagt- werden kann, so 'folgen*'; des: Das GlaubensbewußtseirV“de*i Volkes Gottes wird nur durch ein vertieftes Glaubenswissen erhalten werden können. Daher werden die Anstrengungen um die religiöse Erwachsenenbildung und um eine Vertiefung gesunder christlicher Frömmigkeit intensiviert werden müssen.

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