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Das Leben des Mannes unter dem Kreuz

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Giovanni Battista Montini begann sein Pontifikat vor 15 Jahren mit einem Namen, der ein Programm war: Paulus, Apostel aller Völker, wollte er sein. Er unternahm Reisen in alle Welt, spielte alle Tonarten des diplomatischen Klaviers. Brot, Gerechtigkeit und Frieden für alle waren sein Ziel. Für die Versöhnung der christlichen Kirche tat er mehr als ein anderer Papst. Auch Juden und Muslims galt seine väterliche Sorge. Er trug schwer am Kreuz der innerkirchlichen Entzweiungen. Das brachte ihn Millionen in den letzten Jahren menschlich wieder näher. Vielleicht wird die Geschichte ihn mit dem, was er verhinderte, eines Tages gütiger als manche seiner Zeitgenossen werten.

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Giovanni Battista Montini begann sein Pontifikat vor 15 Jahren mit einem Namen, der ein Programm war: Paulus, Apostel aller Völker, wollte er sein. Er unternahm Reisen in alle Welt, spielte alle Tonarten des diplomatischen Klaviers. Brot, Gerechtigkeit und Frieden für alle waren sein Ziel. Für die Versöhnung der christlichen Kirche tat er mehr als ein anderer Papst. Auch Juden und Muslims galt seine väterliche Sorge. Er trug schwer am Kreuz der innerkirchlichen Entzweiungen. Das brachte ihn Millionen in den letzten Jahren menschlich wieder näher. Vielleicht wird die Geschichte ihn mit dem, was er verhinderte, eines Tages gütiger als manche seiner Zeitgenossen werten.

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Am Vorabend seiner Wahl traf man den Erzbischof von Mailand zusammengekauert auf einem Betstuhl an. Seine langen, weißen Hände, auf denen die Venen deutlich hervortraten, vor das fahle Gesicht geschlagen, murmelte er einen Stoßseufzer vor sich hin: „Wie würde ich es schaffen?“

Giovanni Battista Montini hat es schaffen müssen. Favorit schon bei der vorangegangenen Pontifexwahl 1958, als der Uberraschungspapst Johannes erkoren wurde, WEIT nun dessen „lieber Hamlet“, wie dieser ihn noch zu Lebzeiten geheißen hatte, die klare Wahl einer Mehrheit der Kardinale. Der hochgewachsene Diplomat, der erst nach 30jährigen Diensten im vatikanischen Staatssekretariat 1954 auf den Seelsorgerposten eines Erzbischofs von Mailand berufen worden war, entschied sich für den Namen des Völkerapostels. Und begann, wie man es erwartet hatte, zu handeln.

•Zum erstenmal bestieg, ein Papst wiederholt ein FlugZöt uhi-dto-En- den der Erde zu bereisen: 1964 waren die Heiligen Stätten in Israel und Jordanien und wenig später der Euchari- stische Kongreß in Bogota sein Ziel, 1965 die UN-Generalversammlung in

New York, 1967 das portugiesische Marienheiligtum Fatima, sowie Istanbul und Ephesus, 1968 Kolumbien, 1969 die UNO-Stadt Genf und das Vor-Aminsche Uganda in Afrika, 1970 Iran, Pakistan, Philippinen, Australien, Indonesien, Hongkong und Sri- Lanka.

Unermüdlich verkündete er die soziale Botschaft der Kirche: Brot für die hungernden Asiaten, Menschenwürde für die ausgebeuteten Campesinos Lateinamerikas, nationale Würde für die Völker Afrikas, soziale Gerechtigkeit für die Unterprivilegierten der Erde, Heimat und Frieden für alle.

