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Wurde des Menschen

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Eine Welt feiert am 2. Mä*z den 75. Geburtstag des Papstes Pius XII. Unter den Glückwünschenden befinden sich auch Menschen, die an eine unfaßbare, in der Kapsel und Faust keiner Konfession sich einschließende Gottheit denken; Menschen, die auch dies nicht mehr vermögen; deren Blicke in diesen Tagen dennoch, unwillig fast, etwas verwirrt auch, nach Rom schweifen. Ist dort der letzte Fels der Freiheit, der Humanität? Der Würde des Menschen — der Vernunft?

Von Pius XII. sprechen, heißt nämlich dies: zu sprechen 1 von der Würde des Menschen in dieser Zeit. Diese Würde besteht im unerschütterlichen Festhalten an jenen beiden Kräften, die den Menschen als Herren der Erde und Ebenbild Gottes konstituieren: Vernunft und Glaube.

Die Wirrsale und das Leid, welches sich der Mensch im letzten halben Jahrhundert selbst bereitet hat, drohen den Menschen zu ersticken ... Wohin der Blick eilt, Menschen auf der Flucht: aus dem „Glauben“ in den Aberglauben; aus diesem „Glauben“ wieder in die „Vernunft“; aus der „Vernunft“ In den Uberschwang eines Gefühls, das mitreißt, wegreißt; aus der Freiheit in den Kerker.

Und alle, fast alle, spüren dies: wir können so nicht leben. Der Druck, die Not ist zu groß. Wir müssen uns verkaufen, den Mächtigen, die den Markt beherrschen. Resigniert sagen etliche, nicht wenige: Selbst dieses „Verkaufen“ ist Illusion. Wir sind schon verkauft, in zwei Kriege hinein, vielleicht in einen dritten. In ein Meer von Zwang. Die „Entwicklung“ will es anscheinend so; gegen ihre Gesetze können wirnicht ankämpfen.

Im letzten Jahr des alten Jahrhunderts, am 2. April 1899, wird Eugenio Pacelli zum Priester geweiht. Hinter ihm liegt: eine fröhliche, unbeschwerte, gesicherte Jugend, im Schoß einer vornehmen Familie; Gymnasiastenjahre; und der Weg eines Jahrhunderts. Er wird dieses Jahrhundert wiederfinden auf den Kathedern der weltlichen römischen Universität, in den glanzvollen Erscheinungen der deutschen Wissenschaft in München und Berlin (nie wird er Harnack vergessen); und er wird die Söhne dieses, Jahrhunderts finden auf den Schlachtfeldern der Kriege, in den Gefangenen- und Anhaltelagem; als Flüchtlinge werden sie in Seine Stadt strömen, alle Kirchen und Klöster werden sie nicht zu bergen vermögen, obwohl er sie von ihren Kellern bis zu den Gewölben füllen wird mit diesem Korn. Speicher werden sie, Speicher des Menschen.

Der junge Mann aus bester Familie studiert daneben an der „Gregoriana“. Ein Vorzugsschüler. Höchste Auszeichnungen in allen Examen. Doktor der Theologie und der Rechte. Professor für Kirchenrecht an der römischen Adelsakademie. Minutant im Staatssekretariat. Diese frühe Verbindung von Rechtsgelehrsamkeit, Theologie und Diplomatie erinnert seltsam nachdrücklich an die Persönlichkeit jenes großen rechtsgelehrten Papstes, der im Aufgang des neueren Europa, in der Mitte zwischen Gregor VII. und Innozenz III., das Auseinanderbrechen Europas verhindert hat: Alexander III. In einem Jahrzehnte währenden Kampf gegen den damaligen „Herrn der Welt“, den deutschen Kaiser. Keine Gegenpäpste, keine militärischen Gewaltstreiche, keine Vertreibung aus Rom haben die Standhaftigkeit, Umsicht und Milde dieses gelehrten Priesters brechen können.

• Die Prüfungen also zuerst der Schule; Schon aber nahen die Prüfungen der Welt. Jäh, sehr schnell. Die Welt weiß die Erbschaft des großartigen und gefährlichen 19. Jahrhunderts nicht richtig zu verwalten und auszuwerten, ihre Nabelschnüre Glaube und Vernunft sind getrennt, ungeheure Potenzen drängen zur Entfesselung.

Rom ist nicht aus Stein. Rom spürt die nahenden Gewitter. Und mit schrecklicher Wucht preschen sie herein. Schwemmen den Friedensruf Pius' X. hinweg, ertränken den Friedensappell Benedikts XV. in Wutgeschrei und Gelächter: dieser Papst hat es gewagt, den Krieg als „sinnloses Gemetzel“ anzuklagen, als „der Franzosenpapst“ wird er von den einen, als „le Pape boche“, der „Deutsche-Schweine-Papst“ und „Überläufer“ wird er von der anderen Seite „entlarvt“.

Es ist nicht zu ermessen, bis in welche Tiefen der Persönlichkeit dieses Scheitern der päpstlichen Friedensbemühungen den jungen kurialen Diplomaten formt. Er selbst soll seinen vollen Anteil an dieser Niederlage des Menschen, der Vernunft, erhalten: vergeblich versucht er, als Abgesandter des Papstes in München, dann, im Deutschen Hauptquartier 1917 vor Wilhelm IL, die Mittelmächte zu einem neuen Friedensangebot zu bewegen. Vergeblich stellt er ihnen, selbst erschüttert, den nahen Untergang vor Augen.

Wir wissen nicht, was in seiner Seele vorging, damals als Alt-Europas Kosmos zusammenbrach. Wir wissen nicht, was seinen Geist bewegte, als er in München Umsturz, Putsch, Revolutionswirren erlebt.

