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Konzil - ein Akt der Liebe

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Es sind erst wenige Tage vergangen seit der Eröffnung der vierten Konzilssession, und schon überstürzen sich die Ereignisse. Die Prognosen waren zwar eher düster gewesen. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch das Enscheinen des Weltrundschreibens „Geheimnis des Glaubens“, das entschieden gewisse Irrtümer oder Lehrabweichungen bezüglich der Eucharistie abwehrt. Es handelt sich um ein Weltrundschreiben und richtet sich somit an alle Katholiken, doch stehen im Vordergrund die Holländer. Denn erstmals in der Geschichte hat das Staatssekretariat eine eigene holländische Enzyklika herausgegeben. Ein Artikel des „Osservatore Romano“ betont ausdrücklich und in scharfer Frontstellung gegen einige große italienische Zeitungen, daß die Holländer völlig zu Unrecht auf die Anklagebank verwiesen werden.

Erstens ist nämlich die Eigenart der Holländer zu beachten. Dort ist man es gewohnt, offen zu schreiben, was anderwärts nur mündlich geflüstert wird. Die holländischen Bischöfe halten das für den besseren Weg, Probleme zu lösen, erklärte Kardinal Alfrink in einer Art Verteidigungsrede seiner katholischen Herde. Zweitens, und das ist weit schlagkräftiger, bedeutet es eher ein Ruhmesblatt der holländischen Katholiken, daß die Eucharistie bei ihnen weit mehr als in den meisten anderen Ländern nicht bloß eine Sache des Glaubens, sondern der lebendigen Praxis darstellt. Sie haben darum die Liturgiekonstitution des Konzils zu einem ihr Leben gestaltendes Element gemacht. Und weil darin tatsächlich die Akzente sehr anders liegen, als sie Jahrhundertelang zum Unterschied von der Kirche der ersten Zeiten gelegen waren, man denke nur an die Betonung der Gemeinschaft und des Mahles, gerieten sie auch stärker in all die Fragen hinein, die dadurch aufgeworfen werden. Dabei haben sich einzelne im Suchen nach passenden Formulierungen, die diesen Wandel verdeutlichen sollte, mißverständlicher, aber auch Verwirrung erzeugender Wortbildungen bedient. Um der daraus entstehenden Unruhe zu wehren, kam das Rundschreiben heraus.

Wege sperren oder Wege weisen

Das hat an sich nichts Bedrückendes, doch weiß man, daß der Papst ursprünglich für dieselbe Zeit ein Rundschreiben über die Bedeutung der Kultur geplant hatte, zum 700 jährigen Geburtstag Dantes. Für die vierte Session wäre dies ein verheißungsvoller Auftakt gewesen. Im Schema über Kirche und Welt bildet die Kulturfrage einen wichtigen Punkt, und Kardinal Lercaros Kulturrede in der letzten Session war ein Horizonte aufreißender Höhepunkt dieser Debatten gewesen. Jetzt, so könnte es scheinen, fiel man in den alten Stil der Errichtung von Warntafeln zurück, die Wege versperren, aber keine Wege weisen. Noch hatte man die Eröffnungsrede der dritten Session im Gedächtnis, die einzig und allein auf die Bischofsfrage konzentriert, auch nur Grenzen absteckte, ängstlich besorgt, drohendes Unheil abzuwehren.

Ein Selbsterlebnis

Dann aber kam es dieses Mal doch anders. Ein anderer Papst betrat den Petersdom. Nichts Zögerndes, nichts Ängstliches, nichts Gehemmtes und Gequältes war an ihm. Ein Glanz ging von ihm aus. Seine Rede schien anfangs als eine fromme Predigt. Zu keinem der Themen, die vorliegen, sagte er ein Wort. Aber je länger er redete, desto deutlicher trat es hervor, daß er eigentlich ein Selbsterlebnis beschrieben, ein Erlebnis, das ihm in seiner Krankheit kurz vor dieser Session widerfahren war. Die Krankheit war eine Folge ihn zermarternder Fragen gewesen. Die Abgeschiedenheit in ihr hatte ihn dazu geführt, sich über alle Probleme zu erheben, oder besser, alle Probleme von innen her zu sehen.

Er sagte: „Es mutete Uns an, als wären Wir herausgehoben aus dieser Erde und ihren Wirren und Trümmern und sehen strahlend und wärmend die Sonne des Lebens.

Und das Leben war das Licht der Menschen.“ War das nicht ein Selbstbekenntnis? Und was folgte daraus für all die quälenden Fragen, die das Konzil und in ihm der Papst sucht? Es folgt, daß letzten Endes die Kirche allen anderen Bewegungen und Ideologien nur dieses eine voraus hat, was sie beglaubigt, was sie glaubhaft macht: Und das ist nicht ihre Zahl, nicht ihre Macht und auch nicht ihr Wissen, sondern die Liebe. Deshalb muß dieses Konzil sein ein Akt der Liebe zur Menschheit, sagt der Papst. Diese schauende Betrachtung hat den Papst von all seiner Gequältheit befreit. Aufgabe des Papstes ist es, das alle Einigende zu sehen und wahrzunehmen. Er hat mit seiner Rede diese Aufgabe wirklich wahrgenommen und damit dem ihm eigenen Auftrag wirklich erfüllt. Viel besser und tiefer, als wenn er Richtlinien für die einzelnen Themen gegeben und Warntafeln errichtet hätte.

Erstaunen über den Bischofsrat

Freilich, mit einer Schau allein darf sich ein Papst nicht begnügen. Er hat das Gemeinsame anzuordnen. Und auch das hat er mit seiner Eröffnungsrede getan. Den von so vielen gewünschten Bischofsrat, den manche als die wichtigste praktische Reform ansehen, die dieses Konzil bringen muß, hat er noch für diese Session angekündigt. Die Kleingläubigen freilich zweifelten trotzdem, aber der Papst beschämte sie, indem er tags darauf durch ein Motu Proprio dessen Gestalt bereits festlegte. Manches Erstaunen war darin beschlossen. Nicht das Kardinalskollegium bildet den Rat, es sind in der Mehrzahl von den Bischofskonferenzen mit Billigung des Papstes gewählte Vertreter. Nicht der römischen Kurie untersteht der Rat, sondern direkt dem Papst. Freilich tritt der Rat nicht regelmäßig nach festem Statut zusammen, sondern nur, wenn der Papst es für notwendig erachtet. Der Mißtrauische argwöhnt sofort: Also vielleicht niemals? Aber der Einwand ist lächerlich und kleinlich. Vielmehr wird dadurch einem bürokratischen Leerlauf elastisch gewehrt. Nochmals einen Tag später wurden die Präsidenten aller Bischofskonferenzen aufgefordert, ihre römische Adresse bekanntzugeben.

Die Schallmauer durchbrochen

Man sieht, die Sache drängt. In dieser Session noch wird der Rat, man nennt ihn jetzt „Synod“, in Anlehnung an den Heiligen Synod der Ostkirche und der ersten Jahrhunderte in Fleisch und Blut vorhanden sein. In gewissem Sinn wird er es ermöglichen, verkürzte Konzilien abzuhalten. Außerdem wird dadurch in beträchtlichem Maß die Kurie zu einem reinen Exekutivorgan. Die Schallmauer des Hofes wird durchbrochen, wenn auch nicht dauernd. Die Bedeutung der Bischofskonferenz wächst erheblich, noch ehe das Schema über die Regierung der Bischöfe verabschiedet ist.

Sachlich bedeutet das alles eine Auswirkung des dritten Kapitels in der Kirchenkonstitution. Nicht, als müßte der Papst diesen Synod einsetzen und einberufen, wohl aber in dem Sinn, daß das dort Gesagte eine solche Gründung dem Papst nahelegt, weil sie dem Geist und Sinn der Kollegialität besser entspricht. Die Bedeutung dieses heiß umstrittenen Kapitels, an dem das Konzil fast zerbrochen wäre, tritt jetzt deutlicher zu Tage. Es lieferte dem Papst den dogmatischen Hebel, mit dem er weittragende Reformen der ganzen Kirchengestalt einleiten kann. Man sieht aber auch, daß die Garantie für das Funktionieren der Kollegialität und der Reform eben nicht rechtliche Festlegungen und Normen sind, sondern der Geist der Kollegialität, und der ist eben die Liebe. So hängen beide Teile der Papstrede innerlich tief zusammen. Der größere aber ist extensiv und intensiv der über die Liebe.

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