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Keine Flucht hinter Reste alter Mauern

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Papstreisen - wie demnächst jene nach Österreich - bedeuten Begegnungen von Weltkirche und Ortskirche. Das damit verbundene Spannungsfeld reicht freilich weit über Österreich und einzelne Reisen hinaus und betrifft geweihte und nichtge-weihte Christen.

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Papstreisen - wie demnächst jene nach Österreich - bedeuten Begegnungen von Weltkirche und Ortskirche. Das damit verbundene Spannungsfeld reicht freilich weit über Österreich und einzelne Reisen hinaus und betrifft geweihte und nichtge-weihte Christen.

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Wenn der Papst als Nachfolger des heiligen Petrus zu einem Pastoralbesuch aufbricht, dann erhält die oft sehr emotionell geführte Diskussion über das richtige Verhältnis von Weltkirche und Ortskirche neuen Auftrieb. Ein unvergeßliches Bild kommt mir da in den Sinn: der Einzug der Konzilsväter in den Petersdom bei der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962. In ihren Bischöfen versammelten sich die Kirchen aus aller Welt am Sitz des Nachfolgers des heiligen Petrus, des ersten der Apostel, um gemeinsam unter Anrufung des Heiligen Geistes über den Weg der ganzen Kirche zu beraten.

In diesem Bild aus der Aula der Peterskirche wurde aber auch deutlich, daß die Kirche endgültig Weltkirche geworden ist. Es scheint, als würde die Vision des heüigen Johannes: „Und man wird die Pracht und die Kostbarkeiten der Völker in die Stadt bringen“ Wahrheit werden. Indem sie wirklich Weltkirche geworden ist, hat die katholische Kirche etwas vom großen Atem der spätantiken Christenheit zurückgewonnen, die in Vorderasien und Nordafrika verwurzelt war und von dort aus tief in die beiden Kontinente hineinstrahlte. Erst die weitgehende Islamisie-rung dieser Gebiete hat die Kirche gleichsam „abgeschnürt“, ihr ein europäisches Kleid gegeben, das im Verlauf der Zeit wohl auch zum beengenden Korsett geworden ist.

Beim Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche auch in ihrem Bewußtsein mutig den Schritt in die weltweite Dimension getan. Es wurden die Weichen gestellt für die weitere Entwicklung: Heute leben 60 Prozent der Katholiken in der Dritten Welt, bis zum Ende des Jahrhunderts werden es 68 Prozent sein.

Wir stehen heute mitten in einer großen Umstellung: Der Apparat der Kirche ist noch auf die europäische Dimension angelegt, aber die Kirche lebt bereits in planetarischer Dimension. Das kann licht ohne schmerzhafte Spannungen und Probleme abgehen. Wenn man die kirchlichen Entwicklungen nicht aus der Perspektive des müde gewordenen westlichen Europa betrachtet, sondern vom Standpunkt der Ortskirchen in Afrika, Südasien, Lateinamerika aus, stellt sie sich ganz anders dar.

Auf der Suche nach einer Antwort auf die gegenwärtige Wachstumskrise haben sich zwei „Denkschulen“ herausgebildet. Da sind die einen, die, voll Vertrauen auf das Wehen des Geistes Gottes, alles wachsen lassen wollen, was sich in dieser großen Weltkirche Gottes, im Volk Gottes an Neuem regt. Und da die anderen, die Sorge haben, daß mit dem Weizen allzu viel Unkraut aufwachsen könnte, und die nun meinen, durch zentrales Vorgehen darauf achten zu müssen, daß die Reinheit der Lehre gewahrt bleibt. Beide Haltungen haben viele Argumente für sich. Wie so oft in der Kirchengeschichte liegt die Wahrheit wohl nicht zur Gänze auf der einen und nicht zur Gänze auf der anderen Seite, sondern „vor“ uns, in der größeren Bereitschaft, auf das Wort Gottes zu hören und den Willen des Herrn der Kirche aus den Zeichen der Zeit im Respekt vor der ungebrochenen Tradition der Kirche zu erspüren.

