Eher das Gegenteil Johannes Pauls II.?

19451960198020002020

Der Nachfolger des derzeitigen Papstes: um die 70 und Italiener oder Westeuropäer - so der Furche-Chef in seinem neuen Buch.

19451960198020002020

Der Nachfolger des derzeitigen Papstes: um die 70 und Italiener oder Westeuropäer - so der Furche-Chef in seinem neuen Buch.

Werbung
Werbung
Werbung

Im Jahr 1999 liegen folgende Thesen bezüglich der nächsten Papstwahl nahe: Erstens: Der nächste Papst wird beim Amtsantritt fast 70 oder mehr Jahre alt sein, aber wohl auch nicht älter als Johannes XXIII. bei seiner Wahl. Das würde bei einem Konklave im Jahr 2000 auf einen Kandidaten zwischen Jahrgang 1923 und 1931 hinauslaufen.

Zweitens: Er wird aus Italien oder Westeuropa kommen oder ein mit der Kurie eng vertrauter Mann aus der Dritten Welt sein. Drittens: Er wird sich in vielem von Johannes Paul II. deutlich unterscheiden.

Viertens: Kommt eine Zwei-Drittel-Mehrheit zustande, wird es kein konservativer Hardliner, entscheidet jedoch nach 33 Wahlgängen nur die absolute Mehrheit, so ist von extrem konservativ bis zu gemäßigt reformerisch nahezu alles möglich.

Bevor über einzelne Personen nachgedacht wird, muß zunächst einmal die Grundlage dieser Thesen erläutert werden.

Es ist bekannt, daß ein Konklave dazu neigt, auf ein langes Pontifikat ein kurzes folgen zu lassen, also eher einen älteren Kandidaten, einen "Übergangspapst", zu wählen. Während Johannes Paul II. im hochaktiven Alter von 58 Jahren Papst wurde und in der Kirche viel in Bewegung gebracht hat, gilt nun eher jemand als erwünscht, der für Beruhigung sorgt und die Wogen im aufgewühlten katholischen Meer glättet. Die vordergründige Vermutung, je länger ein Papst amtiere, je mehr Kardinäle im folgenden Konklave seine "Kreaturen" seien, umso eher werde ihm sein Nachfolger ähneln, wird von Erfahrungen aus den letzten zwei Jahrhunderten klar widerlegt. Die auserlesene Schar der Kardinäle besteht aus Persönlichkeiten, die durchaus eigenständig ihre Wahl treffen, und jene unter ihnen, die als Karrieristen zu bezeichnen sind, also sich ihren Kardinalshut durch kluge Anpassung erworben haben, nutzen vielleicht gerade beim Konklave ihre Chance, eigenes Profil zu entwickeln.

Die Geschichte lehrt ...

Ein Blick auf das Jahr 1878 sollte hinsichtlich Prognosen für das nächste Konklave nachdenklich machen. Damals starb Pius IX. nach 32 Jahren Amtszeit, der längsten in der Kirchengeschichte. Alle Kardinäle, die seinen Nachfolger wählen sollten, hatte er kreiert. Der Gedanke lag nahe, sein Nachfolger werde aus ähnlichem Holz geschnitzt sein wie er.

Doch die Wahl fiel auf jenen Kardinal, der in jeder Beziehung die deutlichste Alternative zu "Pio Nono". darstellte, auf Gioacchino Pecci, zuvor Erzbischof von Perugia, der sich nun Leo XIII. nannte. Er galt mit seinen bereits 68 Jahren als Übergangspapst, doch er wurde dann überraschend so alt, daß er sogar noch 1903 sein silbernes Papstjubiläum begehen konnte. Was freilich an dieser Wahl noch besonders interessant war: Ein Jahr zuvor, 1877, hatte der italienische Autor Ruggiero Bonghi sein Buch "Pio Nono e il Papa Futuro" (deutsch 1878: "Pius der Neunte und der künftige Papst") veröffentlicht und darin die Wahl Peccis exakt vorhergesagt. Seine Prognose hatte er gerade damit begründet, daß Pecci ein gänzlich anderer Typ als Pius IX. sei, jedoch ein Mann, der sich durch das Fördern von Bildung und Kunst und das Verfassen von Pastoralschreiben als Kandidat empfohlen hatte.

Der britische Autor Peter Hebblethwaite meinte dazu: "Man kann natürlich sagen, daß Bonghis Theorie von einer Alternative die Vorhersage leicht machte: Pio Nono war damals unpopulär in Italien. Nichts Neues also. Alle Päpste neigen zu wachsender Unpopularität gegen Ende ihrer Herrschaften. Und je länger diese dauern, umso unpopulärer werden sie, und umso mehr stehen sie nötigen Veränderungen im Weg, werden sie zu Hindernissen für Antworten auf die Nöte der Kirche und der Welt."

