6818818-1973_23_08.jpg
Digital In Arbeit

Der lächelnde Roncalli

Werbung
Werbung
Werbung

Am Pfingstmontag 1963 starb Papst Johannes XXIII. Er hatte nur etwas mehr als viereinhalb Jahre regiert.

Als Pius XII. im Oktober 1958 starb, hielt die Welt in beklemmendem Erschrecken den Atem an. Wird es möglich sein, jemals wieder einen ähnlich großen Papst auf dem Stuhl des heiligen Petrus zu sehen? Denn das Ansehen dieses Papstes war zu seinen Lebzeiten ungeheuer. Nicht nur bei Katholiken, nicht nur bei Christen, sondern bei fast allen Menschen dieser Welt. Die große elegante Gestalt des Pacelli-Papstes, der zu Millionen von Menschen in den verschiedensten Sprachen gesprochen hatte, war für eben diese Millionen ein unvergeßlicher Eindruck gewesen. Ein bekannter österreichischer Journalist schrieb- über ihn knapp nach dem Ende des zweiten Weltkrieges: „Pius XII. stellt das Ideal des geistigen Menschen dar, der modern denkt und doch die große Tradition in sich aufgenommen hat. Letzten Endes aber ist er weder der Gelehrte, der zahlreiche Sprachen spricht und ein fundiertes Wissen und faszinierendes Rednertalent besitzt, noch der Diplomat, der die besten Eigenschaften eines Staatsmannes, Weitblick und Vornehmheit in sich vereint, sondern der Priester, welcher der hoffnungsarmen Menschheit von heute das Höchste bedeutet. Pius XII. ist am größten als Priester. Priester sein heißt letztlich, ein Kreuz auf sich nehmen. Priester sein heißt ferner, beten können und gütiger sein als die anderen Menschen. Pius XII. hat alle diese Eigenschaften, doch auch hier ist sein Gemüt zu zart, um in sein Innerstes Einblick zu gewähren. Nur ungewollte Gesten offenbaren oftmals einen wundervollen Zug der Güte. Armen gegenüber, gleich ob ihre Armut sozialer oder seelischer Natur ist.“

Mit Bangen sahen Christen und NichtChristen dem Konklave entgegen, dem kaum 50 Kardinäle angehörten. Fast allen Menschen war klar, daß der kommende Papst nur ein Übergangspapst sein werde, dessen Aufgabe aus nichts anderem zu bestehen habe, als so rasch wie möglich die Lücken im. Kardinalskolleg aufzufüllen.

*

Seit langem gilt ein eisernes, wenn auch ungeschriebenes Gesetz für die Papstwahl: die Mitglieder des Konklaves wählen einen Kardinal italienischer Nationalität, der aus der päpstlichen Diplomatie hervorgegangen ist und nicht Kardinal-Staats-

sekretär des letzten Papstes war. Ferner: der nicht jünger als 68 Jahre und nicht älter als 75 Jahre ist. Auf Grund dieses ungeschriebenen Gesetzes konnte man sich 1968 ausrechnen, daß Kardinal Roncalli, zuletzt Patriarch von Venedig, vorher Nuntius in Paris, vorher Delegat in Bulgarien und der Türkei, zum Papst gewählt werden würde. (Auf Grund dieses Gesetzes konnte man sich ebenso 1963 ausrechnen, daß der Erzbischof von Mailand, Kardinal Montini, Papst werden würde.)

Nur wenigen war der neue Papst bekannt. Viele, viele Jahre hatte er im Vorderen Orient verbracht. Als General de Gaulle die Deutschen aus Frankreich vertrieben hatte, forderte er energisch die Ablösung aller Diplomaten, die bei der Vichy-Regie-rung beglaubigt gewesen waren, darunter fiel auch der päpstliche Nuntius. Rom beugte sich der Forderung de Gaulles. Niemand wußte, wer der neue Nuntius werden würde. Pius XII., wie so oft der Mann der einsamen Entschlüsse, teilte plötzlich Kardinal-Staatssekretär Tardini mit, daß er Monsignore Roncalli nach Paris sende. Niemand wußte und weiß bis heute, was Pius XII. zu diesem Entschluß veranlaßt hat. Bei der letzten Kardinalskreierurtg, nach nur kurzer Tätigkeit in Paris, wurde Roncalli Kardinal, während Pius XII. kurz vorher mit heftigen Worten die Bitten der Mailänder, Erzbischof Montini zum Kardinal zu kreieren, abgelehnt hatte. Gemäß einer alten Tradition setzte der französische Staatspräsident dem neuen Purpurträger den Kardinalshut auf. Nach der Abberufung von Paris wurde Roncalli Patriarch von Venedig, der Stadt, aus der schon Pius X. gekommen war.

Als Kardinal Canali in seiner Eigenschaft als ältester Kardinaldiakon von der Loggia des Petersdomes aller Welt zurief, „habemus papam“, jubelte wohl ganz Rom, aber niemand hatte eine Ahnung, was dieses neue Ponitiflkat bringen würde, beziehungsweise jedermann glaubte, daß angesichts des relativ hohen Alters des Erwählten es sich wirklich nur um ein Ubergangs-pontiflkat handeln werde. Alle Welt sollte sich irren.

