6907256-1980_48_10.jpg
Digital In Arbeit

Vorsichtigen Schrittes ging der Pilgerpapst

19451960198020002020

Der päpstliche Alltag, und mehr noch der deutsche, hat wieder begonnen. Was von der Deutschlandreise Johannes Pauls II. bleibt außer den Erinnerungen von Millionen, wird man nicht so schnell wissen. Der Papst selbst sprach von Erfolg - wohl wissend, daß der Maßstab dafür im geistlichen Bereich nicht der von üblichen Staatsbesuchen sein kann, weil sich da Tiefenwirkungen im Stillen vollziehen oder jedenfalls A uswirkungen, deren Bedeutung man erst auf lange Sicht ermessen kann.

19451960198020002020

Der päpstliche Alltag, und mehr noch der deutsche, hat wieder begonnen. Was von der Deutschlandreise Johannes Pauls II. bleibt außer den Erinnerungen von Millionen, wird man nicht so schnell wissen. Der Papst selbst sprach von Erfolg - wohl wissend, daß der Maßstab dafür im geistlichen Bereich nicht der von üblichen Staatsbesuchen sein kann, weil sich da Tiefenwirkungen im Stillen vollziehen oder jedenfalls A uswirkungen, deren Bedeutung man erst auf lange Sicht ermessen kann.

Werbung
Werbung
Werbung

Das gilt ganz gewiß für das Verhältnis der Konfessionen, für die ökumenische Annäherung, der der Papst ein besseres Klima bereitet hat; schlechter hätte es nach den anachronistischen Geplänkeln vor der Reise auch schwerlich werden können. Diese' Mißstimmungen sind ausgeräumt.

Der Papst ist abgereist, voll des Lobes für seine Gastgeber, zurückgeblieben ist eine deutsche katholische Kirche mit ihren Bischöfen, die es mit den eigentlichen Problemen zu tun hat, den innerkirchlichen vor allem, bei denen ihnen der Papst zwar Beistand geben, aber keine Lösungen, keine Fixen Antworten liefern konnte außer der einen immer gültigen, die in den für ihn absolut unverrückbaren kirchlichen Normen besteht.

Die Bischöfe jedoch können nicht so leicht die Antwort auf das Konkrete verweigern wie es Johannes Paul II. auf der Münchener Theresienwiese getan hat - als Barbara Engl, die Bistumsvorsitzende der Katholischen Jugend, ganz plötzlich vom vorbereiteten Text abwich und die Klagen der Jugend vorbrachte: über das mangelnde Verständnis der Kirche für Freundschaft, Sex und Partnerschaft, über den Zölibat und die Benachteiligung der Frauen in der Kirche.

Auf solche und manche andere Fragen, die einem großen Teil der Katholiken in der Bundesrepublik nur noch eine teilweise Identifizierung mit ihrer Kirche ermöglichen, konnte der Papst schwerlich improvisiert antworten (man bedenke seine begrenzten deutschen Sprachkenntnisse und das heikle Thema) aber im Grunde war ja seine ganze Reise die Antwort gewesen.

Gewiß, auf allen Reise-Stationen hat er sein Charisma und seinen Charme entfaltet und zuweilen auch mit seinem Humor den frommen Ernst gelockert. Hunderttausende hat er auf die meist nassen Beine gebracht, ausharren und jubeln lassen. Auch viele, die ihre Religion lieber im Stillen leben und mit Papst und Kirche nichts oder nicht viel im Sinne haben, blieben nicht unberührt, als sie nun leibhaftig dem „Phänomen Wojtyla" begegneten, das sie nur vom Hörensagen kannten:

Und doch schien er sich selbst und seine Zuhörer nicht in dem Grade zu erwärmen, wie man es bei ihm in anderen Ländern erlebt hat. Da warjkaum etwas von dem visionären, wortgewaltig zupackenden Schwung, mit dem er in Mexiko, Afrika und Brasilien, ja selbst in Frankreich und den Vereinigten Staaten Menschen hingerissen, mitgerissen hatte selbst wenn er Ungelegenes hart in die Diskussion warf.

Auch Hartes verpackteer weich: Das Einschärfen der katholischen Ehe- und Familienmoral, an der er nicht rütteln läßt, mit dem Hinweis, daß „sexuelle Gemeinschaft etwas Großes und Schönes" ist, und dem Appell zu verantwortlicher Elternschaft: „In eurem Gewissen müßt ihr im Angesicht Gottes die

Entscheidung über die Zahl eurer Kinder treffen."

Das Reizwort von der Enzyklika „Humanae vitae" mit der er sich in Amerika und jüngst wieder in Rom ohne Umschreibung und Abmilderung identifiziert hatte, vermied er, und selbst gegen Abtreibung und Fristenlösung polemisierte er eher betulich, indem er vor der Bedrohung des Lebens warnte, das „in welcher Form und welchem Stadium auch immer nicht zur Disposition gestellt werden darf".

In Osnabrück, der Stadt des Westfälischen Friedens, versuchte Johannes Paul II. für seine Begegnung mit den führenden Männern des deutschen Protestantismus ein möglichst günstiges Klima zu bereiten. Zweimal strich er aus seiner vorbereiteten Predigt Textworte, in denen er sich selbst als „Oberster Hirte der Kirche" bezeichnete, und ersetzte den anspruchsvollen Begriff durch den bescheideneren Titeides „Bischofs von Rom". Eine bloße Retusche?

Als der Papst auf die praktischen Konsequenzen zu sprechen kam, stellte sich heraus, was nur romantische Optimisten enttäuschen kann: daß die Gräben zwar nicht vertieft, aber „auch nicht übersprungen, sondern wiederum nur deutlich markiert werden konnten" (EKD-Ratsvorsitzender Lohse).

Im Gespräch will man bleiben, wie eh und je sollen sich die ökumenischen Fachleute die klugen Köpfe zerbrechen über mehr, ja - so der Papst - „über ein Maximum an Gemeinsamkeit". Auch schneller müsse es gehen, drängte der Papst, „aber nicht zu schnell". Denn er ist es, der vor allem über Hürden von Jahrhunderten springen müßte.

Wenige Stunden später schon in Fulda (wo man sozusagen unter sich war) sprach der Papst gegenüber den deutschen Bischöfen Klartext: Er könne zwar das Urteil derer nicht tei-

„Der Papst weiß sehr wohl, wo Millionen Gläubige und Kleingläubige der Pilgerschuh drückt"

len, die von einer starken Stagnation der ökumenischen Bewegung sprächen, aber Wege zur christlichen Einheit zu wählen, die die Wahrheitsfrage ausklammern, seien Abwege. „Der Kompromiß zählt nicht."

Was aber ist Wahrheit? Da dürfte es, sagte der Papst, keine Selbstbedienung wie in einem Warenhaus geben, Gedanken- und Redefreiheit dürfe nicht beliebige Uberzeugung bedeuten, Dialog mit anderen, nicht Preisgabe von Lehre und Norm, wie sie das hierarchische Amt der katholischen Kirche verkündet.

Sieht der Papst aber nicht die wirkliche Lage der Kirche? Er sprach selbst von der tiefen Kluft zwischen dem praktischen Leben und den christlichen Prinzipien: man werfe der Kirche Starrheit vor und ziehe sich auf das persönliche Gewissen zurück, Arbeiter und Intellektuelle seien der Kirche entfremdet.

Aber all das macht diesen Papst nicht nachgiebig und kompromißbereit, im Gegenteil eben in dieser Lage gelte es, die Forderungen Jesu „ohne Abstriche" zu verkünden. Panik sei nicht am Platze, selbst wenn, wie zu erwarten, die Zahl der katholischen Priester in den nächsten zehn Jahren um ein Drittel zurückgehen werde. Gerade deshalb pochte der Papst auf die Ehelosigkeit der Priester. Die Kritik am Zölibat hält er für einen ebenso großen Notstand wie den Priestermangel selbst.

Er hält nichts von Anpassung an weit verbreitete Meinungen, aus bloßem „Mithalten" mit anderen Kräften der Gesellschaft erwachse kein glaubwürdiges Zeugnis. „Das Evangelium kann eben den Menschen nicht immer gefallen", sagte er zu den Vertretern der ka-katholischen Laienverbände in Fulda. Die kirchliche Lehre sei eine harte Rede, die nicht durch Schmeicheleien verfälscht werden dürfe.

Dieser Papst weiß sehr wohl, wo Millionen Gläubige und Kleingläubige der Pilgerschuh drückt. Aber seine im Grunde mystische, asketische ja mönchische Grundhaltung, die hier deutlicher denn je hervorgetreten ist, läßt nicht zu, Marscherleichterungen zu gewähren. Vielleicht auch, weil er nur zu gut weiß, daß sich die Leute, auch die frömmsten, ohnehin selbst genug Bequemlichkeit verschaffen.

Schon im Kölner Dom, wo der Papst vor Studenten und Professoren viel Kluges über die Vereinbarkeit von Glauben und Wissenschaft angemerkt hatte, streifte er nur schüchtern die „nicht auszuschließenden Spannungen und Konflikte in der Theologie". "Vielen seiner Zuhörer dürften dazu Namen und Schlagzeilen eingefallen sein.

Doch der ehemalige Professor, der am Grabe des Albertus Magnus Gott gebeten hatte, die Gelehrten vor Stolz und Eigendünkel zu bewahren, hütete sich, von Personen zu sprechen; - auch in Altötting, wo er die kirchliche Wissenschaft mahnte, „bei aller Akribie eine Theologie nicht nur des Verstandes, sondern auch des Herzens" zu betreiben. Ihre Neuheiten seien „nur ein Angebot" für die Kirche, von dem vieles, ehe es annehmbar sei, „in brüderlichem Gespräch korrigiert und erweitert werden muß". "

Der Grund aller Schwierigkeiten, sagte der Papst in Köln, liege in der „Endlichkeit unserer Vernunft, die in ihrer Reichweite begrenzt und dazu dem Irrtum ausgesetzt ist" - eine beachtliche Einsicht aus päpstlichem Mund.

Ist es auch dies, was den Pilgerpapst auf dem mit vielerlei Mißtrauen und Mißverständnissen verminten deutschen Gelände zu so vorsichtiger Gangart veranlaßt??

Vielleicht war es das wohlstandsgesättigte, von positivem wie negativem Aufruhr der Gefühle gleich weit entfernte Klima der Bundesrepublik, das sich Sauf die päpstliche Verkündigung legte. Vielleicht auch das untergründige Bewußtsein aller, daß in diesem Ponti-fikat noch lange kein letztes Wort gesprochen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung