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PETRUSZEICHEN JOHANNES

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„LEO HAT GESPROCHEN - PETRUS HAT GESPROCHEN” sollen die Konzilsväter von Chalcedon nahezu einstimmig ausgerufen haben, als ihnen die Legaten Leos des Großen den grundlegenden dogmatischen Bescheid dieses ersten, in die politische Weltgeschichte eingetretenen Papstes — er starb fast auf den Tag genau vor eineinhalb Jahrtausenden — verkündeten. Wer immer seit damals bis heute das innerste Wesen des Papsttums verstehen wollte, muß es von diesem Kern her erfassen. Der Papst ist der geheimnisvoll fortlebende Petrus — nicht mehr’ und nicht weniger.

Er ist nicht mehr als ein schwacher, sündiger Mensch. Wir wissen von Petrus nach dem Zeugnis der Evangelien, daß er jähzornig, unbedacht, großsprecherisch, aber auch zaghaft und kleingläubig war. Wer die Jahrhunderte der Papstgeschichte durchblättert, wird den gleichen Eigenschaften wieder und wieder begegnen. Keine Beschönigung kann es vertuschen: Es hat auch schwere Sünder, moralisch defekte Gestalten unter den Päpsten gegeben. Was immer also auch von „Seiner Heiligkeit” gesagt und zeitweise geschmeichelt wird. Es ist „Santitä di Nostro Signore”, Heiligkeit Gottes, Herrlichkeit des Herrn, die durch einen Menschen hindurchleuchtet, der von seiner Natur her nichts von Grund auf anderes mitbringt als wir alle.

Aber er ist auch nicht weniger als eben jener fortlebende Apostel, dessen wechselnde menschliche Hülle Gott dazu auserwählt hat, zum Zeichen Seiner Botschaft mitten in der Welt und in der Geschichte zu dienen. Jede Deutung, die diesen Aspekt des Papsttums verkürzt, muß an dieser nur als ein Ganzes, ein Mysterium hinzunehmenden Realität zuschanden werden. Der Papst kann nicht nur als eine fortiebende Ordnungsmacht des Römischen Reiches, ein Pontifex, eine .moralische Weltspitze” gesehen werden. War er das, oder ist er das, dann ist er dies ebenso akzidentiell wie er zu Zeiten italienischer Territorialfürst, Sarazenenbekämpfer, Schiedsrichter in europäischen Thronstreitigkeiten war. So gewiß er Mensch bleibt, verantwortlich im Totenhemd für eine Ewigkeit als Rodrigo Borgia, Giuseppe Sarto, Eugenio Pacelli, Angelo Roncalli, so gewiß hat er an diesem fortlebenden Petrus geheimnisvoll-realen Anteil, an Petrus, dessen Name noch keiner seiner Nachfolger für sich in Anspruch nahm. (Die uralte Legende sagt, daß erst der letzte Papst in der Fülle der Zeiten als Petrus II. das Ende der Tage einleiten wird.) Petrus war präsent, als seine ersten Nachfolger als Staatsverbrecher liquidiert und auf den Schindanger geworfen wurden, er war verhüllt gegenwärtig sogar in den trüben Jahren der Wirrnis, als man während des Schisma seine Züge verzweifelt unter drei Tiaraträgern zugleich suchen mußte. Er war rätselhaft zugegen, als das Volk von Rom in einer weltgeschichtlich entscheidenden Stunde ausrief: „Hildebrand soll Papst werden” und er ist heute da, wenn die Kardinale im Konklave ihr „Eligo” auf den vorbereiteten Wahlzettel schreiben.

EIN PONTIFIKAT IST ALSO KEINE weltliche Regierungszeit, ist nicht die Chronik eines noch so großen Mannes, dessen Taten nach dem natürlichen Rhythmus seiner Persönlichkeit, nach jugendlicher Entwicklung, Reifeperiode und alterndem Ausklang verzeichnet und gewogen werden können. Ein Pontifikat ist auch nur in einem sehr eingeschränkten Sinn ein „Regime”, das ein anderes ablöst und eines Tages selbst abgelöst wird. Ein Pontifikat ist eine zeichenhafte Botschaft des göttlichen Lenkers der Kirche und der Geschichte an eine ganz bestimmte Zeit und Generation. Zeichenhaft und nicht simpel verständlich für die Analyse des Historikers oder gar des Moralisten ist diese Botschaft. Manchmal konnten erst viel spätere Generationen die Absicht des schweigenden Gottes hinter diesen Zeichen entschlüsseln, manchmal nicht einmal diese. Wir wissen nicht, was der Kirche und der Welt mit der gänzlich unwürdigen Gestalt des beim Ehebruch erschlagenen Wüstlings Johannes XII. gesagt werden sollte, bis auf die in ihrer Tragweite für ein abgeschlossenes Jahrtausend inzwischen bestätigte Tatsache, daß es dieser wohl unwürdigste a”er Päpste war, der durch die Krönung Ottos des Großen das Heilige Römische Reich begründete …

