6747712-1967_14_22.jpg
Digital In Arbeit

Gescheiterte Existenzen?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Berufsentscheidung des jungen Menschen orientiert sich heute an der Frage, in welchem Beruf er Erfüllung und Glück für sein Leben finden kann. Ein Beruf, der ihm in Aussicht stellt, Außenseiter der Gesellschaft zu sein, eine Reihe von Unsicherheiten in Kauf zu nehmen, insbesondere die sehr reale Möglichkeit eines gescheiterten Lebens vor Augen zu haben, erscheint dem jungen Menschen wenig verlockend. Gerade in einer Zeit, in der Gesellschaft, Lebensstandard und Versicherungen eine so bedeutende Rolle spielen. Wer bringt heute noch die geistige Freiheit auf, auf einen Anruf wie: „Kommt, folget Mir nach und Ich will euch zu Menschenfischern machen!“ (Mt. 4, 19) sogleich seine Netze — also die Grundlage seiner Existenz — liegenzulassen und dem Ruf zu folgen, auf nichts anderes gegründet, als auf das mehr oder weniger vage Versprechen von einem kommenden Gottesreich? Jesus stellte den Menschen Seiner Zeit ein Kind als Vorbild hin: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder ...“ Genau dieses einfache, kindliche „Ja“-Sagen, ohne über Wenn und Aber zu reflektieren, ist die Haltung,die für die Antwort auf die Berufung zum Priestertum unerläßliche Voraussetzung ist.

Obwohl diese Haltung selbstverständliche Voraussetzung für jeden Priester ist, ist sie nicht spezifisch priesterlich. Sie ist nicht einmal unbedingt spezifisch christlich, sondern ganz einfach menschlich.

Die erste menschliche Tat des Menschen besteht darin, dieses einfache „Ja“ zu sich selbst zu sprechen, sich selbst zu akzeptieren, „so wie er ist: mit all den Verheißungen und Bedrohungen seines Lebens, mit seinem Stolz und mit seiner Lächerlichkeit, mit dem, was er vollbringen kann und wozu er unfähig geworden ist, mit seinen Engen, seiner Müdigkeit, mit seinem Versagen. Aber auch mit dem, wovon er unaufhörlich träumt: Gesundheit, Ganzheit, Bereicherung, Ehre, Anerkennung, erfülltes Leben, menschliche Nähe, Freundschaft, Liebe und Umarmung; mit den Möglichkeiten, die er in sich selber spürt, mit den Grenzen, die ihn beengen“. (L. Boros: „Erlöstes Dasein.“)

Erst von dieser Basis aus können wir den nächsten Schritt versuchen und dem Mitmenschen akzeptierend gegenübertreten. Es ist nun einmal eine Tatsache, daß wir nicht allein auf der Welt sind. Eben deshalb ist die zweite Aufgabe, die der anderen auf gleicher Ebene gegenübersteht,daß wir den anderen nehmen, so wie er ist.

Das zu leben, wäre ein Engagement, zu dem jeder Christ gerufen ist, will er seinen Beitrag zum Anliegen des Priesterberufes leisten; denn erst wenn diese Haltung in der christlichen Gesellschaft zu wachsen beginnt (auf jeden einzelnen kommt es an: exempla trahunt!), ist auch eine gesunde Grundlage für das Werden von Priestern gegeben. Welches sind nun die wichtigsten Merkmale eines priesterlichen Menschen?

• Menschsein unter Menschen: Wir haben oben von jenem wesentlichen Moment des Menschseins, vom Annehmen seiner selbst und dem darauf aufbauenden Annehmen des anderen in seiner Eigenart gesprochen. Diese Tatsachen voraussetzend, sagt das II. Vaticanum im Dekret über Dienst und Leben der Priester: „er (der Dienst der Priester) erfordert aber zugleich, daß sie in dieser Welt mitten unter den Menschen leben, daß sie wie gute Hirten ihre Herde kennen und auch die, die nicht dazu gehören, herbeizuholen suchen, damit sie Christi Stimme hören und eine Herde und ein Hirt sei. Um das zu erreichen, helfen ihnen viel jene Tugenden, die in der menschlichen Gesellschaft mit Recht sehr geschätzt sind, Herzensgüte, Aufrichtigkeit, Mannhaftigkeit und Ausdauer, steter Gerechtigkeitssinn, Höflichkeit und andere, die Paulus mit den Worten empfiehlt: ,Was immer wahr, was ehrwürdig, was gerecht, was lauter, was angenehm, wohllautend, was irgendeine Tugend und irgendein Lob ist, darauf seid bedacht! (Phil. 4, 8)“.

• Christsein mit den anderen: Karfreitag in Ostern aufgehoben — gelebt! Darin liegt das Wesen des Christentums. Karfreitag im realen Leben des Christen ist das Tragen des eigenen und das Mittragen des Menschseins des anderen: Begrenztheit, Erbärmlichkeit, sinnloses Kreisen im eigenen Ich, Zweifel am Sinn, Gemeinheit, Haß, Unehrlichkeit...

Wenn es keinen Ostermorgen gäbe, würden wir in alldem steckenbleiben. Aber gerade davon sind wir erlöst. Gerade das ist die unbeugsame Freude des Christen, daß nicht Karfreitag, sondern Ostern ist. Das ist die Frohe Botschaft.

Dies alles ist nun miteinander zu leben. Im Bewußtsein, daß der andere für mich notwendige Stütze ist und ich für ihn. Wir müssen Wegweiser füreinander sein, die auf den Ostersonntag weisen, auch wenn der Karfreitag für uns noch lange nicht zu Ende ist. Nur auf dieser Basis von Menschsein und Christsein ist Priestersein möglich. Erst daraus kann das Spezifische der priesterlichen Existenz echt gelebt werden. • Diener-sein unter anderen. Durch Karfreitag-Ostem bestimmt, wird der Priester seinem Herrn auch im Dienst nachfolgen. Er wird diesen Dienst im Wort vollziehen, das er zuerst seinen Brüdern in der Kirche zu verkünden hat. Er wird denen verkündete Frohe Botschaft sein, die diese Frohe Botschaft durch ihr Leben, ihren Dienst und ihr Wort der Welt gegenwärtig setzen müssen. Der Priester ist in der heutigen Zeit primär innerkirchlichem Dienst verpflichtet. Seine Sorge wird es aber auch sein, daß dieser Dienst nicht sein Ende an den Grenzen der Kirche findet, sondern durch seine Brüder weitergetragen wird und so allzu kirchliche Grenzen sprengt.

Am greifbarsten wird der Priester den Menschen Christus gegenwärtig setzen können als Ausspender der Geheimnisse Gottes (1. Kor. 4, 1). Die Liturgiekonstitution sagt dazu: „Um dieses große Werk zu vollenden, ist Christus Seiner Kirche immerdar gegenwärtig, besonders in den liturgischen Handlungen. Gegenwärtig ist Er im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht... Gegenwärtig ist Er mit Seiner Kraft in den Sakramenten, so daß, wenn immer einer tauft, Christus selber tauft.“ Der Priester wird denen den Leib und das Blut des Herrn reichen, die sich zum Gedächtnis dieses Herrn versammelt haben. Er wird im Namen Christi und der Gemeinde durch die Taufe das Leben des Dreifaltigen Gottes den Menschen schenken.

Er wird, die den Herrn auf Seinem Weg verlassen haben, im Sakrament der Buße wieder mit dem Herrn und der Kirche versöhnen. Und sein Gebet über die Kranken wird sie für dieses oder das zukünftige Leben heil machen. Er wird sich ganz schenken müssen, gerade in einer Zeit, in der ihm selbst am wenigsten geschenkt werden wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung