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ALS BRUDER UNTER GESCHWISTERN

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Das geistliche Profil des Priesters der Zukunft wird der Gestalt der Kirche zu entsprechen haben, in der und für die er Priester sein wird. Diese Gestalt aber ist -wenn nicht alles täuscht - dabei, sich radikal zu wandeln.

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Das geistliche Profil des Priesters der Zukunft wird der Gestalt der Kirche zu entsprechen haben, in der und für die er Priester sein wird. Diese Gestalt aber ist -wenn nicht alles täuscht - dabei, sich radikal zu wandeln.

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Alles weist darauf hin, daß eine über tausendjährige Realisationsform von Kirche in einer Metamorphose begriffen ist, in der sie ihr altes „Kleid” gleich einer Raupe abstreift, um eine neue Gestalt zu gewinnen, die weit eher jener der ersten vier Jahrhunderte ähnlich sein wird. Denn die seither anhebende enge Verbindung von Gesellschaft (Staat) und Kirche zu einer Einheit, die wir als „das christliche Abendland” bezeichnen, zerbricht beziehungsweise ist in bestimmten Regionen schon längst zerbrochen.

Man wird nicht mehr Christ sein, weil „man” als „normaler” Österreicher Christ ist, das heißt weil die Gesellschaft, in die man hineingeboren wird, eine geschichtliche Symbiose mit christlicher Tradition eingegangen ist, sondern man wird Christ sein, weil man kraft freier Entscheidung dem Evangelium Glauben schenkt und bewußt sein Leben darauf ausrichtet. Dies letztere aber wird vermutlich die Sache einer Minderheit sein. So dürfte die Kirche voraussichtlich an extensiver Ausbreitung, an gesellschaftlicher Macht, an soziokulturellem Einfluß gewaltig verlieren. Gleichzeitig aber ist damit auch die Chance gegeben, intensiver, wahrhaftiger, kompromißloser, das heißt ohne Schielen darauf, ob man auch ein breites gesellschaftliches Echo findet, das Evangelium zu leben.

Administrieren sollen Laien

Die Kirche wird sich darauf besinnen müssen, „in der Fremde”, „in der Zerstreuung” zu sein (vergleiche 1 Petr 1,1), als „Fremde und Gäste in dieser (ganz anders orientierten) Welt zu leben” (1 Petr 2,11); sie wird ihr Lebensmodell gegen andere Wertvorstellungen verwirklichen müssen und ohnmächtig und angefochten dem Gekreuzigten zu folgen haben. Gerade so aber sind die Glaubenden aufgerufen „als Kinder Gottes ohne Makel mitten in einer verdorbenen und verwirrten Generation, unter der ihr als Licht in der Welt leuchten sollt”, zu leben (Phil 2,15) und so auf ganz neue Weise den Zuspruch und Anspruch Jesu Christi in der Welt zur Geltung zu bringen.

Trifft diese Vision auch nur annähernd zu, so hat dies ungeheure Konsequenzen für das geistliche Profil des kirchlichen Amtes. Eine solche künftige Gestalt der Kirche erfordert Priester, die ihre Aufgabe nicht darin sehen, eine Gemeinde zu administrieren - im Sinne von äußerer Organisation und statistischer Dokumentation, von finanzieller Verwaltung und institutionellen Maßnahmen (Bauen, Instandhalten, Gründung von Institutionen); das kann jeder Laie besser; und im übrigen wird es künftig, wenn der Geldhahn streikt, nicht mehr viel zu administrieren geben.

Nicht um Administrieren geht es, sondern es gilt, alle Aufmerksamkeit darauf zu richten, lebendige Zellen des Evangeliums zu formen und Menschen zusammenzuführen, die selbst suchen und fragen, wie sie das Evangelium leben können. Der Priester wird dadurch seinen Dienst wahrnehmen, „daß er seine ganze Kraft auf die Verkündigung des Wortes Gottes richtet, daß er Charismen und Befähigungen zu gegenseitigem Dienst entdeckt, daß er Glaubenserfahrungen initiiert, daß er suchende Menschen geistlich begleitet...” (Schreiben der deutschen Bischöfe 1992) und sie zum Glaubenszeugnis und zur Sendung in der Welt befähigt.

Dabei wird er sich selbst bewußt hineinstellen in die Gemeinschaft des Volkes Gottes, vor allem dadurch, daß er mit den Laien zusammenarbeitet, Verantwortung delegiert, Mitentscheidung praktiziert, indem er den

Laien-Mitarbeitern nicht dank besseren Könnens oder verbriefter Rechte als Chef begegnet, sondern geistlich als Bruder unter Brüdern und Schwestern in einer Gemeinschaft von unterschiedlichen Berufungen. Er wird eine „Spiritualität des Neinsagens” entwickeln müssen, mit der er sich dagegen wehrt, religiöse Konsumwünsche, die nicht wirklich im Willen zur Nachfolge Christi begründet sind, zu befriedigen.

All das setzt voraus, daß der Priester sich zunächst einmal persönlich darum bemüht, so etwas wie ein „Mann Gottes” zu sein (vergleiche 1 Tim 6,11). Wenn möglich, wird er in Gemeinschaft mit Mitbrüdern oder anderen Gläubigen (vita communis) leben, um selbst gemeinschaftsfähig zu werden und zu bleiben. Weil die finanziellen Ressourcen der Kirche sehr gering sein werden, wird er ein sehr bescheidenes Leben führen müssen (Armut); da er sich ganz in den geistlichen Dienst der Kirche stellt, ist er dazu eingeladen, verfügbar zu sein (Gehorsam).