Wir wissen aber, was er in den folgenden Jahren tut. Der rasch avancierende päpstliche Diplomat erarbeitet als Nuntius 1924 das Konkordat mit Bayern, 1929 mit Preußen. 1930 wird er Kardinalstaatssekretär. In seine Epoche fällt, bis 1936, der Abschluß von achtzehn Konkordaten. Achtzehn Staatsverträge der Kirche. Achtzehn Staatsverträge in einer Welt,die, selbst den Blinden sichtbar, den Tauben' hörbar, von Tag zu Tag mehr der Rechtlosigkeit und Gewalttätigkeit verfällt. Dichter und Denker predigen die Mystik der Macht, Politiker rufen zur .direkten Aktion“ auf, die Diplomaten belügen sich an den Konferenztischen. In dieser Epoche bezeugt der . Diplomat, der Mensch Pacelli, sein tiefes Mitgefühl für die Not kleiner, verfolgter Völker und Staatswesen: nicht zuletzt für unser Österreich.

Eugenio,Pacelli hat 1914 bis 1920 den Sieg der Unvernunft über die Vernunft erlebt. Nun erfährt er täglich den Sieg der Macht über die Ohnmacht, des Unrechts über das Recht. Daraus erwachsen: die Verelendung der Welt, eine ungeheuerliche Erniedrigung und Verdemüti-gung des Menschen. Aus der bitteren Saat wächst die bittere Ernte: Nihilismus, totale Revolution, totaler Krieg.

Was tut Pacelli? Der „feingeschliffene kalte Diplomat“, wie er von seinen Gegnern höhnend anerkannt wird? Er weigert sich, an diese Erniedrigung des Menschen zu glauben. Der Mensch hat von Gott das Licht der Vernunft und das Licht des Glaubens erhalten, beide zu vollem Gebrauch in dieser Welt. Das Recht bleibt, auch wenn es vertraglich nur einen Tag gehalten wird — so suchen die Staatsverträge Pacellis Inseln des Friedens zu stiften, der Verständigung, mitten in diese wirre und haßzerrissene Welt hinein. Historia concordatorum — historia dolorum. Die Geschichte dieser Verträge ist eine Leidensgeschichte, ist ein wesentlicher Teil des Kreuzwegs, der allen Menschen aufgegeben ist, die um den rechten Stand des Menschen in dieser Welt kämpfen.

Nüchtern begreift dies der hohe ku-riale Diplomat. Begreift diese Tatsache mit der Kraft des Glaubens. Die Historie seiner unermüdlichen Bemühungen um immer neue Verträge mit den Herren und Herrschaften dieser Welt ist der größte Gegenwartsbeweis für die oft verkannte Tatsache, daß hohe Rationalität, theoretisches Wissen und praktisches Wirken der Vernunft nur möglich sind, wenn getragen von einem starken Glauben. Der Glaube an die Vernunft und an die Tat des Rechts ist heute nur tragbar wider den Schein fast. aller öffentlichen Tatsachen und Gegebenheiten.

So kämpft Pacelli mit allen Mitteln der Vernunft und des Rechts um die Sicherung des Menschen gegen den Einbruch des Terrors, des Irrationalen, des Überdrucks unmeßbarer Gewalten.

Die Papstweihe am 2.. März 1939, am Vorabend des zweiten Weltkrieges, gibt Ihm die Möglichkeit, diese Politik des Menschen für den Menschen fortzusetzen: nunmehr mit allen Mitteln des Glaubens.

Das ist der Sinn der fast zahllosen. Reden, Ansprachen, Rundschreiben, Erlässe,- der Enzykliken .Mit brennender Sorge“ und „Divini Redemptoris“, der Ausbau der Lehre von der Kirche im „Corpus Christi mysticum“. Dieses Werk findet seine Krönung in der Dogmatisierung der ganzheitlichen Aufnahme Mariens in den Himmel 1950. Was jedes Konkordat im engen Raum regionaler, nationaler, zeitlicher Begrenzung versucht, bekundet das Dogma in der Weite seines über Volk, Klasse, Rasse und Zeit hinausgehenden Zieles: die Sicherung des Menschen, als Ebenbild Gottes. Sagt jede Aktion der Politik dieses Papstes: Wir wollen Recht setzen mitten in dieser irren Welt, mag es auch morgen verschüttet, werden, dann sagt die Verkündigung des neuen Dogmas: Wir wollen für alle Zeit proklamieren das hohe Recht und die höchste Würde des Menschen '■— ist doch der Ärmste, der Geknechtetste, der Niedrigste bestimmt zur Aufnahme in alle Himmel, zu Gott. Und wir haben diese Zeit der Schinder und Peiniger des Menschen gewählt für diese Antwort der Kirch e auf die alte Erklärung der „Menschenrechte“.

So schließt sich, lückenlos für den Sehenden, der Kreis der Handlungen, Aktionen und Intentionen des Papstes Pius XII.: dieses großen Rationalisten, dieses unerschütterlichen Verkünders des Glauben, dieses Politikers des Menschen. Der Rationalismus des 19. Jahrhunderts hat dem Studenten .Pacelli den Glauben an Gott nicht zu rauben vermocht. Die Erlebnisse des 20. Jahrhunderts waren nicht imstande, dem Papst Pius XII. den Glauben an den Menschen zu nehmen, an den Menschen, dessen Würde Gott hält.

In der Wirrnis unserer Tage feiert am 2. März die Welt diesen großen Einsamen. Den Hüter des Menschen. Unseren Vater.

Die Kirche betet für ihn.

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