SCHEINBAR, ABER WIRKLICH NUR SCHEINBAR haben wir es heute leichter. Es liegt ja wohl alles heute auf der Hand und bedarf kaum mehr des Grübclns. Seit den Jahrzehnten des Dreißigjährigen Krieges hat kein Papst mehr ein moralisches Ärgernis gegeben, seit den Tagen Pius IX., also schon mehr als ein Jahrhundert, reiht sich lückenlos Vortrefflichkeit an Vortrefflichkeit. Papst- und Kirchengeschichte fügt sich seit den letzten Jahrzehnten sogar scheinbar nahtlos ins Gewebe der allgemeinen Weltgeschichte des Fortschritts und der Humanität. Die Pontifikate Benedikts XV., Pius’ XI. und Pius’ XII. werden — mit Ausnahme erklärter und grundsätzlicher Kirchenfeinde — heute von der außerkatholischen Geschichtsschreibung in nahezu gleicher Weise gewürdigt wie im „internen Forum”. Auch die drei Jahre, die nun Johannes XXIII. die dreifache Krone trägt, finden kaum etwas anderes als Beifall dessen, was man gemeinhin die „gesittete Menschheit” nennt. Lind doch wäre es zuwenig, wollten wir bei all dem stehen bleiben, was sifh scheinbar so harmonisch in den guten Zeitgeist einfügt.

JOHANNES XXIII. HAT AUSDRÜCKLICH ANGEORDNET, daß die katholische Welt weniger oder gar nicht den 25. November feiern soll, da vor achtzig Jahren im bergamaskischen Sotto del Monte der Bauernsohn Giuseppe Angelo Roncalli geboren wurde. — Gewiß gäbe es auch über ihn allerhand Löbliches zu berichten, das sich irgendwann einmal sogar als Stoff für eine fromme Legende gebrauchen ließe. In Feier und Gebet aber soll sich die Christenheit an einem anderen „Geburtstag” vereinen, am 4. November, dem Fest des großen Priesterheiligen der anbrechenden Neuzeit, Karl Borromäus, da eben dieser Angelo Roncalli, ein gelehrter Bischof, ein weltoffener, freimütig-gewandter Nuntius wie so mancher andere auch, auserwählt wurde, Petruszeichen in unseren Jahren zu sein. Die drei Jahre, die nun um sind, haben in der Weltgeschichte einen ganz bestimmten Platz. Man wird sie wohl später einmal in die Jahre des „Übergangs” einreihen. Das Wort vom „Übergangspapst” prägten die skeptischklugen Kommentatoren, als sie am 28. Oktober 195 8 das Alter des eben Gewählten erfuhren. Es ist in einem von ihnen wohl kaum geahnten Sinn schon in diesen Jahren wahr geworden. Wir wissen heute, daß sich im Zeichen Pius XII., dessen geheimnisvolle Bedeutung für die Geschichte der Kbche wir auf so nahe Distanz trotz des Übermaßes an journalistischen oder memoirenhaften Analysen seines Pontifikats nach kaum enträtseln können, eine Epoche zum höchsten Gipfel erhob, die mit seinem Tode zu Ende ging. Der Übergang, der folgte, kam nicht als ein Bruch, er war vorbereitet und in vielen Zügen vorgebahnt, schon lange bevor funter Johannes XXIII. vollzogen wurde. Bis weit in das vorige Jahrhundert, in die Tage Leos XIII., da Roncalli noch nicht einmal geboren war, reichen die Quellgründe eines Stromes der nun breit zutage getreten ist.

