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Das Erbe - der Erbe

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Kardinal König nannte Paul VI. den „Papst an der Zeitwende“. Er habe weiterverfolgt, was sein Vorgänger anvisiert hatte; er habe es konkretisiert und umgesetzt. Aber gilt diese Feststellung, an der Zeitwende zu stehen, vollenden zu müssen, was der Vorgänger begonnen hat, nicht auch und noch viel mehr für den Nachfolger, auf den sich nun die 116 wahlfähigen Mitglieder des Heiligen Kollegiums einigen sollen?

1963 mußte es „ein Papst sein, der das angefangene Konzil nicht abbrach, der sich die Perspektiven Johannes XXIII. zu eigen machte“, schrieb Jean Guitton (Dialog mit Paul VI.). Damals schien die Wahl nicht schwer. Eines der kürzesten Konklave der Papstgeschichte einigte sich rasch auf jenen Mann, den schon Pius XII. als späteren Nachfolger genannt hatte.

In diesen 15 Jahren aber hat Paul VI. seinem Nachfolger eine Vielzahl von Aufgaben zu lösen hinterlassen - und je nachdem, welche dieser Aufgaben und Aspekte von den versammelten Kardinalen als vordringlich erachtet werden muß, sich auch die Aufmerksamkeit der Wähl lenden auf diesen oder jenen unter den als„papabile“ genannten Purpurträgern konzentrieren.

Das Konzil ist zwar seit 12 Jahren abgeschlossen, aber noch langę nicht bis in seine letzten Feststellungen in der Weltkirche integriert. Das Konzil war Montinis größtes Anliegen, „wir suchen es jetzt zu verwirklichen und lebendig werden zu lassen“, betonte er noch am 22. Juni. Aber im Gefolge des Konzils gab es ebenso seitens der Reformer Übertreibungen, die nicht mehr im Sinn der Initiatoren sein konnten, wie Proteste jener, die den Reformen nicht folgen zu können glaubten. Hiezu gehört der „Fall Lefe- bvre“, den der neue Papst einer Lö*- f süng zuführen wird müssend einer * Lösung, die Pauls Bemühen um Brüderlichkeit entspricht und trotzdem die notwendigen Klarstellungen bringt. Eine Lösung, die die berechtigten Anliegen der Konservativen von den unberechtigten Vorwürfen der Reaktionäre trennt.

Im Nachhang zum Konzil wird sicherlich wieder die Frage der „viri probati“ und ihrer Zulassung zum Priesteramt, wohl auch wieder die Frage des Zölibats auftauchen. Im Sog des aggiomamento wird so mancher Bereich der Moraltheologie fortentwickelt werden müssen, wohl im Sinn einer neuen, integra- tiven Sicht" der Ehe und Familie, nicht nur im Hinblick auf „huma- nae vitae“ oder künstliche Befruchtung, zwei weit über ihren Stellenwert im Gesamtgebäude kirchlicher Lehre hinaus aufgeblasene Problemstellungen.

Sicherlich wird gerade der große Bereich der Pastoral eines der wichtigsten Aufgabengebiete des neuen Papstes darstellen. Neue Methoden der Seelsorge müssen auch die 99 „schwarzen Schafe“ erfassen, die man bisher allzuleicht zugunsten des letzten verbliebenen „weißen“ vernachlässigt hat, jene „Fernstehenden“, bei denen es oft nur eines Anstoßes bedarf, um sie wieder zur aktiven Teilnahme am Leben der Kirche zu gewinnen.

Papst Paul VI. war der Papst der Öffnung der Kirche nach außen - durch seine Weltreisen, durch die Internationalisierung von Kurie und Kardinalskollegium, und nicht zuletzt durch seine vielfach angefeindete Ostpolitik, mit der er die seelsorgliche Lage der Gläubigen in den kommunistischen Ländern verbessern wollte.

Der Nachfolger tritt in einer Zeit an, da ein erneuerter - aber mitunter regierungsabhängiger - Episkopat als Gesprächspartner dem Vatikan wie der Regierung gegenüber zur Verfügung steht, in der aber auch die Hoffnungen, Helsinki werde eine Erleichterung der Situation der Kirche im Osten bringen, offen bar nicht erfüllt werden. Wie muß der Nachfolger beschaffen sein, der den Machthabern im Osten entschieden, aber doch vertrauenswürdig als Gesprächspartner entgegentreten kann, ohne dabei seine Funktion als Mahner in Sachen Menschenrechte preiszugeben, ohne das Vertrauen der Menschen jenseits der Grenzen zu verlieren?

Paul VI. hat den Wahlspruch Pius’ X. „Alles in Christus erneuern“ fortgeführt - nicht nur bis zum Konzil. Er war der erste Nachfolger Petri, der wieder dessen Heimat, das Heilige Land betrat. Das Petrusamt im Sinn des Johanneswortes „Daß sie eins seien wie wir“ (Joh. 17, 11) war Pauls hohes Ziel. Diesem Ziel diente die historische Begegnung mit Athenagoras im Abendmahlsaal von Jerusalem - bevor noch der eine den andern an dessen Amtssitz besuchte.

Die Bemühungen um die Ökumene, um die Verständigung mit den getrennten Brüdern, waren die logische Folge dieser Schau vom Petrusamt in Demut und Bescheidenheit - eine der wichtigsten Aufgaben, die dem Nachfolger übergeben werden. Noch steht manches

Trennende zwischen den’Kirchen, aber der Weg ist vorgezeichnet.

Der Blick der Kirche richtete sich in diesen Jahren nicht nur hinüber zu den getrennten Brüdern, die ebenfalls - wenn auch scheinbar „anders“ - an Christus glauben, sondern ebenso brüderlich bemüht zu jenen, deren Glaube an Gott anders orientiert ist oder die ohne ihn auszukommen glauben. Die Sekretariate für die Nicht-Christen, für die Nichtglaubenden sind Schöpfungen des letzten Pontifikates. Die Kontakte zu Muslim und Juden, der Dialog mit den Marxisten - sie wären noch vor zwanzig Jahren undenkbar gewesen. Sie müssen ihre Fortführung finden, auch’ unter ei- tnemmeuenPapst.w

Wo ist der „Superman“, der notwendig wäre, um dieses Erbe vollgültig fortzuführen, weiterzuentwickeln, den Forderungen des ausgehenden Jahrhunderts anzupassen? Und der gleichzeitig auch alle jene Kriterien erfüllt, die die Vati- kanastrologen in solchen Zeiten gerne anzusetzen pflegen?

Wird es wieder ein Italiener, wie seit einem halben Jahrtausend? Aber die Römer besitzen nur mehr ein Viertel der Stimmen im Kollegium - werden sie sich auf einen der Ihren einigen können und damit auch die Mehrheit der anderen mitreißen? Oder wird es zum ersten Mal nach 450 Jahren ein Nichtitaliener - dann wer? Die Öffnung zur Dritten Welt würde es nahelegen, einmal von dort einen Papst zu küren - könnte er sich in der vatikanischen Hierarchie, im kirchenpolitischen Dschungel durchsetzen? Die Sorge für die Gläubigen im Osten könnte es nahelegen, den Blick dorthin zu richten - die Wahl eines „östlichen“ Papstes würde aber wohl ebenso auf den Widerstand des Westens stoßen wie die Wahl eines Kandidaten aus einer der atlantischen Großmächte auf jenen des Ostens. Schon die Wahl des Kardinals Rampolla scheiterte einst am Veto des österreichischen Kaisers.

Oder ein Neutraler? Oder besser einer, der vor allem Seelsorger ist, der die Probleme der Pastoral aus eigener Praxis kennt? Sollte es ein „Junger“ sein, der nach menschlichem Ermessen eine Regierungsperiode bis ins nächste Jahrhundert vor sich hat? Oder zählt die Weisheit des Alters mehr, auch mit dem Risiko, in wenigen Jahren erneut vor demselben Problem zu stehen?

Die 116 Kardinale, die in diesen Tagen aus aller Welt dem Vatikan zustreben, tragen eine schwere Verantwortung, für dieses Erbe den richtigen Erben zu finden. Sie müssen sich darauf verlassen, daß der Heilige Geist mit ihnen ist.

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