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Vom Konzil zur Krise der Hirten

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In Auf bruchstimmung befand sich die Katholische Kirche unmittelbar nach dem Konzil, mit der Enzyklika „Humanae Vitae” begann 1968 die jetzige Krise.

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In Auf bruchstimmung befand sich die Katholische Kirche unmittelbar nach dem Konzil, mit der Enzyklika „Humanae Vitae” begann 1968 die jetzige Krise.

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Am 28. Oktober 1958 grüßte ein kleiner, rundlicher, alter Mann als Papst, bei dem fast nichts paßte, von der Loggia des Petersdomes. Die Kleider waren zu lang und zu eng, dann nannte er sich noch Johannes XXIII., so als ob es noch keinen Johannes XXIII. gegeben hätte. Alsbald wurde aber klar, daß ein gefinkelter, unkonventioneller Papst den Stuhl Petri innehatte. Die vielen pointierten Schnurren, die man von Johannes XXIII. erzählte, gepaart mit seiner runden Behäbigkeit, öffneten ihm die Herzen der breiten Masse. Eine förmliche Papstbegeisterung brach aus, der selbst die so konservativ-traditionalistische Apostolische Konstitution „Veterum Sapientia” keinen Abbruch tat. Mit „Mater et Magistra” setzte er die Tradition der Sozialenzykliken fort, und mit seiner Konzilsankündigung im Jänner 1959 verschlug es der Welt zunächst die Bede, bis sie alsbald in Konzilseuphorie überging.

Erwartungen wurden geäußert, Hoffnungen geweckt, verschiedenartigste Arbeitsgruppen erstellten Vorschläge und übermittelten Eingaben. Die katholische Welt geriet in Aufbruchstimmung, die auch in andere christliche Kirchen überschwappte.

Der Initiator des Konzils sollte die II. Sitzungsrunde nicht mehr erleben, und die Welt wußte sich mit seinem Ableben am 3. Juni 1963 um eine große warmherzige Persönlichkeit ärmer.

Papst Paul VI. nahm als unmittelbarer Nachfolger die Zügel fest in die Hand und führte das Konzil durch manche Fährnisse zu einem glücklichen Ende. Mit der Bestätigung der Konzilsdekrete im Dezember 1965, der Aufhebung der 1054 gegenseitig ausgesprochenen Bannung von Bom und Byzanz und dem Zusammentreffen Pauls VI. mit Patriarch Athena-goras in Jerusalem ein Jahr zuvor stand das Papsttum auf einsamer Höhe seines Ansehens und seiner moralischen Autorität.

Keine drei Jahre später begann für das päpstliche Lehramt und die unangefochtene moralische Autorität der Kirche mit der Enzyklika „Humanae Vitae” vom 25. Juli 1968 eine Krise, deren Ende noch nicht in Sicht ist. Sogar die österreichischen Bischöfe, gewohnt, päpstliche Enzykliken ohne „Wenn und Aber” zur Kenntnis zu nehmen und zu befolgen, ließen in der sogenannten Mariatroster Erklärung mit dem Hinweis auf das Gewissen als letzte persönliche Entscheidungsinstanz aufhorchen. Dies wurde verschiedentlich als Infragestellung der Verbindlichkeit von „Humanae Vitae”, die sehr rasch die Denomination „Pillenenzyklika” erhielt, empfunden und gewertet.

In den Priesterseminaren begann es zu gären, und bisweilen wurde ein solches sogar zu einer Art allgemeines Studentenheim mit kollektiver Führung umfunktioniert. Der persönlichen Entbindung von der Zölibatsverpflichtung folgte durch die großzügige Handhabung der Laisie-rung durch die römische Kurie die amtliche. So schwoll die Laisierung zu einer Art Bewegung an und bedeutete einen Aderlaß unter der Priesterschaft, der nicht verkraftet werden konnte. Diesem Aderlaß folgte ein derartiger Bückgang an Priesterberufen, daß Modelle für priesterlose Gemeinden erstellt werden mußten.

