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Todeszuckungen oder neues Leben?

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Die theologisch-progressistischen und vielfach erfolgreichen Kräfte auf dem holländischen Pastoralkonzil und in seinem geistigen Umkreis, haben das klare Fundament des Credo verlassen und in einer radikal „neuen Sicht“ durch ihre Interpretation der „Pluriformität“ das gestiftete Glaubens-Depositum und damit die Einheit der weltweiten katholischen Kirche ausgehöhlt. Man fragt sich erstaunt: Was ist eigentlich vorgegangen, daß innerhalb einer kirchlichen Gemeinschaft wie jener der holländischen Katholiken, die ein Muster der Kirchentreue war, ein gefährlicher Explosionsherd im Bereich des Glaubens entstand?

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Die theologisch-progressistischen und vielfach erfolgreichen Kräfte auf dem holländischen Pastoralkonzil und in seinem geistigen Umkreis, haben das klare Fundament des Credo verlassen und in einer radikal „neuen Sicht“ durch ihre Interpretation der „Pluriformität“ das gestiftete Glaubens-Depositum und damit die Einheit der weltweiten katholischen Kirche ausgehöhlt. Man fragt sich erstaunt: Was ist eigentlich vorgegangen, daß innerhalb einer kirchlichen Gemeinschaft wie jener der holländischen Katholiken, die ein Muster der Kirchentreue war, ein gefährlicher Explosionsherd im Bereich des Glaubens entstand?

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Die Antwort äst nicht in ein Wort zu fassen. Man kann aber einige Wirkursachen beschreiben. Die wichtigste ist wohl, daß sich eine neue Denkart verbreitet, in der die Kategorien des (auch) statisch Seienden und Bleibenden, und die Fähigkeit, es gültig zu ergreifen, verlorengehen. Eigentlich nur die Gegenwart und das besondere, heutige, mein Erleben interessiert. Solches Denken steht aus seiner ganzen Art heraus in entscheidender Spannung zum christlichen Glauben, der sich wesentlich an einer Verkündigung und einer Stiftung, die aus der Vergangenheit zu uns herübergetragen wurde, orientiert. Das Ergebnis ist dann etwa eine gründliche Pervertierung der Gottesidee bis zu jener Erklärung, die auch evangelische Theologen erschreckte, daß nämlich das Bekenntnis zu einem Gott, der die Geschichte gestaltet, Götzendienst sei; oder bis zu dem seichten Aufkläricht, der den Heiligen Geist umdeutet in den guten

Geist, der in allen Menschen ist, oder überhaupt zu dieser gnostischen Art, mit kompliziertem Gerede einen philososphischen Gott aufzubauen und zur Grundlage der Verkündigungsarbeit zu machen.

Wo der Glaubenssatz von Christus als Gottes Sohn auf eine Redensart zurückgeführt wird, die auf eine Abrede der Kirchen zurückgehe, wo die Auferstehung Christi in der gleichen törichten Weise darauf reduziert wird, daß nach Jesu biologischem Tod Er mit Seiner Sache in und mdlt uns weiterlebt, wo die Auferstehung Jesu mit illusionistischen und halluzinatorischen Vorstellungen in Verbindung gebracht werden darf, ist das Credo der Kirche nicht mehr präsent. Für den Katholiken ist die christliche Botschaft dogmatisch festgelegt und gebunden. In ihrem Kern natürlich. Und hier ist ein Punkt, an dem das Pastoralkonzil für die ganze Kirche nützliche, ja heute besonders notwendige Arbeit hätte leisten können, wenn es „die Kirche im Dorf gelassen hätte“, wie Kardinal Alfrink mahnte. Das Pastoralkonzil hätte nämlich mit größtem Recht die Tendenzen bekämpfen können, die im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder versuchten, diesen Kern, dieses Felsenfundament in unzulänglicher Weise zu erweitem. Aber jenen Kern des katholischen Dogmas festzulegen, hat der Stifter der Kirche keineswegs den noch so gelehrten Theologen anvertraut, sondern seiner Kirche und darin denen, denen er die Vollmacht gegeben hat, zu binden und zu lösen. Das ist nach katholischem Glauben das im Bischofsamt zusammengefaßte Prie-stertum.

Wer kann uns im Ernst zumuten, di heutige Wissenschaftsgläubigkeit m ihrem kurzsichtigen Stolz mitzumachen? Soll man „Angst“ haben vor diesen Theologen, die mit ihren eisernen Augen die theologischen Systeme innerhalb des bisherigen 20. Jahrhunderts in einer noch nie gesehenen Schnelligkeit sich ablösen sahen, so sehr, daß sie seit 20 Jahren geradezu in einem Hexenkessel der sich überschlagenden und widersprechenden Thesen untergehen?

Nein, da empfange ich schon viel lieber in einem lebendigen Hören des Wortes (und nicht in Silbenste-cherei), in einer Ganzheitsbetrachtung die Stimme des Herrn und sehe Sein Antlitz. Und ich hin gewiß, daß etwa Thomas von Aquin, über den wir modern-exegetisch weit hinausgekommen sind von diesem Wort, das lebt und Leben spendet, viel mehr wußte und noch heute zu vermitteln hat als diese Stubengelehrten. Es ist ein Trost, daß es unter ihnen (entgegen ihren abstrakten Er- und Bekenntnissen) tiefgläubige, in der Kirche, im einfachen, im kindlichen Glauben verwurzelte Männer gibt. Allerdings, in den Papieren des Pastoralkonzils habe ich davon nichts gefunden — übrigens auch nichts von einer Atmosphäre des Gebetes. Nein, der Ton des Neuen Testaments klang dort nicht.

Wir kommen nicht an der fordernder Frage vorbei, deren Formulierung allein schon für unsere aus dei modernen Existenzerfahrung denkenden und handelnden Progressi-sten eine unmögliche, vorgestrige Erstarrung bedeutet: Halten sie — die progressistischen holländischen Katholiken — fest am Glauben an eine im eigentlichen Sinn erfolgte Offenbarung Gottes in Seinem Mensch gewordenen Sohn, geboren aus Maria der Jungfrau, gelitten, gestorben, begraben, im wörtlichen Sinn auferstanden —, halten sie daran in dei Art fest, daß damit ein Definitivum — Christus — in die Geschichte eintrat, und daß dieses Definitivurr Christus durch Seine Boten eine Kirche gründete in der Art, daß das Wesen dieser in Tat, Wort unc Sakrament dargestellten Offenbarung im Kern erkannt werden könne und erkannt wurde? Wird festgehalten, daß diese Wahrheits-Offenbarung unter dem Lehramt der Apostel mit Petrus als dem ersten den Menschen so anvertraut wurde, daß ihr Kern in der Kirche nicht unterlieger könne und bis heute nicht unterging?

Gibt es also in der christlicher! Botschaft und in der gestifteter Kirche in der Weise einen unveränderlichen Kern, daß er, eben wei von Gott gestiftet, weder irgendwann noch auch heute von eine) soziologischen, kulturellen, geistiger Veränderung in Frage gestellt werden kann?

Diese Frage an die progressistischen Holländer, ihr Pastoralkonzl (übrigens auch an einen beträchtlichen Teil der heutigen progressistischen katholischen Theologie) wil nicht insinuieren, alle Teilnehmer des holländischen Pastöralkonzils sei&#171; gleichermaßen wegen Verletzung dei katholischen Glaubenssubstanz zuo Verantwortung gezogen. Wohl abei wird behauptet, es sei auf dem Pastoralkonzil von den Vorbereitenden und Mitagierenden in bedrohlichem Mal jene Aushöhlung des Katholischer ausgesagt oder gewirkt worden, s< daß auch eine Gesamtatmosphäre de: Unkatholischen geschaffen — un<

;daß all dies als eine zu begrüßende tpositive Errungenschaft, als die „neue Sicht“ der modernen Zeit bezeichnet wurde.

Man hält die Pluriformität geradezu für das Zentrum des Forderns, für die Anerkennung des Prinzips, daß es vielerlei Weisen geben müsse, „Gott zu begegnen“. Wohlgemerkt, in dieser so oft wahllos angerufenen, grundsätzlich verteidigten und geforderten „Pluriformität“ geht es um eine Pluriformität auch der Wahrheiten! Sie konkretisiert sich z. B. in einer niederschmetternden Gleichwertigkeit verschiedenster Glaubenstypen bis hin „zum religiösen Agnostizismus, auch wohl positiver Unglaube genannt“, womit sich denn der Verlust der unentbehrlichen Mitte unmittelbar offenbart. Man spricht davon, daß die progressistischen Äußerungen auf dem Pastoralkonzil in „ehrlicher Überzeugung, voller Redlichkeit“ investiert seien. Zum Glück stimmt das in dem Sinne, nicht, aflis ob die Bischöfe ihnen zugestimmt hätten. Sonst wären sie nicht mehr katholische Bischöfe.

Dieser Tatbestand beseitigt allerdings wiederum nicht die für das treue Gottesvolk verwirrende Tatsache, daß Seine geistlichen Hirten die vor ihnen verbreiteten Verirrun-gen nicht klipp und klar in der Öffentlichkeit als solche abwiesen.

Was speziell Kardinal Alfrink angeht, so kann ich mir schon vorstellen, daß seine Lage so qualvoll ist, daß er manchmal aus Sorge um die Seelen sein Urteil zurückhielt. Wenn das aber zu oft geschieht, und auch in krassen Kontroversfragen, trifft es einen Katholiken doch schwer, von Protestanten zu hören, daß die Bischöfe „letztlich keine erkennbare Position einnahmen“. In der Intervention gegen Schille-beeckx, der rundheraus erklärte, ein letztes Wort gebe es nicht, auch nicht in einem unfehlbaren Wort, hat Alfrink, wenn auch zaghaft, eine gewisse Unfehlbarkeit festgehalten. Und in seiner Festpredigt dieses Jahr zu Peter und Paul hat er sich entschieden geäußert. Dasselbe taten die Bischöfe in ihrem Hirtenbrief zum Priesterjubiläum Freilich stellen sich nun drei Fragen, von denen die zweite und dritte wesentlich sind:

• Wie hat man die Haltung des Kardinals auf dem Pastoralkonzil mit diesen neuesten Aussagen auf einen Nenner zu bringen?

• Welche Konsequenzen in Verkündigung und Verwaltung, einschließlich einer verbindlichen Bewertung der Lehraussagen des Pastoralkonzils, werden vom Episkopat gezogen?

• Welche Konsequenzen werden die Progressisten aus diesen amtlichen bischöflichen Verlautbarungen ziehen?

Die Kirche ist auf ihrem Weg durch die Geschichte an zwei Lebensgesetze gebunden: Erstens muß sie die Reinheit des Gestifteten bewahren —; zweitens muß sie in gemäßigter Akkomodation so handeln und sprechen, daß ihre Botschaft fruchtbar bei den Menschen verschiedener Zeiten und Zonen ankommen könne. Wie immer, so iat aber auch heute, trotz der lebensnotwendigen Akkomodation, nicht die erste Frage, wie verkündige ich, sondern das A und O bleibt, was habe ich auftragsgemäß zu verkünden in Wort und Sakrament? Deshalb gibt es keine Art, das rechte Ziel sicherer zu verfehlen, als die Frage nach dem „Wie“ an die erste Stelle zu rücken, i.lso beinahe ausschließlich darauf aus zu sein, ja nicht „an den eigentlichen Seinsfragen und Aufnahmemöglichkeiten der geistig und sozial revolutionierten Gesellschaft vorbeizuhören“.

Aber wieder entgehen wir der entscheidenden Frage nicht: Wo liegt die Grenze der Akkomodaition? Es ist heute (auch in der Anpreisung von Büchern katholischer Verlage) eine Sitte geworden, die Unsann ist, zu behaupten, die bisherige traditionelle Theologie habe „den Menschen gnadenlos von Gottesbildern abhängig“ gemacht; demgegenüber wolle die moderne Avantgarde „der Gottes-wirklichkeiit das Feld bereiten“.

Nicht das ist anstößig und unkatholisch, daß man das Neue mit Elan und gehörigem Wagemut betreibt, und auch manchen unbequem aus dem Schlaf aufschreckt, sondern daß man verläßt, also revolutionär im Sinne dar Wesensenitfremdung wird: daß man Atmosphäre und Grundart des biblischen Glaubensdenkens verläßt —, und daß das Heute, der heutige Mensch, die heutige Kritik, die heutigen (sozialen Erfahrungen und Forderungen zu wesentlicher Ausgangsbasis des käirchlich-itiheologischen Denkens werden.

Das Pastoralkonzil fordert einen Exodus aus dem Gewesenen in das unbekannte „gelobte Land“; und also dürfe man nur möglichst wenig belastendes Gepäck mitnehmen und viel zurücklassen. — Einen Exodus aus dem, was immer der Kirche, ihrer

Verkündigung und Struktur wesentlich war, Auszug aus ihrem Credo, aus ihrer hierarchischen und sakramentalen Struktur?: — Mitnichten! Jenes ist zwar die Forderung oder eine der Voraussetzungen wichtiger Teile des Pastoralkonzils, aber nicht die von Vaticanum II. Das aggiorna-mento Johannes' XXIII. und des Vaticanum II hat nirgendwo Wesentliches preisgegeben.

Es ist gut, wenn wir daran erinnert werden, daß die Christenheit, daß die Kirche nicht von korrekter Theologie lebt, und daß es also nicht genügt, unkorrekte Theologie zu entlarven. Es bedarf wahrhaftig des Glaubens, natürlich des authentischen, der nur in Jesus ^nnsxus ist, una zwar im authentischen Jesus Christus, nicht in dem blassen Bild, das unsere moderne Hyparfcratik von Ihm noch bestehen läßt. Und dieser authentische Glaube und seine Verwirklichung im Leben ist schwach bei uns wie in der ganzen Welt. Wenn also die Holländer ein klareres Bewußtsein von diesem Mangel erwecken als andere: Bravo! Nur darf nicht die Situation — hier also der Glaubenssohwund — als Wertmaßstab genommen werden-im Sinne von van de Pol, bei dem die Iilusions-losigkeit umschlägt dn die Uruter-gangsthese, wo denn der christliche Gott und die anderen Götter von der Wirklichkeit zertrümmert werden, wo wir, da die Situation des konventionellen Christentums „Ende“ heißt, den Glauben der Bibel und der Ur-kirche und aller Jahrhunderte preisgeben sollen, da wir doch etwas Neues brauchen, etwas absolut Neues. Illusionslos: Es gibt nur diese eine Schlußfolgerung: die Menschen haben vor Gottes Gnadengeschenk der Erlösung von der Sünde (klingen solche Worte nicht erschreckend fremd im Umkreis des Pastoralkonzils?) versagt, also müssen wir alles daransetzen, diese Gabe wieder zu gewinnen, sie wieder anzunehmen. Wir müssen die Kirche reformieren. Keineswegs sind wir aber auf den Weg des Ersatzes verwiesen. Und wieder stehen wir vor unserer zentralen These: die Offenbarung in Jesus Christus ist ein Definitivum; nur in Seiner Gewinnung öden; Wiedergewinnung liegt das Heil. Mit jeder anderen Lösung geraten wir in eine rein innerweltliche Deutung Gottes und Seiner Offenbarung; wir hätten den Glauben der Väter verloren.

Vielleicht dürfen wir, ausschauend nach Zeichen, die Hoffnung sein könnten, an die Antwort von Bischof Hubert Ernst von Breda auf eine Interpellation denken, die lautete: wenn die Bischöfe die Krise in der Kirche nicht als Wachstumskrise (sondern als Todesdrohung) sähen, könnten sie ihr Amt nicht führen. In ihrem Hirtenbrief zum goldenen Priester Jubiläum des Papstes schreiben die holländischen Bischöfe: „Wenn Kritik notwendig ist, sollte sie ein positiver Beitrag zum Leben in der Kirche sein.“ Was in den Empfehlungen zur 4. und 5. Session vorgelegt wurde, war aber in entscheidenden Punkten ein destruktiver Beitrag. Die Absage an die dort niedergelegten Ansichten oder sogar Denkarten haben die holländischen Bischöfe noch nachzuholen. Und die Soziologen und Theologen einschließlich der unbotmäßigen Studentenseelsorger müßten Bilanz ziehen und, da sie sich nicht von der Kirche trennen wollen, ihre Theologie gründlich revidieren. Es wäre ein großartiger Triumph der über alles gehenden Einheit in Christus.

Vielleicht würden daraufhin die kurialistischen (ich sage nicht: kuria-len) Theologen ihrerseits endlich begreifen, daß das Unfehlbare in der Kirche nur einen engen Kreis betrifft, und daß, wie es im eben zitierten Hirtenbrief heißt: nicht alles, was der Papst in jeder Situation sagt, von gleichem Wert ist.

Aber vergessen wir nicht: Es geht um das Ganze!

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