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Worin die Krise der Bischofsernennungen wurzelt

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„Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche" heißt ein kürzlich erschienenes Buch mit Beiträgen mehrerer Autoren. Herausgeber Gisbert Greshake nimmt hier speziell für die FURCHE zu diesem aktuellen Thema Stellung.

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„Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche" heißt ein kürzlich erschienenes Buch mit Beiträgen mehrerer Autoren. Herausgeber Gisbert Greshake nimmt hier speziell für die FURCHE zu diesem aktuellen Thema Stellung.

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Vor kurzem sagte mir ein bekannter Schweizer Theologe, daß eine Reihe von Gläubigen nicht an liturgischen Feiern des Bischofs Haas von Chur, dessen Weihe bekanntlich bis heute auf erheblichen Widerstand der Schweizer Katholiken stößt, teilnähmen und dies unter anderem mit Verweis auf den heiligen Bruder Klaus von der Flüe begründeten. Dieser habe gleichfalls seinen Bischof „geschnit-te", weil dieser „simonistisch", das heißt unter Einfluß von Bestechungsgeldern, geweiht worden war.

Ich konnte nicht nachprüfen, ob dieses Verhalten von Bruder Klaus wirklich zutrifft, aber dieser Sachverhalt lenkt unsere Aufmerksamkeit auf einen ganz wichtigen Punkt: Dazu, daß jemand in legitimer Weise Bischof ist, reicht es nicht aus, liturgisch „gültig" geweiht zu sein (man denke nur an die Bischofsweihen durch Erzbischof Lefebvre); und es reicht auch nicht aus, vom Papst ohne Rücksicht auf andere Faktoren ernannt worden zu sein.

Vielmehr galt fast 1200 Jahre in der Kirche die Zustimmung des Volkes zur Weihe als absolut erforderlich. Und zwar deshalb, weil der Amtsträger auf Grund seiner Weihe nicht nur von Christus her auf die Gemeinde zukommt und sakramental für das kirchenstiftende Wirken Christi steht und handelt (Amt als „repraesentatio Christi"), sondern auch, weil das Weiheamt im geisterfüllten Lebensgefü-ge der Glaubenden deren integrierende und integrative Mitte ist (Amt als „repraesentatio ecclesiae"). Und es galt von jeher als undenkbar, daß jemand die Gemeinde „repräsentieren" kann, ohne deren Zustimmung zu haben, in deren Einmütigkeit sich gerade das Wirken des Geistes äußert.

Darum ist zwischen Gemeinde, ernennendem und weihendem Bischof Einvernehmen herzustellen. „Einvernehmen" bedeutet keineswegs, daß sich nach Art modemer Abstimmungen hauchdünne Mehrheiten über Minderheiten hinwegsetzen nach dem Motto: „Stimmenmehrheit ist Stimmenmehrheit!" Vielmehr geht es um ein „einmütiges" Urteil, das zwar Gegenstimmen zuläßt, aber einer,.moralischen Einstimmigkeit" nahekommt.

Gestuftes Mitwirken aller

In einer der ältesten Kirchenordnungen (Traditio Apostolica, um 215) lautet schon die Weisung: „Zum Bischof soll geweiht werden, wer vom gesamten Volk erwählt ist. Ist er ernannt und hat er die Zustimmung aller", sollen ihm am folgenden Sonntag die anwesenden Bischöfe „unter Zustimmung aller" die Hände auflegen (Nr. 2). Die .Apostolischen Konstitutionen", die größte Sammlung kirchenrechtlicher Normen des Altertums, bezeugen, daß „als Bischof ein Mann geweiht wird, der in allen Stük-ken tadellos und vom ganzen Volk gewählt ist" (VIII, 4,2). Fehlte solche formelle Zustimmung der Gemeinde, wurden gelegentlich Bischofsernennungen als ungültig erklärt.

Diese Linie geht in der ganzen frühen Kirche weiter. Ausdrücklich mahnt noch 428 Papst Coelestin I. (übrigens jener Papst, der sich gegen besondere Kleriker-Kleidung aussprach): „Man soll keinen Bischof gegen den Willen des Volkes einsetzen." Diese Überzeugung, daß bei der Amtsbestellung das Mitwirken des Volkes erforderlich ist, geht schließlich in das Decretum Gra-tiani (um 1140) ein, wo es heißt: „Die Zustimmung ist Sache des Volkes" (D 62).

Insgesamt war diese „Mitwirkung" gestuft. In einem Brief Cyprians über die Wahl des Papstes Cornelius (251-253) heißt es: „Cornelius wurde zum Bischof erhoben aufgrund des Urteils Gottes und seines Gesalbten, aufgrund des Zeugnisses fast aller Kleriker, aufgrund der Abstimmung des damals anwesenden Volkes und der kollegialen Mitwirkung altbewährter Priester und aufrechter Männer..."