Vielleicht ist genau der zunehmende Wunsch nach Veränderung der Grund, warum die Nachfolger auf der Cathedra Petri ihren Vorgängern oft so unähnlich sind. Wie viele andere hat das auch der Journalist und Historiker Guido Knopp erkannt und auf den Punkt gebracht: "Die Wege des Herrn sind unerforschlich, und wenn der Heilige Geist schon einmal in den Mauern der Sixtinischen Kapelle umgeht, dann nach Kräften. Doch wenn wir uns die letzten fünf Pontifikate noch einmal vor Augen halten, drängt sich der Verdacht auf, die erlauchten Eminenzen kürten immer eher das Gegenteil des gerade verblichenen Pontifex zum Nachfolger. Auf den Diplomaten Pius XII. folgte der Seelsorger Johannes XXIII., auf diesen der Politiker Paul VI., auf diesen der Seelsorger Johannes Paul I., auf diesen der Politiker Johannes Paul II."

Zu ergänzen wäre nur, daß der Seelsorger Johannes XXIII. ursprünglich auch Vatikan-Diplomat war und die Politiker Paul VI. und Johannes Paul II. zum Zeitpunkt ihrer Wahl Diözesen leiteten. Der ideale Papstkandidat sollte mit der Arbeit in einer Diözese vertraut sein und sich auf dem mitunter glatten vatikanischen Marmorboden, aber auch auf dem politischen Parkett bewegen können.

Mit dem Wunsch nach Abwechslung argumentiert auch der Jesuit Thomas J. Reese: "Der dicke, joviale, bäuerliche und großväterliche Johannes XXIII. folgte dem asketischen, strengen und aristokratischen Pius XII.; der äußerst kompetente Manager Paul VI. folgte dem weit weniger gut organisierten Johannes XXIII.; der lächelnde Seelsorger Johannes Paul I. folgte dem traurigen und depressiven Bürokraten Paul VI.; und der robuste und selbstsichere Johannes Paul II. folgte schließlich dem kränklichen und unsicheren Johannes Paul I."

Die Rechnung mit "Übergangspäpsten" geht nicht immer auf. Auch Johannes XXIII., nicht nur äußerlich ein deutliches Kontrastprogramm zu seinem Vorgänger Pius XII., wurde ja 1958 als solcher gewählt und eingeschätzt. Daß der mit fast 77 Jahren Gewählte bald einem anderen Platz machen würde, war zwar richtig kalkuliert - er regierte ja keine fünf Jahre -, aber da ließ die Dynamik dieses Pontifikates durch die Einberufung des Konzils die Dauer völlig zurücktreten.

Auf einen ähnlichen Effekt in naher Zukunft hoffen Menschen wie der ungarische Piaristenpater György Bulanyi: "Vielleicht wird es aufs neue einen Kardinal geben, der bis zu seinem hohen Alter nichts davon verrät, was er in seinem Inneren trägt, und der zum Papst gewählt wird und die zugemauerten Fenster wieder öffnet."

Für Bulanyi sind die Reformen des II. Vatikanums steckengeblieben, man habe nur Fenster in die Festung Kirche gebrochen und Neues neben das Alte gestellt. Doch das Alte sei geblieben, und noch immer hänge in der Kirche "alles von den Päpsten ab", meinte Bulanyi, und wer diese Päpste seien, hänge von Personen ab, die ihrerseits vom Papst ernannt wurden, das "Volk Gottes" habe darauf keinen Einfluß.

Die voraussichtliche Zusammensetzung des nächsten Konklaves läßt nicht gerade einen Reformer als Papst erwarten, aber einen, der beträchtlich älter sein Amt antritt als sein mit 58 Jahren gewählter Vorgänger Karol Wojtyla. Dafür sprechen dessen langes Pontifikat und das Faktum, daß betagte Wähler erfahrungsgemäß auch zu betagten Kandidaten neigen. Ausgenommen die den Jahrgängen 1942 bis 1945 angehörenden vier "Benjamine" Norberto Rivera Carrera (Mexiko City), Polycarp Pengo (Dar-es-Salaam), Christoph Schönborn (Wien) und Vinko Pulji'c (Sarajevo) sind alle anderen der am Stichtag 1. Jänner 2000 voraussichtlich 107 Papstwähler mindestens 62 Jahre alt, meist sogar noch viel älter.

Im allgemeinen haben im Konklave Kandidaten zwischen 60 und 70 Jahren die besten Chancen, beim kommenden ist angesichts des Durchschnittsalters der Favoritenkreis eher über einem Alter von 70 Jahren anzusetzen. Wenn freilich noch ein Konsistorium mit einer entscheidenden Verjüngung zustandekommt, kann es anders aussehen, und wenn das nächste Konklave erst lange nach der Jahrtausendwende stattfindet, sind Spekulationen über aussichtsreiche Kandidaten aus dem derzeitigen Kardinalskollegium auf der Basis ihres Alters überhaupt hinfällig.

Zum Buch Papstwahl, Konklave Das Konklave stellt ein einzigartiges Verfahren dar. In ihm ermittelt die katholische Kirche ihr Oberhaupt. Heiner Boberski stellt in seinem Buch die spannende, oft dramatische Geschichte der Papstwahl dar und beleuchtet die gegenwärtige Situation: wie Johannes Paul II. die Wahlordnung einschneidend veränderte, und welche Kardinäle papabile sind.

DER NÄCHSTE PAPST. Die geheimnisvolle Welt des Konklave.

Von Heiner Boberski. Otto Müller Verlag, Salzburg 1999. 281 Seiten, brosch., öS 278,-/e 20,14,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung