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Von Recht und Gnade

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Der Beitrag des Theologen Paul Zulehner (FURCHE 48/1991) könne nicht unwidersprochen bleiben, meinen die beiden Autoren, die sich hier zu Wort melden.

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Der Beitrag des Theologen Paul Zulehner (FURCHE 48/1991) könne nicht unwidersprochen bleiben, meinen die beiden Autoren, die sich hier zu Wort melden.

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Professor Paul M. Zulehner wirft der neuen Pfarrgemeinderatsordnung „im Grunde doch die neoklerikale Rücknahme der in der Ekklesiologie des Konzils wiederentdeckten, in Bibel und Tradition verbürgten Verantwortung jedes Kirchenmitgliedes für Leben und Wirken der Kirche" vor. Der Vorwurf, „hinter dem Konzil zurückzubleiben", gar „hinter das Konzil zurückzugehen" sollte behutsam gebraucht werden. Es müßte jeweils ausgemacht werden, was das Konzil in dieser Frage in Geist und Buchstaben tatsächlich gelehrt hat.

In Zulehners Ausführungen kann der Eindruck entstehen, die ganze PGR-Ordnung für die Erzdiözese Wien sei verfehlt. Es wird mit keinem Wort erwähnt, daß die Kritik sich im wesentlichen auf einen beziehungsweise zwei Punkte beschränkt. Daß die PGR-Ordnung als ganze doch als gelungen und, so steht zu hoffen, als durchaus praktikabel zu betrachten ist, hätte zumindest Erwähnung verdient. Der entscheidende Kritikpunkt ist ein einziger: die Frage, ob dem PGR ein beratendes oder auch ein beschließendes Stimmrecht zukommt. In dieser Frage hält die PGR-Ordnung sich verständlicherweise an das für die Gesamtkirche geltende Kirchenrecht von 1983. Um die PGR-Ordnung mit diesem Recht in Einklang zu bringen, wurde ja ihre Novellierung in Angriff genommen.

Sakramentale Struktur In Zulehners Ausführungen müßte daher klar und deutlich gesagt werden, daß seine Kritik an der Wiener PGR-Ordnung nicht nurdiese betrifft, sondern das ihr zugrundeliegende, für die ganze Weltkirche geltende Kirchenrecht. Es stellt sich daher die Frage, was seine Aufforderung konkret bedeuten soll, der Erzbischof von Wien solle die neue, eben erlassene PGR-Ordnung neuerlich novellieren. Es ist klar, daß diözesanes Partikular-recht nicht das allgemeine gültige Kirchenrecht, das auch für den Erzbischof bindend ist, verdrängen kann.

Doch wäre der bloße Hinweis auf das geltende Kirchenrecht formal zwar genügend, inhaltlich und argumentativ aber noch unbefriedigend. Das geltende Recht hat ja auch theologische und pastorale Gründe. Es sei daher kurz versucht, auf solche Gründe hinzuweisen.

Betrachtet man analoge Institutionen in der Kirche, wie den Pastoralrat und den Priesterrat in der Diözese oder die Bischofssynode auf weltkirchlicher Ebene, so stellt man fest, daß überall diesen Räten beratendes Stimmrecht zukommt, von wenigen, im Recht ausdrücklich vorgesehenen Fällen abgesehen. Es scheint sich hier also um ein für die ganze Kirche strukturierendes Element zu handeln. Daß die Bischofssynode, die mit dem Papst Probleme der Weltkirche berät; daß der Pastoral- und Priesterrat, die mit dem Bischof pastorale Fragen der Diözese behandeln; daß der Pfarrgemeinderat, der gemeinsam mit dem Pfarrer die Pastoral der Gemeinde gestaltet, „nur" beratende Stimme haben, ist nicht darauf zurückzuführen, daß die katholische Kirche den letzten Rest einer sonst längst überholten monarchischen Regierungsform darstellt, sondern hat mit der eigensten Natur der Kirche selbst zu tun.

Bezüglich des Priester- und Pastoralrates schreibt der Kirchenrechtler Libero Gerosa: „Beide Räte haben beratenden Charakter, und im Bereich der Seelsorge bleiben die endgültige Entscheidung sowie die letzte Verantwortung ausschließlich Sache des Diözesanbischofs" (Kirchliches Recht und Pastoral, Eichstätt-Wien 1991, S. 91). Am Ende einer Bischofssynode übergeben die Bischöfe dem Papst die Resultate ihrer Beratungen. Es liegt dann beim Papst, aus den Ratschlägen der Bischöfe seine Schlußfolgerungen zu ziehen und die entsprechenden Entscheidungen in Letztverantwortung zu treffen. Analoges gilt auch vom Pfarrgemeinderat in pastoralen Dingen.

Dieses durchgehende Ordnungsprinzip der katholischen Kirche ist letztlich in ihrer sakramentalen Struktur begründet. Genau das hat das II. Vatikanum bezüglich der Kirche so deutlich hervorgehoben. Die wesentlichen Strukturelemente der Kirche sind sakramentaler Art. Die Kirche selbst ist, nach der Lehre des Konzils, „das universale Sakrament des Heiles". Sakramental, das heißt immer: Vermittlung göttlicher Gnade durch menschliche Zeichen und Werkzeuge Die pastorale Hauptverantwortung in der Kirche auf allen Ebenen (Papst, Bischof, Pfarrer) wurzelt in einem eigenen Sakrament, dem Weihesakrament. Die Letztverantwortung des durch Weihe Beauftragten und Ermächtigten beruht darauf, daß er ja nicht seine persönliche Sache zu vertreten, sondern das weiterzugeben und den Gläubigen zu sichern hat, was er nicht selber geben, sondern nur von Christus her vermitteln kann: das Wort Gottes und die Sakramente. Diese Verantwortung kann der geweihte Hirte nicht delegieren, da sie ihm gar nicht selber gehört. Er ist vielmehr bestellt, in Auftrag und Person Christi zu handeln. Der Apostel Paulus ist anschauliches Beispiel dafür, daß solche Letztverantwortung ganz und gar nicht Rat und Mitarbeit vieler Mitchristen ausschließt.

Auch die pastorale Mitverantwortung allerGläubigen in der Gemeinde ist sakramental begründet: Sie beruht auf Taufe und Firmung, und sie wird im besonderen durch Charismen, die der Geist verteilt, spezifiziert. Diese Mitverantwortung kann je nach Lebensstand und Charismen vielfältige Formen annehmen. Das stille Mitbeten und Mittragen, ja auch das Mitleiden können ebenso wichtig und fruchtbar sein wie die aktive Mitarbeit in der Gemeinde und die vielfältigen Beiträge zu ihrem sichtbaren Leben.

Es mag heutigem Empfinden fremd sein, daß dieses Mitwirken nicht die Form einer beschlußfassenden Stimmberechtigung annehmen kann, wo es um pastorale Belange geht. Doch erinnert uns das auf allen Ebenen der Kirche (Papst, Bischöfe, Pfarrer) durchgehaltene Strukturprinzip der pastoralen Letztverantwortung daran, daß wir alle als Gläubige Christus, dem Haupt der Kirche, gegenüber immer Hörende, Empfangende, Gehorchende bleiben werden. Wie ich mir den Glauben nicht selber geben kann, sondern ihn empfangen habe, so kann sich auch die Gemeinde Christi letztlich nicht selber regieren. Daß Christus das Haupt seiner Gemeinde, seiner Kirche ist, wird uns in der sakramentalen Ordnung der Kirche dadurch deutlich gemacht, daß er durch Menschen repräsentiert wird, die nicht in ihrem, sondern in seinem Auftrag handeln.

Christus als Maßstab Im Alltag des Gemeindelebens mögen solche Gedanken als allzu hoch gegriffen erscheinen. Doch geht es auch und gerade im Alltag des christlichen Lebens darum, alles mit dem Geist Christi zu durchdringen. Christus bleibt ja auch das Modell der Hirten und Maßstab für ihre pastorale Verantwortung. Hier setzt freilich die besorgte Frage ein, die Zulehner artikuliert: Was tun, wenn der Hirte sich „am Evangelium versündigt"? Was tun, wenn er nicht dem Maßstab Christi als Hirte entspricht? Ist man' hier auf seine „Gnade" angewiesen? Sind die Laien den Hirten gegenüber hier machtlos, rechtlos?

Das Problem ist alt, es wurde bezüglich des Papstes im spätmittelalterlichen Konziliarismus intensiv diskutiert. Wer kontrolliert den Papst? Kann man gegen den Papst appellieren, zum Beispiel an das Konzil? Gewiß, gegenüber einem Pfarrer kann die Gemeinde an den Bischof, gegenüber einem Bischof kann man an den Papst appellieren. Doch hat die Diskussion des Konziliarismus schon im 15. Jahrhundert unerbittlich gezeigt, daß solche Konflikte rein rechtlich nicht gelöst werden können. Dies ist nicht Zeichen der Ohnmacht der Laien gegenüber der Hierarchie, sondern es liegt in der eigensten Ordnung der Kirche, daß ihr Recht immer auf Gnade und Sakrament beruht.

Nicht durch ein ausgeklügeltes Appellationsrecht, auch nicht durch Mehrheitsbeschlüsse, sondern durch gemeinsames Hören auf Christus und sein Wort, durch Bereitschaft zur persönlichen Umkehr, zum Verzeihen und zu neuem Anfangen wird es möglich sein, Konfliktsituationen in der Gemeinde zu überwinden. Damit wird nicht das „Recht gnadenlos", wie Zulehner mit einer doch wohl zu plakativen Formel behauptet, sondern es zeigt sich, daß die Kirchliche Gemeindeordnung, auch in ihrer rechtlichen Gestalt, Ausdruck dafür ist, daß im christlichen Gemeindeleben alle, Hirten wie Gläubige, auf die Gnade Christi angewiesen sind.

Der Autor ist Weihbischof in der Erzdiözese Wien.

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