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Verschiedene Fenster zu Gott?

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In seinem Bericht „Zur Lage von Glauben und Theologie heute", den er im Mai 1996 in Guadalajara in Mexiko abgab, steckte Kardinal Ratzinger die Frontstellungen der Glaubenskongregation für die Zukunft ab. Nachdem man die Befreiungstheologie mit ihrem allzu diesseitigen und politisierten Erlösungsverständnis nun als gescheitert betrachten könne, sei „der Belativismus zum zentralen Problem für den Glauben in unserer Stunde geworden" - so Ratzinger. Wo begegnet ihm solcher Relativismus?

Zuerst und vor allem in jenen Entwürfen einer „Pluralistischen Theologie der Religionen", wie sie besonders in der englischsprachigen Theologie Englands, Nordamerikas aber auch in Indien und Südostasien entwickelt wurden. Der aus dem multireligiösen Birmingham stammende, ursprünglich evangelikale Presbyte-rianer John Hick und der an der katholischen Xavier-Univer-sität in Cincinnati lehrende, ursprünglich bei den Steyler Missionaren ausgebildete Paul F. Knitter gelten als die Hauptvertreter. Beide haben durch die intensiv erlebte Begegnung mit Menschen anderen Glaubens ein immer stärkeres Unbehagen an den traditionellen theologischen Aussagen über andere Religionen empfunden und sich auf die Suche nach einer neuen „Theologie der Religionen" gemacht.

Es seien im wesentlichen zwei Modelle, nach denen Kirche und Theologie die nichtchristlichen Religionen in der Vergangenheit gedeutet und beurteilt haben: das Modell des Exklusivismus und das des Inklusivismus.

Nach dem Modell des religionstheologischen Exklusivismus darf allein das Christentum als „religio vera", als wahre und damit als allein seligmachende Religion gelten, weil allein die Christusoffenbarung das Nadelöhr ist, das den Weg zu Gott öffnet. Alle anderen Religionen sind aus der Gotteserkenntnis, aus Heil und Erlösung ausgeschlossen („nulla salus extra ecclesiam"). Die exklusive, ,aus-schließende' Haltung betont die alleinige Heilsnotwendigkeit des christlichen Glaubens. Es gibt einen Weg zu Gott- den Christus-Weg, wie er in der einen wahren Kirche gegangen wird. Schließlich sagt ja Jesus von sich: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich" (Joh 14,6) und Petrus be-kenntsich zu ihm mit den Worten: „Es ist kein anderer Name, durch den wir gerettet werden sollen" (Apg 4,12).

Das inklusive Modell behauptet demgegenüber nicht die Alleingeltung des Christentums, sondern seine qualitative Überlegenheit über die anderen Religionen. Während diese nach dem Exklusivmodell kompromißlos verworfen wurden - als Finsternis, als gotteslästerliche Irrlehre, als Werk des Antichrist -, so kann man ihnen nun einen mehr oder weniger positiven Wert zubilligen. Dieses Modell geht davon aus, daß Gottes Offenbarung allen dafür offenen Menschen aus den Werken der Schöpfung entgegenspricht und daß Gott die Samenkörner seiner Wahrheit in die Herzen aller Menschen eingesenkt hat. Doch die Fülle dieser Wahrheit - daran gibt es keinen Zweifel - liegt allein in Christus und in der Religion, die seinen Namen trägt. Von diesem Ansatz her braucht man die anderen Religionen nicht zu verurteilen. Sie sind nicht aus Gottes Wahrheit und Heil ausgeschlossen (das wäre die ,exklusive' Position), sondern darin eingeschlossen (daher die Rede vom ,inklusiven' Modell). Doch enthalten sie nur Teilwahrheiten und bedürfen der vollen Wahrheit des Christentums.