Im „Dienst des Feuers”

Er wird - wider alle derzeitige Stimmungsmache - ein eheloses Leben führen (zumindest wird er dazu dringlich eingeladen sein) gemäß Heinrich Spaemanns schönem Wort : „Ich bin in den Dienst des Feuers genommen. Daß ich anstecke, ist wichtiger als alles... Und das wohl im Sinn auch meines Zölibats: daß ich die brennende Erwartung einer Wirklichkeit, die alles im Hiesigen und Vorläufigen erfahrbare Glück überbietet, wachhalte - in totaler Verfügbarkeit für jene Menschenbrüder, denen ich diese Wirklichkeit nahezubringen habe... Ich kenne sie im vorhinein nicht. Ich weiß nicht, wie weit das Beziehungsnetz Liebe reicht, das ich mit zu knüpfen und auszuwerfen habe, das... seinem Wesen nach aber... keine Begrenzung kennt. Gebundenheit an eine natürliche Familie, an Frau und Kinder, würde notwendig von vornherein Begrenzung bedeuten, aufgrund des Erstanspruchs, den dieser Beziehungsbereich mit all der Verantwortung, die ich für ihn zu tragen hätte, notwendig geltend macht.”

So wird die Ehelosigkeit eingebettet sein in ein integrales Leben nach dem Evangelium. Auf diese Weise wird sie auch lebbar und von der Gemeinde mitgetragen sein. Denn die Gemeinde der Zukunft wird das chri st-liche Leben nicht mehr in bürgerlicher „Kontinuität”, sondern in „Unterbrechung” (Johann Baptist Metz) leben, das heißt, sie wird einen Sinn dafür haben, daß das Evangelium wesentlich die „Normalität” dieser Welt aufbricht. Eine solche Ehelosigkeit wird auch glaubwürdig sein, da sie nicht mehr der einzige Punkt ist, an dem sich das Leben vieler Priester hervorhebt.

Schon Thomas von Aquin sah die drei Evangeli sehen Räte in unzertrennbarer Einheit: es sind für ihn gleichsam drei Seiten eines einzigen Prismas, nämlich eines Lebens, das sich ganz für Gott freihält. Als isoliertes Bruchstück kann der Zölibat nicht überzeugend gelebt werden; er bleibt dann ein Fremdkörper in einem Lebensentwurf, der nicht dazu paßt und zu dem der Zölibat nicht paßt. Er wird so nur zur Last und deswegen auch zum Gegenstand persönlicher und kirchlicher „Dauerreflexion”.

Der Priester der Zukunft wird vor allem aber „präsent” sein unter den Menschen. Er wird keine privilegierte Existenz führen, wie sie ihm heute schon ab dem ersten Tag im Priesterseminar „nonverbal” dokumentiert wird, indem er keinen Militärdienst zu leisten, keine Wohnung zu suchen, sich um keine Versorgung zu kümmern braucht. Er ist ja „etwas Besonderes”. Nicht mehr die wohleingerichteten Pfarrhäuser, Zeichen des „hochwürdigen Standes”, auch nicht die reichen Stifte, Dokumente adliger, ja kaiserlicher Gunst, nicht bischöfliche Palais, welche die exzellenten Herren durch eine Fülle von Vorzimmern vom wirklichen Leben abschirmen, werden bereitstehen, sondern der kirchliche Amtsträger wird eingeladen sein zum Mitleben unter seinen Brüdern und Schwestern: in Hoch- und Reihenhäusern, in Mietskasernen und Asylheimen.

Gegen die „Verkopfung”

Neben dem theologischen Studium sollte er eine zweite berufliche, nach Möglichkeit handwerkliche Ausbildung haben, nicht nur gegen die bisherige „Verkopfung” der Glaubensverkündigung, sondern auch damit er aus persönlicher Erfahrung weiß, was es heißt, sich mit eigener Hände Arbeit sein Brot zu verdienen und er mit Paulus sagen kann, daß es sein „Ruhm” ist, sich nicht geldlich von den Gemeinden aushalten zu lassen (vergleiche 1 Kor 9,15; 2 Kor 1 l,7f). So wird er auch nicht mehr „unfehlbar von oben” zu den Menschen sprechen, sondern er wird als Bruder unter Brüdern und Schwestern mit ihnen gemeinsam auf das Evangelium hören und den Weg der Nachfolge zu gehen suchen.

Gerade so werden kirchliches Amt und kirchliche Autorität eine neue Plausibilität, die jetzt zum großen Teil verloren gegangen ist, wiedergewinnen. Auch wird dann das Problem „Priestermangel” (wenn es denn gegenwärtig - genau betrachtet - überhaupt dieses Problem wirklich gibt) behoben sein.

Ein überzeugendes Leben nach dem Evangelium wird junge Menschen anziehen. Und das Problem wird dann eher Gläubigenmangel als Priestermangel heißen.

Ob es genau so kommen wird? Wer weiß es schon! Aber sicher scheint mir, daß die Entwicklung ungefähr in die skizzierte Richtung gehen wird. Trifft das aber zu, so müßten schon heute, was Priesterausbildung und Lebensstil des Priesters sowie die Grundausrichtung der Pastoral angeht, ganz neue Wege beschritten werden. Aber „das ist ein weites Feld”, das wir in diesem Beitrag nicht abschreiten können.

Der Autor ist Ordinarius für Dogmatik an der Universität Freiburg.

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