ÜBERGANG IST ZUGLEICH VORÜBERGANG, ist das, was das Alte Bundesvolk im Hinblick auf die erste Osternacht „Phase” nannte, ist Gericht und Heil zugleich. Niemand kann prophezeien, wohin der Weg führen wird, den Johannes XXIII. eingeschlagen hat. Aber die kleinsten Anzeichen tjieses Pontifikats, von der Namenswahl bis zu den in viele Anekdoten eingegangenen täglichen Gewohnheiten, sagen uns, daß er ihn mit einer solchen Selbstverständlichkeit und Sicherheit geht, wie sie nur denen zu eigen ist, die einem unmittelbaren Anruf des lebendigen Gottes folgen. In diesem Pontifikat scheint es keine innere Problematik zu geben. „Auch wir wissen nicht mehr zu sagen, als was hier geschrieben steht”,… so sagte uns einmal ein alterfahrener vatikanischer Diplomat, als wir ihn um eine Erläuterung „zwischen den Zeilen” einer bestimmten, sehr wichtigen Papstbotschaft baten. Wer immer im Rundfunk seine Ansprachen hört, wartet nach dem Verklingen des letzten Satzes ganz unwillkürlich, ob nicht noch etwas „kommt”, ob hier nicht noch ein Satz der Andeutung, der fragenden Problematik folgen wird, über den sich dann die mehr oder weniger „Berufenen” und „Wissenden” die Köpfe zerbrechen sollen. Aber es war und es ist immer schon alles gesagt. Und wenn man es dann überliest und überdenkt, dann entdeckt man, daß wirklich alles gesagt wurde. Daß es keiner Erklärung mehr bedarf.

DAS PONTIFIKAT JOHANNES’ XXIII. zeigt zwar keine Spur jener hektischen Eile, jener panikartigen Hast, die im weltlichen Bereich Menschen so hohen Alters ganz natürlich zu eigen ist, wenn sie vor dem unausweichlichen Torschluß noch so viel als nur menschenmöglich „erledigen” wollen. Johannes XXIII. setzt seine Schritte mit der klassischen Bedächtigkeit eines „Mannes in den besten Jahren”, mit der Ruhe des Bauern, der weiß, daß man die Halme nicht mit den Händen aus der Furche ziehen kann, damit sie schneller groß werden. Und doch: so wenig von ihm ein Wirbelwind der Hast, des Managements, der Betriebsamkeit ausgeht, so geheimnisvoll stehen alle seine Schritte im Zeichen eines adventlichen Anrufs zur großen und heiligen Eile. Das Konzil, zu dem er wenige Wochen nach seiner Wahl aufrief — überraschend selbst für seine allernächste Umgebung und ohne vorherige Absprache mit denen, die den Gedanken daran schon seit Jahren und Jahren hin- und herwälzen —, scheint für ihn das Ziel zu sein, dem er sein gesamtes Pontifikat unterstellt. Alles, was er tut, ist auf dieses eine Ziel hingeordnet und es scheint, daß das Zeichen dieses Pontifikats mehr und mehr zu einem einzigen Wegweiser zu jener großen Versammlung der Kirche wird, die ihm wichtiger erscheint als alles andere.

MITTEN IN DIE APOKALYPTIK dieser Tage, die sich für Menschenermessen im unvorstellbaren Todespilz der Kernwaffen versinnbildlicht, mitten in die lastende Furcht hinein, die nicht mehr mit den leeren zweckoptimistischen Floskeln der Konferenzpolitiker zu bannen ist, spricht dieser Papst Worte der Ruhe und Zuversicht, die auf den ersten Blick weltfern, ja weltfremd erscheinen mögen. So kann nur einer sprechen, der sich mehr und mehr als Zeichenträger einer heilsgeschichtlichen Stunde fühlt, die er mit einer Gewißheit kommen sieht, der weder die Bombenexplosionen draußen, noch die Trägheits- und Verzögerungsmanöver innerhalb der Kirche etwas anhaben können. Wir können das uns mit diesem Pontifikat gegebene Zeichen noch nicht deuten: Aber wir wissen, daß jede Phase, jeder Übergang zu ganz naher Begegnung mit dem Herrn führt, dessen gnädiges Gesicht für uns verzehrendes Feuer und dessen strafendes Antlitz geheimnisvolles Heil sein kann. Selten noch war ein Papst so ganz Mensch, so ganz Bruder und zugleich so ganz Zeichen einer großen Petrusbotschaft des Herrn…

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