7074838-1993_14_12.jpg
Digital In Arbeit

AUFBRECHEN UND BEI CHRISTUS SEIN

19451960198020002020

Keineswegs alle Juden glaubten zur Zeit Christi an eine Auferstehung, doch den Christen wurde sie Zeichen der Erfahrung von Gottes Gegenwart.

19451960198020002020

Keineswegs alle Juden glaubten zur Zeit Christi an eine Auferstehung, doch den Christen wurde sie Zeichen der Erfahrung von Gottes Gegenwart.

Werbung
Werbung
Werbung

Zu Beginn des zweiten christlichen Jahrhunderts schreibt der gefangen nach Rom geführte und dort als Märtyrer gestorbene Bischof der so angesehenen Christengemeinde von An-tiochia in Syrien, Ignatius, der Gemeinde in Rom einen Brief, der vor allem dem Anliegen dient, kejne Versuche zu unternehmen, ihm das Leben zu retten. „Gewährt mir nicht mehr als Gott geopfert zu werden" (2.2). „Ich schreibe allen Kirchen und schärfe allen ein, daß ich gerne für Gott sterbe, wenn anders ihr es nicht verhindern werdet... Weizen Gottes bin ich und durch die Zähne von Bestien werde ich gemahlen, damit ich als reines Brot Christi erfunden werde" (4.1).

Unvergängliche Zeugnisse jener christlichen Haltung, die das Leben nach dem Tod als allein entscheidend betrachtet. Eine ganze Spiritualität der Einschätzung dieses irdischen Lebens im „Tränental" hat sich daraus entwickelt. Gerade vom Beispiel des erwähnten Märtyrers her, der für eine leuchtende Reihe anderer steht, ist zu ermessen, wie sehr der Jenseitsglaube der Christen Motiv unerschütterter Glaubenstreue in Verfolgung wie in Misere des alltäglichen Lebens geworden und geblieben ist.

Liegt hier die oder wenigstens eine Triebfeder der Werbekraft christlichen Glaubens am Anfang der Kirche? Ein Blick in die den Christen begegnenden Umweltvorstellungen jüdischer wie hellenistischer Art könnte vielleicht weiterhelfen. Allerdings ein wichtiges Resultat zuvor: Die Vorstellungen über ein jenseitiges Leben des Menschen über seinen irdischen Tod hinaus sind jüdisch wie allgemein damals sehr verschieden und lassen sich kaum in eine vernünftige systematische Ordnung bringen.

Menschen sind in der uns geschichtlich faßbaren Zeit bei dieser Frage von etwa folgenden Grenzwerten her bestimmt gewesen: Der irdische Tod wird ernst genommen, der Auflösungsprozeß des Körpers signalisiert das Ende des Lebewesens; das Personbewußtsein („Seele"!) legt es nahe, diesen Augenschein nicht zu akzeptieren; die vordergründig erfahrbare Welt kann als Ort des Eingehens eines geistigen Personkerns (Präexistenz der Seele) oder des Wiederkehrens gewesener menschlicher Wirklichkeit betrachtet werden; der Tod kann als Befreiung aus dieser auch als quälend betrachteten irdischen Wirklichkeit gesehen werden. Himmel und Unterwelt (Firmament und Äther über uns, der Bereich des Grabes unter uns) lassen an Götter, Dämonen, beides „oben" und „unten" denken. Das existentielle Selbstverstehen des Menschen läßt sich aus den jeweiligen konkreten Vorstellungen über Herkunft und Ziel des in dieser Welt lebenden Menschen gut ermessen.

Sadduzäer kontra Pharisäer

Israel scheint lange Zeit nur das irdische Leben als lebenswert betrachtet zu haben. Ideal ist, lange zu leben und endlich dann lebenssatt zu sterben. Zwar gibt es (nach so weithin auch sonst verbreiteter Vorstellung) das Reich der Unterwelt, aber „die Toten loben dich nicht mehr" (Ps 115,17). Freilich, manchem Gott nahen Menschen ist es geschenkt, auch nach diesem Leben von Gott aufgenommen zu werden, wie Henoch (Gen 5,24) oder Elija (2Kön 2,11). Der Gottesknecht wird nach seinem Grab von Gott gerettet, Nachkommen sehen und lange leben (Jes 53,8-10).

Die Erfahrung des scheinbaren Im-Stich-gelassen-Seins in der Gefährdung des Glaubens der Ahnen zur Zeit der Syrer und Makkabäer hat offenbar einen Teil der Israeliten zu einem Neubeginn geführt: Gott kann es nicht zulassen, daß die Märtyrer von Gott im Stich gelassen werden, daß ihre Zukunft allein im Schattendasein der Unterwelt (Scheol) liegen könne. Zur Zeit dieser Verfolgung findet Israel zum Auferstehungsglauben: „Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen. Die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach" (Dan 12,2). Die gemarterten sieben Brüder erleiden den Tod in der Hoffnung: „Gott hat uns die Hoffnung gegeben, daß er uns wieder auferweckt'' (2Makk 7,14).

Freilich, nicht alle Juden glaubten das. Die Sadduzäer (die Richtung der Hohenpriester!) meinten, „es gebe weder eine Auferstehung, noch Engel, noch Geister. Die Pharisäer dagegen bekennen sich zu all dem" (Apg 23,8). Aus den Pharisäern aber geht nach der Tempelzerstörung des Jahres 70 nach Christus jenes Judentum hervor, in dem die Auferweckung der Toten schier zum einzigen „Dogma" des späteren glaubenden Judentums geworden ist.

Freilich, die Art und Weise der Vorstellungen ist ganz verschieden. Teils rechnet man mit der Unsterblichkeit der Seele, die in denselben oder einen anderen Leib zurückkehrt, teils begegnen die Vorstellungen eines Seelenschlafes, aus dem Gott die Schlafenden erwecken werde. Grob irdisch werde jener Leib sein und gesteigert oder vergeistigt („wie die Engel"). Die Seelen können in einem bevorzugten Bereich die Auferstehung erwarten oder in der Unterwelt sein, Gott kann sie unter seinem Thron bewahren oder überhaupt in den Himmel jetzt schon aufnehmen.

Die Evangelien wissen, daß Jesus und die frühe Kirche schon eingespannt waren in solche Auseinandersetzungen. Sadduzäer sollen Jesus mit einer Spottfrage nach der Auferstehung belästigt haben, wem denn eine Witwe, die (aufgrund der Schwagerschaftsehe) nacheinander sieben Brüder geheiratet habe, bei der Auferstehung gehören werde (Mk 12,18-27). Aber Jesus sei entschieden für die Auferstehung eingetreten, habe das Sein jener Menschen „nach Art der Engel" bezeichnet.

Ein vergleichbares Bild in der jüdischen Umwelt zur Zeit der frühen Kirche. Volkstümlicher Glaube und Spekulation der Philosophie haben sich mit dem Problem beschäftigt. Die Existenz nach dem Tod wird als bestrafende Qual wie als beseligende Belohnung verstanden. Je nach dem vorausgesetzten Weltbild steigen die Menschen (ähnlich wie vorher erwähnt bei den Israeliten) in die Unterwelt hinab oder werden in den Luftbereich, in dem die Erde schwebt, freigesetzt.

Der Totenkult hat die Heroisierung Verstorbener (zum Beispiel in der Familie) im Auge, wird mit Toten-mählern gefeiert. Die Vorstellung existiert, daß die Seele (vom Körper befreit!) in den Äther aufgenommen werde, zu Gestirnen werde. (Früher) Tod kann als Gnade der Götter verstanden werden. In den Mysterienkulten prägt sich diese Jenseitshoffnung deutlich aus. Aber auch Töne aus der Grundgestimmtheit eines tiefen Pessimismus finden sich. Die gelöschte Fackel, die zerbrochene Säule, der weinende Genius auf Grabstelen und Steinsärgen. „Stirbst du, so ist es das Ende" (eine Grabinschrift). Auch das Judentum kannte solche Gefühle: „Wisse denn, daß die Überbleibenden bei weitem seliger sind als die Verstorbenen" (4 Esra 13,24).

In diese Welt hinein sagt christliche Verkündigung, daß Gott Jesus von den Toten auferweckt hat. Der hellenistische Verfasser der Apostelgeschichte weiß, daß solche Predigt unter den Gebildeten Spott erregt (Apg 17,32). Und Paulus weiß, daß solche Fragen auch seine Christen berühren. In Thessalonike trauern (neubekehrte) Christen offenbar um ihre Verstorbenen, aber sie sollen einander trösten mit der Hoffnung auf die Auferweckung (IThess 4,13-18). Christen sagen in Korinth, es gibt keine Auferstehung der Toten (IKor 15,12). Und Paulus erkennt so viel an dieser Meinung an, daß man zu Recht fragen kann, mit welchem Leib denn die Toten auferstehen werden (IKor 15,35).

Aber den Christen beider Gemeinden sagt Paulus, daß Tote und Lebende am Ende dieser Welt beim Gericht umgewandelt werden, daß schließlich der Sinn der gesamten Schöpfung ist, daß alles Christus unterworfen wird und so, durch die Unterwerfung des Sohnes unter den Vater, Gott schließlich alles in allen und allem ist (IKor 15,28). Paulus hat den Gedanken des Gerichtes deutlich und scharf ausgesagt. Er folgt der Linie des Evangeliums (zum Beispiel Mt 25,46: „Die Verworfenen werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben"). Aber er findet darüber hinaus zu einer umfassenden Hoffnung, daß schließlich die ganze Schöpfung einstimmen wird in das Bekenntnis, daß Jesus Christus Herr ist zur Ehre Gottes des Vaters (vergleiche Phil 2,11).

Wo liegt die Neuheitserfahrung für die Christen jenes ersten Jahrhunderts, ob sie Juden oder etwa Hellenisten waren? Die unerschütterte Gewißheit, daß in Jesus ein Mensch von den Toten gewiß auferweckt ist, in die Herrlichkeit Gottes aufgenommen ist. Darüber hinaus aber in der Erfahrung, daß dieser Jesus den Glaubenden konkret begegnet. In vielfacher Weise haben Christen damals Erfahrungen gemacht, die sie nur als Gegenwart des Geistes Gottes deuten konnten. Das gilt nicht nur für das, was wir Charismen nennen (über solches Paulus IKor 12-14), das ist auch die Erfahrung, nun ethisch nach den Regeln des Evangeliums leben zu können, die Frucht des Geistes zu erfahren in Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Gal 5,22f).

Paulus hat es auf den Punkt gebracht: Der Herr (Christus) ist zu Leben spendendem Geist geworden (IKor 15,45). Von dorther findet Paulus zu seinem gelassenen Wunsch: er sehnt sich danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein - um wieviel besser wäre das (Phil 1,23),'aber er ist durchaus bereit, am Leben zu bleiben, um seinen Christen noch dienen zu können (die Fortsetzung: Phil 1,24-26). Im Blick auf Tod und Auferstehung Jesu ist Paulus überzeugt: „Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende" (Rom 14,9).

Der Unterschied christlichen Glaubens, die Sprengkraft dieses christlichen Glaubens, liegt nicht so sehr in einer neuen Jenseitsspekulation, sondern in der Erfahrung von Lebenskraft aus dem Zeugnis über Kreuz und Auferstehung Jesu, aus der Erfahrung des Durchatmetseins mit Gottes Heiligem Geist. Spekulationen über das jenseitige Leben sind nach unseren vorliegenden Zeugnissen den Christen damals eher fremd gewesen. Man übernimmt bereitliegende Muster, wie das Bild vom armen Lazarus im Schöße Abrahams und dem reichen Mann in der Pein der Unterwelt (Lk 16,19-31) oder läßt den Seher die Seelen der Märtyrer unter dem Altar Gottes nach Rache (!) für das ihnen angetane Unrecht rufen (Offb 6,9-11).

Aber die tragende Überzeugung hat Paulus formuliert: „Weder Tod noch Leben... können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn" (Rom 8,38f).

Der Autor ist Ordinarius für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Salzburg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung