Das Motto: "Vergiss die Armen nicht!“

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Ständige Aufmerksamkeit für Gott. Ein Hüter - kein Zensor, kein Anführer. Ein Freund der Juden. Mutmaßungen über Franziskus, den neuen Papst.

Als am späten Abend des 12. März 2013 der neu gewählte Papst Franziskus auf den Balkon der Peterskirche trat und geduldig abwartete, bis die Musik endete, hatte man Zeit, sich ins Gesicht des weithin Unbekannten ein wenig zu vertiefen. Auf ihm lag nicht die große Freude seines Vorgängers, auch nicht das kräftige Leuchten Johannes Pauls II. Still lächelte er, gewiss bewusst der Aufgabe, die er übernommen hatte. Da stand kein Sieger auf dem Balkon und grüßte beidarmig in die Menge. Seine ersten Worte deuteten etwas anderes: "Fratelli e sorelle“, sagte er und gab sich beinah einen kleinen Ruck, als er anfügte: "Buona sera.“

Was sich hier in wenigen, ruhigen Augenblicken andeutete, zeigt wohl einen Stil an, den Papst Franziskus in den Tagen nach seiner Wahl mehrfach angesprochen hat.

Franz - Josef - Ignatius

Den Stil seines Lebens als Papst zeichnen drei Gestalten. Zum ersten ist es Franz von Assisi. Er hatte sich des feinen Gewandes entledigt und dem Reichtum gekündigt. Papst Franziskus trat auf den Balkon in einfach gehaltenem weißem Gewand ohne die dunkelrote, golddurchwirkte Stola. Zum zweiten wird sein Stil etwas von Josef tragen, dem Mann Marias, auf den er sich in seiner Predigt bei seiner Amtseinführung am 19. März bezog, dem kirchlichen Gedenktag des Josef. Josef zeigte eine "ständige Aufmerksamkeit für Gott“. Das wieder hängt am dritten Element seines Stils: Der Papst ist Jesuit.

Die Aufmerksamkeit für Gott ist in dieser Spiritualität, geformt vom Ordensgründer Ignatius von Loyola und den von ihm propagierten geistlichen Übungen, den Exerzitien, überhaupt der Schlüssel für ein verantwortlich geführtes Leben. Einem solchen Leben ist Furcht fremd, mit ihr auch Resignation und Verzweiflung; man hat kritisch vermerkt, dass der Papst die Verzweiflung als teuflische Versuchung versteht.

Doch die Unterscheidung zwischen echter Aufmerksamkeit für Gott auf der einen und der Verzweiflung auf der anderen Seite, in der die Finsternis das Zepter führt, ist eine - auch ignatianisch verstehbare - Unterscheidung der Geister, zwischen denen es keinen gleitenden Übergang geben wird. Man muss nicht vom Teufel reden, man kann vielleicht treffender von widergöttlichen Kräften reden und ihrer gefährlichen Macht.

Schon am 14. März, als Papst Franziskus mit den Kardinälen in der Sixtina seine erste Messe feierte, wurde seine ignatianische Haltung ganz deutlich. Da sprach er davon, dass das Bekenntnis zum Gekreuzigten entscheidend sei. Damit verband er jedoch keine dogmatische Ausdeutung, sondern etwas ganz Lebenspraktisches, das aus den Ignatianischen Exerzitien geschöpft ist. Große Entscheidungen trifft der Jesuit, indem er den Gekreuzigten betrachtet. Da geht es um Lebenskonsequenzen, die in klarer, geistig heller, durchs Gebet getragener Selbstanalyse erfasst und entschieden werden.

Vor dem Gekreuzigten wird eine Wahl gefällt. Diese Wahl verändert und steuert das Leben. Der Papst hat seine Wahl getroffen. Ihn hat in Argentinien der Skandal erfasst, der aus den Armutsgesichtern blickt, in stinkenden Nebeln aus zerstörter Umwelt steigt, in der öffentlichen und privaten Rücksichtslosigkeit die Stimmen der Unterlegenen erstickt und durch Diskurse über Marginalien die wirklichen Skandale zudeckt. Ihn hat mehr noch die ganz praktische Aufgabe erfasst, dagegen anzugehen und dagegen anzuleben - im Blick auf den Gekreuzigten.

Denn Jesu Verbindung zu all den Arm- und Niedergemachten, die besonders im Gerichtsbild am Ende des Matthäusevangeliums angesprochen wird (Mt 25,31-46), gibt ihm, dem Papst, einen besonderen Imperativ mit: den der Behütung. Es war kein Zufall, dass der Papst auf diese Worte des Evangeliums in seiner ersten öffentlichen Messe auch direkt Bezug nahm.

So wird der Papst wohl als Hüter leben, nicht als Zensor, nicht als Anführer. Das heißt gerade nicht, dass nicht auch Entscheidungen getroffen werden. Er wäre kein Jesuit, wenn er das ausklammerte. Sein Stil wird nicht weich sein, sondern dem Leben derer verbunden, die beschädigt wurden. Das heißt auch nicht, dass er festhalten wird, was geworden ist. Er wäre kein Jesuit, wenn er nicht zeitgerecht zu entscheiden und zu leben versucht. Der Hüter pflegt und liebt das Leben und ist diesem verpflichtet, nicht irgendwelchen angeblich ewigen Ideen.

Das alte Hirtenbild: Hüter sein

Hüter zu sein - ein altes Hirtenbild, das mit dem Gott Israel und mit Jesus verbunden ist - bedeutet, wie der Papst gesagt hat, zum einen, standzuhalten in der eigenen Sendung und den Weg bis ans Ende zu gehen. Hüter zu sein bedeutet, der Vernichtung der Schöpfung zu widerstreiten, die in unglaublichem Maß voranschreitet; der Papst wird die Hyperdogmen von Wachstum und technischem Fortschritt nicht außer Kraft setzen können; aber er hat diesen Zerstörungskräften einen sichtbaren Lebensstil entgegengestellt, der sich nicht am steigenden Wohlstand und Energiebedarf misst, sondern kontinuierliche Bescheidenheit realisiert, ohne asketisch verzerrtem Gesicht und grauem Missmut. Und er hat auch betont, dass diese Behütung eine Aufgabe der ganzen Menschheit ist.

Hüter zu sein bedeutet, die Armen nicht zu vergessen. Nachdem die Papstwahl zu Ende gegangen war, so erzählte der Papst am 16. März den Medienvertretern, habe ihn Kardinal Claudio Hummes umarmt und ihm gesagt: "Vergiss die Armen nicht!“ Das ist wieder ein praktischer Imperativ, kein innerliches Andenken. Vergiss die Armen nicht, hüte sie in der eigenen Bescheidenheit! Denn zum einen spürt ein bescheidener Mensch etwas von der Mühsal der Entbehrung, in die Arme hineingezwungen sind; zum anderen aber zeigt Bescheidenheit auch, dass es längst zur globalen Überlebensfrage geworden ist, ob die Reichen noch lernen, mit den Armen ihre übervollen Teller zu teilen.

Hüter zu sein bedeutet, den Kleinen Platz zu geben; den Kindern, die in den industrialisierten Gesellschaften mehr und mehr zum Karriereschaden werden; den Alten, die hinter blendenden Fassaden versteckt werden und auf ihren anonymen Tod warten; den Schwachen und Armen, die an den Rändern dahindämmern und selbst dort noch verbannt werden. Von diesen allen hat der Papst in seiner ersten Messe gesprochen.

Was für einer wird es werden?

Hüter zu sein bedeutet dem Papst auch, die verschiedenen Gaben Gottes zu bewahren. Es geht ihm nicht um Einheit, die nach fixen Vorgaben reglementiert wird, sondern um "Harmonie“, wie er sagte. Romantisch ist das gerade nicht. Denn die Differenzen zu hüten setzt eine starke offene Haltung voraus und das Bewusstsein, dass der Papst nicht den hierarchischen Schlussstein der katholischen Kirche bildet, sondern einer unter vielen wichtigen Personen und Repräsentanten ist, dessen Kraft nicht im isolierten Amt, sondern in der Weltkirche liegt und in ihrem Gottesglauben. So nahm er beim Essen mit den Kardinälen nicht den Vorsitz ein, sondern einen Platz unter ihnen. So endete er seine Ansprache am 19. März mit: "Zu euch allen sage ich: Betet für mich. Amen.“

Als ich vor einer Woche in Jerusalem Moshe Zwi Berger, einen mittlerweile fast 90-jährigen Künstler, getroffen habe, der über etwa drei Jahrzehnte seine Bildwerke aus den Psalmen schuf, sprach er mich auf die bevorstehende Papstwahl an. "Was für einer wird es werden?“ Ich sagte ihm: "Ich hoffe einer, dem man gerne glauben wird, dass das Christentum nicht ohne das Judentum wirklich und lebendig sein kann, auch nicht ohne das heutige Judentum.“ Papst Franziskus hat seinen ersten öffentlichen Brief an die jüdische Gemeinde in Rom geschrieben und bei der Begrüßung im Rahmen seiner ersten Messe die Vertreter der jüdischen Gemeinde ausdrücklich begrüßt.

"Wenn er so einer ist, ist es gut. Aber noch wichtiger ist, dass er leben wird, was er sagt“. Es ist, als hätten wir uns am Tag vor dem Konklave schon über den jetzigen Papst unterhalten.

* Der Autor ist Prof. f. Fundamentaltheologie an der Uni Wien

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