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Die Meisterung der Krise

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Wie hat die Kirche diese Krise überstanden?

Obwohl in den Grenzgebieten manche Bistümer und viele Gemeinden zeitweise untergingen, wurde die liturgische Tradition nicht etwa unterbrochen, sondern durch Fixierung der liturgischen Texte gegen Unterbruch gesichert. Die wichtigsten liturgischen Bücher, die Sakramentare, erhalten gerade in der Um-bruchazeit in den folgenden Jahrhunderten Ihre endgültige Gestalt. Das Niveau der Theologie sinkt ab, dennoch wird der in Formeln geprägte Glaubensinhaat intakt gehalten und an die su missionierenden Völker weitergegeben. Inmitten des allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs geht die Autorität der Kirche nicht zurück, nein, sie wächst, nicht zuletzt dadurch, daß sie christliches und auch heidnisches Bildungsgut be- , wahrt, in solchem Maße, daß sie bis ' ins hohe Mittelalter hinein geradezu : ein Bildunigsmonoool besitzt. Das : war gewiß ein einmaliger und nicht wiederholbarer Vorgang, aber er ist auch heute noch nicht ohne Interesse i für uns. Christentum ist nicht Bildung, aber ohne Bildung verkümmert und verroht es auf die Dauer.

Die zweite Kirchenkrise, der wir uns nun zuwenden, war wesentlich eine innere Krise der Kirche. Seit zwei Jahrhunderten war man sich darüber klar, daß die Kirche dringend einer Reform bedürfe, das heißt, daß sie die Mißstände ausräumen müsse, die sich in ihr festgesetzt hatten, daß sie Verkündigung und Seelsorge den veränderten Zeitverhältnissen anpassen müsse — aber nichts Durchgreifendes war geschehen. Der äußere Bau der Kirche war noch erstaunlich intakt Aber durch vielfachen Mißbrauch war die innere, die religiöse und moralische Autorität der Päpste und der Bischöfe abgenutzt. Der Klerus blieb hinter seiner Führungsaufgabe zurück, hielt aber starr fest an seinen Privilegien. Die Kirche war Klerikerkirche geworden, sie betrachtete sich als im Besitz der Hellsmittel, der Sakramente, auf deren Empfang die Laien angewiesen waren, wenn sie ihre Seelen retten wollten.Der Protest dagegen war die Reformation. Luther wollte die Kirche reformieren, das heißt, eben das tun, was bisher von den zuständigen Autoritäten versäumt worden war. Aber er war davon überzeugt, daß die Ursache der vorhandenen Mißstände die Verfälschung der reinen Lehre des Evangeliums sei und daß man zuallererst diese wiederherstellen müsse, um aus ihnen den Maßstab für alle anderen Reformen zu gewinnen. An diesem Punkte lag die Ursache des tragischen Zusammenstoßes: Luther brach nicht nur mit menschlichen Traditionen, den Menschensatzungen, wie er sie nannte, er wies die Verbindlichkeit des kirchlichen Lehramtes, des Trägers der Sacra traditio, zurück. Die Krise des 18. Jahrhunderts war ebensosehr eine Autoritätskrise wie eine Glaubenskrise. Die Träger der Autorität hatten in ihrer Mehrheit versagt, hatten versäumt, die notwendigen Reformen durchzuführen. Das rächte sich jetzt: das Urteil des Papstes über Luthers Lehre wurde kaum zur Kenntnis genommen, vieJe deutsche Bischöfe zögerten, die Bulle „Exsurge Domine“ zu verkünden. Was die Kontroverstheologen gegen Luther schrieben, wurde nicht gelesen. Die Glaubensunsicherheit wuchs. Wer eine Besserung der kirchlichen Verhältnisse, also Reform der Kirche wollte, „Progressist“ war, wie man heute wohl sagen würde, schloß sich Luther an, bejahte seine „Reformation“, obwohl sie doch etwas anderes war als das, was man vorher unter „Reform“ der Kirche verstanden hatte. Das immer wieder geforderte Konzil, das Klarheit in Glauben und Reform — im alten Sinn des Wortes — bringen sollte, wurde 25 Jahre hinausgeschoben, und als es schließlich in Trient zusammentrat und definierte, was katholische Lehre war, und Reformen dekretierte, War es zu spät, um die Spaltung zu verhindern. Die Kirchenspaltung war Tatsache geworden, ein großer Teil des mittelalterlichen Orbi3 catholicus hatte sich von der römischen Kirche und vom Papsttum getrennt. Es war die schwerste Krise, die die Kirche seit ihrem Bestehen durchgemacht hat. Wie hat die Kirche sie überwunden? Sie hat sie dadurch überwunden, daß die religiöse und moralische Autorität des Papsttums wiederhergestellt wurde, seitdem um die Jahrhundertmitte Päpste den Stuhl Petri bestiegen, denen die innere Erneuerung der Kirche am Herzen lag und die sich die Durchführung des Trien-ter Konziiis zur vornehmsten Aufgabe machten; eben dieses Konzil stärkte auch die Autorität der Bischöfe in ihren Diözesen in allen Seelsorgeangelegenheiten, allerdings nicht in dem Maße, wie man es hätte wünschen müssen. Die Trienter Glaubensdekrete und das aus ihnen zusammengestellte Triden-tinische Glaubensbekenntnis schufen wieder Glaubenssicherheit, die so lange gefehlt hatte, und sie gaben der Theologie eine sichere Basis. Ich weiß sehr wohl, daß diese Reaktion auch ihre Schattenseiten hatte. Wir wollen jetzt nicht darüber disputieren, ob es auch anders hätte sein können, und uns einmal nur an die Tasachen halten. Und Tatsache ist, daß die katholische Kirche trotz der schweren Verluste, die sie erlitten hatte, um 1600 innerlich kräftiger geworden war als ein Jahrhundert zuvor, ehe die Glaubensspaltung ausbrach. Daß die nachtri dentinische Kirche dann in den folgenden beiden Jahrhunderten allzu starr an ihrer tridentinischen Form festgehalten und den Kontakt mit der neu heraufziehenden geistigen und politischen Welt verloren hat, gehört auf ein anderes Blatt.

Wir ziehen jetzt die Folgerungen aus den Beobachtungen, die wir an den beiden großen Krisen, dem Untergang der antiken Welt und der Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts, gemacht haben. In diesen Folgerungen ist die Antwort auf die Frage enthalten, die wir am Anfang gestellt haben: Was hat die Kirchengeschichte zur gegenwärtigen Kirchenkrise zu sagen? Folgerung in drei Punkten:

1. Die Kirche hat die beiden Krisen, die wir als Vergleichsobjekte herangezogen haben, durchgestanden und durchzustehen vermocht, weil sie die Bewahrung des ihr anvertrauten Offenbarungsgutes durch das Lehramt an die erste Stelle gesetzt hat. Das Lehramt der Kirche ist und bleibt auch heute die verbindliche Richtschnur unseres Glaubens — nicht die Theologie. Die Theologie muß den Glaubensinhalt denkend zu bewältigen suchen, sie kann die Mysterien des Glaubens verständlich machen, ihre Zusammenhänge aufzeigen; sie muß mit den wissenschaftlichen Methoden arbeiten, die dem Stand der Zeit entsprechen, sie muß stets die Hand am Puls des geistigen Lebens halten. Sie hat eine hohe Aufgabe und ist für das Lehramt unentbehrlich, aber sie ist nicht mit ihm identisch. Träger des kirchlichen Lehramtes sind und bleiben die Nachfolger der Apostel. 2. Die Autoritätskrise, in der wir stehen, ist entstanden durch die Abneigung unserer Zeit gegen Autorität in jeder Form. Aber wie im 16. Jahrhundert kann die Autoritätskrise in der Kirche nicht durch Verzicht auf die Autorität gelöst werden, der gar nicht in unserer Macht rteht, sie kann nicht durch Demokratisierung der Kirche behoben werden, die gewisse demokratische Formen, wie sie im politischen und gesellschaftlichen Leben unserer Zeit gang und gäbe sind, unbesehen auf die Kirche übertragen. Denn die katholische Kirche hat ihre eigene, durch den Stifter festgelegte Grundstruktur, kraft derer die Nachfolger der zwölf Apostel und ihr Haupt, der Bischof von Rom, Träger des dreifachen Amtes, des Lehr-, Priester- und Hirtenamtes, sind und dadurch Autorität, aber auch Verantwortung besitzen, und sowohl diese Autorität wie die Verantwortung sind unteilbar. Deshalb hat das Konzil zwar die Beratung der Autoritätsträger durch Gemeinde- und Diözesanräte,also durch Laien, angeordnet, aber keine Mitbestimmung durch sie. Die Primatialgewalt des Papstes kann nicht durch Beschlüsse eines Laienkongresses eingeschränkt werden, kein künftiges Konzil kann ein „Kirchenparlament“ nach dem Muster staatlicher Parlamente werden, so daß Priester und Laien das gleiche Stimmrecht ausüben wie die Glieder des Bischofskollegiums. Die Kirchengeschichte kann kein Rezept für die Lösung unserer Kirchenkrise liefern. Die Geschichte der Menschheit wiederholt sich nicht, und auch die Geschichte der Kirche wiederholt sich nicht. Dennoch Ist die Kirchengescbichte als Kunde von der Vergangenheit der Kirche etwas Ähnliches wie beim menschlichen Individuum die Lebenserfahrung. Sie glaubt ziemlich sicher zu wissen, wie man es nicht machen darf, und sie hofft, den einen oder anderen Wegweiser auf den Weg der Kirche in die Zukunft setzen zu können, und aus dieser Mitverantwortung für diesen Weg glaubte ich sagen zu müssen, was ich gesagt habe.

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