Wohin er selber nicht gehen konnte, dorthin entsandte er seinen persönlichen Boten: Msgr. Agostino Casaroli, den Spezialisten für die Staaten Osteuropas, von manchen bewundernd halb und halb spöttisch der „katholische Kissinger“ genannt. Natürlich blieb die vatikanische Ostpolitik der „beschränkten Kompromisse“ nicht ohne Kritik, zumal sie um den Preis so sichtbarer Opfer wie der Ausreise Kardinal Mindzentys aus Ungarn und Kardinal Berans aus der CSSR erfolgte.

Trotzdem anerkennen auch profane Analytiker, daß durch die „Normalisierungspolitik“, die in Jugoslawien, Polen, Ungarn und zuletzt in der CSSR klar erkennbare Früchte trug und in der DDR zumindest eine Zunahme der Spannung verhinderte, aus den vorgegebenen Umständen das Bestmögliche herausgeholt worden ist. Kaum Fortschritte gab es im Gespräch mit Moskau, obwohl neben Außenminister Andrej Gromyko auch der einstige Staatspräsident Nikolai Podgorny die

Stufen des Apostolischen Palastes wohl nicht ohne jenes verräterische Flattern des Herzens emporkletterte, das auch abgebrühte Atheisten spätestens dann befiel, wenn die lebhaften, gütigen, weisen Augen des Asketen in der weißen Soutane auf sie fielen.

Weltoffenheit, Internationalität, die den Völkerapostel Paulus kennzeichneten, wollte Paul VI. auch seiner Kirchenregierung verleihen. Die römische Kurie ist heute internationaler denn je zusammengesetzt, das Kardinalskollegium auch. Die Folge war freilich, daß sich der Papst selber immer mehr Arbeit damit aufhalste. Sie systematisch zu delegieren, Entscheidungen in kollegialer Diskussion zur Reife zu führen, lag ihm nicht.

Wohl hat dieser Papst nach dem erfolgreichen Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 bald ein Kollegium von rund 200 Bischöfen aus aller Welt als ständiges Reratungsorgan um sich geschart ünci diese Bischofs- syriode »wischen 1967/ und 1977 auch fünfmal einberufen. Aber er ließ die Tagesordnung nie aus der Hand und entschied nicht immer nach den Wünschen seiner Mitbrüder.

Freilich: Ein „Bischofsparlament“ in einer „demokratisierten“ Kirche ist weder ihm noch dem Konzil je vorgeschwebt. Eine Abstimmung in Glaubens- und Sittenfragen ist undenkbar. (Auch über Menschenrechte kann man in einem weltlichen Parlament nicht abstimmen: Es gibt sie, ob sich Mehrheitsentscheidungen dafür finden oder nicht!)

Dennoch haben viele übersehen, was Faktum ist: daß seit Pius XII. kein Papst mehr eine Entscheidung „ex cathedra“ in Glaubens- und Sittenfragen getroffen hat. Auch Paul VI. nicht. Enzykliken sind Aussagen des kirchli chen Lehramtes von hohem Gültigkeitsanspruch. Unfehlbar sind sie nicht.

Millionen Katholiken haben aus dieser Tatsache im Zusammenhang mit „Humanae vitae“, Pauls letzter, nun zehn Jahre alter Enzyklika, die Konsequenzen gezogen. „In Fragen des Familienlebens haben die meisten Katholiken die Verbidnung zum kirchlichen Lehramt einfach abgeschaltet“, diagnostizierte der amerikanische Sozialforscher William McCready. Seine Aussage beleuchtet wohl nicht nur amerikanische Verhältnisse.

Für die USA hat sein Fachkollege Andrew Greeley, selbst katholischer Priester, den bitteren Schluß gezogen: Nicht das Konzil, sondern die „Pillenenzyklika“ habe den Autoritätsverfall in der Kirche eingeleitet. Katholiken, die von hilfreich interpretationsbeflissenen Bischöfen und Theologen auf ihr Gewissen als Letztinstanz verwiesen wurden, hätten in der Folge immer häufiger-auch in anderen Moralfragen nur auf dieses und nicht auf das Lehramt in Rom als dessen Richtschnur gelauscht.

Man weiß, wie Paul VI, unter dieser Entwicklung gelitten hat. Seit diesem Zeitpunkt ist aus ihm eine tragische Figur geworden: der gute Hirte, der nicht mehr sicher war, ob er mit Milde oder Strenge, mit kühner Geste oder warnender Gebärde seine Herde Zusammenhalten sollte. Die Warngebärden wurden häufiger, hilfloser. Dennoch setzte er nie einen Akt der kalten Verdammung. Dem eifernden Erzbischof Marcel Lefebvre gegenüber bewies dieser Papst trotz aller Strenge im Dogmatischen väterliche Langmut: Ein formelles Schisma konnte verhindert werden.

Vielleicht wird die Geschichte eines

Tages über das, was der Papst verhindert hat, sogar gütiger urteilen als heute manche seiner - auch katholischen - Zeitgenossen. Menschlich ist dieser Papst den Millionen, die seinen Auftritten zuerst respektvoll interessiert,.später wohl auch erbittert .bis ge- langweüt folgten, in den letzten Jahren seines Pontifikats neuerlichmähergerückt. Der Mensch unter Kreuz und Dornenkrone bewegte seine Mitmenschen.

Seine Mühen um ein brüderliches Neben- und Miteinander der christlichen Konfessionen wird unvergessen bleiben. Kein Papst der Neuzeit hat mehr in diese Richtung getan, zugelassen, ermuntert, vorangetrieben auch - nicht einmal Johannes der Gute, der starb, als kaum die Tore aufgetan waren. Nur noch die Last der Geschichte, kaum mehr Dogma und Jurisdiktion haben bis zu diesem Tag den letzten Schritt zwischen Katholiken und Anglikanern, Katholiken und Orthodoxen verhindert. Der Bruderkuß, 1967 mit dem Erzbischof von Canterbury und 1964 mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel ge tauscht, sind keineswegs leere Gesten geblieben. Jüngstes Streben galt im besonderen der Versöhnung mit den Glaubensnachfolgern Martin Luthers. Auch Juden und Muslims war die väterliche Sorge Papst Pauls gewidmet.

Schon vor eineinhalb Jahren mutmaßte äie.,(New York .Times-“, nioht -gerade- als -remhörig- verschrien* r -die Geschichte werde das Pontifikat Pauls VI. als des „ersten wirklich modernen

Papstes“ einmal „gütig beurteilen“. Er selber litt unter der Last seiner Zweifel nachhaltiger als seine journalistischen Richter. Demut, in deren Leben zumeist ein selten gegossenes Pflänzchen, hat den Papst auch in den Stunden des drohend erhobenen Zeigefingers niemals verlassen. Den päpstlichen Thronsessel hat er abgeschafft - und wiedereingeführt erst, als die Verschlimmerung seines bösen arthriti- schen Leidens ihn dazu physisch zwang.

Einem blinden Knaben, der ihm zugereicht wurde, sagte er vor einem Jahr: „Ich werde für dich beten - betest auch du für mich?“ Verwundert kam die Antwort: „Wie, ich, für einen Papst beten?“ Aber die hagere Gestalt . in der sedia gestatoria war um eine Antwort nicht verlegen: „Du bist mein Sohn. Wie solltest du nicht für deinen Vater beten?“

Viele der 710 Millionen Katholiken werden, vereint mit den Gesinnungsfreunden anderer christlicher Kirchen und religiöser Gemeinden, in diesen Tagen treue Söhne und Töchter ihres verstorbenen Vaters auch mit gefalteten Händen sein. Um dieses Vaters - und um dessentwillen, der sein Erbe übernehmen wird. Selbst eine so er- denzugewandte Zeitung wie der Londoner „Economist“ hatte schon vor Jahresfrist im Hinblick auf die nun fällig gewordene Entscheidung geschrieben: „Noch nie in der Vergangenheit trug das Kardinalkollegium eine so schwere Verantwortung.“

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