Von der grundsätzlichen Abschaffung der Zölibatsverpflichtung, das heißt, daß auch solche Theologen zum Priester geweiht werden, die nur zum Priester, nicht aber zum Zölibat berufen sind, über die „Viri probati” bis zur Frauenordination spannt sich die Diskussion heute.

In Österreich wurde mit dem Abtritt der überragenden, weit über Österreich ausstrahlenden Bischofspersönlichkeit von Kardinal Franz König schlagartig ein Problem virulent, das bis dahin nicht als solches erschien. War mit der Berufung Weihbischof Alois Wagners an die Kurie nach Bom und der langen Vakanz die Bischofsfindung schon in Linz ein Diskussionsthema geworden, so wurde sie mit der überraschenden Ernennung von Hans Hermann Groer zum Erzbischof von Wien zum Problem.

Insbesondere aus der katholischen Laienschaft, die ihr laienapostolisches Wirken von der bischöflichen Beauftragung herleitet, kam lebhafte und beherzte Kritik, die mit der Ernennung von Professor Kurt Krenn zum Weihbischof von Wien bei manchen in offene Ablehnung anschwoll. Zur Bischofsweihe über aus Protest am Boden liegende, den Domeingang blockierende Demonstranten steigen zu müssen, das hatte es in Österreich bis dahin noch nicht gegeben.

Diese Demonstration hat allen das ungeheure Ansehen des Bischofsamtes ins Bewußtsein gerufen und bei nicht wenigen tiefe Enttäuschung über die Person, die nicht ihrem Erwartungshorizont entsprach, hochkommen lassen.

Die vielen zermürbenden innerkirchlichen Querelen, die nun aufbrachen und sich zum Bichtungskampf zwischen den Blättern „Der 13.” und „Kirche intern” steigerten, konnten durch das staunenerregende caritati-ve Wirken rund um „Nachbar in Not” und in der Ausländerfrage bisweilen in den Hintergrund gerückt werden.

Allen kirchlich engagierten Personen wurde aber immer klarer vor Augen geführt, daß die Bischöfe beziehungsweise die Bischofskonferenz nicht mehr mit einer Zunge sprach. Der Bichtungskampf war und ist angesagt, von manchen einflußreichen Persönlichkeiten mit Sicherheit intendiert, denn Bischofsernennungen haben einen langen Vorlauf.

Die Beschuldigungen und Verdächtigungen heuer im Frühjahr Kardinal Groer gegenüber und dessen Schweigen trafen tief ins Herz der katholischen Bevölkerung. Selbst die, die gewohnt sind, nicht an Anschuldigungen zu glauben, wenn solche gegenüber Priestern und Bischöfen erhoben werden, waren verunsichert. Die Wiederwahl Groers zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz (später durch Bücktritt Groers von dieser Funktion und Wähl des Grazer Bischofs Johann Weber korrigiert) machte klar, daß die Bischöfe die Situation nicht richtig einschätzten und überfordert waren. Daß die Dekane der Theologischen Fakultäten hierbei in unüblicher Einmütigkeit Einspruch erhoben, war keine Einmischung in episkopale Angelegenheiten; schließlich stand die Glaubwürdigkeit der Kirche auf dem Spiel.

Damit war auch der Boden bereitet für eine Initiative von Laien, die manche die einst so beherzt geforderten „mündigen Laien” nennen, und zwar für das Kirchenvolks-Begehren, das Hubert Feichtlbauer treffend den „Aufstand der Lämmer” nennt. Dieses Kirchenvolks-Begehren hat neben vielem anderen klargemacht,, daß die katholisch-engagierte Laienschaft sich heute weder in der einst alles dominierenden Katholischen Aktion noch, in den traditionellen katholischen Vereinen beheimatet weiß. Die halbe Million Christen, die unterschrieben haben, für die Kirche und ihre Anliegen zu stimulieren, wird die Aufgabe von klugen Köpfen gleich welchen Geschlechts und Standes sein. Ob hierfür die altbewährten Gleise etablierter Gremien ausreichen oder das Schriftwort vom neuen Wein in alten Schläuchen angewendet werden muß, ist heute noch nicht abzusehen.

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