Die ,Pluralisten' lehnen diese beiden Modelle ab - nicht nur, weil sie einer dialogischen Begegnung der Religionen entgegenstehen, sondern vor allem, weil sie der theologischen Überzeugung vom universalen Heilswillen Gottes nicht gerecht werden. Nach dem religionstheologischen Exklusivismus sind die nichtchristlichen Religionen gottverlassen, nach dem Schema des Inklusivismus enthalten sie nur einzelne Samenkörner der Wahrheit Gottes. Der christliche Ab-solutheitsanspruch begegnet hier nur in einer milderen Form. Doch an der Grundüberzeugung ändert das nichts: Christus ist der einzige Weg zu Gott, und die Kirche als der Leib Christi die einzige Sozialgestalt des Heils.

Muß Gott nicht größer gedacht werden? So, daß er sich auch in den Offenbarungen anderer Religionen zu erkennen gegeben hat? So, daß er höchst unterschiedliche Wege zu sich geebnet hat? Christus, der Koran, die Lehre Buddhas als verschiedene ,Fen-ster' zu Gott, durch die sein Licht in je eigener Brechung durchscheint? Diese Überlegungen führen zum Modell eines religionstheologischen Pluralismus.

Vom Exklusivismus und Inklusivismus zum Pluralismus in der „Theologie der Religionen" so lautet das Programm der Pluralistischen Theologie der Religionen. Es will nicht besagen, alle Religionen seien gleich. Es will auch nicht die eigene Wahrheitsgewißheit in einen relativistischen Beliebigkeitspluralismus auflösen - nach dem Motto: „any-thing goes", alles ist gleich gültig und damit gleichgültig. Es geht gerade umgekehrt darum, die Offenbarungen der traditionellen Weltreligionen als authentische und damit verbindliche Manifestationen des einen'göttlichen Grundes und Ziels aller Wirklichkeit zu würdigen.

So läuft alles auf die Frage zu: Gehört zum Bekenntnis der Göttlichkeit Jesu die Überzeugung, er allein sei das Nadelöhr, durch das Gottes Weg zu den Menschen und der Menschen Weg zu Gott führt? Gehört die Exklusivbehauptung untrennbar zum Christusbekenntnis hinzu oder hat sich darin die Glaubensgewißheit der ersten und späterer Christen einen Superlativ gegeben?

Hick geht davon aus, daß in Jesus, dem Christus, nicht die ganze Fülle des Wesens Gottes ,restlos' offenbart ist. Auch die Offenbarungen anderer Religionen sind Manifestationen des einen Gottes. Gottes Wort und Gottes Geist hat sich in Jesus Christus durchaus einzigartig in geschichtlicher Konkretion repräsentiert, ohne daß diese eine die einzige Repräsentanz sein müßte. Das ewige Wort Gottes, sein universal wirkender Geist erschöpft sich in keiner seiner Gestalt-werdungen auch nicht in der Christusoffenbarung.

Entspricht das nicht unserer Erfahrung in der Begegnung mit anderen Menschen. Ein Mensch repräsentiert sich in jeder Situation und in jeder Rolle, die er darin spielt, charakteristisch verschieden. Selbst sein vertrautester Lebenspartner kann niemals behaupten, der andere habe sich ihm ganz und restlos ,offenbart'.

Läßt sich aber ein solches Erfahrungsargument wirklich anwenden auf die Beziehung zwischen Jesus und Gott? Widerspricht es nicht der biblischen Bezeugung? Gerade hier ist doch eindeutig gesagt: „In ihm wohnte die ganze Fülle Gottes leibhaftig" (Kol 2,9).

Damit ist der Haupteinwand angesprochen, der immer wieder gegen die Entwürfe einer Pluralistischen Theologie der Religionen vorgebracht wird. Karl-Josef Kuschel aus Tübingen formulierte es so: „Wenn es die Bibel nicht gäbe, wäre ich Pluralist". Kann man übersehen und übergehen, daß die Evangelisten und besonders Paulus, am meisten aber Johannes keinen Zweifel daran lassen, daß Jesus der eine und einzige Mittler Gottes ist? Was halten die Vertreter der Pluralistischen Theologie der Religionen diesem Einwand entgegen?

■ Zum einen setzen sie die Erträge der historischen Bibelforschung voraus (ein Dorn in Ratzingers Auge!). Die steilen christologischen Aussagen besonders des Johannesevangeliums verstehen sie nicht als verbalinspiriertes Wort Gottes über Jesus, sondern als Bekenntnis seiner Anhänger zu ihm.

■ Sie stellen zweitens diese Aussagen in den Kontext ihrer Entstehungssituation. Fragt man nach dem „Sitz im Leben", in dem die schroff exklusivi-stischen Aussagen des Neuen Testaments stehen, dann zeigt sich, daß sie alle in Verfolgungssituationen und also im ,status confessionis' gesprochen worden sind. Wo diese Situation nicht mehr gegeben ist, werden zumindest die exklusiven Spitzen dieser Aussage reformuliert werden können und müssen.

■ Die Vertreter der Pluralistischen Theologie der Religionen beziehen drittens die Erträge der sprachanalytischen Philosophie mit ein und fragen, um welche Art von Sprachgebrauch es sich bei solchen Aussagen handelt. Dabei zeigt sich, daß diese nicht als rationale Wahrheit, sondern als existentielle Wahrheit aufzufassen sind - nicht als allgemeingültige Feststellung von Fakten, sondern als persönlicher Ausdruck einer intensiven Beziehung. Als solche lassen sie sich nicht ablösen von den Erfahrungen der Personen und Gemeinschaften, die sie gesprochen haben. Es sind eben Wahrheiten des Glaubens, nicht des Schauens, keine Richtigkeits-, sondern Wichtigkeitsurteile. Vergleichbar vielleicht dem ,Wichtigkeitsur-teil', das ein Liebender seinem/r Geliebten zulegt. Man denke nur an die Geschichte vom Kleinen Prinzen: Unter den vielen Rosen des Feldes bekennt er sich zu ,seiner' und ist überzeugt, daß sie einzigartig sei.

Alle diese Überlegungen führen zur Forderung, die Exklusivaussagen über Christus in die grundlegende Botschaft von und über Jesus einzuordnen. Und das ist die Botschaft von der allumfassenden Menschenliebe Gottes. Christus ist Verkünder dieser Botschaft. Mehr noch: Er ist lebendiges Symbol dieser Botschaft. Er ist das Sakrament und die Ikone Gottes. Von Gottes Liebe war er so vollkommen erfüllt, daß man sagen konnte: Diese Liebe hat in ihm Gestalt angenommen. Die ,Plu-ralisten' trauen Gott die Größe und die Souveränität zu, sich auch in anderen Ge-staltwerdungen zu bekunden, was der einen Gestaltwerdung in Christus nichts, aber auch gar nichts von ihrer Einzigartigkeit nimmt.

So kann man die Antwort der Pluralistischen Theologie der Religionen auf die Frage nach der biblischen Be-gründbarkeit ihres Modells folgendermaßen zusammenfassen: Es läßt sich nicht auf dem Wege unmittelbarer Ableitung aus einzelnen biblischen Aussagen begründen, wohl aber von der zentralen Einsicht Jesu in das Wesen Gottes her: daß Gott Liebe ist.

So ist der Streit um die biblische Be-gründbaikeitdeT Pluralistischen Theologie der Religionen immer auch ein Streit um das Verständnis der Bibel und ihrer Aussagen. Er wird gegenwärtig heftig geführt nicht zuletzt auch um Ratzingers Frage, ob die Pluralistische Theologie ein inhaltsleerer, relativistischer Post-Modernismus sei. Der Autor ist evangelischer Theologe und Mitarbeiter am Ökumenischen Institut der Universität Heidelberg. Zahlreiche Vzröf-fentlichungen zu Themen im Bereich „ Theologie der Religionen ".

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