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Ein Papst für alle Lebenslagen

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Ein politischer oder ein pastoraler Papst? Diese, jeweils vor der Papstwahl auftauchende Frage ist gegenstandslos geworden, nicht erst seit Karol Wojtyla auf dem Stuhl Petri sitzt. Aber wie wohl nie vorher konzentrierten sich nicht nur diese beiden Aspekte des Papsttums, sondern noch etliche weitere in den sieben Tagen der Reise, die Johannes Paul II. durch die Vereinigten Staaten unternahm.

Da war der politische Papst, der den Delegierten sämtlicher Staaten der Erde gegenüber nicht nur den Anspruch der Kirche auf Mitsprache vertrat, sondern mit einer, in diesen Kreisen nie gehörten Offenheit die Wurzeln der politischen Übel unserer Welt bloßlegte. Offen ebenso gegenüber den Reichen, denen er das Elend der Armen vor Augen hielt, wie gegenüber jenen Systemen, die durch die Mißachtung der Menschenrechte die Erhaltung des Friedens gefährden.

„Politisch war diese Rede, weil sie .letztlich vom Menschen” herkam”, schrieb der Korrespondent der Kathpreß, Luitpold A. Dorn, aus New York. „Johannes Paul II. hat mit seiner Rede daran erinnert, daß Christsein sich nicht in einem luftleeren Raum vollzieht, sondern sich in der Geschichte der politischen Welt abspielt; in der Welt latenter Kriegsgefahr, materieller und geistiger Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Verelendung.”

Hier schon sprach auch der Ethiker Karol Wojtyla, der vor seiner Berufung zum Erzbischof von Krakau dort und in Lublin jene ethischen Thesen entwickelt hatte, die er nun als Papst weltweit umzusetzen sucht. Politik „von den Menschen, für den Menschen, durch den Menschen” forderte er vor der UNO. „Freiheit” lautet das Stichwort in seiner Predigt vor einer Million Menschen auf dem Logan Circle in Philadelphia.

Die Richtschnur für die Freiheit ist das Gesetz Gottes, betonte der Papst. Freiheit sei nicht vorhanden, wo man gegen den Menschen, seine Natur, seine Beziehung zum Mitmenschen und zu Gott vorgehe. „Frei ist in Wirklichkeit der Mensch, der sein Verhalten in verantwortungsbewußter Weise nach den Anforderungen des .objektiv Guten formt”, konstatierte er. Der vernunftbegabte Mensch sei dann frei, wenn er „Herr seines eigenen Handelns und in der Lage ist, das Gute zu wählen, das mit der Vernunft und damit seiner eigenen Menschenwürde im Einklang steht”.

Besondere Bedeutung habe diese Feststellung auf dem Gebiet der Sexualität des Menschen, meinte er - womit der Ethiker das Wort an den Moraltheologen übergab. Er unter strich die Notwendigkeit sittlicher Normen im Sexualbereich, die „nicht gegen-die Freiheit gerichtet” seien. Es gehe darum, von dieser Freiheit den rechten Gebrauch zu machen. Er rief auf, die Heiligkeit des Lebens vom ersten Moment der Empfängnis an zu beachten, er beklagte die vielen Scheidungen und hob die Bedeutung der Familien für die Zukunft der Gesellschaft und der Kirche hervor. „Die Familie ist das authentische Maß der Größe einer Nation, wie die Würde des Menschen das wahre Maß einer Zivilisation ist.”

Als pastoraler Papst ist Johannes Paul II. ebenso wenig wie als politischer bereit, Abstriche von dem zu machen, was er als richtig und unerläßlich empfindet. Vor 9000 Priestern und 2000 Ordensschwestern in Philadelphia ließ er keinerlei Zweifel daran, daß es unter seiner Herrschaft keine Zulassung von Frauen zum Priesteramt geben werde, daß für ihn der Zölibat unaufhebbar sei. Das eine bedeute nicht den Ausschluß der Frauen von der Heiligkeit oder von der Sendung der Kirche, sondern sei aus der prophetischen Tradition des Priesteramtes zu erklären. Und zum anderen forderte der Papst die Priesteramtskandidaten im Priesterseminar von Philadelphia auf, vor ihrer Weihe ernsthaft zu prüfen, ob sie sich zu einem Leben in Ehelosigkeit berufen fühlten. Die Menschenwürde verlange, daß jeder von ihnen diese Verpflichtung zur Treue gegenüber Christus und der Kirche halte, „gleichgültig, welchen Schwierigkeiten ihr begegnet und welchen Versuchungen ihr ausgesetzt seid”.

Im übrigen - wieder an die Vertreter der Priesterräte gewandt - sei auch aus der engen Verbindung zwischen Gott und seinen Propheten, heute den Priestern, zu verstehen, daß das Priestertum für immer gelte. „Es kann nicht sein, daß Gott, der den Anstoß gab, ja zu sagen, plötzlich ein ,Nein’ hören möchte.”

Ein Papst für alle Lebenslagen und Problemstellungen der Kirche - und für alle Menschen, auch solche, die nicht unmittelbar der katholischen Kirche angehören. Ein Papst, der diese Zugehörigkeit gerade zu den Unterprivilegierten betont, wenn er die Neger, die Spanischstämmigen, die Einwanderer aus Italien, nicht nur die Polen, speziell begrüßt, sie in ihren Slums aufsucht, in ihrer Sprache mit ihnen spricht. Der Papst, der das Gespräch mit den Vertretern der nichtkatholischen Kirchen sucht und der den Juden ihr hebräisches „Scha- lom” zuruft - in Erinnerung an die gemeinsamen Leiden in seiner Heimat.

Ein Papst, der den Puertoricanern in South Bronx auf spanisch zuruft: „Gebt euch niemals der Verzweiflung hin. Eure schwierigen Lebensverhältnisse verdienen die ganze Aufmerksamkeit des Papstes und sofortige Maßnahmen seitens der Behörden!” - jener Behörden, die eben zu seinem Triumphzug durch die Slums mithelfen mußten. Ein Papst, der den 80.000 im Yankee Stadion in New York, vorwiegend wohl Menschen aus den oberen Schichten, zuruft: Wenn ihr helfen wollte, müßt ihr eure Substanz angreifen, nicht nur den Überfluß.”

Wie hält ein Mensch das durch? 16 bis 18 Stunden täglich, eine Woche lang. Von einer Veranstaltung zur ändern, von einer Predigt zur nächsten? Nur aufgeputscht durch die Begeisterung der Menschen? Es darf an den Heiligen Geist geglaubt werden.

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