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AUFWERTUNG VON OSTERN

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Für ein Verständnis der immer neuen Feier des Kirchenjahres hat man sich verschiedener Modelle bedient, am liebsten des Bildes der Spirale, die in ihrer Bewegung dlie Wiederholung mit dem „Weiter-“ und „Höherkommen'“ verbindet. Wesentlicher als das scheint jedoch der Rhythmus der Feste und Feiern als solcher zu sein. Wer in seine Schwingungen gerät, fragt nicht mehr nach dem Sinn von alljährlicher „Wiederholung“. Die ganze Lebenszeit ist dann — hinter ihren geschäftigen und tagesnotwendigen Zielsetzungen — von jenem Rhythmus getragen, sofern das Leben seine Orientierung im Christusglauben, und das heißt notwendig zugleich: seine Geborgenheit in der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche, hat. Die Feste teilen die Zeit nicht auf oder ein. Aber die Zeit „sammelt sich“ in ihnen, „geht“ auf sie zu und „gipfelt in ihnen als in ihren Höhepunkten“ und „kommt“ von ihnen her. Die Zeit wird für den Christen in den Festen des kirchlichen Jahres Festzeit im Sinne des gesegneten Tages, der „Fülle der Zeit“, von der die Bibel spricht und die sie den „Kairos“ nennt. Das kirchliche Jahr verweist auf einen spezifischen Zug des biblischchristlichen Glaubens. Es simuliert ja nicht ehemalige Begebenheiten, sondern feiert bekennend und preisend das „damalige“ Ereignis, den einmaligen Kairos, als das „Heute“ des Heils und der Glaubenserfahrung. In der Bewegung der Geschichte, in den Geschicken ihres Fortgangs, ließ Gott sich „sehen“', „hören“ und als anwesend erfahren, wie uns Israel und auf dem Boden seines Glaubens dann auf unerhört neue Weise die frühe Kirche bezeugt. Was damals geschah und den Glauben weckte, ist bleibende Wirklichkeit und gewinnt seine Gegenwart in der festlichen Begehung durch die feiernde Kirche.

Die Feste des liturgischen Jahres bilden nicht ein Vielerlei an „Festgeheimnissen“; sie umkreisen alle miteinander die eine beglückende Erfahrung, die den Glauben erweckt und ihn rechtfertigt: Daß Gott in dem Menschen Jesus von Nazareth, in den Ereignissen um Sein Leben und Sterben, „Fleisch wurde“ und in dieser — ihrer Gestalt nach so unvermuteten — Offenbarung in der Unschemfoarkeit und Verhülltheit geschichtlicher Vorgänge und menschlichen Schicksals den Menschen einen Weg eröffnete, der ihnen Hoffnung, Heil und Sinn gewährt.

Es gibt aber eine Mitte dieser Feste, weil es einen Angelpunkt in den Ereignissen „um Jesus den Nazarener“ (Lk. 24, 19) gibt, die der Glaube bekennt: Mit der Erfahrung von Ostern steht und fällt das übrige. Christlicher Glaube ist Osterglaube, zuerst und zuletzt. Ostern kann nicht — auch nicht zeitweilig — bei der Deutung oder Realisierung des christlichen Glaubens suspendiert werden. Denn ohne Ostern gäbe es diesen Glauben nicht. Von einer Theologie der Inkarnation, also von einer Erlösung durch die Menschwerdung Gottes, wäre nie gesprochen worden, wenn nicht das Osterbekenntnis vorausgegangen wäre; und ebensowenig hätte jemand vom Heil des Kreuzes, von der Versöhnung in Jesu Blut zu sprechen begonnen ohne die Predigt der Erstzeugen: „Gott hat diesen Jesus auferweckt!“ Paulus sagt in seiner unmittelbaren Schärfe so: „Wenn aber Christus nicht auferweckt wurde, dann ist also unsere Predigt leer, leer auch euer Glaube; und wir werden als Dügenzeugen Gottes erfunden ..., dann ist euer Glaube eitel, dann seid ihr noch in euren Sünden“ (1 Kor. 15, 14 f., 17). Die ganze Wirklichkeit und Vollziehbarkeit des christlichen Glaubens ist mit dieser Gewißheit identisch: Er ist auferstanden! — Man muß sich daran erinnern, wie auch historisch gesehen die Ostererfah-rung, die Begegnung mit dem Auferstandenen, den Anfang christlicher Verkündigung und — was noch wichtiger ist — den endlichen Durchbrach zu dem von Jesus gemeinten Glauben auch in den immer noch „unverständigen“ Jüngern mit sich brachte. Alles bekommt nun seinen Sinn, alles wird im Osteitticht erst in seiner Bedeutung erkannt: Jesu Leben und Stepben in seinen vielen Ereignissen, an die man sich jetzt neu erinnert und die man im Licht der neuen Erkenntnis des Osterglaubens zu sehen lernt und weiterverkündet.

Es kann von der Grundstruktur der biblischen Verkündigung und von der Mitte des christlichen Glauibens her folglich keinen Zweifel über die Unvergleichlichkeit des Osterfestes unter den übrigen Festen geben. Wie sehr das bewußt war, zeigt sich in dem großen Reichtum an Feiern, Symbolen, Liedern und Begehungen, unter denen die Kirche seit alter Zeit die Auferstehungsnacht vorbereitet und federt. Vom Evangelium dieses Festes bezieht das übrige liturgische Jahr seinen Sinn. Aber besser noch sagt man, daß die Auferstehung des Herrn das ganze Jahr hindurch allsonntägldch gefeiert wird, ohne daß das eigentliche Osterfest von seiner Unvergleichlichkeit einbüßte.

Freilich, dieses innere Profil der christlichen Verkündigung und Wirklichkeit und damit auch des liturgischen Jahres ist seit beträchtlicher Zeit dem daobensbewußtsein in einem nicht meto harmlosen Ausmaß abhanden gekommen. Die Emphase gerade des österlichen Bekenntnisses, in welches hinein alles zusammenläuft, was über Jesus zu sagen ist (siehe Apg. 1, 21 f.; 2, 32; 3, 15; 5, 31; 10, 40; 13, 30; 17, 31), ist stark verkümmert. Zugunsten eines vielerlei an „Heilstatsachen“ und an Begebenheiten aus Jesu Leben wurde die Konzentration auf das eine Wesentliche, ohne daß alles andere „leer“ wäre, aufgegeben. Die fromme Phantasie fand ihr Gefallen an Details, die sie isolierte und mit eigenem, oft ganz heterogenem Nimbus umgab und damit auf den Bereich eines religiösen Bathos und frommen Brauchtums abdrängte, welches in dieser Form höchstens noch entfernt mit dem christlichen Fest jähr zu tun hat. Nebensächliches wurde betont, weil der Blick für die Mitte verloren war. Ostern ist nun nichts weiter, als das letzte in einer langen Reihe von „Wundern Jesu“. Seine spezifische, überlegene, gänzlich unvergleichliche Qualität ist dem breiten Glaubensbewußtsein fremd. So ist es heute eine keineswegs seltene Erscheinung, daß beispielsweise sogenannte Randchristen oder Außenstehende zwar am Weihnachtsfest allen Anlaß zum Kirchgang sehen und einen irgendwie „christlich-religiösen“ Charakter dieses Festes wahrhaben wollen, ohne jedoch auch nur das Geringste mit dem christlichen Osterbekenntnis und Osterfest anfangen zu können. Völlig vage, unspezifische Vorstellungen über „die christliche Religion“ haben sich in langer Zeit ausgebreitet und ihre Eigengesetzlichkeit entfaltet, die zu einer Institutionalisierung der Konturen- und Profillosigkeit christlichen Seibstverständnisses geführt hat. Wie viele Christen wissen um den Rang des Osterfestes und dessen Botschaft und lieben nicht — auf ungeprüfte Weise — etwa das Weihnachtsfest oder eines der Heiligenfeste lediglich ihrer gewordenen „Atmosphäre“ wegen weit mehr und degradieren damit zugleich auch diese Feste? Die Entwicklung im Besuch der Osterliturgiefeiern in den letzten Jahren legt ein nicht eben ermutigendes Zeugnis ab.

Es kann niemandem entgehen, wie sehr noch unsere gegenwärtige innerkirchliche Situation von dieser nivellierenden Entwicklung lähmend geprägt ist. In dieser Zeit, da sozusagen „von oben her“ und gleichzeitig auf breiter Basis das Wesentliche an Kirche und Christsein und deren Realisierung bewußt neu gemacht und belegt wird, stellen sich natürlicherweise alle unscharfen Vorstellungen deutlich heraus. Ohne diese verbreitete Unscharfe und Profillosigkeit im christlichen Glaubensbewußtsein wäre die gegenwärtige Verwirrung nicht so groß. Man würde das Ohristsein ja nicht mit Formulierungen und peripheren Praktiken oder Formen identifizieren und die Wesensmitte bei aller Neuorientierung nicht aus den Augen verlieren. Man würde nicht weiterhin die vielfältigen Sorgen, etwa um eine fremde Sprache, um Einzelformulierungen, um liebgewonnene Details kirchlicher Lebensformen, mit solcher Strenge der einen großen Sorge vorziehen, daß nämlich das zentrale Geheimnis des christlichen Glauibens für die Ohristen sichtbar, wieder sichtbar und begreiflich zu machen ist.

Die Neubesinnung der Kirche auf ihr Wesentliches, die sie in ihrer Theologie, auf ihrem Konzil, in vielen ihrer Glieder vollzieht, hat nicht zufällig ihren Schwerpunkt in der Bewußtwerdung des österlichen Charakters des Glaubens und der Berufung der Christen zum Zeugnis für den Auferstandenen. In den Bemühungen um eine Neuordnung der Osteriiturgie schlägt sich das intensiv nieder. Denn wie, so möchte man in Abwandlung eines Pauluswortes (Rom. 10, 14) sagen, sollen sie den als Auferstandenen bezeugen, den sie nicht als solchen lebendig'wissen und erfahren haben?

Wir erleben, das dürfen wir schon jetzt voll Dankbarkeit sagen, in diesen Generationen der Kirche eine „Aufwertung“ von Ostern. Nach allem Gesagten ist das ein weittragendes Faktum. Die Besinnung auf die Ursprünge des Glaubens und zugleich auf das Wesen der kirchlichen Liturgie hat uns Ostern in seiner ScMüsselsteltaig neu begreifen lassen, und wir sind — so hoffen wir zu Gott — dabei, das zentrale Geheimnis unseres Glaubens nicht nur zu registrieren und au propagieren, sondern es als Orientierung unseres Lebens im Glauben zu übernehmen. Schwerwiegende Gründe gibt es gerade in dieser Epoche des Ohristseins, daß man als Christ sich der eindeutigen, wesentlichen Orientierung und der grundlegenden Gestalt des Glaubens versichert, um ihn nicht in lauter Konfusionen zu verlieren. Nun hat aber das Ostergeheimnis mit dieser Orientierung in einem sehr unmittelbaren Sinn zu tun. Es meint nicht ein entferntes Wunder, das Gott an Seinem Sohn einst wirkte und dessen Früchte uns zugewendet werden. Wir haben enger mit Jesus Christus dem Auferstandenen zu tun: Sein Weg ist nun der unsere. Er ist diesen Weg durch das Kreuz und Scheitern, der unser Weg ist, gegangen, damit er für uns zur Auferstehung führe, weil Er ihn gegangen und auferstanden ist. Er selbst ist nun „der Weg“ (Joh. 14, 6). Ohne die Feier von Ostern wäre das Christsein „leer“. Das Begehen dieses Festes ist aber Bekenntnis und Erfahrung zugleich, daß das „Mitsterben mit Ihm“ auch zum „Mitauferstehen“ führt, weil wir berufen sind, „dem Bilde Seines Sohnes gleichgestaltet zu werden, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern'' (Rom. 8, 29).

NORBERT BROX (935), Studium der Philosophie und Theologie in Poderborn und München. 1961 Promotion zum Dr. theol. in München (neufesfomenfliche Bibelwissenschalt). Seit 1962 am Institut für Religionswissenschaft und christlich Altertum Im Internationalen Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschall in Salzburg. Sei* 1966 Dozent für Altkirchliche Theologie und ökumenismus an der Kath.-Theol, Fakultät der Universität Graz.

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