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ÖKUMENE DER LIEBE

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Das Brausen, das am Pfingsttage vom Himmel drang und den hohen Saal erfüllte, wo die Schar der Apostel und Jünger um Maria im Gebet versammelt war, war auch auf den Straßen. Jerusalems vernommen worden. Das Fest hatte eine große Menschenmenge aus allen Ländern, aus Orient und Okzident, in die Stadt geführt. Wie sie nun die Apostel in allen Sprachen reden hörten, da verwunderten sich die einen und die anderen spotteten. Petrus aber stand auf und belehrte sie, daß über die Versammelten der Heilige Geist ausgegossen worden war und sich das Wort des Propheten Joel erfüllt hatte.

Ein Brausen ist auch durch die Welt gegangen, als Petri Nachfolger am vergangenen 25. Jänner vom Grabe des Apostelfürsten Paulus aus die höchste Versammlung der Kirche ankündigte, das Oekumenische Konzil. Wo die Stimme hindrang, da erstaunten die einen, und manche kritisierten. Aber wie züngelnde Flammen eines unlöschbaren Feuers, das von Seele zu Seele überspringt, hat sich der Gedanke des Konzils verbreitet. Er ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen und drängt zur Verwirklichung. Johannes XXIII. ist von ihm erfüllt und spricht mit allen. Besuchern, mit Pilgern, in Audienzen, in Botschaften über ihn.

Für Johannes XXIII. ist das Konzil keine organisatorische Aufgabe, sondern ein Glaubenswerk, keine Demonstration, sondern ein religiöses Anliegen. Im Irrtum befindet sich, wer das Konzil mit einer internationalen Konferenz, gleich welcher Bedeutung und auf welcher Ebene, vergleichen möchte; wer nach den Erfolgsaussichten fragt und dabei etwa an die Union mit den Orthodoxen oder Protestanten oder mit beiden denkt, irrt in gleicher Weise. Denn die Union ist ein wichtiges Thema der kommenden Versammlung, aber nicht ihr einziges. Es gibt viele Fragen, „die im Interesse des Wohles der universalen Kirche geklärt werden sollen”. Das menschlich-göttliche Programm des gegenwärtigen Pontifikats liegt in den drei Worten: Einheit, Freiheit, Frieden. Die Einheit als Vorbedingung für die Freiheit und als Quelle des Friedens.

Den Papst erschreckt der Gedanke nicht, wie manchen katholischen Journalisten, die Unionsbestrebungen könnten mit einem Mißerfolg enden; der „Mißerfolg“ könnte immer nur bedingt sein, die Bewegung ist vorhanden und auch die Richtung, nach der sie strebt. Neben der Katho- lizität des Glaubens, die bereits sichtbar genug ist. neben der institutionellen Katholizität also, soll auch die Katholizität der Liebe besser sichtbar werden. Ist dies der Fall, dann ist ein guter Boden für die Union geschaffen. Besser noch als das Wort des Papstes allein kann ein Konzil dazu beitragen. Nennen wir also das 21. Konzil der universalen Kirche die „Oekumene der Liebe“.

Noch sind keine Kommissionen für das zweite „Vaticanum“ ernannt; diese Tatsache und die Andeutung, daß das Konzil frühestens im Jahre 1961 stattfinden kann, vielleicht auch später, hat den Eindruck erweckt, daß bislang wenige Vorbereitungen getroffen worden sind. Doch hat Johannes XXIII. einigen Kardinalen und auch Bischöfen den Auftrag gegeben, Vorschläge über Materien und Durchführung des Konzils zu unterbreiten. Wenn der Papst in gleicher Weise an den Vorbereitungen für das Konzil wie an jenen für die Römische Synode Anteil nimmt - und alles deutet darauf hin, daß er es tun wird —, so wird auch hier eine bedeutsame Neuerung erfolgen. Die Päpste haben auf den bisherigen Konzilen selbst wenig in direkter Weise eingegriffen. Angelo Roncalli hat mit der Synode selbst viel zu tun. Ist ihr eigentlicher Vorsitzender der Erzbischof Traglia, so führt Johannes XXIII. bei den Plenarsitzungen selbst den Vorsitz. Aber immer wird von außen der Wunsch laut, daß die Römische Synode nicht als eine

Art „Generalprobe" für das Allgemeine Konzil aufgefaßt werden solle.

Die Begeisterung für die Initiative des Papstes ist nachhaltig, auch wenn hier und dort selbst in der katholischen Publizistik der gutgemeinte Versuch unternommen wird, diese Begeisterung einzudämmen. Organisatorisch denkende Leute kritisieren die Ankündigung ohne weitgediehene Vorbereitung. Andere äußern sich skeptisch über die Möglichkeiten der Union. „In den Institutio nen gibt es Unabänderliches, an denen niemand rütteln kann; aber vieles andere kommt vom positiven Recht her. Ihr werdet sehen, die Kirche wird sich mutig zeigen“, erwidert der Papst. Daß, Johannes XXlII, in erster Linie an die Orthodoxie denkt, wenn er von Union spricht, zeigt mehr sein Verhalten als die offene Rede. Mit großer Aufmerksamkeit werden in der römischen Kurie alle Reaktionen bei den Christen anderer Bekenntnisse verfolgt, sie werden gesammelt,

studiert und dem Papst regelmäßig vorgelegt. Er versäumt es niemals, Besucher, in denen er besondere Kenntnis der Orthodoxie vermutet, nach ihren Meinungen zu befragen. Mehrere hervorragende Vertreter der Orthodoxie sind in den vergangenen Monaten im Vatikan gewesen und haben mit führenden Männern der Kurie Privatgespräche geführt, was seit Jahrhunderten nicht mehr der Fall war.

Ein Vorkommnis, das auf Papst Johannes einen tiefen Eindruck gemacht hat, ist der Oeffentlichkeit bisher nicht bekanntgeworden. Bald nach der Ankündigung des Oekumenischen Konzils ist ihm von den Erben des kurz vor Beginn des Konklaves verschiedenen Kardinals Celso Costantini mitgeteilt worden, daß der langjährige Kanzler der Römischen Kirche umfangreiche handschriftliche Studien hinterlassen habe. Roncalli dankte und erbat sich die Ueber- gabe des Materials. An einem späten Abend legte ihm ein Beamter der Kurie das Manuskript vor und Papst Johannes erkannte die kleine, minuziöse, wundersam ordentliche Handschrift des Freundes wieder. Sein Bild stand ihm wieder vor Augen, der schlanke, hochgewachsene Mann mit dem weißen Spitzbart, dem Papste Innozenz XI. ähnlich. Es erschien dem Papste Johannes XXIII. wie eine Botschaft aus der anderen Welt, als er zu seinem Erstaunen bei flüchtiger Durchsicht erkannte, daß die etwa zweihundert engbeschriebenen Blätter nichts anderes waren als ein präzises Schema für die Abhaltung eines

Oekumenischen Konzils, der Entwurf seines Mechanismus und seiner Materien. Angelo Roncalli winkte nur mit der Hand, daß sich der Beamte entferne und versenkte sich sofort mit äußerstem Interesse in die für ihn so fesselnde Lektüre.

Der einstige Sekretär der Kongregation für Glaubensverbreitung und Apostolische Delegat in China, Begründer der modernen Mission, mußte Jahre seines Lebens auch dem Studium des ökumenischen Problems und des Konzils für die Union gewidmet haben. Ob aus eigenem Antriebe oder im Auftrage Papst Pius’ XII. wird nicht mehr leicht festzustellen sein. Nun, auch Costantini dachte bei der Union vorwiegend an die Orthodoxen. Er schlägt vor, zunächst alle trennenden Fragen zu untersuchen und gemeinsam zu erörtern, wie das Filioque, das heißt, die lehre des abendländischen Christentums, daß der Heilige Geist nicht nur vom Vater, sondern auch vom Sohne ausgehe, gemäß dem Christuswort: „Alles, was der Vater hat, ist Mein.“ Oder die dogmatische Definierung der Wesensnatur Mariens, die von den Orthodoxen zwar mehr oder weniger anerkannt ist, aber nicht als Dogma. Hierauf sollen die Fragen der Disziplin miteinander beraten werden, vor allem die sakramentale Disziplin, wie etwa die bei den Orientalen bereits übliche Erteilung der Firmung an die Neugeborenen, da mit ihr der Seele ein „character indelebilis“ eingeprägt wird. Schließlich Fragen der Doktrine, da die Kirche viel Neues zu erklären hat, etwa über Krieg und Frieden, über die modernen Kriegsmittel (daher die große

Verwirrung über die Verwendung der Atombombe auch unter den katholischen Theologen), über den Materialismus.

Ob und inwieweit Johannes XXIII. den Anregungen des verstorbenen Kardinals folgen will, kann natürlich niemand sagen. Costantini war ein entschiedener Vertreter der Adaptation in den Missionen gewesen, er ist zum Beispiel für die Anerkennung der chinesischen und japanischen Riten eingetreten und war der Meinung, daß zwischen Tradition, Kultur und Zeit auf der einen und der Religion auf der anderen Seite kein Kontrast zu bestehen brauche. Aus dieser Anschauung heraus hielt er nicht viel davon, die Völker fernöstlicher oder afrikanischer Kulturkreise an den lateinischen Ritus zu binden. Er dürfte auch in seinem Vorentwurf für das Konzil Anhänger der radikalen Adaptation sein, und in dieser Richtung ist er Papst Johannes XXIII. wesensverwandt.

An dem Trienter Konzil haben beim Beginn nicht mehr als zwölf Bischöfe teilgenommen, und dennoch ist es eines der bedeutendsten aller Zeiten geworden und zweifellos das bedeutendste der neueren Zeit, da sich die kirchliche Disziplin immer noch auf seine Beschlüsse gründet. Das angekündigte zweite „Vaticanum“ wird der Teilnehmerzahl nach das größte aller Zeiten werden, aber auch das wichtigste wegen der Wichtigkeit seines Hauptthemas. Es ist ein dramatisches Problem von größter Dringlichkeit: das Leben der Menschheit selbst.

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