Pius XII. war npch nicht lange tot, da begann die Bewunderung, die alle Welt ihm gezollt hatte, der Byzantinismus, der ihm zu Lebzeiten Weihrauch gestreut hatte, dahinzuschwinden. Immer heftigere Kritik wurde laut. Übelste, unobjektive Kritiker begannen diesen Papst mit allem

möglichen Schmutz zu bewerfen. Pius XII. hatte in seinem Testament erklärt, daß ein so langes Pontifikat wie das seine natürlich Fehler aufweisen müsse. Aber niemand dachte mehr an dieses demütige Bekenntnis. Ebensowenig wie niemand an die wahrhaft großen Taten dieses Pon-tifikates dachte. Nur der ne^ue Papst Johannes XXIII. sprach immer in den höchsten Tönen der Achtung von seinem Vorgänger. Das sollte allen zu denken geben, die sich anmaßen, Pius XII. zu verurteilen.

Bald schon nach Antritt seines Amtes gewann Johannes XXIII. die Herzen der Menschen. Die Bewunderung erklomm ihren ersten Gipfel, als er, kaum ein Jahr nach Beginn seines Pontifikates, ein allgemeines Konzil ausschrieb.

Johannes XXIII. gewann die Herzen der Christen und NichtChristen, der Gläubigen und Ungläubigen, der Gleichgültigen und der Beteiligten. Er hatte ein eigenes Fluidum, ein eigenes Charisma, das von ihm ausstrahlte. Er konnte die prunkvolle Tiara tragen, und niemand nahm ihm dies übel. Er konnte, begleitet von Nobelgarden, Zweispitz tragen-

den Karabinieri, Schweizergardisten und Kämmerern mit spanischer Halskrause, durch den Petersdom schreiten, und niemand nahm Anstoß daran. Niemand nahm ihm die prunkvollen Hochämter übel, niemand verurteilte ihn, weil er im Vatikanpalast wohnte. (Ein hollän-

discher Augustinerpater — er ist inzwischen ausgetreten — riet dem Nachfolger Johannes XXIII., den Vatikanpalast doch zu verlassen und eine Mietwohnung in Rom zu nehmen. Warum hat er dies nicht auch Johannes XXIII. gesagt?) Das Geheimnis dieses Papstes besteht vielleicht darin, daß er sichtbar für jedermann die drei Funktionen des Papsttums verkörperte:

• Er war der gütige, weise Vater, der die schützende Hand über seine Kinder hielt und manchmal ein Lächeln für ihre Dummheiten und Gedankenlosigkeiten hatte. Er war der Traum eines Vaters und somit ein Abbild von Gottvater und den Titel Heiliger Vater schien er mit Recht zu tragen.

• Er war gleichzeitig der große Bruder aller Menschen. „Ich bin Josef, euer Bruder“, sagte er von sich selbst. Er war der große Bruder, der bereit war, die Menschen zu erlösen und damit demonstrierte er nur zu Recht, daß der Papst der Stellvertreter des Größten aller Menschenbrüder, nämlich Jesu Christi ist. Und gleichzeitig hatte jeder das Gefühl,

daß er ein wahrer Fürsprecher aller Menschen bei' Gott sei. • Jeder Papst ist ein Kind der Christenheit, denn er wird ja geboren aus dem Schoß der Kirche. Und Johannes XXIII. hatte etwas von einem Kind an sich, das jeder zu beschützen sich bemüßigt fühlte. Jeder Mensch hatte das Gefühl, dieser Papst sei im Grunde genommen irgendwie mit ihm verwandt.

Und dieser Papst konnte lächeln. Instinktiv fühlte jeder, daß er viel Herz hatte und zweifellos auch Humor und zweifellos auch Geduld. Die Menschen entdeckten in ihm alle Eigenschaften, die sie vielfach nicht besaßen, die sie aber selbst gerne besäßen.

*

Ein gütiges Geschick ersparte es Johannes XXIII., zu erleben, wozu das von ihm proklamierte Konzil mißbraucht wurde. Dieses Konzil — es war das erste Konzil, das keine Verurteilungen aussprach — war von ihm sicherlich gedacht als die Konfrontierung der Kirche mit der gegenwärtigen Welt. Und als Folge davon die Durchdringung dieser gegenwärtigen Welt mit dem Geist des Christentums. Und tatsächlich hat das Konzil selbst die erste Aufgabe erfüllt. Aber was dann kam, war oft mehr als schrecklich. Von kleinen Geistern wurden periphäre Dinge zu Hauptgegenständen erhoben. Die Berufung auf das Konzil wurde benützt, um das Christentum aufzuweichen und auszuhöhlen. Um die Disziplin in der Kirche zu lockern und die Moral zu zerstören. Um schließlich an den wichtigsten Glaubenswahrheiten zu rütteln.

Auch diese Zeiten werden vorübergehen. Aber nicht erlöschen wird die Erinnerung an Johannes XXIII., der als gütiger Vater, großer Bruder und Künder der Christenheit weiterhin im Gedächtnis der Kirche leben wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung