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Mann mit Visionen statt Divisionen

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„Wieviele Divisionen hat der Papst?” fragte einst Stalin. Johannes Paul II., der am 18. Mai - während seiner Reise in die Bene-lux-Länder - 65 wird, hat dagegen eher Visionen.

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„Wieviele Divisionen hat der Papst?” fragte einst Stalin. Johannes Paul II., der am 18. Mai - während seiner Reise in die Bene-lux-Länder - 65 wird, hat dagegen eher Visionen.

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Die Schwierigkeit, die der polnische Papst ernsthafter Analyse bereitet, ergibt sich aus der Spannung zwischen der kraftvollen Ausstrahlung seiner Person — dem vielzitierten Charisma — und seiner vergleichsweise schwächer wirkenden Aussage, zwischen leutselig-leichter Zuwendung im menschlichen Kontakt und schwerer Zugänglichkeit in der Diskussion, zwischen lang verzögerten Entschlüssen und plötzlicher Eingebung, zwischen seinem philosophisch-mystischen und seinem handfest institutionellen Kirchenverständnis.

Deshalb auch lassen sich seine Aussagen in ganz verschiedene der gängigen Schablonen pressen — rechts wie links, konservativ wie progressiv. Indem Johannes Paul II. all dies und zugleich nichts davon ist („Ich bin kein Ideologe... Ich bin doch der Papst!”), erspart er sich den Versuch, seinem Pontifikat den Stempel eines eindeutigen präzisen „Programms” aufzudrücken.

Denn weniger die Frage „Was tun?” als die Sorge „Wie sein?” beschäftigt seinen apostolischen Eifer in Kirche und Welt. Seit der späten Entdeckung eines christlichen Humanismus durch die römische Kirche hat kein Papst so wie er den Menschen, dessen Wesen und Würde, Rechte und Pflichten in den Mittelpunkt seiner Predigt gestellt.

Das Menschen- und Weltbild dieses Papstes motiviert sein Denken unmittelbarer als sein Gottesbild, in dem es wurzelt. Schon bei dem Studenten und dem Dozenten Karol Wojtyla hat die Problematik deutscher Philosophen, ihres rationalen, aber auch irrationalen Idealismus, tiefere Spuren hinterlassen als die Theologie der katholischen Scholastik.

Man muß erlebt haben, wie dieser Mann sich nicht nur im Vatikan, sondern auch auf seinen Reisen, inmitten ihrer Hektik von Messen und Massen, oft mehrmals am Tage zu langer wortloser Gebetsbetrachtung zurückzieht, um dann wieder — wie energiegeladen - in jene Aktivität zu stürzen, die er selbst „missionarischen Dynamismus” nennt und als „weltweite Öffnung” zum Dialog verstanden wissen möchte.

Dabei bewegt diesen Prediger biblischer Frohbotschaft eine gar nicht so fröhliche Erkenntnis: Außer ewigen Heilsgewißheiten hat nämlich der göttliche „Erlöser des Menschen, der das Zentrum von Universum und Geschichte ist” (Redemptor Hominis, 1979) eine keineswegs heile Welt hinterlassen - weder im humanen und moralischen, weder im politischsozialen, ja nicht einmal im kirchlichen Sinne.

In einer so gottverlassenen Welt muß deshalb vor allem der Mensch vor sich selber gerettet werden, muß man ihn zur Besinnung und damit zurück zu Christus bringen, ohne den kein Mensch, „an keinem Ort der Erde”, sich selbst verstehen oder gar befreien kann.

Erfüllt von einer solchen Vision hatte Karol Wojtyla schon sein Bischofsamt in Krakau ausgeübt: mehr Erwecker und Vorbeter als Seelenverwalter und Kirchenpolitiker. Papiere konnten liegenbleiben, Entscheidungen auf sich warten lassen, und Kontroversen, auch theologische, verebben; wichtiger war es, Rufer in der Wüste zu sein, Menschen zu bewegen, „Oasen” zu bilden — unter dieser Bezeichnung schuf Wojtylas Freund Blachnicki, lange bevor es in Polen „Solidarnosc” gab, eine religiöse Volksbewegung.

Als Regierungsphilosophie eines Papstes muß freilich seine Vision — zumal wenn sie banal nur als konservativer katholischer „Integralismus” empfunden wird — fast unvermeidlich jene Grundstimmung stören, die in der römisehen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) entstanden war: das Klima eines Ausbruchs und Aufbruchs aus dem eigenen Milieu, aus verengten theologischen und sozialen Bastionen, aber auch aus sicheren Glaubens-Oasen.

Öffnung zu Andersgläubigen und Ungläubigen, Gewissensfreiheit und Toleranz, Hinnahme des religiösen und politischen Pluralismus, Hinwendung zu den Armen. Verzicht auf weltliche und Dezentralisierung der geistlichen Macht, Kollegialität zwischen Papst und Bischöfen, Reform von Kirchenrecht und -disziplin, Erneuerung der Liturgie - all diese konziliare Anpassung an das Zeitgemäße muß sich heute von Papst Wojtyla an seiner „überzeitlichen” Vision messen lassen.

Doch nicht, weil er die Konzilsreformen als solche liquidieren will. „Das Konzil bleibt fundamental für den fruchtbaren Kontakt der Kirche mit der modernen Welt, es ist der feste Bezugspunkt meiner pastoralen Aktion”, versicherte er am 27. Januar, als ihn ein plötzlicher Einfall für den Herbst eine Sonder-Bischofssynode einberufen ließ, um eine Bilanz von

20 Jahren Konzilsauswirkungen zu erstellen.

Darum geht es ihm: Hat das Evangelium seit dem Konzil an Boden gewonnen — in den Menschen, in den Strukturen der modernen Welt? Ist die Entchristli-chung aufgehalten, der gewaltige Säkularisierungsdruck der technischen Zivilisation und ihrer (auch politischen) Zwänge gemildert, oder sind ihm die Schleusen geöffnet worden? Was hat die Kirche selbst — an äußerem Anhang und innerer Zustimmung -gewonnen oder verloren? Und wodurch?

Pessimistische, zumindest skeptische Antworten liegen da nahe für einen Papst, auch ohne daß er statistische Daten betrachtet: Die meisten Kirchgänger und eine große Mehrheit der 800 Millionen Katholiken in aller Welt finden den polnischen Pontifex zwar sympathisch, aber viele Glaubenssätze, moralische und kirchliche Normen, auf denen er (genauso wie sein Vorgänger) beharrt, halten sie für falsch, zweifelhaft oder unpraktikabel. Sie richten sich ein in einer „selbstgemachten Kirche” (Kardinal Ratzinger), ob diese nun päpstlich abgesegnet ist oder nicht. Dabei macht es sich Johannes Paul II. mit den Problemen nicht immer so leicht wie manche seiner Kritiker mit ihm. Ja es scheint, als bewahrte ihn oft gerade seine visionär-mythische Sicht, in der die Konturen der Realität leicht unscharf werden, vor allzu grober Vereinfachung — und Konsequenz.

Freilich, die Eigenbewegung dieser Weltkirche ist-jenseits ihrer Krise — längst im Gang. Mit allen „zentrifugalen Tendenzen”, die der Papst fürchtet und zugleich selbst begünstigt, indem er in vierzig Länder reiste und dort vorwiegend das sagte, was ihm die Bischöfe der Ortskirche in die Predigtentwürfe schrieben. Mit diesem Widerspruch versteht der 65jährige immer mehr zu leben. Nicht mehr so frohgemut wie vor der Zeit, als sich aus einer begeisterten Menge eine Waffe gegen ihn erhob, doch gewappnet durch einen Glauben, der Berge nicht in dieser Welt versetzen muß.

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