Gerade das ausgewogene Verhältnis zwischen notwendigem Zentralismus und zulässigem Föderalismus in der Kirche hat sich noch nicht eingependelt. Auch hier ist es gut, die Tradition zu befragen. Dabei aber gilt es, die ganze Tradition der Kirche im Auge zu behalten und unter Tradition nicht nur jenes Erscheinungsbild von Kirche zu verstehen, das sich nach dem Ersten Vatikanischen Konzil für eine kurze historische Frist herausgebüdet hatte. Damals war die Zentralisierung die einzig mögliche Antwort auf eine Situation, da in fast allen christlichen Ländern antiklerikale Regime herrschen, die öffentliche Meinung in den herrschenden Schichten in scharfer Frontstellung zur Kirche war und die Situation der Kirche materiell wie ideell der einer belagerten Festung glich.

Die fortschrittsgewisse „Welt ohne Gott“ des 19. Jahrhunderts versank in den furchtbaren Katastrophen des 1. und 2. Weltkriegs. Es war ein Akt des Mutes beim Zweiten Vatikanischen Konzil, daß die obsolet gewordenen Festungsmauern niedergelegt wurden und die Kirche mitten unter die Menschen hinaustrat, die ihr mit Interesse und wohl auch mit einem gewissen Vertrauen entgegenkamen. Wer das Zweite Vatikanische Konzil aufmerksam miterlebt hat, weiß, daß dieses Hinaustreten in die Welt sichtbar unter der Führung des Heiligen Geistes geschehen ist. Es wäre eine Illusion, zu glauben, die Flucht hinter die Reste der alten Festungsmauern wäre heute das den Erfordernissen der Zeit entsprechende Verhalten.

Beim Zweiten Vatikanischen Konzil ist eine Erkenntnis wieder ins Bewußtsein der Katholiken gerufen worden, die zum gemeinsamen und unveräußerlichen Erbe der ungeteilten Christenheit des 1. Jahrtausends zählt: Kirche ist nicht eine Art multinationales Unternehmen des geistigen Bereichs mit vielen Filialen in aller Welt, dessen Konzernsitz zufällig in Rom beheimatet ist, sondern Kirche ist Gemeinschaft, Com-munio.

Kirche ist das durch die Zeiten pilgernde Volk Gottes aus Laien, Priestern und Bischöfen mit dem Papst an der Spitze. Die Bischöfe sind keine Filialleiter eines Konzernherrn, sondern jeder von ihnen repräsentiert den von Christus den Aposteln erteilten Auftrag.

Aber so wie Christus den Petrus zum „Felsenmann“ auserwählt und ihm den Auftrag gegeben hat, „seine Brüder zu stärken“, so hat der Papst als Nachfolger des Petrus besondere Vollmacht über die Kirche — um in der Vielfalt die notwendige Einheit zu wahren. Es gehört zu den schwierigen Aufgaben des Papstes in der nachkonzi-liaren Zeit einer „Weltkirche“, die Inkulturation, die Einwurzelung der christlichen Botschaft in den verschiedenen Kulturen und Völkerschaften zu betonen und andererseits die notwendige Einheit nie aus dem Auge zu verlieren. Unter dieser Spannung stehen die Papstreisen, die aus einer solchen Sicht heraus notwendig geworden sind.

Wir freuen uns heute, daß sich in einem zähen theologischen Ringen um die Wahrheit auch viele nichtkatholische Christen der Einsicht aufschließen, daß die Rolle des Bischofs von Rom ihr Fundament letztlich im biblischen Auftrag Christi hat. Freilich gehen die Meinungen weit auseinander, auch unter Katholiken, wie der Papst sein Amt ausüben soll, Garant der Einheit und bevollmächtigter Sprecher der ganzen Kirche zu sein. Die Rolle des „Apparats“, der Kurie des Bischofs von Rom, stellt für so manchen Christen einen „Stolperstein des Glaubens“ dar.

Im Gegensatz zu einem immer wieder hochkommenden antirömischen Affekt (der vielfältige geistesgeschichtliche Wurzeln hat) gilt auch hier eine christlich-nüchterne Betrachtung. Daß ein „Apparat“ auch notwendig ist, steht außer Zweifel. Je größer die Weltkirche wird, desto mehr muß auch der „Apparat“ zunehmen — obwohl es in der Welt kaum einen sparsameren gibt als den der römischen Kurie.

Vor allem: Im Gegensatz zu den antirömischen Feindbildern, die von den Bodensätzen einer Jahrhunderte zurückreichenden „schwarzen Legende“ zehren, sind die „Kurialen“ keine Versammlung machtgieriger Intriganten, sondern in ihrer Mehrzahl Menschen — Laien, Ordensleute, Priester, Bischöfe — die nach bestem Wissen und Gewissen an ihrem konkreten Platz ihren Auftrag als Christen leben und ihre Aufgabe in der Kirche erfüllen wollen. Wie überall, wo Menschen sind, gibt es auch unter ihnen Heilige und Sünder, Leute, denen es um die Sache geht, und Karrieristen — und wie so oft geht die Grenze mitten durch das Herz jedes einzelnen. Eben deshalb darf auch die Kurie nicht zu einem Feindbild werden.

Dazu eine Illustration von einer meiner früheren Reisen in den Osten. Mein Gesprächspartner stellte mir die Frage: „Warum können nicht die vier, fünf Bischöfe dieses Landes mit der Regierung einen modus vivendi für ihre Kirche aushandeln? Warum muß ausgerechnet der Vatikan solche Verhandlungen mit unserer Regierung führen?“ Damals wurde mir plötzlich klar, wieviel das internationale „Zentrum Rom“ auf der Weltebene für die Ortskirche in einem marxistisch geführten Staat bedeutet. Die katholischen Bischöfe des Landes wären bei solchen Verhandlungen einfach an die Wand gedrückt worden. Die vatikanischen Verhandlungen waren so der einzige Schutz für die nationale Kirche im marxistischen Staatsbereich. Im übrigen war auch schon Hitler die Internationalität der katholischen Kirche ein Dorn im Auge.

Aber das Verhältnis zwischen Ortskirche und römischem Zentrum der Weltkirche ist keine Einbahnstraße. Wenn dem römi-

sehen Zentrum oft vorgeworfen wird, kein Verständnis für die Ortskirchen zu haben, müssen sich die Ortskirchen auch einer ernsten Selbstbesinnung unterziehen, ob sie gegenüber den Sorgen und Anliegen Roms, wo Informationen und Eindrücke aus aller Welt zusammenlaufen, immer die notwendige Offenheit gehabt haben. Besteht nicht in so mancher Ortskirche die Versuchung, sich einzuigein und abzukapseln in den eigenen Problemen, den Blick über den Zaun nicht mehr zu wagen? Ja, wird nicht mitunter in ähnlicher Weise in eine „Festung“ eingerückt — ob nun unter „progressivem“ wie „konservativem“ Vorzeichen —, wie es für die ganze Kirche in der Zeit nach dem Ersten Vatikanischen Konzil charakteristisch war?

Inkulturation ist ein großes, vielgebrauchtes Wort, wenn es um das richtige Verhältnis zwischen Ortskirche und Weltkirche geht. Und doch ist es gut, sich daran zu erinnern, daß auch im europäischen Raum nicht das ganze Erbe der Völker in den Raum der Kirche eingebracht wurde. Es galt, die „Unterscheidung der Geister“ zu üben, alles zu prüfen und das Gute zu behalten.

Das Zweite Vatikanische Konzil sah in einer großartigen Vision die Kirche als Zeichen und Sakrament der Einheit der ganzen Menschheit. Nun wäre nichts törichter, als die ganze Welt über einen Leisten schlagen zu wollen, Einheit als Uniformiertheit miß-zuverstehen. Gleichzeitig muß aber die Bereitschaft zur Öffnung vorhanden sein, die Bereitschaft, eigene Erfahrungen und Traditionen mit anderen zu teilen. Notwendige Einheit und zulässige Vielfalt werden bis zum Ende der Zeiten auch in der Kirche in einer starken, notwendigen Spannung stehen. Es ist ein Zeichen eines reifen, erwachsenen Glaubens, wenn im Vertrauen auf die Kraft des Geistes diese Spannungen angenommen und ausgehalten werden.

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