Der Grundsatz Coele-stins I. „Keinen Bischof gegen den Willen des Volkes einsetzen!" wurde durch das ganze 1. Jahrtausend immer wieder durch Päpste und Synoden gegen landesherrliche Anmaßung eingeschärft und festgeschrieben, vor allem auch in der ausführlicheren Form Leos des Großen, wonach „niemand gegen den Willen und das Verlangen der Ortskirche geweiht wird, damit sie nicht einen ihr unerwünschten Bischof verachtet oder haßt und das religiöse Leben in ihr leidet".

Außer der Zustimmung des Volkes war für eine legitime Weihe die Mitwirkung der Nachbarbischöfe und des zuständigen regionalen Primas (Patriarch, Metropoliten) konstitutiv, weil die Bischofsweihe den Betreffenden ja auch in das - zunächst einmal sich regionalkirchlich konkretisierende -Bischofskollegium („Bischofskonferenz") aufnimmt. Und - natürlich! -war und (ist) eine legitime Bischofsweihe nicht gegeben ohne stillschweigende oder ausdrückliche Zustimmung des römischen Bischofs als des „Vorsitzenden" des gesamtkirchlichen Bischofskollegiums und Inhabers des „Amtes der Einheit".

Avignons Finanzbedarf

Dieses gestufte Mitwirken des ganzen Volkes Gottes an Bischofsernennung und -weihe hat wenig mit Demokratie im neuzeitlichen Verständnis zu tun, vielmehr geht es um Emstnehmen der trinitarischen Struktur der Kirche, in der „das Christologische" (hier: die amtliche Sendung durch Christus) und „das Pneumatologi-sche" (hier: die Geistbeseeltheit der ganzen Kirche und jedes einzelnen) ständig ineinandergreifen (müssen).

Wie kam es dazu, daß dies seit dem Hochmittelalter mehr und mehr in Vergessenheit geriet? Hiefür sind eine Reihe von Gründen geltend zu machen (die hier nicht einzeln ausgeführt werden können), zum Beispiel soziologische und geschichtliche Faktoren (wie der „Investiturstreit" zwischen kirchlicher und staatlicher Kompetenz in kirchlichen Angelegenheiten), femer: die infolge von Unwissenheit, Unfähigkeit und politischer Abhängigkeit erfolgte „Verabschiedung" des gewöhnlichen Laien von seiner Mitsprache am Leben der Kirche, weiters: von politischen Gründen mitverschuldetes Vordringen des römischen Zentralismus und „Papa-lismus" und - leider nicht zuletzt! -das finanzielle Bedürfnis des Avig-noneser Papsttums, das sich durch Pfründenvergabe lukrative Einnahmen zu verschaffen suchte.

Klaus Schatz, Kirchengeschichtler der Jesuitenfakultät in Frankfurt, faßt zusammen: „Die ,freie B ischofswahl', mit dem schwersten Geschütz höchster spiritueller und theologischer Argumente begründet, wurde so ziemlich sang- und klanglos durch das Papsttum selbst, und nicht aus pastoralen, sondern aus finanziellen Gründen wieder abgeschafft."

Ein Rat „auf den Knien"

Auf dem Trienter Konzil wurden nochmals Gegenstimmen laut. So forderte Kardinal Guise von Lothringen die Rückkehr zur altchristlichen Form der Bischofswahl. „Unserem Heiligen Vater würde ich auf den Knien den dringenden Rat geben, sich von dieser Last (der Bischofsernennungen) zu befreien: So würde er weniger Gefahr (für sein Seelenheil) eingehen, da meist für die Kirche keine gute Wahl getroffen wird, und er so darüber nicht Rechenschaft ablegen müßte." Dagegen lautet sein Vorschlag, zur Bischofwahl durch das Volk zurückzukehren, zu dem, „was Christus angeordnet hat(!) und was in der Ur-kirche beobachtet wurde". Doch geriet dieser Vorschlag in die Zange zwischen päpstlicher und episkopali-stischer Konzilspartei. Selbst Episko-palisten befürchteten, daß beim damaligen Niedergang des Glaubens das Volk Gottes kein geeignetes Wahlgremium sei. So blieb die päpstliche Alleinkompetenz, ja sie steigerte sich noch in den neuzeitlichen Auseinandersetzungen mit staatlichen Eingriffsversuchen.

Was ist aus diesem geschichtlichen Rückblick zu lernen? Nach heutigem Kirchenrecht gilt der Satz: „Der Papst ernennt die Bischöfe frei und bestätigt die rechtmäßig Gewählten" (CIC, Can. 377, § 1). Vermutlich bezieht sich die Formulierung „frei" auf die Freiheit von ziviler, staatlicher Macht. Doch auch wenn diese „Freiheit" eine weitergehende Bedeutung hat, ist zu bestreiten, daß der Papst zur Bischofsernennung eine uneingeschränkte Kompetenz hat, auch wenn er um des Wohles der Kirche willen im Einzelfall zur Alleinentscheidung befugt ist.

Denn was im ersten Jahrtausend Recht war, daß nämlich zur kanonischen Einsetzung eines Bischofs auch die Wahl beziehungsweise Zustimmung des Volkes, des Klerus und der Metropoliten notwendig dazugehörte, kann nicht plötzlich im zweiten Jahrtausend nicht mehr Recht sein. Die Mitwirkung der Ortskirche und derregionalkirchlichen Communio ist tief im Glauben der Kirche, nämlich in der Überzeugung von ihrer com-munialen und pneumatischen Struktur, verwurzelt - eine Überzeugung, die wenigstens ansatzweise vom Vatikanum II neu bestätigt wurde. Bischofsemennungen, die prinzipiell an der Ortskirche und am regionalen Kirchenverband vorbeigehen, machen die diesbezüglichen Aussagen des Konzils zu „leeren Worten".

Grundsätzlich ist auch der Papst an das gebunden, was die ihm vorgegebene Struktur der Kirche einfordert. So weigerte sich zum Beispiel auf dem II. Vatikanum die Theologische Kommission, einem Vorschlag Pauls VI. zu folgen, wonach der Papst in bezug auf die Verwirklichung der Kollegialität „allein an den Herrn gebunden" sei. Diese Formel sei „zu simplifizierend", weil der Papst an vieles mehr, unter anderem auch an die Struktur der Kirche gebunden sei.

In der Tat, die auch dem Papst vorgegebene Struktur der Kirche erfordert die Beachtung auch ihrer pneu-matologischen Struktur, wonach der Geist unmittelbar in jedem Glaubenden und in der Gemeinschaft der Glaubenden wirkt. Der Geist „verinnerlicht" Wort und Gestalt Christi und bewirkt so, daß das in der Autorität Christi gründende Amt, das als solches im Gegenüber zum übrigen Volk Gottes steht, in die Einheit, Verbundenheit und Communio mit allen anderen Christen hineingestellt und von diesen anerkannt wird. Dieses spezifische Wirken des Geistes ist der Westkirche ein gutes Stück entglitten. Amtsemennungen wurden zu einem ausschließlich hierarchischen Geschehen und damit konsequenterweise letztendlich im Papsttum kanalisiert.

Das ehemals komplexe Gefüge einer Bischofsbestellung, worin die verschiedensten Elemente, das ortskirchliche und u n i v ersalkirch 1 ic he, das amtliche und das charismatische, das klerikale und das laikale zusammenwirken, wurde zugunsten einer hierar-chisch-christologischen Linie aufgelöst. Kirche wird nicht mehr als Abbild und Teilhabe am Leben des trinitarischen Gottes verstanden, sondern vorrangig als „fortlebender Christus". In diesem pneumatologischen Defizit gründet, theologisch gesehen, letztlich die Krise der gegenwärtigen Bischofsemennungen.

Nachträgliche Zustimmung

Was ist in dieser Situation zu tun?

Erstens: Es gilt, die pneumatologi-sche und damit die trinitarische Sicht der Kirche neu ins Bewußtsein zu rufen. Es darf darum der Ruf nach einer Kirchenreform nicht verstummen, welche um einer trinitarischen Ekklesiologie willen die Ansätze des Vatikanum II für eine erneuerte Communio-Ekklesiologie einklagt. Dabei geht es nicht nur um einen neuen Stil kirchlicher Amtsausübung und ein neues Miteinander von Amt und sogenannten Laien, sondern auch um eine neue (alte!) Kirchenstruktur, die vom Gedanken der Communio geprägt ist.

Zweitens: De facto sind nun in Österreich wieder Bischöfe ohne Zustimmung, ja gegen den Willen eines großen Teiles glaubender Menschen ernannt worden. Wenn es zutrifft, daß - wie man 1200 Jahre glaubte - die Zustimmung des Volkes, die heute ohnehin nur durch repräsentierende Gremien (Pastoralrat, Priesterrat) geschehen kann, zur Authentizität des Bischofsamtes gehört, so ist zu fordern, daß neuemannte Bischöfe sich diese Zustimmung wenigstens nachträglich erwerben. Sollte ihnen das nicht gelingen, kann man es wohl kaum einem Christenmenschen verübeln, wenn er dem Beispiel des heiligen Bruders Klaus folgt... Der Antor ist Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Universität Freiburg im Breisgau.

Buchtip: ZUR FRAGE DER BISCHOFSERNENNUNGEN IN DER RÖMISCH-KATHOLISCHEN KIRCHE. Mit Beiträgen von Richard Potz, Alexander Hollerbach, Harding Meyer, Gisbert Greshake (Hg.), Eugenio Co-recco. Katholische Akademie Freiburg, Verlag Schnell & Steiner, München-Zürich 1991. 164 Seiten, öS 163,80.

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